Unerwünschter Besuch
Unerwünschter Besuch
Dösend lag ich auf der Gartenmauer zum Nachbargrundstück, als ich mein Frauchen Céline heimkommen hörte.
Ich blinzelte müde und beschloss, meine morgendliche Siesta in aller Ruhe zu beenden, bevor ich mich schießlich auf den Heimweg machte. In unsere Einfahrt stand Célines fahrbarer Untersatz noch schwitzend von der Fahrt. Vor seinen Ausdünstungen ekelte mich zwar, trotzdem sprang ich durch die offengelassene Tür ins Innere des Autos und schnüffelte an den Gerüchen. Mehrerlei verschiedene Duftnoten von lebenden Wesen hingen in der Luft. Célines Körpergeruch war mir vertraut. An einem leblosen Papagei, der seltsamerweise keine Federn hatte und achtlos auf dem Boden lag, stellte ich fremde menschliche Schweißspuren fest, die vermutlich zu Célines Enkel gehörten. Soweit okay.
Aber da war noch ein anderer völlig fremder, äußerst suspekter Geruch. Er gefiel mir gar nicht. Mir sträubten sich sämtliche Nackenhaare. Angewidert verließ ich den Bauch des Fahrzeuges wieder. Vor der Haustüre stutzte ich erneut. Auch sie stand seltsamerweise sperrangelweit offen. Im Flur befand sich ein fremder Korb bis oben hin gefüllt mit vielerlei Krimskrams.
Ich rief mehrmals: „Miau!“
Niemand antwortete mir.
Ehe ich mich auf die Suche nach den Niemanden machen wollte, musste ich erst meinen schrecklichen Durst löschen. Den ganzen Morgen hatte ich weder getrunken noch gegessen.
Doch, oh Graus! Meine Trinkschüssel stank ekelerregend. Rundum war der Boden nass und vollgesabbert. Was für ein Unflat! Mein Fressnapf war leer. Wer hatte mein Frühstück geklaut? Wer hatte es gewagt…
Das herauszufinden duldete keinen Aufschub mehr. Ich kochte vor Wut. Mein Schwanz peitschte durch die Luft. Vom Garten herauf vernahm ich ungewöhnlichen Stimmensalat. Ich folgte ihm.
Gut gelaunt zertrampelten meine Menschlinge in Begleitung eines kleinen Jungens, der vermutlich der Enkel war, meinen weichen Rasen, indem sie einen großen, bunten Ball darauf herum kickten. Mich bemerkten sie in ihrem Spieleifer gar nicht. Ich schlich heran, um das fremde Kind näher zu begutachten. Dabei entdeckte ich vor mir im Gras etwas Weiches, Stinkendes. Ich war entsetzt. Es war Tiersch… Pardon, es waren Tierexkremente. Beinah wäre ich hineingetreten.
Der Umweltverschmutzer hatte mich inzwischen entdeckt und kam wie eine wilde Bestie kläffend auf mich zugestürmt. Vor lauter Schreck vergaß ich zu fliehen. Ich konnte gerade noch meinen Rücken zu einem Buckel krümmen und wild kreischen. Der kleine Köter war von meiner Angreifposition so beeindruckt, dass er abrupt vor mir anhielt, aber sein aggressives Gebell erst einstellte, als ich ihm mit meinen voll ausgefahrenen Krallen eine kräftige Ohrfeige verpasste und ihn ankreischte. Er winselte wehleidig und ging mit eingezogenem Schwanz zu seinem kleinen Herrchen, welches ihn tröstend in die Arme schloss. Das Kind warf mir gehässige Blicke zu, während auch mein Herrchen Yves und Célines nun das jaulende Hundevieh liebevoll bequatschten und die blutende Kratzwunde unter seinem Auge untersuchten.
„Ganz ruhig, Hector“, beruhigte Céline den schwarzen Scottish-Terrier und reinigte vorsichtig mit einem sauberen Papiertüchlein, das Zweibeiner zum Schnäuzen verwenden, die blutende Wunde. Dabei büxte der Hund aus. Mein Frauchen und das Enkeljunge blickten besorgt hinterher.
„Was sollte das eben“, kam Yves verstimmt auf mich zu. „Du hast dem Kleinen beinah das Auge ausgekratzt!“
Er ging die Treppe hoch, ohne mich weiter zu beachten. Céline, sowie der Enkel, den sie Renzo nannten, folgten ihm wenig später mit Hector im Arm. Auch sie nahmen kaum Notiz von mir.
Der Köter hatte aus meinem Teller gefressen, hatte mein Wasser gesoffen, in meinem Haus herumgeschnüffelt, in meinen Garten gekackt und mich angegriffen! Führte man sich so als Gast in einem fremden Haus auf? Dass ich verärgert war, konnte man mir doch nicht verübeln und, dass ich mich verteidigte, als ich angegriffen wurde, auch nicht. Was hätte ich Ihrer Meinung nach denn tun sollen? Hätte ich mich auch noch kampflos von dem Kläffer abmurksen lassen sollen?
Da stand ich nun allein, verloren, wie Célines Haarspange, die ich zu meinen Pfoten zwischen den Grashalmen schimmern sah. Sie musste ihr beim Ballspiel eben aus dem Haar gerutscht sein.
Ich ging in den unteren Teil des Gartens. Die Gießkanne war glücklicherweise bis oben hin mit Wasser gefüllt, sodass ich endlich meinen Durst stillen konnte. Ich kletterte auf den Holzstoß, wetzte übellaunig an einem dicken Baumklotz meine Vorderkrallen und hielt danach Ausschau nach Artgenossen. Außer einer Schildkröte, die ihren Hunger im nahen Salatbeet stillte und einem Specht im morschen Korkeichenbaum auf dem Nachbargrundstück, konnte ich niemand entdecken.
Also machte ich es mir unter der Lavendelstaude bequem und schlief bald ein.
In meinem Traum erlegte ich eine Maus nach der anderen und reihte sie feinsäuberlich vor der Kellertür am Boden auf. Sie waren ein Geschenk für meine menschlichen Mitbewohner. Als sie am Morgen meine hervorragende Jagdleistung entdeckten, waren sie sprachlos und voll Anerkennung und Lob. Die beiden verwöhnten mich mit leckerem, herrlich duftendem Bratenresten und Ehrerbietung, die einem König würdig waren.
Davon wurde ich wach. Hungrig machte ich mich auf den Weg nach Hause. Dorthin begegnete ich Céline, deren suchende Augen strahlten, als sie mich entdeckten.
„Uff! Da bist du ja! Ich habe dich überall gesucht, kleiner Ausreißer. Heute geht es bei uns etwas drunter und drüber zu, entschuldige!“ Sie nahm mich in die Arme und ich schmiegte mich eng an sie. Ich genoss die liebevollen Streicheleinheiten, die sie mir großzügig zukommen ließ.
„Es scheint dir etwas besser zu gehen. Oder irre ich mich da? Du hast Angst vor Hector, stimmt‘s? Er wird dir nichts tun, dafür sorge ich. Ehrenwort!“
Ich hatte keine Angst vor dem Hund! Aber wie sollte ich das Céline klarmachen? So wie er sich aufgeführt hatte, war er ein inakzeptables Ärgernis. Jedoch was konnte man von Hunden schon anderes erwarten? Sie waren derart primitiv und hässlich im Vergleich zu uns Katzen.
Zuhause fand ich einen sauber aufgewischten Boden vor. Teller und Napf waren ausgewaschen worden. Es roch manierlich, wie ich es gewöhnt war. Der Hund lag schlafend in seinem Korb im Wohnzimmer. Ihn interessierte der bunte Flimmerkasten nicht, dem Yves und das Kind ihre volle Aufmerksamkeit schenkten.
Ich saß wartend vor meinem sauberen Gedeck und beobachtete Céline beim Dosenöffnen. Feinwürziger Essensduft stieg mir in die Nase, als sie den Inhalt in meinen Teller kippte. Ich machte mich hungrig darüber her, während mein Frauchen weiter in der Küche herum hantierte. Der feine Essensgeruch musste auch die Nase des kleinen Terriers gekitzelt haben, denn plötzlich stand er vor mir und leckte sich mehrmals genüsslich über die Schnauze. Sein Speichel tropfte auf den Boden.
