Zu viel!
Unser Leben wird immer rasanter. Alles spielt sich heute in einem Tempo ab, das kaum Zeit zum Nachdenken lässt. Selbst Gespräche verlaufen oft in einer Geschwindigkeit, dass man kaum noch das Wesentliche der Mitteilungen erfassen kann. Ich möchte hierzu eine kleine Geschichte erzählen, die sich vor etwa 120 Jahren abgepielt haben kann:
Zwei Bauern, Hinnerk und Harm aus einem Dorf im ostfriesischen Rheiderland, auf der westlichen Seite der Ems gelegen, machten sich an einem schönen Sommertag mit ihrem Ackerwagen auf den Weg zum Viehmarkt. Sie hatten sich verabredet, einige Kälber nach Leer zum Markt zu bringen. Sie trafen sich früh am Morgen, grüßten sich wortlos mit einem Handschlag, spannten Hinnerks Füchse vor den Wagen und ab ging die Fahrt zur fünf Kilometer entfernten Kreisstadt.
An der Fährpünte an der Ems bei Leerort hatten sie Aufenthalt, da die Fähre nur zwei, drei Fahrzeuge transportieren konnte. Harm betrachtete die Ems, die gemächlich der Nordsee entgegenzog. Dann meinte er mit einem Blick auf das blaugraue Wasser:
»Wi hebb’n Hoogwater!«
Hinnerk sah ihn an, nickte kurz mit dem Kopf. »Jo!«
Einige Zeit später kamen sie in Leer auf dem Markt an, tätigten ihre Geschäfte mit Erfolg, tranken in der ›Waage‹ ein Bier und einen Genever, machten sich dann wieder auf den Heimweg. Bei Leerort an der Fährpünte wieder angekommen, meinte Harm: »Dat Water geiht all weer hendaal!«
Hinnerk sah seinen Mitfahrer etwas länger an, lenkte dann das Gespann auf die Fähre und meinte dann mit einem Blick auf die Ems: »Hm!«
Wieder zu Haus angekommen,verabschiedeten sich beide mit einem Händedruck. Hinnerks Frau Gesa kam aus der Tür und als Hinnerk die Pferde ausspannte, fragte sie ihren Mann: »Na? Wo weer’t? All up Stee?«
Hinnerk nickte. »Jo, man mit Harm gah ik dor nich mehr hen!« Gesa fragte erstaunt: »Woso dat denn?«
»Woso? De proot mi allto vööl!«

 
Für Nicht-Ostfriesen:
Hoogwater        Hochwasser
hendaal              herunter,zurück
wo weer’t?          wie war es?              
up Stee               in Ordnung
woso?                 wieso?
proot                  redet, spricht
allto vööl            viel zu viel



©by H.C.G.Lux

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Kommentare (6)

Tulpenbluete13

Lieber Pan,

das waren noch Zeiten... eine hübsche Geschichte, passend in unsere laute und schnelle Zeit...
Da kommt wieder die stille Wehmut in meinem Herzen hoch.:

Manchmal war es früher doch schöner... oder nicht?

Dankeschön für diese Geschichte. Ich habe sie gern gelesen

lieben Gruß
Angelika

ehemaliges Mitglied

So ist das mit den Ostfriesen ... Man sagt zu jeder Tag- und Nachtzeit: Moin!

Und wenn eine/r "Moin, moin" sagt, machen die meisten einen Bogen um ihn oder sie, der quaselt zu viel! Bin so oft in Ostfriesland gewesen und lebe nun auch noch fast dort - auch hier wird nur einfach "Moin" gesagt ...

Aber der Hinnerk in Deiner Geschichte, lieber Pan, wollte ja wohl noch weniger reden ... Lachen

LG Uschi

Pan

Richtig, liebe Uschi.
Nur hat das "Moin" nichts mit dem Morgen zu tun! Die meisten Touristen  glauben, die Menschen hier sagten den ganzen Tag "guten Morgen"Überrascht
Es leitet sich ab von dem Wort "Moi", das gut oder schön bedeutet. 
(Und wenn bei uns jemand "Moin,Moin" sagt, weiß ein jeder, dass der Mensch nicht aus dieser Gegend stammt ...)

Moin!
sagt Horst

Syrdal


Nicht von ungefähr heißt es in der Weisheit des Volksmundes: „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold!“
 
...was sich zwar nicht immer, aber doch in vielen Fällen als das Beste erweist
Syrdal

ladybird

Hallo Horst,
ich hätt mich "ömmeln " können.....das ist doch typisch für die Bevölkerung im Norden, sie sind recht sparsam mit den Worten....
das passiert bei uns im Rheinland nicht....bei uns wird immer
"ne laaange Verzäll" gemacht, lach
komm mal hören....
herzlichst
Renate

Pan

@ladybird  
Kommt drauf an, Renate, Wat mutt, dat mutt, seggt man hier!
Und bevor ich mir den Mund "fusselig" rede,
sag ich noch schnell
bis-demnächst!
"Hm." Horst


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