Talent-Vererbung oder brotlose Kunst

Autor: ehemaliges Mitglied

Talent-Vererbung oder brotlose Kunst

Nun hängen meine selbst gezeichneten Bildchen und nicht nur die schon drei Tage im Eingangsbereich meiner neuen Wohnung. Ich muss jeden Tag doch drauf schauen, weil es mir ein Glücksgefühl vermittelt, meine kleinen gelungenen Arbeiten aus meinen dreißiger Jahren wieder an der Wand zu sehen, wie zuvor Jahrzehnte in meinem Haus. Die vergilbten Plastikscheibchen sind dank der Firmen-Vorräte meiner Tochter gegen klare, von ihr eingepasst zugeschnittene Scheibchen ausgetauscht worden. Meine Zeichnungen dürfen ihren Charme wieder zeigen. Sie hatte bei der Auflösung der Wohnung, in der zuletzt mein Ex allein lebte, die Bildchen nicht entsorgen mögen, obwohl noch nicht klar war, was vergilbt war …

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Wir freuen uns beide – Mutter und Tochter – jedes Mal beim Anschauen darüber, dass sie einen guten Platz gefunden haben, noch existieren!


Abends, nachts, wenn es dunkel ist, das Licht im Eingangsbereich anzumachen und gleich einen Blick darauf zu richten, bringt mir einen lange nicht zu sehenden Genuss, ein Gefühl, endlich froh in MEINER UMGEBUNG angekommen zu sein.

Mein Vater hatte schon Recht, als er mir in meinem Alter von so um die 13, 14 Jahre erklärte, malen oder schreiben sei eine brotlose Kunst. Mit 12 Jahren hatte ich ziemlich "ordentlich" ein Model mit einer tollen Frisur aus einer Friseurfachzeitschrift abgezeichnet und meinem Vater gezeigt. Er hing es als Werbung ins Schaufenster, weil es ihm gefiel.

Als ich im Alter von 14 Jahren Schreibmaschinenkurse besucht hatte, schrieb ich meinen ersten Roman, den er zwar sehr leserlich, sehr interessant fand, aber ich sollte meine Zeit weder mit dem Malen noch mit dem Schreiben vertrödeln, lieber einen handfesten Beruf erlernen, beispielsweise Friseuse.Ich zog es vor, Feinmechanik zu erlernen, er verbot mir diesen „schmutzigen Beruf“. Ich suchte mir - bockig - eine Büroausbildung.


Er wollte auch nicht unserer jüngsten Schwester den Besuch des Gymnasiums zugestehen, obwohl sie darum bat, nachdem sie mit Auszeichnung ihre Mittlere Reife gemacht hatte. Sie sollte wie alle seine Kinder Friseuse werden, statt Kunst zu studieren. „Mädchen heiraten sowieso!!“ war seine Entscheidung.

Das Malen, das Zeichnen lag dank unserer Mutter und ihren väterlichen Vorfahren bei uns Mädchen in den Genen, wir haben diese Begabung alle drei. Die Älteste malte heimlich, ich begann aufgrund der Aussage erst damit, als meine Kinder schon fast Teenager waren und war erstaunt, dass ich auch frei porträtieren konnte. Glaubte ich doch lange, ich könne nicht malen, obwohl ich im Schulunterricht immer wieder eine Eins erhielt.

Die Zeichnungen unserer jüngsten Schwester sammelte unser Vater stets, solange sie noch kein Schulkind war. Auch sie musste erst den Friseurberuf erlernen – klar bestand sie die Abschlussprüfung auch mit einem Sehr gut wie unsere älteste Schwester. Aber sie lernte ihren Mann kennen, der Grafik-Design studierte. Die Zwei heirateten und als er nicht mehr auf ihre finanzielle Unterstützung angewiesen war, ließ sie sich an der Kunstschule testen und bekam ein Stipendium, durfte ebenfalls Kunst studieren. Doch der Neid beim Ehemann ließ ihn ihre Bilder unter seinem Namen verkaufen – ohne sie zu fragen!! Die Ehe zerbrach trotz vier Kindern daran. Sie bekam eine Arbeitsstelle als Designerin, die ihr das eigenständige Leben ermöglichte.

