Verwunschene Gedanken XXVII.


figuren_005.jpgVerstand und Seele
Da hat vielleicht jemand versucht, mich zu beleidigen. Seit Stunden muss ich immer wieder daran denken, vergeude Zeit mit ärgerlichen Gefühlen und unangenehmen Erinnerungen. Er merkt ja nichts davon, mir aber schadet es. Meine Seele bekommt dadurch schwarze Flecken. Im Moment stelle ich sie mir als ein mittelgroßes, leicht verbogenes, ursprünglich gerades, goldschimmerndes Blech vor, das bereits zum großen Teil von ihnen überzogen ist. Dieser Schwärze will ich entgegenwirken, sie zurückdrängen. Doch wie poliert man eine Seele? Wer oder was hilft mir dabei? Vielleicht ist es meine Vergesslichkeit, die mich im Laufe der Zeit weniger an jenen Störenfried denken lässt als jetzt. Aber gehen dann die Flecke von selbst wieder weg, oder hören sie nur auf, sich weiter auszubreiten?
       Die Seele als Metallstück - klingt das nicht ziemlich gewagt, um nicht zu sagen: absurd? Das Folgende soll eine Antwort auf diese Frage sein. Wenn wir etwas nicht direkt anfassen und genau erkennen können, was und wie es ist, machen wir uns davon ein gedankliches Bild. Dies geschieht in der Physik bei so etwas Winzigem wie den Atomen ebenso wie bei fernen, riesigen Galaxien; weitere Beispiele ließen sich leicht nennen. Dabei spielen vertraute Begriffe wie Teilchen und Welle, Schwingung, Fluss und Feld eine große Rolle. Wie gut mit ihnen die Wirklichkeit erfasst wird, lässt sich nicht sagen. 
       Ähnlich ist es bei der Seele. Manche zweifeln sogar daran, dass es sie gibt. Andere halten sie für den wichtigsten Teil des Menschen, den es vor Schaden zu bewahren und zu pflegen gilt. Wie sie aussieht (falls man bei ihr überhaupt von Aussehen sprechen kann), weiß niemand, und so kommt es zu willkürlichen Bildern, mit denen man ihr Wesen zu beschreiben versucht.
       Häufig wird die Seele als etwas sehr Leichtes, Luftiges, manchmal auch Helles angesehen; es ist aber auch möglich, dass sie ''schwarz'' ist. Anfänglich von großer Reinheit, kann sie diese verlieren, ebenso ihre anmutige, im übrigen nicht näher bestimmte Gestalt. In der Antike brachte man die Seele gelegentlich mit dem Feuer in Verbindung. Oft wird sie für etwas besonders Stabiles, Unvergängliches gehalten: vielen gilt sie als "unsterblich".
 Alle Aussagen über die Seele sind lediglich anschauliche Vergleiche mit Bekanntem, das uns umgibt. Hierzu gehört auch mein verbogenes, ursprünglich glänzendes Stück Blech mit seinen schwarzen Flecken. Es fiel mir spontan nur so ein - ich weiß auch nicht, warum. Trotzdem halte ich es nicht für unsinnig. Täte ich dies, müsste ich dasselbe auch mit bestimmten Ergebnissen in den Naturwissenschaften tun. Zu ihnen sehe ich in dieser Beziehung keinen Unterschied; im Prinzip gehen wir dort ganz genauso vor.
       Die Seele ist für mich etwas Reales, kein Hirngespinst. Während wir mit dem Verstand denken, analysieren, vergleichen, schlussfolgern, wird die Seele aktiv, wenn wir fröhlich oder traurig sind, wenn wir etwas (oder jemanden) bewundern, wenn wir uns fürchten, Liebe oder Abneigung empfinden. Die Existenz der Seele zu leugnen, erscheint mir allzu kurzsichtig. Auch den Regenbogen mit seinen "sieben" Farben gibt es in der Wirklichkeit nicht; er besteht nur in unserer visuellen Sichtweise. Dennoch reden wir von ihm und freuen uns über ihn.
        Wer zwingt uns, alles auf das rein Materielle zu reduzieren? Wo bleibt das Poetische, Gefühlsmäßige, das dem Menschen ebenso eigen ist wie seine Ratio und wofür die Seele zuständig ist? Rein materiell zu denken und zu argumentieren, empfiehlt sich auch aus einem anderen Grunde nicht. Es steht nämlich keineswegs fest, was "Materie" überhaupt bedeutet. Manche setzen sie der Einfachheit halber gleich mit "Energie", oft ohne genau zu wissen, was man darunter versteht. Sie handeln ähnlich wie diejenigen, die sehr schlicht behaupten, Zeit sei "Bewegung". Um diese Dinge (und weiteres) wirklich zu klären, bedarf es scharfsinniger, tiefgründiger Überlegungen, die allem Anschein nach bis heute nicht abgeschlossen sind.
              Die Philosophie, auf der dies beruht, wurde in unserem eigenen Land entwickelt und hatte weltweit katastrophale politische Folgen. Sie war ein Kind der Aufklärung. Dies erwähne ich deshalb, weil kürzlich in einer Internet-Diskussionsgruppe eine bestimmte Vorstellung vom Sitz der Seele im menschlichen Körper als "anti-aufklärerisch" scharf zurückgewiesen wurde. Was die Aufklärung anstrebte und tatsächlich erreichte, ist ein spannendes Kapitel für sich. Ihrer areligiösen Grundeinstellung, die die Vernunft in den Mittelpunkt stellte, will ich mich nicht anschließen.
    Im übrigen gibt es außer Unversöhnlichkeit und anhaltendem Ärger über Andere noch mehr Möglichkeiten, dem "Seelenblech" Flecken hinzuzufügen und es noch stärker zu verbiegen. Neid und Missgunst, Undankbarkeit, (übertriebener) Ehrgeiz und Stolz auf eigene Leistung, eigenen Besitz und Status gehören dazu. Das hier verwendete Bild der Seele kann dazu beitragen, diese Fehlhaltungen zu verringern und vielleicht ganz zu vermeiden, denn vermutlich möchte niemand ein solches, unansehnlich gewordenes "Blech" in seinem Inneren mit sich herumtragen.
        Ungeklärt bleibt bei alledem, was die Flecken machen, wenn man sich über längere Zeit mehr oder weniger erfolgreich darum bemüht, die genannten Schwächen zu überwinden. Ob sie dadurch von alleine weggehen, ob die Seele ihr ursprüngliches gerades, glänzendes Aussehen zurückgewinnt und ganz allgemein die Tendenz besitzt, sich zu regenerieren, ist gänzlich ungewiss. Hier kann man ebenfalls nur spekulieren, wobei der Phantasie kaum Grenzen gesetzt sind ...
 
