Sternderl schauen

Ein Sommer-Nachmittag auf unserem Wiesengrund im Innviertel.
Claudia, unsere achtjährige Enkeltochter und meine Frau leisteten mir Gesellschaft beim Mähen und Heckenschneiden. Besser gesagt: Sie tollten den ganzen lieben Tag durch die Gegend. Für den Abend war Grillen angesagt und danach Sterngucken und Sternschnuppen schauen. Den überdachten Freisitz unserer Gartenhütte hatten wir vorsorglich mit Schaumstoff und jeder Menge Kissen und flauschigen Decken drapiert.
Die beiden schmiegten sich an mich.
Claudia maulte: „Wehe dir, wenn die nicht kommen, du hast es mir versprochen!“

„Für den, der warten kann, nimmt alles ein gutes Ende“, flüsterte ich ihr ins Ohr und nutzte die Gelegenheit, ihr einen Schmatz auf die Wange zu drücken.

Der Himmel war mittlerweile kobaltblau und wurde dunkler und dunkler. Die ersten Sterne ließen sich blicken. Im Westen rutschte die Dämmerung hinter den Horizont und es war stockfinstere Nacht. Noch immer war es heiß, die Luft schien zu vibrieren. Ab und zu schwirrten Glühwürmchen vorbei. Bald flitzten die ersten Lichter über den Himmel. Wie ein fernes Feuerwerk blitzten die Lichtstriche der Perseiden am Firmament auf.

„Wahnsinn, sind das viele“, flüsterte Claudia.
„Hab ich dir doch versprochen“, sagte ich.

Zum Dank fragte sie mir Löcher in den Bauch. Wie der da hieße, und der da, und wieso die da Großer Bär hießen, die sähen doch eher aus wie ein Löffel, nicht wie ein Bär, 
hihi, und ob die Glühwürmchen irgendwann verlöschten wie ein Zündholz, und was hinter den Sternen sei. Ihre Neugier war unersättlich und ihre Unbekümmertheit ließ mich lächeln. Ist es nicht das Privileg der Kinder, selbst in den erhabensten Augenblicken plappern zu dürfen? Ehrfurcht und Demut lernt man zum Glück nicht in der Schule, diese Dinge bringt erst das Leben mit sich.

„Hinter den Sternen sind noch mehr Sterne“, murmelte ich mit halbgeschlossenen Augen.
„Wie viele Sterne gibt es überhaupt?“
„Was weiß ich, angeblich sind es Trilliarden.“

„Heiliger Bimbam!“

„Ach, das sind gar nicht mal so viele, mein Schatz.“

„Nein?“ Sie sah mich mit großen Augen an.
„Im Ernst, tausendmal mehr, als du Atome hast.“
„Hihi, das gibt’s ja nicht, wie viele Atome hab ich denn?“
„Das glaubst du mir nie.“
„Sag schon, Opa, oder weißt du's nicht?“
„Na klar weiß ich es. So ungefähr dreitausend Quadrillionen kleine ... ach was sag ich, … unvorstellbar klitzekleine winzige Pünktchen, kannst du dir das vorstellen? Na ja, vielleicht sind es ein paar weniger, ich weiß ja nicht wie viele Smarties du heute gefuttert hast.“
„Hihi, du spinnst, Opa!“

So daneben lag sie damit nicht, aber man müsste ein wahrlich seelenloser Dreckskerl sein, um in solch einer Nacht nicht ein wenig den Verstand zu verlieren.
„Gehören die alle mir, die vielen Atome?“
„Na klar, und dass du mir ja keines verlierst.“
„Hihihi.“

Und so ging das weiter, bis sie einschlief, ihre Arme um mich geschlungen und so leise atmend wie ein Sperling.

 

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Kommentare (4)

Claudine

Liebe Renate, treffender hätte ich es nicht formulieren können! 
So beraubernd diese Geschichte... Danke!

 

Claudine

@Claudine  
Danke für das ❤️, lieber @ Eisenwein, trotz Rechtschreibfehler,  wie ich eben gesehen habe...
Natürlich soll es bezaubernd heißen. Ich bitte vielmals um Entschuldigung.

Einen schönen Abend
Claudine

Eisenwein

@Claudine  
was zunächst ausschaut wie ein Rechtschreibfehler, entpuppt sich meistens als klarer Tippfehler. Also mach dir keinen Kopf …😉
Schönen Restsonntag
Ferdinand

ladybird

⭐️...ich denke mal, das schönste und allerbeste Sternderl aller Stern- Schnuppen und Atomen, hattest Du in Deinen Armen....
das zu lesen, war glatt eine ⭐️-Sterne,
herzlichen Dank
🐞-Renate


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