Meine eigenes, nie per Studium unterstütztes Zeichnen bescherte mir in den 1980ern einige Aufträge für Porträt-Zeichnungen, die ich sogar bezahlt bekam! Gleich mein erstes frei gezeichnetes Porträt von meiner neunjährigen Tochter animierte mein Kind dazu, selber alles Mögliche zu zeichnen. Sie war sehr schnell ziemlich perfekt. Ob es Filmplakate oder Comic-Zeichnungen waren, die sie abzeichnete, es führte dazu, dass sie schon in ihrer Ausbildung zu einem technischen Beruf nebenher Airbrush-Kurse gab.

Als sie nach ihrer Lehre bei einem eher schlechten als rechten Grafiker in Anstellung ging, machte sie nebenher ein Fernstudium Grafik-Design, das sie mit Sehr gut bestand! Ihr Chef verkaufte ihre Entwürfe für Kundenbestellungen als seine, was sie recht schnell veranlasste, eine eigene Firma zu gründen, ihm zu kündigen. Die Kombination Grafik-Designerin plus Kommunikationselektronikerin – die ihre eigenen IT-Programme entwickeln, erstellen konnte – war perfekt!

Da hat sich also diese brotlose Kunst nicht nur bei meiner jüngeren Schwester, sondern auch noch bei meiner Tochter und sogar dem zweitältesten Sohn meines Patenonkels – als Architekt, seit vielen Jahren in München tätig – durchgesetzt! Alle drei sind ihrer Neigung gefolgt mit durchaus erfolgreicher beruflicher Tätigkeit!

Und ich musste erste eine 76jährige Seniorin werden, um die Zustimmung meiner Begabung – von meiner Tochter meinem Vater gegenüber – widersprochen zu bekommen … Endlich darf ich mich als ICH BIN ICH erleben, das tut so gut.
 

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Kommentare (9)

ehemaliges Mitglied

Ich hab mich sehr über Eure zustimmenden 💕 gefreut, liebe

ChristineLächel
Muscari
Songeur
Jutta

bedankt sich Uschi

werderanerin

Vielleicht ist es dir ja jetzt vergönnt, endlich irgendwie "angekommen" zu sein und nach vorne zu schauen..., das würde ich dir wünschen, liebe Uschi. 

Du merkst ja selbst auch, das es nie für irgendetwas zu spät ist..., man muss es nur tun!
Wenn man Glück hat, wird man mit dem Leben belohnt.

Kristine

ehemaliges Mitglied

@werderanerin  
Liebe Kristine! Ich habe das gute Gefühl, dass ich tatsächlich angekommen bin! Das gute Kontrolluntersuchungsergebnis gestern lässt mich obendrein tatsächlich zuversichtlich in meine nahe Zukunft blicken! Erst einmal folgt ein gesundheitlich etwas belastenderes Frühjahr. Aber ich vermute, dass ich meinen Sommer dieses Jahr wohl schon sehr werde genießen können!!

Sollten die Nebenwirkungen meiner Chemo (eine fast taube rechte Hand) sich wieder zurückbilden, werde ich vielleicht doch mal versuchen, auch wieder das, was ich sehe, zeichnerisch umzusetzen. Vielleicht gönnt mir mein Leben das ja noch einmal ...

Danke für Deine Zuspruch sagt Dir zuversichtlich

Uschi

ladybird

Liebe Uschi,
ich möchte Dir zu Deinem Artikel bzw. zu Deiner Freude den heutigen Kalender -spruch vermitteln, ich finde ihn total passend.....

