Unsere Hummelnester
Aufgezeichnet nach Erzählungen unseres Nachbarn Jupp - oder nach anderer Erinnerung - Henn de Kill.
Er war nicht nur ein Original; er wusste auch alles, wer wen mal beschimpft, aus dem Haus verjagt – oder versorgt, geküsst oder verprügelt hatte. Wem mal ein Bulle weggelaufen oder ein Hund zugelaufen, und wer am besten, d. h. am schnellsten die überzähligen Kätzchen in einem Halbzentner-Kartoffel-Sack ertränken konnte, in der Regenwassertonne…
Er erzählte mir und meinem älteren Bruder, solange er noch sprechen wollte, aus seiner Kinderzeit, die er im ‚Böhmischen’, so nannte er das Gebiet, wo er seine Kindheit bei einem Bauern „verschuften“ musste, der ihn als seinen unehelichen Sohn nicht anerkennen mochte; mit seiner Mutter war er dann nach dem Weltkriegsgemetzel im Treck aus Böhmen unglücklich-glücklich entkommen.
Unsere Hummelnester
Unter uns Dorfbuben war eine neue Krankheit ausgebrochen: die Hummelzüchterwut. So verheerend griff sie um sich, dass sich kein Junge von acht bis vierzehn Jahren dagegen schützen konnte. Der Poggenhenn, der in dem Dörflein als Hüterjunge verdingt war, hatte die Hummelzüchterwut der jungen Strolche eingeschleppt. Eines Abends spielten wir auf dem Dorfplatz wie gewöhnlich blinde Kuh, da brummte eine große Hummel ihren tiefen Bass dazu. Der Henn brach das Spiel ab und begann zu erklären: „Wenn die großen Leute Bienenstöcke haben, könnten wir ganz leicht Hummelstöcke aufstellen. Die Bienen und Hummeln sind ja bald die gleichen Viecher. Die stechen und die stechen auch. (Das glaubten sie damals; obwohl das jeder, der die Hummeln in Frieden lässt, anders wissen kann.) Die tragen Honig ein und die ändern auch. Und den Honig von allen zweien kann man essen, weil er süß ist. Alsdann muss man die Hummeln auch so züchten können wie die Immen."
Wildbiene:
Fix, ja! Der gescheite Gedanke leuchtete uns ein. Sofort griffen wir ihn auf, und an Ort und Stelle hielten wir die erste Hummelzüchterhauptversammlung ab.
Den Poggen-Hütebuben ernannten wir zum Hummelzüchterhauptmann; denn dass man ihn 'Obmann' nennen müsse, wussten wir damals noch nicht. Der frischgebackene Hauptmann musste uns gleich einen längeren Vortrag über die neue Narretei halten; er hatte ja die Hummelzüchterei schon einmal versucht.
Also sprach der Poggenhenn, nachdem er sich die Nase rotzfrech am Rockärmel, der schon ziemlich glänzte, abgefischt hatte: „In eine Beute oder in einen Bienenkasten darf man die Hummeln freilich nicht tun, weil sie nicht so viel ausschwärmen. Dazu müssen wir eine kleine Kiste nehmen. Auch darf an dies’ Kistchen nicht in die Höhe stellen wie einen Bienenstock. das muss man so tief in die Erde eingraben, dass nur noch die Fluglöcher herausschauen. Es wird schon gehn! Nur zusammenhalten müssen wir, bei der Abwehr der Biester und beim Rauben; und dann schlecken wir Hummelhonig."
Wir staunten alle den fremden Jungen mit dem großen Mund an, der so gescheit zu reden verstand.
Den gleichen Abend beschlossen wir noch, dass jeder Hummelzüchter, so bald als möglich ein Hummelnest auskundschaften müsse. Die Überführung in den Garten sollte dann unter der Anleitung unseres Hauptmannes stattfinden und alle Hummelzüchter sollten dabei sein.
Der Glöckner von der Schlosskapelle "Sankt Marien" hatte schon den Angelus geläutet, als wir heimgingen. So früh wie sonst nach einem durchgearbeiteten oder prima verspielten Tag aber konnte ich nicht einschlafen; ich überdachte alles, was ich heute gehört hatte.
Als ich endlich schlummerte, träumte mir, ich besitze einem Stand von fünfundzwanzig Hummelstöcken und acht Bienenkästen und sei Oberhauptmann der Hummelzüchter geworden.
Auf der Kalkenbecker Heide, an den Wegrändern, im Wald, an dem Ufer der Bäche - dort suchten wir eifrig mach Hummelnestern, als gälte es, dadurch mit einem Schlag reich oder zumindest als große Naturforscher im Dorf anerkannt zu werden. Aber alles war wie: verhext.
Hummeln brummten überall, besonders viele in den Gärten, doch ein Nest aufzufinden, war unmöglich. Einige ganz Gescheite verfolgten sogar die Hummeln von Blume zu Blume; auch das war vergeblich.
Damals lernten wir auch mehrere Arten von Hummeln zu unterscheiden und wir suchten frei Schnauze nach Namen, je nach unserer flüchtigen Beobachtung. Da waren die kleinen Schwarzen und die großen Schwarzen und die mit dem roten Hinterteil; dann die kleinen Weißen und die großen Schecken mit dem dicken gelben Streichen hinerm Kopf, die beim Fliegen einen Lärm machten wie zwei Hornissen. Vor der letzten Art hatten wir die meiste Angst; und die größte Achtung. Ein Stich mochte wohl hinreichen, um etliche Tage mit geschwollener Nase umherlaufen zu müssen, hatte uns einer erzählt, der mal auf dem Feld mit der Hacke in ein Hummelnest geraten war und nicht schnell genug nach Hause auf das Häuschen mit dem Herzchen gelangt war, um sich dort freizumachen von allen Plötten.
Endlich nach acht Tagen rief uns unser Hauptmann zusammen. Der Engelkeskes, mit dem vollen Namen hieß er Engelkesbert, hatte; auf einem Felde ein Hummelnest entdeckt, das aber ziemlich tief in der Erde stak. Schaufeln und Krampen mussten wir mitnehmen.
Für den Abend war die große Arbeit angesetzt.
„Wenn es finster wird, sind die Hummeln alle daheim. Da ist's bei denen auch gemütlicher!", erklärte der Poggenhenn.
Bei Sonnenuntergang zogen wir, bewaffnet mit allerlei Grabgeräten, zur Eroberung des Hummelnestes aus. Der Engelkes trug das Hummelhäuschen, weil er der glückliche Besitzer des ersten Hummelstockes sein durfte. Ich trug eine halbe Zwiebel in der Tasche für den Fall, dass ich gestochen werden sollte. Mit einer frischen Zwiebel eingerieben, verginge die Geschwulst, hatte ich einmal gehört, wie bei den Frostbeulen im Winter.
Wir waren angelangt.
Ein Loch, das klein wie ein Mausloch aussah, führte in die Erde. Der Engelkes stellte sein Hummelhäusel hin, und der Henn begann mit einer Haue vorsichtig die Arbeit. Wir anderen standen hübsch weit weg, die Nastücher in Bereitschaft, um die umherschwirrenden Hummeln verscheuchen oder einfangen zu können. Sirrrr - eine kleine Schwarze flog daher. Sirrrrr - eine zweite. Sie war durch das Hacken aufgescheucht worden. Wir schwenkten abwehrlustig unsere Schneuzfahnen und sahen neugierig nach dem Loch.
Da hatte keiner drauf geachtet: Hinter unserem Rücken begann jemand furchtbar zu schnatern und zu schimpfen: „Ihr Schnotterkerls, ihr Lauser, ihr mistigen Kröten, habt nichts anderes zu tun als mein schönes Feld aufzugraben? Patsch! Patsch! Marsch, sonst mach ich euch Beine!" Der Bauer schnalzte gekonnt und verlockend mit der Peitsche zu seinen freundlichen Worten. Der Engelkes packte sein Hummelhäusel, der Hummelzüchterhauptmann warf die Haue über die Schulter, und davon ging's, als flöge ein ganzes Heer Hummeln hinter uns her.