©byH.C.G.Lux

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Kommentare (5)

Manfred36

Körper und Seele sind Eins. Meine Seele ist mein Gehirn in Aktion. Sie umfasst die Gesamtheit aller Gefühlsregungen und geistigen Vorgänge, meine Identität, und ist weitgehend gleichbedeutend mit „Psyche“. Ich kann aber auch ein Prinzip darin sehen, das diesen Regungen und Vorgängen zugrunde liegt, sie ordnet und auch körperliche Vorgänge herbeiführt oder beeinflusst.

Meine Seele wohnt deshalb nicht nur in mir, sondern ich auch in ihr.

Christine62laechel

@Manfred36

Als ein Paar (von Gegensätzen?) gelten auch Herz und Verstand. Mit der  Seele würde das wohl auch irgendwie zusammenhängen...

ehemaliges Mitglied

@Manfred36  

deinem letzten Satz stimme ich zu - ich "empfinde" auch so. Bis jetzt erntete ich nur überaus erstaunte Blicke und Antworten, wenn ich es erwähnte. Schön, dass ich doch nicht ganz allein mit dieser Sichtweise bin 😊

lieben Gruß
WurzelFluegel

ehemaliges Mitglied

vielleicht bekommt die Seele gar keine Flecken - vlt. trübt, das von dir Beschriebene, nur unseren Blick auf die Reinheit der Seele - trübt ihr Licht - und macht dadurch unser Leben dunkler und ungemütlich

ich kann mir schwer vorstellen, dass die Seele selbst, (oder was sie für mich bedeutet) verschmutzt
vlt. müssen wir solange an unserer eigene Türe kehren, bis das urprüngliche Licht, wieder durchscheinen kann - vlt. besteht auch die Möglichkeit von Putzhilfe 😊

lieben Gruß
WurzelFluegel

 

Rosi65

Meine „Seele“ treibt sich gefühlsmäßig gerne herum. Mit ihren leichten Schwingungen bleibt sie aber trotzdem immer in der Nähe. Besonders gut kann ich sie wohl spüren, wenn ich ein gutes Werk vollbracht habe, und es mit Strapazen und Zeitaufwand verbunden war, um etwas Gutes zu tun, oder wenigstens etwas positiv zu bewirken. Dann ist sie sofort bei mir, und erfüllt mein gesamtes Inneres mit unsagbarer Freude. Ja, sie jubelt richtig, denn ich habe dabei sogar ein geiziges Teufelchen, das ständig in einer dunklen Verstandesnische lauert, ignoriert. Es kommt mir dann fast wie eine Bestätigung oder sogar Belohnung vor, wohl doch alles richtig gemacht zu haben.
Besser kann ich es nicht beschreiben...

Rosi65


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