Persönliche Zeit- und Personenbilder 1915 – 1981 Kapitel 16
Anhang
Gespräche
Aus unserem Gespräch im Auto, in der Poststrasse von Westerstede ( Seite 50 ): Polak sei für einen Polen einmal eine ganz normale Bezeichnung gewesen, wusste Kurt. Auch einen Gelehrten namens Jacob G. Polak habe es im vorigen Jahrhundert gegeben, der Mediziner, Geologe, Forschungsreisender und zuletzt Lektor des Persischen an der Wiener Universität gewesen sei und von dem auch das 2-bändige Werk „Persien“ und das deutsch-persische Lexikon stamme. Ein Unterton von Geringschätzung der Polaken muss neueren Datums sein. Vielleicht, als sie die ersten Fremdarbeiter in den sich industrialisierenden Ländern Europas waren, mag das angefangen haben. Sie bewohnten kleine Kolonien in der Nähe der Fabriken. Ein solcher Stadtteil hiess zu meiner Schülerzeit im Norden Nordenham’s „Russland“.
In Oldenburg war als eine der ersten Industrien am Platze die „Glashütte“. Wir hatten in der Schulklasse von der Sexta ab einen Oskar, der dort in dem Industrievorort wohnte und in Lodsz geboren war. Auf unseren kleinen Schulwandertagen kamen wir an dem niedrigen Haus vorbei. Oskars Mutter stand dann in der Tür, unverkennbar eine Arbeiterfrau, so schlicht mit Kopftuch, und winkte. Wir winkten auch. Oskar hatte für die höhere Schule ein Stipendium.
So wenig Oskar auch äußerlich ansehnlich war, so auffallend gut waren seine Leistungen. In den Klassenarbeiten hatte er meistens eine 1 und sollte den Platz des Klassenprimus immer mit Heinz wechseln. Oskar war ein bescheidener, ruhiger Junge, ein feiner Kerl und bester Kamerad. So wie Heinz zu den Polaks eingeladen war, lud ich Oskar für die Ferien zu mir ein. Es scheiterte lediglich daran, dass meine Mutter das nicht mochte. Zu ärmlich gekleidet war ihr der Oskar, und barfuß ging er auch noch. Ich sehe es noch heute: Mit einem Schuhkarton oder sowas in der Hand standen Mutter und Sohn zur verabredeten Zeit am Bahnhof, in der Hoffnung, dass Oskar von meiner Mutter, die mich abgeholt hatte, nun eingeladen werde, sich uns anzuschliessen und in den Zug zu steigen. Viel zu abweisend verhielt sich aber meine Mutter, dass Oskars Mutter schnell verstand: Unerwünscht! Traurig schauten sie uns nach, sicherlich mit einer Träne im Auge. Und ich? Der Vorfall hat mich ein ganzes Leben belastet, selbst, als ich Grund bekam, mich eines Tages davon entlastet zu fühlen und meinen durfte: „Jetzt sind wir aber quitt.: Das blieb aber unausgesprochen, weil es zwischen uns nie eine Spannung gegeben hat, trotz des einen Vorfalls von Oskars Demütigung.
Oskar war überhaupt ohne Fehl und Tadel. Ganz früh war er als einziger unserer Klasse schon Mitglied des O.T.B., sicherlich auch ohne Beitragszahlung. Diesem Oldenburger Turnerbund hat er zeitlebens angehört, zuletzt noch in seiner Stellung als Bankdirektor und CDU-Ratsherr. Oskar war Schatzmeister des Deutschen Turnerbundes und 15 Jahre Vorsitzender des O.T.B. Als solcher hat er einmal eine Ansprache an I.K.H. die Erbgrossherzogin von Oldenburg wegen ihrer Verdienste um das Rote Kreuz gehalten, in einer Form, wie man in England es vor der Queen tut, so vollendet.
Noch etwas, das mir Bewunderung für Oskar abnötigte. Eines Tages war die sensationelle Zeitungsmeldung, dass der Vorsitzende des O.T.B. auf seinem abendlichen Heimweg einen Angreifer auf seine Geldtasche mit ein paar Fausthieben niederstreckte.
Oskar war gerade eben 65 gworden und starb urplötzlich an einem Gehirnschlag. Zur Trauerfeier war die evangelische Garnisonskirche bis auf den letzten Platz gefüllt. Das Ergreifenste war ein Flötensolo aus einem Requiem, das unmerklich gut vom Band lief, eingesetzt von den geschickten Händen eines Cloppenburger Paters und Freundes der Familie. Jeder wusste es, weil es angesagt war: die Flötistin war aus dem bekannten „Freiburger Quartett“ und saß als Tochter des Verstorbeben mit der trauernden Witwe und dem Bruder in der ersten Reihe vor dem Sarg. Hunderten standen die Tränen in den Augen.
Ein Klassenkamerad von uns war noch da, den ich nicht vermutet. Oskar und ich waren einmal die einzigen auf einer Jubiläumsfeier der Oberrealschule aus unserer Klasse gewesen. Im Trauergefolge nebeneinander gehend sagten wir nicht viel, konnten es einfach nicht, so wie alles, ja jedermann schwieg. Wir versprachen uns ein baldiges Treffen, das dann auch stattfandfand und sich wiederholte. Wieviel sind von uns 36 Schülern der Sexta noch da? Keine 5! Und einer ist ermordet worden, sagte ich. Worauf er weder antwortete noch fragte. Erich wusste also Bescheid.
Am weitesten hatte es Oskar gebracht, darüber sind wir uns wohl einig, meinte mein alter Erich, der Lehrer im Ammerland gewesen war. Auch auf meiner Seite war eine grenzenlose Bewunderung für Oskar mit einer kleinen Einschränkung. Als ich nach dem Kriege Oskar zum ersten Male in seiner Bank besuchte und wir von unseren Kindern sprachen, sagte Oskar, dass sein Sohn also in Frankfurt studiere, und da wären schon wieder jüdische Professoren. Ob das denn nötig täte?!
Ein andermal hatten wir eine alte Dame zu Gast, die mit Oskar und seiner Frau befreundet gewesen war, weil die Männer engste Freunde und Kollegen im Vorstand des O.T.B. waren. Unser Gast konnte ein tiefes Bedauern nicht verhehlen, dass die Männer sich mal eine Zeit lang sehr gram gewesen sind. Oskar habe sich ja für die CDU aufstellen lassen und entsprechende Sprüche von sich gegeben, und da habe ihr Mann, der wesentlich Ältere und nunmal echt Oldenburger Altliberale etwas leichtfertig gesagt: „Im Grunde bist Du ja ein Pollak!“
„Das hat meinem Mann dann auch leid getan, es war auch zu dumm von ihm.“ Das kenne ich, fällt mir dazu ein. Wenn zu dumm geredet wird, springt das auf einen über.
– Und lernt es meist zu spät: „Am Baume des Schweigens ist eine Frucht: der Friede.“ Das war meine Erzählung. So schön der Spruch ausschaut – Kurt hatte ihn an meiner Waldhütte gesehen - , so bleibt er doch so diskutabel, dass uns schnell eine Stunde vor dem Hause Polak in Westerstede verging.
F I N
Zu den Kapiteln: Einleitung 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16
wo diese eine ist, werden auch andere sein ....
ich freue mich darauf, mehr von dir lesen zu dürfen.
Viele Grüße von Medea.