Mit was für einen Zug fuhren wir?
23./24. Dezember 1943
Eichwalde bekam in dieser Nacht gleich zweimal Fliegeralarm. Und auch ganz schön was auf die Mütze. Es wurde unserer Mutter klar, dass sie dem Rat ihrer Schwester folgen sollte, mit uns sechs Rangen von Berlin wegzugehen, also uns zu evakuieren (ein neues Wort für uns). Möglichst weit weg.
16.Januar 1944
Wieder war Eichwalde dran. Also nix wie raus! Schnell zu Schumanns und unseren Vater informieren, der bei den Landesschützen in der Greifswalder Straße Dienst schob.
Packen! Hurtig! Jedes der größeren Geschwister wusste schon, wo er hinlangen musste. Auch Wera, unsere Ukrainerin, packte mit an.
Es wurde schon dunkel, als Vater ankam. Mutter hatte erfahren, dass unser Zug vom Anhalter Bahnhof abgehen sollte – Und: der sollte schon eine Stunde früher raus wegen der zu erwartenden Fliegeralarme.
Vater begleitete uns zum Anhalter. Muter bekam mit den Kleinen – ich war schon zu groß – Platz im Abteil „Mutter und Kind“, während Wera und ich auf unsere Koffer im Gang setzen mussten. Es war dunkel als der Zug die Bahnhofshalle verließ. Vater blieb zurück.
Den Anfang der Strecke kannte ich ja von den Besuchen bei Vater, als er noch in Jüterbog stationiert war. Wenige Lichter waren zu sehen. Rauchschwaden, von der Lokomotive ausgestoßen, glitten vorbei. Das gleichmäßige Rattern über die Schienenstöße, ab und an das Überfahren einer Weiche, ein Bahnhof wurde passiert, und wieder das Monotone.
Ich blieb wach, für mich immer das Spannende: was kommt jetzt?! Da wurde der Zug „gestellt“ (angehalten). „Fliegeralarm! Licht aus!“ Es ging weiter. Schwach leuchteten die von innen beleuchteten Stationsnamen herüber, wenn ein Bahnhof durchfahren wurde.
Halle an der Saale! Fliegeralarm? Die Bahnhofshalle hell beleuchtet. Kurzer Halt – vielleicht zum Wasserfassen? Es ging weiter, die Dunkelheit hatte uns wieder.
Sangerhausen! Aha, wir fahren durch den Südharz – da wohnte doch Großmutter Müller, 1941 war ich bei ihr zu Besuch in Stolberg. Gleich hinter Sangerhausen der Tunnel! Den Kyffhäuser kann man nicht sehen. Zu dunkel!
Durch Berga-Kelbra – da ging es ab nach Stolberg. Nun kommt „Neuland“! Der Zug fuhr ganz langsam. Irgendetwas musste voraus sein. Feuerschein, wir fuhren darauf zu.
Nordhausen! Nordhausen brannte. Der Zug hielt kurz und fuhr gleich weiter. Feuer kannte wir schon, aber da im Zug dran vorbeifahren – das war neu, das prägte sich ein.
Schlafen? Nein! Da kam doch immer wieder jemand durch den vollgestopften Gang, wollte oder musste durch. Die „Kettenhunde“ (Feldjäger mit ihrem Blechschild auf der Brust) kontrollierten – Wera bekam es mit der Angst zu tun, Mutter beruhigte sie.
Kassel! Die Bahnhofshalle in hellem Licht. Hier machte der Zug „Kopf“ (die Lokomotive bleibt hier, am anderen Ende des Zuges wird eine andere Lok angekoppelt). Irgendwie trostlose Stille in der Halle – es ist ja längst Nacht.
Irgendwie muss ich doch wohl eingenickt sein, ich war von meinem Koffer abgerutscht – recht ungemütlich. Ich brauchte einige Zeit, mit mir klarzukommen.
Fertigmachen zum Aussteigen! Gleich kommt Hanau Hauptbahnhof! Jetzt erst merkte ich die Müdigkeit.
Hanau! Da standen wir an dem November-Morgen auf dem Bahnsteig – kein Dach, einfach nur Bahnsteig. Unser Zug fuhr weiter, ließ uns hier fröstelnd stehen.
Wir hatten Zeit zum Zug in Richtung Erbach im Odenwald. Der Zug soll zuviel Verspätung gehabt haben, dass unser Anschlusszug schon weg war.
Schließlich saßen wir in einem Zug. Der war kalt und klamm. Das war kein D-Zug, das war so ein richtiger Bummelzug. Bis nach Wiebelsbach-Heubach brachte er uns, dann war seine Arbeit zu Ende. Und wir waren immer noch nicht an Ziel.
Die Lokomotive, die uns bis hierher gebracht hatte, stand vor dem kleinen Lok-Schuppen. „Piff-peff, piff-peff, piff-peff“ stöhnte sie beim Pressluftsammeln. Immer und immer wieder.
Der Aufsichtsbeamte verwies uns in seinen tollen Luftschutzkeller, weil wieder Luftalarm war. Mutter hielt es mit uns Kindern in dem Keller nicht lange aus. Bloß raus hier.
Erst am Nachmittag kam ein Zug aus Darmstadt, mit dem es endlich bis nach Erbach ging. Cousine Ute holte uns am Bahnhof ab. Sie kam mit einem Handwagen, was uns den Weg vom Bahnhof hinauf zur Stadt leichter machte.
Tja, da waren wir nun, konnten erst einmal bei den Fleischmanns unterkriechen. Ich durfte mit, als es mit Mutter und ihrer Schwester zuerst mit dem Bus zur Spreng und dann zu Fuß das Kainsbach-Tal hinunter ging. Wir machten Quartier – Quartier für ein halbes Jahr Evakuierung.
Heute versuche ich aus alten Kursbüchern heraus zu bekommen, wie der Zug hieß und fuhr, der uns so wie da oben geschildert, in den Odenwald gebracht hatte – vom Anhalter Bahnhof in Berlin bis zum Hauptbahnhof Hanau.
Ich bewundere unsere Mutter immer wieder mit ihren Aktionen.
Orden?
Nebenbei: sie trug als Rotekreuzschwester stolz das silberne Mutterkreuz – manchmal, um sich leichter Beachtung zu verschaffen.
Und als die Russen die Regierung übernommen hatten, war sie weiterhin Flüchtlingswart.
Und als wir in den Westen ausgewandert waren, war sie wieder Flüchtlingswart
– bis sie es aufgab, weil sie sich doch so keinen Bezugschein zuteilen konnte.
Die Aufgabe übernahm dann Frau von Merkatz.
Eichwalde bekam in dieser Nacht gleich zweimal Fliegeralarm. Und auch ganz schön was auf die Mütze. Es wurde unserer Mutter klar, dass sie dem Rat ihrer Schwester folgen sollte, mit uns sechs Rangen von Berlin wegzugehen, also uns zu evakuieren (ein neues Wort für uns). Möglichst weit weg.
16.Januar 1944
Wieder war Eichwalde dran. Also nix wie raus! Schnell zu Schumanns und unseren Vater informieren, der bei den Landesschützen in der Greifswalder Straße Dienst schob.
Packen! Hurtig! Jedes der größeren Geschwister wusste schon, wo er hinlangen musste. Auch Wera, unsere Ukrainerin, packte mit an.
Es wurde schon dunkel, als Vater ankam. Mutter hatte erfahren, dass unser Zug vom Anhalter Bahnhof abgehen sollte – Und: der sollte schon eine Stunde früher raus wegen der zu erwartenden Fliegeralarme.
Vater begleitete uns zum Anhalter. Muter bekam mit den Kleinen – ich war schon zu groß – Platz im Abteil „Mutter und Kind“, während Wera und ich auf unsere Koffer im Gang setzen mussten. Es war dunkel als der Zug die Bahnhofshalle verließ. Vater blieb zurück.
Den Anfang der Strecke kannte ich ja von den Besuchen bei Vater, als er noch in Jüterbog stationiert war. Wenige Lichter waren zu sehen. Rauchschwaden, von der Lokomotive ausgestoßen, glitten vorbei. Das gleichmäßige Rattern über die Schienenstöße, ab und an das Überfahren einer Weiche, ein Bahnhof wurde passiert, und wieder das Monotone.
Ich blieb wach, für mich immer das Spannende: was kommt jetzt?! Da wurde der Zug „gestellt“ (angehalten). „Fliegeralarm! Licht aus!“ Es ging weiter. Schwach leuchteten die von innen beleuchteten Stationsnamen herüber, wenn ein Bahnhof durchfahren wurde.
Halle an der Saale! Fliegeralarm? Die Bahnhofshalle hell beleuchtet. Kurzer Halt – vielleicht zum Wasserfassen? Es ging weiter, die Dunkelheit hatte uns wieder.
Sangerhausen! Aha, wir fahren durch den Südharz – da wohnte doch Großmutter Müller, 1941 war ich bei ihr zu Besuch in Stolberg. Gleich hinter Sangerhausen der Tunnel! Den Kyffhäuser kann man nicht sehen. Zu dunkel!
Durch Berga-Kelbra – da ging es ab nach Stolberg. Nun kommt „Neuland“! Der Zug fuhr ganz langsam. Irgendetwas musste voraus sein. Feuerschein, wir fuhren darauf zu.
Nordhausen! Nordhausen brannte. Der Zug hielt kurz und fuhr gleich weiter. Feuer kannte wir schon, aber da im Zug dran vorbeifahren – das war neu, das prägte sich ein.
Schlafen? Nein! Da kam doch immer wieder jemand durch den vollgestopften Gang, wollte oder musste durch. Die „Kettenhunde“ (Feldjäger mit ihrem Blechschild auf der Brust) kontrollierten – Wera bekam es mit der Angst zu tun, Mutter beruhigte sie.
Kassel! Die Bahnhofshalle in hellem Licht. Hier machte der Zug „Kopf“ (die Lokomotive bleibt hier, am anderen Ende des Zuges wird eine andere Lok angekoppelt). Irgendwie trostlose Stille in der Halle – es ist ja längst Nacht.
Irgendwie muss ich doch wohl eingenickt sein, ich war von meinem Koffer abgerutscht – recht ungemütlich. Ich brauchte einige Zeit, mit mir klarzukommen.
Fertigmachen zum Aussteigen! Gleich kommt Hanau Hauptbahnhof! Jetzt erst merkte ich die Müdigkeit.
Hanau! Da standen wir an dem November-Morgen auf dem Bahnsteig – kein Dach, einfach nur Bahnsteig. Unser Zug fuhr weiter, ließ uns hier fröstelnd stehen.
Wir hatten Zeit zum Zug in Richtung Erbach im Odenwald. Der Zug soll zuviel Verspätung gehabt haben, dass unser Anschlusszug schon weg war.
Schließlich saßen wir in einem Zug. Der war kalt und klamm. