Wir schreiben die unmittelbare Nachkriegszeit und lebte unsere Oma Clara mit in unserer Familie. Meine Mutter ließ sich dann von ihrer Cousine überreden auch noch ihre Mutter mit bei uns auf zu nehmen, da sie selber im ambulanten Gewerbe arbeitete und somit sehr wenig Zeit für ihre Mutter hatte. Und so kam es, dass Tante Auguste, die Schwester von Oma Clara, mit in unserer Mitte lebte. Die beiden Schwestern hatten sich immer viel zu erzählen und waren weitgehend mit sich selber beschäftigt. 1947 starb dann jedoch leider unsere Oma, so dass Tante August alleine zurück blieb und nun „beschäftigt“ werden musste. Und so wurden meine Schwester und ich (13 und 10 Jahre jung) regelmäßig abkommentiert Tante Auguste das Tagesgeschehen, oder was es sonst Neues gab, zu erzählen. Mit dem Tod unserer Oma, muss wohl Tante Auguste auch schwerhörig geworden sein. Sie verlängerte jedes Gespräch auf die zwei- bis dreifache Zeit, in dem sie wiederholend sagte: „Was hast Du gesagt?“ Das bedeutete für uns. ... alles noch mal erzählen...... oder sogar noch mal erzählen. Und so wurde für uns Kinder die Erzählzeit zum Strafdienst. Die Sache mit der Schwerhörigkeit fiel aber eines Tages auf, als mein Vater Tante Auguste sagte: „heute gibt es Kartoffelmus“. Darauf Tante August; „oh, schön Apfelmus“.... Hmmm, mein Vater etwas lauter und noch einmal: „nein, nicht Apfelmus, es gibt Kartoffelmus“. Tante Auguste ebenso energisch: „ich habe es gehört Apfelmus“.
Jetzt gingen wir Kinder schon einmal in Deckung, denn nun kam aus einer Mischung von militärischem Kommandoton und bayrischer Landessprache ein: „sakradammisch krutzigtürken.... noch mal ..... Kartoffelmus!!!!“ Darauf Tante August empört: „schrei mich nicht so an, ich habe doch von Anfang an gehört Kartoffelmus“. Die restlichen Bemerkungen meines Vaters in bayrischer Sprache sind ins hochdeutsche nicht zu übersetzen. Sie war entlarvt.

An den Sonntagen bekam meine Schwester und ich die Order, von der Kirchengemeinde einen Rollstuhl zu holen und Tante Auguste auf den Friedhof zum Grab ihres Mannes zu fahren. Ich muss hier nicht besonders erwähnen, dass das kein Dienst war, um den wir uns besonders gedrängelt hatten. Es gab nur wenig Widerrede, damals wurde da noch nicht diskutiert; mein Vater sagte: „das wird gemacht und damit pasta.“ (Vielleicht hat unser ehemaliger „Pasta“-Bundeskanzler auch so eine Erziehung gehabt?) Um nun diese sonntäglichen Sonderfahrten etwas attraktiv zu gestalten, kam meine Schwester und ich auf die Idee, unter dem Rollstuhl eine Kuhglocke zu binden. Und so zogen wir läutender Weise zum Friedhof. Tante Auguste wunderte sich zwar über das Glockengeläut, aber wir sagten ihr, dass seien die Friedhofsglocken und sie freute sich, dass wir mit Glockengeläut empfangen werden. Als wir dann, wie bei einem Almabtrieb, läutend in den Friedhof einbogen, kamen wir nicht sehr weit. Der Friedhofswärter verweigerte uns die Weiterfahrt und wir mussten Tante Auguste wieder nach Hause schieben. Sie verpetzte uns, und mein Vater setzte, neben den üblichen Ärger, die wunderbare Kuhglocke unter Verschluss.

Es half also nix, wir mussten trotzdem an den Sonntagen das Tantchen zum Friedhof fahren. Um der Ausfahrt nun doch noch einen kleinen Kick zu geben, veranstalteten wir mit dem Rollstuhl (und natürlich mit Tante Auguste) ein Rennen. Das hatte zwei Vorteile, die Fahrt macht Spaß, mit Karacho durch die Gegend zu pesen und wir verkürzten damit auch die Zeit.... wir waren früher am Ziel und wieder zu Hause. Mit der Zeit hatten wir eine tolle Technik entwickelt... nur in den Kurven klappte es noch nicht so richtig. So kippte uns in einer scharfen Kurve eines Friedhofweges die ganze Karre um und Tante August flog in irgend eine Friedhofsbepflanzung. Mit Mühe hoben wir das Tantchen wieder in den Rollstuhl und fuhren im Schritttempo sehr schuldbewusst nach Hause. Unser Vater sprach dann seine Höchststrafe (wie er es nannte) aus, und verbot uns von nun an Tante Auguste weiter im Rollstuhl zu fahren. Wir Kinder hatten bis dahin den „Ehrendienst“ wohl nicht richtig erfasst, wir akzeptierten aber sofort mit Demut diese Strafe.


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Kommentare (5)

oessilady Es ist einfach zu schön diese Lausbubengeschichte zu lesen und man kann sich das lebhaft vorstellen wie da der Rollstuhl(früher gab es ja nicht die mit den leichtlauf-Rädern und den Vollgummireifen) mitsamt Tante um die Ecke gesaust ist.Schon ein Glück daß die alte tante das ohne große Beschädigungen an Leib und Seele überstanden hat. Aber wahrscheinlich hat ihr das Rasende Rollen auch Spass gemacht,da bin ich mir sicher !
daß ihr die strenkge bestrafung auch demütig hin genommen habt-oh ihr wart aber schon richtig schlaue Lausbuben! Diese Geschichte finde ich wunderbar .
ellen46 Durch Zufall gelesen . Schöne Geschichte,ich find es gut auch an früher zurück zu denken. Grüße von Ellen
desiree Hallo, Ihr zwei Räuber,

ich finde die Geschichte köstlich. Konnte mir das so richtig vorstellen. ;))))))
Als Kind bin ich schon gern mal mit dem Kinderwagen meines Vetters gerast. Es ist jedoch immer gut gegangen ;)))
rebbia-trollia
oh, wie kann ich Euch verstehen - ich habe von Herzen gelacht - wunderschön -


und was schreiben nun die ????? -- hmm? d i e nichts verstehen???


ichlachmichweg ......

ika1 ja Kinder erinnerungen.
Gib es eigentllich noch mehr.
Ja böse Mädchen und Buben gab es auch schon frührer.
Nur heute gibt es keine Oma und alten Tanten im Haushalt , die leben heute in Heimen.
es ist nicht gerate zum nachamen gedacht, aber trotzdem war es schön eine Oma mit im Haushalt zuhaben.
Ika die die streiche mitgemacht hat

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