Pechdreckes! Diesmal also war es nichts. Es mochte aber wohl noch mehr Hummelnester geben auf eine halbe Stunde im Umkreise.
Das zweite Hummelnest kundschaftete ich aus.
Die Leute hatten längst von unserer einfältigen Liebhaberei erfahren und neckten uns, wo und wann sie nur konnten. Oft beschrieben sie uns genau einen Platz, sagten, dort sei ein Hummelnest, und schickten uns eine ganze Stunde weit fort. Kamen wir atemlos hin, fanden einen Ameisenhaufen oder ein Wespennest, aber keine Hummel und merkten dann erst, dass uns die älteren Jungs aus der Nachbarschaft zum Narren gehalten hatten.
Einer aber war doch aufrichtig. Er verriet mir ein starkes Hummelnest mit kleinen weißen Hummeln, die den meisten Honig eintragen. Das Nest befand sich auf dem Feldraine hinter seinem Hofe. In aller Heimlichkeit baute ich eine alte Zigarrenkiste zu einem Hummelhäusel um, schnitt in den oberen Rand zwei Fluglöcher und polsterte die Höhlung mit Moos und Heu aus. Nachdem alles hergerichtet war, verriet ich, dass ich ein großes schweres Hummelnest entdeckt habe.
Heute brauchten wir keine Grabwerkzeuge mitzunehmen, weil das Nest offen in der Furche neben dem Rain lag. Zwei halbe Zwiebel nahm ich diesmal mit.
Vorsichtig suchten wir den Rain ab. Da flog eine verspätete Hummel in den Bau und ersparte uns das weitere Suchen und Kriechen. Die Hauptarbeit verrichtete der Henn. Er kniete nieder, nahm das zarte Halmgeflechte, womit der Bau bedeckt war, fürsorglich weg, und wir sahen die schöne dickliche Wabe, die aus lauter eiförmigen Zellen zusammengesetzt war. In den offenen Zellen war Honig, die geschlossenen beherbergten Brut. Beunruhigt krochen die Hummeln hin und her. Noch keine war aufgeflogen; denn der Abend war kühl und unser Hauptmann verstand sein Geschäft.
Er sagte zu mir: „So, jetzt mach dein Hummelhäusel auf! Wir müssen acht geben, dass uns die Königin nicht davonfliegt."
Der Engelkes half mir bedächtig den Deckel halten. Der Poggenhenn breitete sein Taschentuch über die 'Wabe, hob das surrende und brummende Nest aus der Höhlung und ließ es vorsichtig in die neue Wohnung gleiten. Aber ehe ich noch den Deckel zuschlagen und die Fluglöcher verstopfen konnte, surrten ein paar Hummel» davon, und eine wildgewordene saß dem Enge', auf der Hase und stach kräftig. Der Engelkes brüllte vor Schreck und Schmerz.
Meine Zwiebel konnte nun doch gebraucht werden, worauf ich nicht wenig stolz war. Das Einreihen nützte aber nicht viel. Bald sah die Nase wie eine schlecht gewachsene Gurke aus. Die entflogenen Hummeln kehrten wieder zum Neste zurück, sodass wir sie leicht einfangen konnten.
Das war ein feiner Heimweg damals. Ich ging voran mit dem Hummelhäusel und sah fleißig nach rechts und nach links, ob mich denn die Beute auch gehörig bewunderten. Links von mir stelzte der Schmiedhans und erklärte, das Hummelnest habe ich einzig und allein ihm zu verdanken; rechts von mir schämte sich der Engelkes seiner verschwollenen Gurke. Und hintendrein stelzten alle die anderen vom Hummelzüchterverein. Es fehlte gerade nur noch die Fahne ...
In unserem Garten grub ich ein Loch und verbarg das Hummelnest sorgfältig. Nur der Deckel und die beiden Fluglöcher waren zu sehen.
So war ich der erste Besitzer eines richtigen Hummelnestes geworden. Ich stülpte noch eine Zinkwanne drüber, auf einem Klinkerstein aufliegend.
