Stefan und Hildegard
Aus Anlaß der heutigen Abendsendung des WDR über den heutigen Stand des Rheinhafens in Düsseldorf, stelle ich noch einmal meine frühe Kindheitsgeschichte ein, in liebevoller Erinnerung an eine vergangene Zeit, deren Auswirkungen wir damals nicht ahnen konnten, denn wir waren zwei glückliche Kinder, neugierig und voll Vertrauen schauten wir in die Welt.
Stefan und Hildegard
Wie so oft, so saß ich auch an diesem Tag auf den letzten Stufen der steinernen Rheinböschung und planschte mit den Füßen im Wasser.
Ich schaute den Schleppkähnen nach, die gezogen von kleinen Dampfschiffen in beide Richtungen des Flusses fuhren, nach Norden und Süden.
Man konnte sehen, ob sie beladen oder frei von jeder Fracht waren.
Waren sie beladen mit Getreide, Kohlen oder anderem Gut, lagen sie tief im Wasser. Waren sie leer, konnte man sie in ihrer ganzen Größe sehen.
Sie kamen aus allen europäischen Ländern.
Ich erkannte ihre Herkunft an den bunten Fähnchen, in den Farben ihrer Länder.
Franzosen, Holländer, Belgier, Ungarn, Schweizer, Österreicher. Besonders gefielen mir die französischen Schiffer mit ihren schwarzen, schief sitzenden Mützen.
Wäsche flatterte an Leinen im Wind. Mundharmonikamusik klang über das Wasser des Rheins.
Über meinen Fluss. Der ganze Hafen war mein Revier.
Auf einmal sah ich, nicht weit von mir, einen Jungen in meinem Alter, den ich vorher noch nie gesehen hatte.
Seine Hosenbeine gingen bis zum Knie, hager, mit viel zu großen Ohren.
In der rechten Hand hielt er ein selbstgebasteltes, kleines Flugzeugmodell und mit dem ausgestreckten Arm machte er immer die gleichen Bewegungen.
Er zog den angewinkelten Arm bis zur Schulter zurück und schnellte ihn dann hoch, als wollte er das Flugobjekt in den Himmel schleudern.
Immer dieselben Bewegungen.
Irgendwie reizte mich der fremde Bengel. Was hatte er hier zu suchen?
In meinem Revier?
Ich sah ihm einige Zeit zu und fand alles ziemlich albern.
Langsam schlenderte ich zu ihm hin, meine Schuhe in der Hand und fragte schnippisch:“ Was würdest du tun, wenn ich dir deinen Flieger kaputt mache?“
Ohne auch nur eine Sekunde zu zögern und ohne mich dabei anzusehen, sagte er:“ Dann kriegst du einen Tritt in den Arsch!“
Von da ab waren wir Freunde.
Stefan war mit seinen Eltern und seiner kleinen Schwester neu zugezogen. Sein Vater hatte die Stelle eines leitenden Ingenieurs
der Fortin - Getreidemühlen im Düsseldorfer Hafen übernommen.
Stefan wurde in meine Schule, in die Konkordia – Schule und in meine Klasse eingeschult.
Wir waren unzertrennlich. In der Schule und auch sonst.
Jede Woche musste eine Schülerin die Verantwortung für die Sauberkeit der Klasse nach Unterrichtsschluss übernehmen.
Blumen gießen, Papierkorb leeren, Kreiden sortieren, und vor allen Dingen die Tafeln sauber wischen.
Erst mit einem nassen Schwamm und dann mit einem Lappen trocken putzen.
Dazu durfte sich jede eine Freundin ihrer Wahl zur Unterstützung aussuchen.
Als die Reihe an mich kam, nun, wen wählte ich? –
klar! - Stefan !
Die anderen Schüler und Schülerinnen grinsten verlegen.
Uns war das egal, wir waren sehr emanzipiert.
Nachmittags zogen wir mit kleinen Zigarrenkistchen ausgerüstet, in die wir etwas Gras gesteckt hatten, los, und sammelten Flimmflämmchen.
Sie saßen in den Ecken des schmiedeeisernen Aufsatzes der niedrigen, roten Backsteinmauer, die das Hafenbahngelände und die Kornhausstrasse auf der ganzen Strecke von der Stromstrasse trennte.
Wir sammelten nicht nur rote mit schwarzen Pünktchen, sondern, besonders hübsch waren die gelben, auch braune und schwarze.
Wer die meisten hatte, war Sieger.
Flimmflämmchen sind Marienkäfer.