„Wage es ja nicht“, raunte ich ihm böse zu. Langsam beendete ich mein Mahl, wobei ich ihn keine Sekunde aus den Augen ließ.
Er war noch sehr jung - kaum den Zitzen seiner Hundemutter entwöhnt. Das konnte ich an seinen Milchzähnen erkennen, als er gähnend sein Maul weit aufriss. Er hatte sich vor mir niedergelassen und betrachtete mich schmachtend mit seinen großen, dunklen Hundeaugen. Sein schwarzes Fell war lang, zottig und ungepflegt. Er roch, um es einmal vorsichtig auszudrücken, streng. Seine Nähe bereitete mir tiefes Unbehagen. Ich wollte ihn schnellstens loswerden. Doch zuvor baute ich mich vor ihm zur vollen Größe auf, sah ihn unerschrocken an und sprach: „Ich lege großen Wert auf Hygiene. Das, was du hier vor dir siehst, ist ‚mein‘ Essbereich, mit ‚meinem‘ Essgeschirr und dort steht ‚mein‘ Schlafkorb: Ist das klar? Da hast du nichts verloren! Geht das in dein Hundehirn hinein? Und reinige gefälligst dein Fell! Du siehst aus wie ein verdreckter Staubwedel! Jetzt geh mir aus dem Weg! Wird’s bald?“
Erhobenen Hauptes stolzierte ich an ihm vorbei. Er trollte mir hinterher. Was für ein Idiot! Ich rollte mich, nachdem ich mich gründlich von Kopf bis Pfoten gereinigt hatte, auf der Fensterbank zu einem wohlverdienten Nachmittagsschläfchen zusammen. Der Terrier legte sich genau unter mir auf den Boden und machte vorerst keinen Mucks mehr. Er hatte seine Vorderbeine vor sich lang ausgestreckt und seinen Kopf darauf gebettet. Noch ehe ich meine Toilette beendet hatte, war er eingeschlafen.
Für mich dagegen war an Schlaf nicht zu denken. Dafür war einfach zu viel Lärm um mich her, verursacht von dem halben Menschen, der doppelt so viel quasselte wie ein Ganzer. Mit seinen Fragen löcherte er Céline und Yves in Grund und Boden. Das ging den ganzen Nachmittag so.
Sie krabbelten zwischen einem kunterbunten Chaos auf dem Teppich umher und folgten prompt allen Wünschen dieses Kindes, das herumschwirrte, wie ein lästiges Insekt.
„Ich will nicht mehr mit den Holzklötzen spielen, Oma.“ Der Junge trat mit dem Fuß gegen das eben mit viel Fleiß errichtete Bauwerk, dessen Zusammenkrachen mich erneut zutiefst erschreckte. Vom Fensterbrett aus schaute ich ihn verständnislos an. Er hielt Céline ein Buch vor die Nase.
„Kannst du mir aus dem Buch vorlesen, das Opa mir geschenkt hat?“, bettelte er. Céline stand auf. Vom Herumlümmeln auf dem Boden taten ihr alle Knochen weh. „Heute Abend vor dem Einschlafen, Schatz!“
„Nein, jetzt gleich“, befahl der Knirps energisch. Blieb dieser ungezogene Bengel mit seinem Hund auch zum Schlafen hier in meinem Haus? Ich war erschüttert!
„Aber dein Hündchen muss erst dringend raus zum Gassi gehen. Komm!“ Wo war der Hund abgeblieben? Er schlief nicht mehr an seinem Platz. Renzo rannte laut rufend seinen Hund suchen.
„Hector“, kreischte er mehrmals so laut, dass es einem durch Mark und Bein ging. Vielleicht war der kleine Köter taub? Doch ehe ich mich mit diesem Gedanken näher auseinandersetzen konnte, kam lautes Heulen aus einem der hinteren Zimmer des Hauses.