Am nächsten Tage saß ich fortwährend bei meiner Hummelzucht und sah zu, wie die niedlichen Hummelvöglein ausflogen. Wenn sie wiederkamen, hatten sie schöne gelbe Höschen an. Es fanden wohl alle den Weg zurück. Am ersten Morgen mag ihnen die Umgebung etwas fremd vorgekommen sein. Erst flogen sie eine Weile um ihr neues Heim, krochen zurück, tasteten die Fluglöcher ab und dann erst surrten sie fort, um Blutenstaub und Honig einzutragen.
Auch den Hummelhonig habe ich gekostet. Einen Strohhalm steckte ich in die Honigzellen, sog daran, und ich glaube, mir hat der beste Bienenhonig nicht so gut geschmeckt wie das widrig süße Erzeugnis meiner Hummeln.
Große Freid reicht nicht weit, sagt bei uns ein altes Sprichwort.
Kaum acht Tage war ich glücklicher Besitzer des Hummelbaues, da sah ich schon den Neid einiger Kameraden. Am meisten ärgerten sie sich darüber, dass mir die Hummeln tatsächlich geblieben waren.
Eines Abends saß ich noch spät am Fenster und schaute in den Blumengärtchen meiner Mutter, das vom Mondlichte ganz hell leuchte. Zu spät bemerkte ich, dass drei Jungen von meinem Hummelbau wegschlichen. Einer von ihnen trug mein Hummelhäuschen. Das war der Engelkes.
Fuchsteufelswild darüber, dass man mir mein ängstlich gehütetes Hummelnest stehlen wollte, riss ich das Fenster auf und schrie hinaus. Da liefen die drei davon und rannten, was die Beine nur hergeben wollten. Entweder stolperte der Engelkes über einen Stein oder über seine eigenen langen Beine. .Er fiel der Länge nach hin, das Hummelnest polterte auf den Boden, der Deckel sprang auf und die Hummeln mitsamt ihrer Königin flogen in die Nacht. Die beiden anderen Missetäter lachten den Engelkes tüchtig aus. So hatte er den Schaden und den Spott dazu.
Das war mein erstes und mein letztes Hummelnest gewesen. Ich sah den Tierchen nun lieber auf dem Feldrain zu.
Den Engelkes haben wir noch lange nach jener kleinen Diebsgeschichte den „Hummeldrecksack" genannt.
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Allgemeines über Hummeln:
http://www.hummelnest.at/Museum/AboutUs.aspx
Wer sich für Hummelschutz interessiert:
http://aktion-hummelschutz.de/schutz/nistkasten.html
Viele... Hummel-Arten:
http://www.wildbienen.de/harten.htm
Kommentare (4)
laura †
Diese heitere Lausbubengeschichte
ist ein kleiner Bericht aus der guten alten Zeit!
Nur ob sie so gut war?
Ich habe sie amüsiert gelesen.
Gruß Laura
ist ein kleiner Bericht aus der guten alten Zeit!
Nur ob sie so gut war?
Ich habe sie amüsiert gelesen.
Gruß Laura
immergruen
Erinnerung an Kinderzeiten. Lehrreich dazu auch für solche wie mich, die zwar in ländlicher Umgebung groß wurden, aber dennoch nicht wußten, dass Hummeln ihre Nester am Boden bauen.
Lausbubengeschichten, die in der heutigen Zeit keinem Kind mehr in dieser Form begegnen. Worüber wird man wohl, sind die Jungen von heute in fortgeschrittenem Alter, den anderen zur allgemeinen Unterhaltung berichten?
Lausbubengeschichten, die in der heutigen Zeit keinem Kind mehr in dieser Form begegnen. Worüber wird man wohl, sind die Jungen von heute in fortgeschrittenem Alter, den anderen zur allgemeinen Unterhaltung berichten?
Muіto bom post. Eu tropecei em cimɑ seᥙ weblog
e desejou falar isso tenho verdadeiramente desfrutado navegaçã᧐
suas postagens no blog. Ꭼm todо o casо eu vou
estar assinando ѕeu alimentar e eu espero ԛue você escreva novamente em breve ! https://vuelaalavida.com/lima_cusco_combinado/