Mitternocht am Rousnbargl


Es ist Ende September. Die Tage werden schon merklich kürzer, der Abend kommt schneller.
Seit dem frühen Morgen sich sie auf den Beinen, der Zimmermann Wilhelm Stelzig, auch Löslscheiderswilhelm genannt, mit seinen Schwiegersöhnen, den Philipprudl aus Losdarfl und den Staatsbeamten Emil Hanke, der Stroußnraimä aus Besduf. Auch Wilhelm Nachbar Franz aus der Saachnschmedä ist dabei. Gemeinsam wollen sie einen guten Bekannten "ai Rousduf" beim Hausbau helfen.
Zeitig in der Früh treffen sie dort ein. Fast ohne Pause wird fleißig durchgearbeitet. Nur ein kurzes Vesperbrot erlauben sie sich, weil der Dachstuhl bis zur Dämmerung noch fertig werden muß. Sein dritter Schwiegersohn, der Emil von Hillnatzn, Dittrichsemil, der dritte Schwiegersohn, gehört auch zum Bautrupp.
Da auch das Wetter schnell umschlagen kann, spucken sie in die Hände, packen kräftig zu.
Es dämmert schon, da sich sie mit der Arbeit fertig, setzen den Richtbaum auf. Der anschließende Richtschmauß wird sorgfältig nach alter Gepflogenheit und Regel des Zimmermann Handwerkes ausgeführt, damit böse Geister, Feuer und Sturm dem neuen Haus nichts anhaben können.
Zimmerman Wilhelm Stelzig, Dachstuhlbesitzer mit Familie und Verwandtschaft sprechen Dankesworte, heben wiederholt gefüllte Gläser und wünschen dem Haus nur das Beste.
Die Feierlichkeit zieht sich so für alle Beteiligten unbemerkt in die Länge und beim Licht der Petroleumlampen wird die erweiterte Familienrunde von Hillnatzns Freunde schon gemütlicher. Immer wieder ertönen Prost Worte. Kräftiger stoßen die stabilen Gläser zusammen.
Schon rückt die elfte Stunde näher. Da besinnen sich die Wackeren, daß sie noch ein gutes Stück des Heimweges vor sich haben. Ein letztes Mal prosten sie mit kräftigheißeren Stimmen in die Dunkelheit Richtung Dachstuhl und zum Familienoberhaupt.
Dann ziehen sie los.
Nachbar Franz aus der Saachnschmkedä übernimmt die Spitze. Familienvater Wilhelm mit etwas schwereren Füßen,hakt sich für alle Fälle bei seinen Schwiegersöhnen, den in Lousduf gebürtigen Philipprudl zur Rechten und Hanke Emil, ein in Elbleiten geborene, braver Zappenländer, zur Linken ein.
Zu dritt schreitet Vater Stelzig mit seinen angeheirateten Söhnen brav voran, um den schon im Dunkeln verschwundenen Franz wieder einzuholen. Der Franz aus der Saachnschmeede pfeift stets ein lustiges Liedl, wenn er alleine ist. Das tut er auch immer, wenn es Bier gab. Er meint,das Pfeifen verkürze die Zeit, macht das Laufen gemütlicher. Davon ist er ganz fest überzeugt.
Eine Zeitlang orientieren sich die Drei von der Löslschneider Familie nach dem voraus laufenden Liedl Pfeifer Franz.
Doch dann wird sein Liedl immer leiser und verstummt schließlich ganz. Mit schwankenden Beinen und lauter Stimme schaffen die Drei die ansteigende Straße unterhalb des Rosenberges. Die lustig fidele Truppe hat ordentlich einen gekümmelt. Die Schnapsgeister vom Richtschmauß noch im Leibe, erzählen sie sich ihre Abenteuer aus vergangener Jugendzeit.
Schwiegervater Wilhelm taut so richtig auf. Manchen Schwank aus der Rekrutenzeit gibt er zum Besten, stellt sich auch als tollen Draufgänger in der Burschenzeit vor. Dabei bleiben die Drei manchmal stehen, um ganz bestimmte Erinnerungen deutlicher zu demonstrieren.
Langsam, aber unaufhaltsam rückt die Uhr auf Mitternacht zu. Wie das nun so ist bei Beschwipsten, das Ausschreiten wird immer komplizierter. So stiefeln sie langsam und bedächtig weiter auf der Straßenmitte heimwärts Richtung Binsdorf.
Zu beiden Seiten recken sich die Kiefern und Fichten der Waldung zwischen den beiden Dörfern immer höher in die Dunkelheit und nicken den einsamen Wanderern unbemerkt zu.
Schwiegervater Wilhelm findet, daß man doch mal Halt machen soll, weil das viele Bier im Leib dringlich einen Ausweg suche. Mit großem Einverständnis lösen sich die Eingehakten. Polternd verschwinden die beiden Schwiegersöhne im dusteren Unterholz.
Auch der Zimmermann bemüht sich, ohne Schaden zu nehmen, etwa 20 Schritt weiter, um den gegenüber liegenden Straßengraben zu bezwingen.
