Sauerkraut und Kartoffelfeuer .


Sauerkraut und Kartoffelfeuer.

Während des Krieges wurden Stadtkinder, damit sie sich von den nächtlichen Bombenangriffe erholen konnten, für 4 Wochen aufs Land geschickt.

Unsere Gruppe kam nach Aßlar Kreis Wetzlar in Hessen.
Landschaftlich eine wunderschöne Gegend.

Auf dem Bahnhof Aßlar angekommen, standen wir ängstlich, wie kleine verlorene Schäfchen, auf dem Bahnsteig und harrten der Dinge, die da kommen würden.

Nach einiger Zeit erschienen Leute, die sich ein Kind aussuchen konnten, um es für einige Zeit bei sich aufzunehmen.

Ich wäre gerne auf einen Bauernhof mit vielen Tieren gekommen aber es kam anders.

Eine kleine, resolute, knochige Frau ging prüfend durch die Reihen und spähte nach einem, ihr genehmen, Mädchen aus.

Ich war die Zweitkleinste in der Gruppe und erschreckte bis ins Mark vor ihrem scharfen, durchdringenden Blick.

Ich machte mich noch kleiner aber es nützte mir nichts.
Mit spitzem Finger zeigte sie auf mich und sagte: “ Die nehme ich.“

Ich musste mit, ob ich wollte oder nicht, Einspruch gab es nicht.
So zogen wir los. Unterwegs fragte sie mich, ob ich auch ein gottesfürchtiges Mädchen wäre. Ihr Gatte wäre Pastor und sie spiele das Harmonium.

Ich sagte nichts, denn ich dachte im Stillen an meine geschwänzten Kindergottesdienste zu hause in Düsseldorf. Ich wollte zurück, weg von dieser Frau, die mir Furcht einflößte.

Um mich aufzumuntern sagte sie: “ Zum Mittagessen gibt es heute etwas ganz Besonderes – Sauerkraut! -
Außer Rotkohl, war Sauerkraut das einzige, was ich nicht ohne Brechreiz essen konnte.

Nun war mein tiefster seelischer Punkt erreicht.
Das Schlimmste war, dass sie mich bei Tisch mit strengem Blick und Wort aufforderte tüchtig zu essen, damit noch etwas Kräftiges aus mir würde.

Tapfer habe ich das Würgen unterdrückt und mein Blick suchte die gütigen Augen des Herrn Pastor.
Wie konnte ein so gut aussehender, feiner Mann mit einer so herrischen Frau verheiratet sein?

Abends lag ich weinend in meinen Kissen und glaubte, ich könnte die vier Wochen niemals überstehen.

In meinem Kummer fiele mir die Tüte mit den Zwetschgen ein, die mir meine Mutter in den kleinen Tornister gepackt hatte. Die Reisebrote waren während der Fahrt längst aufgegessen worden aber die süßen Früchte hatte ich mir bis zuletzt aufgehoben.

Ich stand auf, um sie mir zu holen. Aber ach, die ganze Tüte war durchgeweicht und die Pflaumen waren ungenießbar geworden. Auch der Tornister hatte einige hässliche Flecken abbekommen.

Nun war es mit meiner Fassung ganz vorbei und die Tränen liefen hemmungslos, als ich wieder in mein Bett kroch.

Leise wurde an die Tür geklopft und Herr Pastor trat ein und setzte sich auf meinen Bettrand. Er nahm meine Hand in seine: „ Habe ich es mir doch gedacht, dass das kleine Mädchen Heimweh hat und sich in der fremden Umgebung unglücklich fühlt,“ sagte er.

Seiner freundlichen Art und seinen tröstenden Worten gelang es, dass meine Tränen bald versiegten und erschöpft und beruhigt schlief ich ein.


Am nächsten Tag brachte mich Frau Pastor in den Kindergarten.
Ich und Kindergarten – was würde noch auf mich zukommen?

