Schätze der Ungarischen Dichtkunst
Schätze der Ungarischen Dichtkunst
Mihály Csokonai Vitéz
Gedichte
Neujahrsgedanken
Zeit, du kurzer Augenblick,
die Jahre fliehn auf deinen Adlerschwingen,
keines kehrt zu uns zurück,
des dunklen Chaos Tiefen sie verschlingen.
Zeit, unteilbarer Gigant,
du hast nicht Anfang, Ende oder Lücke,
schwacher irdischer Verstand
zerstückelt dich in kleinste Augenblicke.
Sag, gebar dich denn das Licht?
Vielleicht bist du es, die das Licht geboren?
Gäbe es die Sonne nicht,
so hätten wir das Zeitmaß längst verloren.
Ob von dir, o Zeit, gewollt,
die allem rings Verderben nur bereitet,
einst die Sonne selbst verkohlt,
und deine Kettenfolge dir entgleitet?
Sieh nur, alles auf der Welt,
obgleich mit Kraft und Schönheit wohl versehen,
ist dem Wandel unterstellt,
und wird auch mit der Zeit zugrunde gehen.
Auch des Himmels steile Bahn,
sie kann sich ständig ändern und erneuern,
sieh dir nur die Sterne an,
sie leuchten - und verglühn mit ihren Feuern.
Wieviel Wunden hat bisher
der Zustand unsrer Erde schon ertragen,
welche das erzürnte Meer
und der Vulkane Flammen ihr geschlagen.
Wo einst Dörfer, Wald und Flur,
da spielen heut Delphine in den Wogen,
über mancher Muschel Spur
sind Gemsen ihres Felsenwegs gezogen.
Insel ward manch festes Land,
und Täler bis zu hohen Bergen schwollen,
wo manch starrer Gipfel stand,
sind bodenlose Meere nun entquollen.
So verfährst du also, Zeit,
auch mit dem wechselnden Geschick der Staaten:
Dieser dehnt sich groß und weit,
und jener sinkt in namenlosen Schatten.
Auch der Parther Heldentum
konnt vor der Sklaverei sie nicht bewahren;
damals ohne Glanz und Ruhm
stehn heut die Gallier in der Helden Scharen.
Ochsen pflügen heut das Feld,
wo das Weltwunder Troja einst ging unter;
wo man damals pflügte, stellt
Paris der Welt sich dar als neues Wunder.
Deine Macht hast du gezeigt
an vielen großen Völkern unverhohlen.
Von des Schicksals Last gebeugt,
sag, was wir, kleines Land, erwarten sollen?
Kindheit, Jugend, Altersqual,
und Sorge, Freude, Trauer, Wohlbefinden,
Leben, Krankheit, Totenmahl,
es liegt in deiner Hand, dich anzukünden.
Ohne Halt weichst du vom Platz,
kaum eine Hoffnung konntest du befrieden,
Eh' ich aussprach diesen Satz,
bist in Sekundenschnelle du geschieden.
Zukunft - und Vergangenheit,
doch nie als Gegenwart bist du zu sehen,
wie ein leeres Wort, das weit
ins Dunkel fliegt, mußt du verlorengehen.
So entflogen mir wie Rauch
gar rasch und eilig manche liebe Jahre,
und es kann wohl sein, daß auch
ich bald die letzte Grenze hier erfahre...
Meine Kindheit liegt schon fern,
vier mal sechs Jahre sinds bereits gewesen,
wohl ein Drittel - gut und gern -
der Zeit, die einem Menschen zugemessen.
Soviel ists, wenn auch nicht mehr.
Wenn man für jedes Jahr ein Stündchen nähme
- alles gäb ich dafür her -
daß es auf der Verdienste Säule käme!
Sei willkommen, Tod. Indes
mein Grabspruch soll der Welt dereinst bekunden:
"Wanderer, hier ruht Vitéz,
Sein Wert: Ein Tag gleich vierundzwanzig Stunden!"
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