Er schafft es.
Ermutigt schreitet Wilhelm Stelzig tastend durch dichtes Unterholz bis er, nach seiner Meinung, den richtigen Platz befunden hat. Ist das eine Wohltat und lehnt sich aufatmend an einen Baumstamm.
Es muß ein kurzer Minutenschlaf gewesen sein.
Oder war es länger?
Die Nachtkühle empfindet Zimmermann Wilhelm augenblicklich sehr
wohltuend und genießt so die Erfrischung ausgiebig.
Immer noch stockdunkel ringsum.
Suchend tastet jetzt der so Erfrischte um sich herum. Kein Laut dringt an sein Ohr. Seine Gedanken springen im Kopf kreuz und quer, wie Feldhasen im Frühling. Er kann sich nicht so richtig konzentrieren, in welcher Richtung liegt nun sein zu Hause? Nach seiner Erinnerung muß er kurz vor dem Arnsdorfer Bad zu seiner Rechten sein.
Aber, wo war die Straße?
Wo sind seine Schwiegersöhne?
Da wird es ihm doch etwas unheimlich in der Magengegend.
Was nun, warten bis es Tag wird? Das kommt für ihn als Zimmermann nicht in Frage!
Immer noch tanzen die Rousduffer Biergeister mit den Schnapsteufelchens um die Wette in seinem Koppe herum.
Wilhelm findet schließlich einen kräftigen Knüppel beim Herumtasten und entschließt sich, geradeaus los zu marschieren. Schon nach kurzer Zeit holt er sich am nächst stehendem Baumstamm eine ordentliche Brüsche am Kopf.
Philipprudl und Emil, der Staatsbeamte, finden inzwischen wieder gemeinsam auf die Straße. Schweigend warten sie auf das Familienoberhaupt. Die Zeit vergeht. Emil guckt angestrengt nach oben.
"Siehste was", fragt ihm der Rudl.
"Noch nischt", meint Emil. "Aber, wenn ich den Nordstern finde, dann kann ich dir sagen, wie spät es sein könnte", erklärt ihm Schwager Emil im Hochdeutsch mit rollender Aussprache.
Philipprudl überlegt, warum der Nordstern eine Uhrzeit sagen kann. Doch sein Nachdenken nutzt nicht viel. Er konzentriert sich auf die Straße vor ihnen, denn das erscheint ihm viel wichtiger in der gegenwärtigen Lage.
Plötzlich sieht er weit vorne ein tanzende Lichtl, das wie schwebend auf die Beiden zusteuert.
"Emil, guckä doch", spricht flüsternd Philipprudl und schubst seinen Schwager an. "Dos ist een Geist, der uns in den Sumpf locken will".
Schwager Emil hält vor Respekt die Luft an. Mit Geistern will er nichts zu tun haben, noch weniger mit den Sumpfgeistern! Das kann er sich als Staatsbeamter nicht leisten.
"Rudl", pfischelt Schwager Emil zurück, so nennt Schwager Emil seinen Schwager Rudolf nur, wenn er etwas von ihm haben möchte. "Rudl, wos machen wir nun, Vater ist doch nicht da".
Schwager Rudolf weiß es auch nicht so genau. Das Geisterlicht tanzt immer weiter vor ihnen, verhält auf der Stelle, wendet sich nach rechts und dann nach links.
Jetzt verharrt das Licht in halber Höhe.
"Emil, wir müssen uns wehren", ergreift Schwager Rudolf die Initiative. Allen Biergeistern und Schnopsteufelchen zum Trotze, krempelt er vorsichtshalber schon den rechten Hemdsärmel hoch.
"Lous Emil", fordert Schwager Rudl, "nur Mut, den Geiste schaffen wir".
Schwager Emil zögert. Hauerei und Staatsdienst, das geht nicht! Wo bleibt da seine Autorität als Respektsperson?
Emil wird sofort nüchtern.
"Nee Rudolf, das kannste nicht von mir verlangen", meint er energisch in staatsdienerreiner Aussprache. "Da geh ich lieber wieder nach Rosendorf", dreht sich um und will wirklich los.
"Hier bleibste Emil, dou vorne sein och die Sumpfgeiastä", flüstert beschwörend der Rudl und hält den Emil am Ärmel feste.
Emil bleibt auch sofort stehen und rührt sich nicht mehr von der Stelle.
"Wos mochmä blu0, was mochmä dou bluß Dudl", kommt wieder flüstern seine Stimme an Rudls Ohr.
Der Emil wird von erdrückender Sorge um sein persönliches Wohl geplagt.
"Rudl, wo bleibt blo0 der Papa?.
Beide schweigen.
Jetzt hüpft das Lichtl auf und ab, erlischt minutenlang. Emil und Rudolf atmen kaum. Wilhelm das Familienoberhaupt, läßt Nichts von sich hören.
Alles totenstill.
