November-Erinnerungen........


...immer, wenn es November wurde, mußten irgendwie neue Schuhe her.
Die vom letzten Jahr paßten nicht mehr an die Füße, die, wie ich gewachsen waren.
Das Drama nahm seinen Lauf.
Einmal wöchentlich war ich bei meinen Großeltern in der Stadt zu Hause und die Sammelei ging los.
Gehen wir doch mal zu Kiesewetters, deren Söhne haben doch schon größere Füße usw.
Eine Tortur der besonderen Art. Jeder, der etwas größere Kinder hatte, wurde abgeklappert und ich schämte mich bis in den Boden rein.
Sämtliche alten Schulfreundinnen meiner Mutter, genauso die recht zahlreichen Familienmitgliedern waren angehalten, nach "Winterschuhen" Ausschau zu halten.
Ja, was waren Winterschuhe zu dieser Zeit?
Auf jeden Fall mal knöchelhoch und möglicht viel Luft nach rechts und links, denn die dicken selbstgestrickten Socken waren für die Wärme zuständig. Omi, die aus ihrer Jugend als Strickerin, noch jede Menge Wolle hatte, strickte Tag und Nacht.
Irgendein Format wird schon in den Schuh reinpassen - sagte sie.
Tante Anna, ihre Schwester, hatte sehr viele Kontakte in Berlin.
War ja vorteilhaft, doch wie ließ sich zu dieser Zeit überhaupt ein Treffen organisieren?.
Doch eines Tages stand Opa vor der Tür und schwenkte ein Paar braune Lederschnürschuhe vor sich her. Sogar mit Schnürbändern!
Ein Hurra erfüllte das Haus und ich schlüpfte sofort rein.
Was ist, was ist - fragte man. Ich kahnte in den Dingern rum.
Naja, sie waren hart und mit unbequemen Falten, die auf die Zehen drückten und auch die Sohle war so steif. Aber es waren Schuhe.
Omis Strümpfe rausgeholt, etliche übereinander gezogen, bis ich ein Gefühl der Stabilität bekam.
Mensch, waren das Kähne. Viel zu groß, ich mußte erneut laufen lernen. Doch auch daran kann man sich gewöhnen.
Opa holte sein Wichsfett raus und massierte und schmierte, spuckte drauf und bürstete wieder, bis sie in vollem Glanz erblühten.
Braune überknöchelhohe Winterstiefel.
Der Winter konnte kommen.
Man zurrte und schnürte, doch vorsichtig, kein Schnürsenkel durfte reißen - denn Ersatz war schlecht zu ersetzen.
Den ersten Winter haben sie recht gut überstanden, im zweiten Winter paßten sie mit weniger Socken auch noch, doch nach drei Wintern paßte mein Fuß nicht mal barfuß rein.
Oh große Not, wo gibt es Schuhe für das Kind?
Der Winter kündigte sich massiv und langsam an -- meine Igelitt-Schuhe wurden bei den Temperaturen steif und steifer, doch schliddern konnte man damit bombastisch.
Doch die Lösung bei Schnee und Eis war das nicht.
Die Verwandtschaft klapperte wieder die Kinderfamilien ab - doch keine Ausbeute war das Ergebnis.
Aus Schmerz, aus Wut oder sondersgleichen, ging ich zum Hauswirt in den Werkstattkeller - was auch verboten war. Schnappte mir eine handliche Säge, spannte den Schuh in den Schraubstock ein, zog ganz fest, so wie ich das bei Onkel Goerke gesehen hatte und sägte die Spitze vom Schuh einfach ab. Ich paßte an und ja, der große Zeh hatte wieder Platz.
Und als ich noch mit dem zweiten Schuh beschäftigt war - hörte ich meine Mutter die Kellertreppe runterkommen.
Jetzt war alles zu spät - ich versteckte mich hinter einem Regal.
Oh nein, sie kommt in die Werkstatt rein, der Schuh steckte noch im Schraubstock drin und natürlich sah sie ihn sofort.
"Moni komm raus"! es war ein Befehl.
Zögerlich verließ ich mein Versteck - doch Mutti stand grinsend da.
Baff, das war neu an ihr.
Nun säge weiter, es sind doch deine Schuhe, sagte sie.
Mein Werk war vollendet, ich schlich nach oben, doch sie lachte nur.
"Und deine Zehen, sollen sie in der Kälte hängen?"
Naja besser als der ganze Fuß.
doch nun wurden Omis Strümpfe so "Geschrumpft", daß die Zehen dreifach mit Socke eingemummelt waren.
Die Zehen habe ich trotzdem erfroren, doch irgendwann hatte ich auch wieder passende Schuhe.
Auch wenn die Zehen noch jahrelang Schmerzen bereiteten - ich hielt aus.
mit frierenden Zehen-Grüßen
euer eiskaltes Finchen





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Kommentare (4)

samti was holst du aus unseren Erinnerungsfetzen ans Tageslicht. Was glaubst du, was mir angedreht wurde. Von irgendeinem Nachbaropa kam meine Oma mit ihrer Trophäe. Schnabelschuhe, die ich anziehen mußte. Himmel, habe ich mich geschämt. Obwohl im Sommer immer barfuß,war das aber die einzige Möglichkeit nicht zu erfrieren. Also, das hatte ich wirklich vergessen. Jetzt kann das wohl kaum noch jemand glauben, wie das damals war. Gut dass wir uns noch erinnern können. Gruß Helga
Traute Hätte ich Dich neben mir gehabt, wir hätten besser überlebt, als mit meiner schwerfälligen (nicht bös gemeint) Schwester.
Wenn die Zeiten so furchtbar werden muß helle und schnelle sein und mit Dir hätte das geklappt. Wir hätten den Russen noch eine Nase drehen können.
Obwohl Du ja (ich gönne es Dir von Herzen) ein paar kleine Jahre jünger bist. In der Kindheit und im Alter ist schon ein Jahr sehr wirksam.
Mit ganz freundlichen Grüßen,
Traute
finchen solche "Schlorren" hatte ich auch. Opa schnitze eine Sohle aus Holz, opferte seine Schweinsleder-Aktentasche und schnitzte Riemen für die Holzsohle.Oh nein, wie sind wir bloß groß geworden? Und trotzdem muß ich immer wieder sagen, ich war wesentlich besser dran, als Du.
Du, wir zwei können wirklich was erzählen - ich nur auf meinem kleinen Raum - doch Du, mir vergeht sämtliche Vorstellungskraft, daß überleben zu können.
Darum sei ganz innigst gegrüßt
Dein Moni-Finchen
Traute Da mögen die jungen Hüpfer denken, das kann doch nicht wahr sein, es ist wahr ich beschwöre es. Die obere Kappe vorne wurde abgeschnitten und der Schuh sah einer Sandalette ähnlicher, war auch nicht mehr wasserdicht, aber der Rest des Fußes war geborgen.
Mein Stiefopa, hatte einen Wachsklumpen, da zog er Paketgarn durch und nähte damit Schuhe. Auch Schlorren wurden hergestellt. Von alten zu kleinen Schuhen wurde Leder auf die Lindenholzsohle genagelt und es klapperte nur so, wenn die Kinder durch das Städtchen zu Schule liefen. Nun ist das besser für unsere Kinder, aber spannender ist es nicht.
Mit ganz freundlichen Grüßen.
Traute

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