Stefan fragte mich:“ Hast Du schon einmal ganz frische Haferflocken gegessen?“ Ich kannte nur welche aus der Tüte.
„Nein,“ sagte ich. „Na, dann komm mit.“
Wir gingen in die Weizenmühle
Hoch hinauf, wo die Säcke mit der frischen Köstlichkeit gefüllt wurden.
Mit beiden Händen griffen wir in die noch warmen Haferflocken und aßen uns satt – köstlich!
Mit verschmierten Mündern setzten wir uns dann auf die Rutschbahn, die nur für die Beförderung voller Säcke bestimmt war und – hui –
ging`s hinunter, zum Schrecken der Müllersleute, die in Erwartung der vollen Säcke uns heruntersausen sahen.
Dann aber schnell weg. Wehe, wenn uns Stefans Vater erwischt hätte.
Lieber Stefan.
Auf dem Heimweg von einem unserer Abenteuer fragtest Du mich:
“ Sag` mal, wen heiratest Du einmal?“
„ Das weiß ich doch jetzt noch nicht,“ antwortete ich.
„Ja, aber wenn Du gar keinen mehr mitkriegst,“ drängeltest Du weiter, „ wen dann ?“
Da habe ich ohne zu zögern gesagt: “ Dich.“
Weißt Du es noch ?
Lieber Stefan,
ich weiß nicht, wohin Dich der Wind oder der Sturm des Lebens getrieben hat.
Längst bist Du Großvater, wie ich Großmutter bin.
Wenn Du noch lebst, sende ich Dir zwei gefüllte Hände voll frisch duftender Haferflocken,
den Duft des Rheins, und den Duft des Hafens.
Unseres Reviers.
Sarahkatja
Wie ich festgestellt habe, gibt es die Weizenmühle auch heute noch an
zwei anderen Stellen in Düsseldorf. Stefan hat den Krieg überlebt.
Sein Vater wurde als Chef-Ingenieur in die Nähe der Plangemühle versetzt.
Soviel habe ich erfahren können.
Ob einer der Familie noch lebt, weiß ich leider nicht.
Stefan und Hildegard
Wie so oft, so saß ich auch an diesem Tag auf den letzten Stufen der steinernen Rheinböschung und planschte mit den Füßen im Wasser.
Ich schaute den Schleppkähnen nach, die gezogen von kleinen Dampfschiffen in beide Richtungen des Flusses fuhren, nach Norden und Süden.
Man konnte sehen, ob sie beladen oder frei von jeder Fracht waren.
Waren sie beladen mit Getreide, Kohlen oder anderem Gut, lagen sie tief im Wasser. Waren sie leer, konnte man sie in ihrer ganzen Größe sehen.
Sie kamen aus allen europäischen Ländern.
Ich erkannte ihre Herkunft an den bunten Fähnchen, in den Farben ihrer Länder.
Franzosen, Holländer, Belgier, Ungarn, Schweizer, Österreicher. Besonders gefielen mir die französischen Schiffer mit ihren schwarzen, schief sitzenden Mützen.
Wäsche flatterte an Leinen im Wind. Mundharmonikamusik klang über das Wasser des Rheins.
Über meinen Fluss. Der ganze Hafen war mein Revier.
Auf einmal sah ich, nicht weit von mir, einen Jungen in meinem Alter, den ich vorher noch nie gesehen hatte.
Seine Hosenbeine gingen bis zum Knie, hager, mit viel zu großen Ohren.
In der rechten Hand hielt er ein selbstgebasteltes, kleines Flugzeugmodell und mit dem ausgestreckten Arm machte er immer die gleichen Bewegungen.
Er zog den angewinkelten Arm bis zur Schulter zurück und schnellte ihn dann hoch, als wollte er das Flugobjekt in den Himmel schleudern.
Immer dieselben Bewegungen.
Irgendwie reizte mich der fremde Bengel. Was hatte er hier zu suchen?
In meinem Revier?
Ich sah ihm einige Zeit zu und fand alles ziemlich albern.
Langsam schlenderte ich zu ihm hin, meine Schuhe in der Hand und fragte schnippisch:“ Was würdest du tun, wenn ich dir deinen Flieger kaputt mache?“
Ohne auch nur eine Sekunde zu zögern und ohne mich dabei anzusehen, sagte er:“ Dann kriegst du einen Tritt in den Arsch!“
Von da ab waren wir Freunde.
Stefan war mit seinen Eltern und seiner kleinen Schwester neu zugezogen. Sein Vater hatte die Stelle eines leitenden Ingenieurs
der Fortin - Getreidemühlen im Düsseldorfer Hafen übernommen.
Stefan wurde in meine Schule, in die Konkordia – Schule und in meine Klasse eingeschult.
Wir waren unzertrennlich. In der Schule und auch sonst.
Jede Woche musste eine Schülerin die Verantwortung für die Sauberkeit der Klasse nach Unterrichtsschluss übernehmen.
Blumen gießen, Papierkorb leeren, Kreiden sortieren, und vor allen Dingen die Tafeln sauber wischen.
Erst mit einem nassen Schwamm und dann mit einem Lappen trocken putzen.
Dazu durfte sich jede eine Freundin ihrer Wahl zur Unterstützung aussuchen.
Als die Reihe an mich kam, nun, wen wählte ich? –
klar! - Stefan !
Die anderen Schüler und Schülerinnen grinsten verlegen.
Uns war das egal, wir waren sehr emanzipiert.
Nachmittags zogen wir mit kleinen Zigarrenkistchen ausgerüstet, in die wir etwas Gras gesteckt hatten, los, und sammelten Flimmflämmchen.
Sie saßen in den Ecken des schmiedeeisernen Aufsatzes der niedrigen, roten Backsteinmauer, die das Hafenbahngelände und die Kornhausstrasse auf der ganzen Strecke von der Stromstrasse trennte.
Wir sammelten nicht nur rote mit schwarzen Pünktchen, sondern, besonders hübsch waren die gelben, auch braune und schwarze.
Wer die meisten hatte, war Sieger.
Flimmflämmchen sind Marienkäfer.
Stefan fragte mich:“ Hast Du schon einmal ganz frische Haferflocken gegessen?“ Ich kannte nur welche aus der Tüte.
„Nein,“ sagte ich. „Na, dann komm mit.“
Wir gingen in die Weizenmühle
Hoch hinauf, wo die Säcke mit der frischen Köstlichkeit gefüllt wurden.
Mit beiden Händen griffen wir in die noch warmen Haferflocken und aßen uns satt – köstlich!
Mit verschmierten Mündern setzten wir uns dann auf die Rutschbahn, die nur für die Beförderung voller Säcke bestimmt war und – hui –
ging`s hinunter, zum Schrecken der Müllersleute, die in Erwartung der vollen Säcke uns heruntersausen sahen.
Dann aber schnell weg. Wehe, wenn uns Stefans Vater erwischt hätte.
Lieber Stefan.
Auf dem Heimweg von einem unserer Abenteuer fragtest Du mich:
“ Sag` mal, wen heiratest Du einmal?“
„ Das weiß ich doch jetzt noch nicht,“ antwortete ich.
„Ja, aber wenn Du gar keinen mehr mitkriegst,“ drängeltest Du weiter, „ wen dann ?“
Da habe ich ohne zu zögern gesagt: “ Dich.“
Weißt Du es noch ?
Lieber Stefan,
ich weiß nicht, wohin Dich der Wind oder der Sturm des Lebens getrieben hat.
Längst bist Du Großvater, wie ich Großmutter bin.
Wenn Du noch lebst, sende ich Dir zwei gefüllte Hände voll frisch duftender Haferflocken,
den Duft des Rheins, und den Duft des Hafens.
Unseres Reviers.
Sarahkatja
Wie ich festgestellt habe, gibt es die Weizenmühle auch heute noch an
zwei anderen Stellen in Düsseldorf. Stefan hat den Krieg überlebt.
Sein Vater wurde als Chef-Ingenieur in die Nähe der Plangemühle versetzt.
Soviel habe ich erfahren können.
Ob einer der Familie noch lebt, weiß ich leider nicht.
Kommentare (8)
sarahkatja
Und wie viel Angst und Schrecken, wenn die mutigen Jungs
es wagten, unter den Schiffen her zu tauchen, bis sie dann prustend und stolz wiederauftauchten.
Es grüßt Dich Sarah usw.
es wagten, unter den Schiffen her zu tauchen, bis sie dann prustend und stolz wiederauftauchten.
Es grüßt Dich Sarah usw.
peter07
Liebe sarahkatja,
Deine Geschichte versetzte mich in meinen Erinnerungen über 60 Jahre zurück. Das hast Du wunderbar lebendig beschrieben. Ähnlich wie Du erlebte ich als Kind den Mittelrhein im Neuwieder Becken. Es faszinierte mich ebenso, den Schiffen und Schleppern nachzuschauen. Besonders groß war die Spannung, wenn sich ein Personenschiff der Köln-Düsseldorfer näherte.
