Siegfried...hieß er.................


...ein Klassenkamerad und Schlittschuhfreund.
So hatte ich ihn immer in Erinnerung, als ich nach 6 Jahren meine alte Heimat wieder besuchte.
Er wohnte im Pfarrhaus, indem seine Mutter als Haushälterin angestellt war.
Ein besonderes Privileg, wie wir als Kinder noch dachten.
Siegfried war 18 Jahre und sofort zur Armee eingezogen worden.
Getroffen haben wir uns in diesem Jahr nicht.-1959 -.
Seine Schwester, die viel älter war, ist bei einem Berlinbesuch auch gleich im Westen geblieben.
Mutter war beim Pfarrer gut aufgehoben und versorgt,(was bis zu ihrem Tod auch so blieb.)
Und Siegfried war kreuzunglücklich bei der Armee - er sollte nach der Ausbildung zu den Grenzsoldaten nach Thüringen versetzt werden.
In diesem Jahr, als er zum Urlaub nach Hause kam, kam nicht der gleiche Mensch zurück. Er war bedrückt, kam nicht aus dem Haus, saß nur in seinem Zimmer drin und war tief bedrückt.
Auch seine Freunde und die alte Klicke holten ihn nicht aus seiner Krise raus.
Eine Schulfreundin schrieb mir noch, daß ich ihm mal schreiben sollte, was ich auch tat. Sogar meinen Besuch hatte ich angekündigt - doch nichts geschah.
Siegfried sollte seinen Dienst an der Grenze antreten, doch zwei Tage vor der Abreise faßte er einen tödlichen Entschluß.
Er packte seine Sachen, stellte alles vor die Tür und ging in den Obstgarten und hängte sich an einm Apfelbaum auf.
Der Pfarrer fand ihn und schlug Alarm.....doch es war zu spät, man konnte ihm nicht mehr helfen.
Seine Mutter fand den Abschiedsbrief: "Tut mir leid, aber auf Menschen kann ich nicht schießen. Seid nicht böse mit mir".
Das war alles, was er schrieb.
Und sorgsam hatte er seine Sachen gepackt, Papiere alles säuberlich geordnet, zum Abgeben vorbereitet.
Die Beerdigung fand auf dem kleinen Friedhof statt, der Pfarrer hielt eine sehr "bedenkliche" Rede, die den "Genossen" nicht gefallen hätte.
Das ganze Dorf war anwesend, auch aus der Partei......die Kirche und der Friedhof platzten aus allen Nähten, sodaß der Pfarrer ungesehen verschwinden konnte.
Ein trauriges Bild zierte das Grab und immer ging jemand von der alten Klique vorbei und stellte Blumen darauf.
Das war ein erschreckender Besuch in meinem Heimatort.

mit traurigen Grüßen
Euer Moni-Finchen




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Kommentare (4)

finchen lieben Dank für Deine Worte zu meiner Siegfried-Geschichte.
Du scheinst diesen Druck selbst erlebt zu haben.
Es war menschenunwürdig und frevelhaft.
doch - Friede seiner Seele.
Ich war damals 21 Jahre alt, doch mit soviel Verstand ausgestattet, daß ich dieses Elend förmlich riechen konnte.
Ich habe gewonnen und meine Mutter durch ihren Tod verloren, das war der Preis für eine Aussiedlung in die BRD. Im Nachhinein? Glück gehabt! auch wenn tausend Tränen flossen.
Einen Quadratmeter Land gehört mir noch - das ist ein Grab, dort liegt mein geliebter Opa und meine Mutter vereint.
Ich bin dort noch immer zu Hause.
Liebe Grüße
das Moni-Finchen
finchen der sogenannte Sozialismus war überhaupt ein gelogener Kompromiss. Ein Cousin 2.Grades wurde sogar für einige Jahre nach Sibirien verfrachtet. Über das Warum und Wieso durfte er nicht sprechen. Er tat es auch nicht. Allein daran sieht man schon, wie eingeschüchtert er war.
Zum Glück konnte ich jedes Jahr in meine Heimat reisen, da das Verwandtschaftsverhältnis nicht aufgeflogen ist.
Ich weiß, wie man schweigen lernte und wirkliches Vertrauen kaum aufbauen konnte.
Ja, und Siegfried hatte schlechte Karten, da seine Schwester
schon im Westen war. Damals konnte ihn das Pfarrhaus auch nicht vor Repressalien retten.
Du kannst mir glauben, manchmal habe ich noch immer Wut im Bauch.
Doch jetzt mit allaf oder helau
und lieben Grüßen
das Moni-Finchen
Maxi41 erschütternd, wenn man das liest. Das Schicksal dieses jungen Mannes berührt sehr. Was hat er leiden und sicher auch Demütigungen ertragen müssen. Der Schritt, den Freitod zu wählen, wird kein einfacher gewesen sein. Die Verzweiflung und Aussichtslosigkeit haben ihn dazu getrieben. Wenn man sich vorstellt, er könnte heute noch leben ...
In der DDR gab es ab 1964 (1962 wurde die allg. Wehrpflicht eingeführt) ein Gesetz, wer aus religiösen oder anderen Gründen den Wehrdienst mit der Waffe ablehnt, als sogenannte Bausoldaten (scherzhaft auch "Spati´s genannt) eigezogen werden. Auch das war nur ein fauler Kompromiss. Diese jg. Männer wurden oft während des Studiums, sogar kurz vor Studiumsschluß eingezogen, waren Diskriminierungen ausgesetzt und als Menschen 2. Klasse behandelt worden. (Ich hab einen Fall in meiner Familie). Totalverweigerer landeten im Knast. Aber das wurde alles totgeschwiegen. Die volle Wahrheit kam erst nach der Wende ans Licht.
LG Bärbel, die immer mal wieder Wut im Bauch spürt.
Syrdal Sehr bedrückend sind die Bilder, die beim Lesen dieser Geschichte in mir aus eigenem Erleben aufsteigen, wohl wissend, in welche innere Not so viele junge Männer getrieben wurden, wenn sie den Befehl zum Dienst an der Grenze bekamen. Man wusste ja, dass man dort an der Grenze stets nur mit einem "Linientreuen" eingesetzt wurde, also mit einem STASI-treuen Aufpasser. Allein die Vorstellung, im Fall der Fälle auf Menschen schießen zu müssen, war den meisten NVA-Grenzsoldaten unerträglich und einzelne haben es nicht ausgehalten und sich ihrer Not diesem unbeschreiblichen Druck durch den Freitod entledigt. - Aber es gab ja keinen Schießbefehl, wie die rote Horde immer behauptet hat. Oh diese Lügner! Und sie lügen bis heute, alle, die irgendwie rot sind, auch die blassroten... Ich selbst bin durch diese ideologische Hölle gegangen und habe die Einsatzbefehle noch imemr im Ohr. Gottlob fand ich einen Trick, so dass ich nach 5 Monaten aus diesem Dienst ohne Streifen und Stern auf der Schulterklappe entlassen wurde. Aber das war ein seltener Geniestreich. - Ich verstehe die verzweifelte Tat des jungen Mannes Siegfried, der keinen Ausweg findend den endgültigen gegangen ist. Gezählt wird das leider nicht, aber dieser verzweifelte junge Mann gehört eben auch zu den vom "real existierenden Sozialismus" (wie die roten Schergen ihr menschenunwürdiges System nannten) zu verantwortenden "Maueropfern".
Friede sei seiner Seele!
Syrdal

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