„Oma… Opaaa“, schluchzte Renzo unüberhörbar. „Hector hat meinen Papagei kaputtgemacht.“ Neugierig sprang ich vom Kaminsims und lief hinter meinen Menschen in den Raum, wo Yves manchmal schlief, wenn Céline nachts zu laut schnarchte.
Hector hatte wirklich die Reste des bunten Papageis zwischen seinen Vorderpfoten. Um ihn herum lagen verstreut die weichen, wolligen Innereien des Vogels und ein abgebissener, schwarzer Schnabel. Das arme, federlose Tier war definitiv futsch. Unter dem Bett schaute ein angeknabberter Pantoffel Yves‘ hervor. Auch das war ein Werk des ‚verspielten‘ Hündchens.
„Gassi gehen?“ Bei diesen Worten Célines spitzte Hector die Ohren und wedelte erfreut mit dem Schwanz. Gassi gehen musste etwas ausgesprochen Schönes für einen Hund sein, denn freudig bellend ließ er sich von Yves eine Leine um den Hals legen. Dann setzte er sich auf sein Hinterteil vor die Haustür und wartete geduldig. Ein Ausflug ins Freie stand bevor, das war offensichtlich. Diese wunderbare Gelegenheit durfte auch ich mir nicht entgehen lassen. Meinen Wunsch mitzukommen, brachte ich dadurch zum Ausdruck, indem ich schmeichelnd um Célines Knöchel strich. Das gute Frauchen verstand sofort und hob mich vorsichtshalber auf, um Pfotengreiflichkeiten zwischen Hector und mir zu vermeiden.
„Ja klar, Rossu! Du darfst natürlich auch mit. Aber krieg dich bei unserem Spaziergang nicht wieder mit Hector in die Wolle!“
Ich liebte ihre Art, wie sie mir jeden Wunsch von den Augen ablas. Auch ohne viel Geschwätz verstanden wir uns meist prächtig.
Gassi gehen spielt sich nicht im Garten, sondern auf der Straße ab. Wie soll ich es beschreiben? Beim ‚Gassi gehen‘ führt der Hund quasi sein Herrchen aus. Er zieht es hinter sich an einer Leine her. Dieses Krafttraining stärkt Arm- und Beinmuskulatur des Herrchens enorm. Zwischendurch aber hält der Hund keuchend immer wieder inne, hebt sein Bein und pinkelt an Mauern, Pflanzen und Baumstämme.
Beschämt über sein unmögliches Verhalten sah ich meine Menschlinge an. Doch die schien Hectors Gebaren nicht im Mindesten zu stören: Ganz im Gegenteil! Als er am Straßenrand seine Notdurft verrichtet hatte, schien nicht nur er erleichtert, sondern auch sie.
„Brav Hektor“, lobte ihn Yves. Wie konnte er nur! Ich war entsetzt.
„Puh, ekelhaft“, konnte ich mir nicht verkneifen. „Das stinkt ja fürchterlich! Und deine Scheiße lässt du jetzt einfach liegen, ohne sie zu vergraben?“ Meine Worte gefielen ihm offensichtlich nicht. Er sah mich gehässig an. Dann bellte er mich wütend an: „Du glaubst wirklich, du bist etwas Besseres, was? Dabei verrichtest du dein Geschäft im Katzenklo vor den Augen derer da. Auch wenn du es ein wenig einbuddelst, so stinkt es trotzdem nicht weniger ekelhaft. In deinem Haus verpestet dieser Gestank die Luft zum Atmen.“ Er ging weiter, ohne eine Antwort von mir abzuwarten.
Von diesem Tag an benutzte ich nie wieder mein Katzenklo. Naja, fast nie wieder.
Der Hund und der Enkel blieben mehrere Tage in meinem Haus. Ich ging ihnen so gut es ging aus dem Weg, bis Céline sie eines Morgens in den Wagen verfrachtete.
Beim Abschied schaute mich der Hund durch das Fenster der fahrenden Kiste unverhohlen an und machte mehrmals böse: „Wau!“ Ich antwortete stolz neben Yves‘ Beinen sitzend: „Miau! Und bitte, komme nie wieder.“
Kapitel aus meinem Katzenroman - Wenn Katzen weinen könnten.
Bild aus dem Internet
Kommentare (0)