Danke für Deine Erzählung.
Liebe Grüße an den Rhein
peter07
Deine Geschichte versetzte mich in meinen Erinnerungen über 60 Jahre zurück. Das hast Du wunderbar lebendig beschrieben. Ähnlich wie Du erlebte ich als Kind den Mittelrhein im Neuwieder Becken. Es faszinierte mich ebenso, den Schiffen und Schleppern nachzuschauen. Besonders groß war die Spannung, wenn sich ein Personenschiff der Köln-Düsseldorfer näherte.
Danke für Deine Erzählung.
Liebe Grüße an den Rhein
peter07
rose42
eine sehr anrührende Geschichte! Und wie Du schon sagtest: Diese wunderschöne Erinnerung kann Dir keiner nehmen auch nicht er selbst!
Jeder von uns hat wohl etwas Ähnliches in Erinnerung. Und wir bewahren es wie einen kostbaren Schatz!
Freu Dich, daß Du diese Freundschaft erleben durftest!
Liebe Grüße von Rosemarie
Jeder von uns hat wohl etwas Ähnliches in Erinnerung. Und wir bewahren es wie einen kostbaren Schatz!
Freu Dich, daß Du diese Freundschaft erleben durftest!
Liebe Grüße von Rosemarie
Maritt
was für ein Ziel. Einen Menschen zu suchen, der einem in jungen Jahren sehr nahe gestanden hat, egal ob durch Liebe oder einfach nur durch Freundschaft.
Für mich wäre es eine Aufabe, denn die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.
Maritt
Für mich wäre es eine Aufabe, denn die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.
Maritt
sarahkatja
Ich kann wieder einmal nicht schlafen, darum bin ich jetzt hier. Zu dieser Zeit.
Es ist gut, dass ich Stefan nicht geheiratet habe, denn so bleibt eine liebe Erinnerung.
Übrigens hatte er mich, so erzählte seine Mutter meiner Mutter, mich nach dem Krieg besuchen wollen, was seine Mutter ihm verboten hatte mit dem Hinweis "das darfst Du nicht, Hildegard hat gerade geheiratet."
Ja, so streng war das damals.
Gute Nacht, Ihr Beiden.
Es grüßt Hildegard
Es ist gut, dass ich Stefan nicht geheiratet habe, denn so bleibt eine liebe Erinnerung.
Übrigens hatte er mich, so erzählte seine Mutter meiner Mutter, mich nach dem Krieg besuchen wollen, was seine Mutter ihm verboten hatte mit dem Hinweis "das darfst Du nicht, Hildegard hat gerade geheiratet."
Ja, so streng war das damals.
Gute Nacht, Ihr Beiden.
Es grüßt Hildegard
Maritt
eine liebenswerte Gechichte, die auch mich in den Kindheitserinnerungen kramen lässt.
Ich mag solche kleinen Episoden auch sehr.
Vielen Dank.
Maritt
Ich mag solche kleinen Episoden auch sehr.
Vielen Dank.
Maritt
Roxanna
sehr gerne habe ich deine Kindheitserinnerung gelesen. Du erzählst heiter und anrührend und so bildhaft, dass ich mir das alles sehr lebhaft vorstellen konnte. Was wären wir ohne solche schöne Erinnerungen. Schade, dass du ihn nicht geheiratet hast , aber so spielt das Leben.
Ja und an einem Fluss aufzuwachsen ist schon etwas besonderes.
Herzliche Grüße
Roxanna
Ja und an einem Fluss aufzuwachsen ist schon etwas besonderes.
Herzliche Grüße
Roxanna
Doch das Leben (Umzüge etc) trieb uns auseinander.
Über 30 Jahre nach unserer letzten Begegnung (die Kinder waren groß und ich konnte mal das machen, was ich schon lange wollte) kam ich besuchsweise in den Ort der Kindheit, suchte im Telefonbuch nach dem Namen und fand ihn.
Ich rief an...er meldete sich mit Namen, da sagte ich nur: "Hier ist das Mädchen, dass du heiraten wolltest"
Nicht mal einen Sekundenbruchteil dauerte es, dass er laut meinen Namen ausrief...Natürlich trafen wir uns in der Woche mehrfach, ich lernte seine Frau kennen, besuchte seine Mutter und die Kindheit war zum Greifen nah.
Danke für Deine Erinnerungen, die die meinen hervorholten und mir ein Lächeln schenken
LG Flo