Auch die Tannen und Kiefern schweigen. Kein raschelnder Windhaus stört die Beiden zu dieser unheimlichen Mitternachtsstunde auf der Rosendorfer Straße.
Wieder zeigt sich das Lichtl, daß es noch da sei. Weit vorn schwimmt der schwache Schein in der Dunkelheit auf und nieder.
Zum schwebendem Lichtl kommt jetzt noch ein ungewohntes Geräusch. Es hört sich an wie ein Scharren, als ob ein großes Wesen irgend etwas auf groben Schotter zieht.
Schwager Emil wird nervös. Was mag das wohl sein? Emil glaubt zu erraten, was das ist: Es könnten schnaubende Wildtiere, oder gar ein Bär sein, der ein tot gebissenes Viech, einen Hirsch über die Straße zieht!
Schwiegersohn Emil fühlt, wie eine Gänsehaut nach der anderen seinem Buckel runter kriecht. Gleich hält er den Arm seines mutigen Schwagers Eudl fester, sucht den Platz hinter dessen Schulter.
Schwager Rudl krempelt jetzt den linken Hemdsärmel hoch. Emil duckt seine ganze Persönlichkeit ganz hinter Schwager Rudls Kreuz, denn dort fühlt er sich jetzt ganz sicher.
Lauter wird das schlurfendschnaubende Geräusch, begleitet von Auf und Ab des Lichtls.
Die unsichtbare Entfernung wird geringer. Da erfühlt plötzlich Philipprudl Lebenswille die anrückende unsichtbare Gefahr und zwingt ihn zum sofortigen Handeln. Trotz noch vorhandenen Biergeistern besinnt er sich auf das Erlernte aus seiner tschechischen, nicht gerade angenehmen Rekrutenzeit. Er geht sofort in Ausfallstellung: "Halt, wer dä a bist, bleibst sufort stehen!! Uff dä Ställe! Sufort", ruft er laut in die Nacht hinein. Dabei stampft der ehemalige Rekrut laut mit dem rechten Fuß, sein kräftiges Standbein, auf die Stra0e.
Durch die hastige Körperbewegung kommt hinter ihm Schwager Emil in seiner ganzen Körperlänge ins Straucheln. Jetzt stolpert er, fällt zu Boden und glaubt, das Untier habe bereit den Rudl angefallen.
"Halft uns! Halft uns doche!!
Alles was seine Lungen hergeben steckt in Emils schmetterdem Hilferuf. Von ganz weit her kommt Sekunden später wehklagend das Echo aus dem Rosendorfer Wald zurück.
Philipprudl steht noch immer kampfbereit auf der Rosendorfer Straße Richtung Binsdorf.
Das Lichtl verharrt seit dem Hilferuf wie angewurtelt. Jetzt steigt es in Mannshöhe. Eine erschrockene Stimme dringt an die Ohren des immer noch zur Hauerei kampfbereiten Philliprudl.
"Menschenskind, seid ihr dos Rudi und Emil?? Bin eech froh!"
Ein vom Feuerzeug beleuchtetes Gesicht guckt die Beiden an.
Jetzt erkennen sie es. Das Gesichte da vorne, nur noch vier Armlängen weg, gehört ihrem Mitstreiter, Sachnschmeds Franzen.
Philipprudl überwindet als erster die Überraschung.
"Franz, Du bist doch ein selten dämliches Rindvieh! Wie konnteste uns so erschrecken".
Franz, das "dämliche Rindviehch, fällt dem Philipprudl fast um den Hals. Beim flackernden Schein des Feuerzeuges sehen sie sein Gesicht, zerschunden und erdbraun.
"Hot dich ä Wulf ongfolln", will Emil, der sich von der Straße aufgerappelt hat und jetzt wieder hinter Rudls Rücken steht, wissen.
" Bin ein Grobn pfolln, dann hobsch uff Aich gewartet", erklärt der Franz.
Noch während die Drei dischkerieren, findet auch Schwiegervater Wilhelm aus der Dunkelheit heraus den Weg zu seinen Schwiegersöhnen.
Friedlich ziehen sie nun ihres Weges, vorbei an der Lichtlpfütze, wo die echten Lichtpfützelkobolde ihre nächtliche Reigen über dem Moos tanzen.
Fröhlich summen sie mit, als Sachnschmeedsfranz seine Liedl anstimmt, "Weil es die Zeit verkürzt und das Laufen gemütlicher macht", wie Franz zu sagen pflegt.
So sind alle Vier singend und ohne weitere Schäden an Leib und Seele jeder bei sich zu Hause gut angekommen. Bis weit in den Morgen hinein dauert ihr gesunder, tiefer Erholungsschlaf.
Viel gab es dann beim Federreißen und anderen Gelegenheiten zu erzählen, manch volles Glas Bier bekamen die tapferen Bauleut' spendiert. Der nächste Richtschmauß, so haben sie sich's versprochen, machen sie wieder gemeinsam.









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Kommentare (1)

finchen mit lieben Gruß
das Finchen

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