Der Zaun war kein großes Hindernis und ich hatte ihn schnell überwunden und lief in den Ort, wo ich bei meinem Herumschlendern auf andere Kinder meiner Gruppe traf. Ich war gerettet.

Zur Strafe, weil ich nicht gehorsam gewesen war, übergab mich Frau Pastor einem Lehrerehepaar und ich konnte wieder frei atmen.

Viele schöne Stunden habe ich mit ihnen und ihrer fast gleichaltrigen Tochter erlebt. Die Lehrersfrau stammte aus einer Bauernfamilie und wir gingen gemeinsam mit ihrer Tante, die sie Sannestante nannten, bei herrlichstem Herbstwetter aufs Feld zum Kartoffelklauben.

Damals war das Gehalt eines Lehrers nicht hoch und so hatten viele nebenbei noch eine kleine Landwirtschaft und einen Garten.

Nachdem die Kartoffeln in Säcke verstaut waren, häuften wir das übriggebliebene Kartoffelkraut zu einem kleinen Berg auf und steckten ihn an.
Langsam begann das Kraut zu brennen und beißender Rauch stieg in unsere Augen und Nasen.

Als die Flammen nicht mehr so hoch züngelten, warfen wir Kartoffeln in die Mitte und dann warteten wir, bis das Feuer ganz herunter gebrannt war und mit einem Holzstecken angelten wir, aus der noch dampfenden Asche, die pechschwarzen Köstlichkeiten heraus, die wir mit Heißhunger und verschmierten Mäulern und Händen glücklich verspeisten.

An manchen Abenden saßen wir gemütlich beieinander und bastelten gemeinsam kleine Geschenke für meine Lieben daheim, denn Frau Pastor hatte mir das Fünfmarkstück, das mir mein Vater als Taschengeld zugesteckt hatte, gleich am ersten Tag abgenommen.

Am Ende meines Aufenthaltes bekam ich es wieder und brachte es jungfräulich heim.

Den Herrn Pastor, das Lehrerehepaar , die Sannestante und Margrit habe ich nicht vergessen.

Frau Pastor allerdings auch nicht.

Sauerkraut ist kein Schreckgespenst mehr für mich, sondern eines meiner Lieblingsgerichte geworden;
aber dann mit einem deftigen Eisbein.

Sarahkatja









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Kommentare (4)

koala wohnte ich waehrend dieser schlimmen Zeit in einem Bauerndorf. Trotzdem der Tisch nie reich gedeckt war, mochte ich verschiedene Sachen absolut nicht essen. Du hast Dich beim Sauerkrautessen tapfer gehalten. Ich glaube, ich waere ueber Bord gegangen.
sarahkatja
mit Brotsuppe könnte man mich auch heute noch jagen. Die Großmutter meines Mannes kochte sie des öfteren. Da war ich aber schon so weit, eisern nein zu sagen.

Dann gibt es hier noch, nach Hausschlachtungen, das sogenannte Braunat ----das war für mich noch schlimmer als Brotsuppe. Es schüttelt mich heute noch, wenn ich nur daran denke. Für manche in diesem Lande ist es etwas Besonderes.

Da ist mir inzwischen das Sauerkraut doch viel, viel lieber.

Gruß von Sarahkatja

indeed und doch ist es schliesslich gut ausgegangen. Das sind so Schlüsselerlebnisse und während des Lesens deiner Geschichte konnte ich mich so richtig in deine Lage versetzen...
Ich mag keine Brotsuppe - bis heute kann ich mich davor schütteln. Es gab seinerzeit Schwedenessen, wo wir hin mussten. Es war kurz vor Weihnachten und der Weihnachtsmann war auch dort. Er hat es aber auch nicht geschafft, trotz Drohungen, dass ich die Suppe aß. :):)
Herzliche Grüsse
indeed
minu Es ist so schade, dass die heutige Jugend,so etwas nicht erleben kann.
Ich war im Landdienst und habe Essen gelernt.
Gruss Emy

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