DAS GEFÜHL DER FREUDE ENTSTEHT AUS EINER
PLÖTZLICHEN BEJAHUNG DES LEBENS

(Carl Ludwig Schleich 1859-1922)

💗lichst mit Gruß
Renate 🐞

ehemaliges Mitglied

@ladybird  
Ja, liebe Renate 🐞, sie hat sich so peu á peu angebahnt, die Freude, entstanden aus der immer stärker gewordenen Bejahung meines neuen Lebens nahe und mit meiner Tochter-Familie, nicht mehr bei meinem Ex.

Alles, was mir in meinem Leben gelang, in und an mir zu entdecken, wurde ja stets von Vater und Ehemann abgelehnt. Sie hatten ihre Gründe, doch man kann und sollte Andere, auch nicht die eigenen Partner oder Kinder, daran hindern, sich zu entdecken, zu entwickeln. Aber ich empfand ihr Verhalten oft recht kränkend, hatte aber nicht gelernt, zu mir selbst zu stehen. Ihre Aussagen waren stets die Absage von ihnen für mich  wie: Du nicht! Ich denke oft, ob mir meine zu früh verstorbene Mutter als Kind da herausgeholfen hätte? Natürlich weiß ich heute, als Erwachsene, dass ich mir nicht mehr die Butter vom Brot nehmen lasse.

Meine vier Jahre ältere Schwester hatte mit ihrer kindlichen Gehässigkeit begonnen, als ich noch fünf war, mir immer wieder Schuldgefühle an der Erkrankung unserer Mutter einzureden. Der Vater schaffte das unüberlegt ab meinem 10. Lebensjahr. Ihm war ich in meinen Leistungen nie gut genug, egal ob Schule oder Klavierspiel, und selbst ein "Sehr gut" für eine Arbeit bekam die fiese Frage: Warum nicht immer so??!! Kein Lob, keine Unterstützung, nur Ablehnung, oder bei einem falsch gespielten Klavierton im Weihnachtslied ein Schlag mit dem Geigenstock auf meine Kinderhand ... 😰

Dieses Gefühl verschwindet momentan immer mehr, vor allem auch durch die Zustimmung meiner hiesigen Lieben! Ich werde endlich angenommen. Der Kontakt zu meiner älteren Schwester ist zerstört, ein Geigenstock zittert nicht schlagwütig mehr über meinen Händen - so viele Fehler ich auch bestimmt demnächst erst wieder spielen werde, bis es neuerdings dann einigermaßen klappt! Aber ich freu mich schon darauf!

💖lichen Dank für Deinen Kommentar und den bemerkenswerten Spruch, den Du gefunden hast, liebe Renate bedankt sich
Uschi

Manfred36

Esist so schade, liebe Uschi, dass du mit deinem Talent und deiner Ausbildung nicht auch bei uns unter dem Dauer-Blog "Malen" auftauchst. Wir sind zwar blutige Laien, aber du sagst ja selbst, dass es darauf nicht ankommt. Ich habe schon Aber-Hunderte Bilder geschmiert und gekritzelt und kaum eines zurückbehalten. Es gibt da bei uns wenig Einzel-Ruhm, aber man kann sich austoben und vergessen. Wenn du selbst in deinen Blogs mal mehr Bilder einbringen willst, weise ich gern unter "Malen" darauf hin. Du kannst auch ruhig sagen, wenn du uns mal gern übernehmen möchtest; den Namen unterm Blog kann man ja ruhig ändern.

ehemaliges Mitglied

@Manfred36  
Ach Manfred, ich hab's schon längst drangegeben, denn seit meiner mittleren 30er Jahre fällt mir das Stifte- oder Pinsel-halten immer schwerer. Es ist jetzt an der Zeit, dass ich endlich wieder - ohne jede Kritik anderer - das Klavierspiel üben werde, das geht hoffentlich noch.

Sowieso durch die Polyarthrose meiner rechten Hand, die jetzt auch noch durch die Chemotherapie wegen Krebs dazu geführt hat, dass ich nicht mal mehr die Stifte mit dickeren Griffen eine längere Weile halten kann, vergeht auch die Laune, es dennoch zu tun. Ich werde mich dazu durchringen, mich mit dem Gefühl für früher Gelungenes zufrieden zu geben. Ich habe keine Staffelei mehr, die teuren Fuchshaar-Pinsel hat mein Göga für das Anmalen seiner Schiffsmodelle genutzt und die Farben hat er vor Jahren entsorgt ohne mich zu fragen. Mir wird es genügen, mich an Vorhandenem zu erfreuen. Das hat er nicht entsorgt!

Dein Angebot ehrt mich, lieber
Ich wünsche Dir, dass Du noch recht lange viel Freude an Deiner Malerei hast. Ich werde nie vergessen, wie mein Vater, ein exzellenter Klavier- und Violinspieler, der sich diese Instrumente bis zur Konzertreife autodidaktisch aneignete, weinend am Klavier saß, weil seine Hände dank seiner Parkinsonerkrankung ihm den Spieldienst verweigerten. Parkinson habe ich zum Glück nicht. Aber die Arthrose ist auch nicht zu überspielen ... Ich genieße heute stattdessen dann doch die vielen gelungenen Arbeiten, die meine Tochter täglich erstellt! Ist schon ein schöner Erfolg, auf fast 20 Jahre erfolgreiche Berufstätigkeit trotz mehrerer Firmenumzüge zurückblicken zu dürfen - und ich weiß: nur weil ich sie zeichnete, wobei sie mir zuschaute, dieses Talent bei ihr geweckt zu haben!

Ich habe gelernt, mich zurückzunehmen.

💕lichen Dank für Deinen Kommentar freut sich
Uschi

Manfred36

@nnamttor44  
Auch ich habe fortgeschrittenen Krebs und muss nächste Woche wieder ins Nukearklinikum Homburg. Auch meine Finger sind arthrotisch, ich will dir den Anblick lieber ersparen. Hinter meiner Staffelei (Eigenbau) steht das Piano; ich brauche mich nur umzudrehen. 

ehemaliges Mitglied

@Manfred36  
Lieber Manfred, ich habe offensichtlich die gesundheitliche Chance, den Krebs dieses Jahr noch überstanden zu haben, erklärte mir gestern mein Onkologe! Die Kontrolluntersuchung unterstrich seine Erklärung - er musste suchen, wo der Knoten geblieben sei, obwohl eine Markierung die Stelle kennzeichnet!

Allerdings werde ich in vier Wochen erfahren, ob es einen genetischen Hintergrund hat. Meine Mutter sstarb ja mit 36 Jahren an dieser Erkrankung, eine ihrer Schwestern mit 50 Jahren. Eine zweite Schwester erkrankte mit 49 Jahren, wurde operiert - und wurde 90 Jahre alt!! Die heutigen Möglichkeiten gab es 1974 noch nicht! Also hoffe und glaube ich erst einmal, dass ich noch eine gute Chance habe.

Eine Staffelei werde ich mir nicht mehr zulegen. Allerdings bräuchte ich nur einen Pieps verlauten lassen - und min Döchting würde mir umgehend eine Staffelei bauen!!

Es ist unglaublich, mit wie viel Aufmerksamkeit sie darauf bedacht ist, mir - ihrer Mama - jeden Wunsch von den Augen abzulesen, zu erfüllen.

Fast schäme ich mich, aufgrund der vielen Gehässigkeiten, die meine ältere Schwester mir immer wieder wegen der Erkrankung und des Todes unserer Mutter an den Kopf warf, dass ich mir als junge Frau nur Jungs als Kinder gewünscht zu haben. Es ist in meinem Alter nun seit 10 Jahren eine unglaubliche Tatsache, wie sehr ich mich darüber freuen darf, auch eine Tochter zu haben!! Ich bin sehr dankbar für dieses Schicksal.

Die wünsche ich trotz der stärkeren Betroffenheit noch gute Chancen auf Wiedergesundung.

Uschi


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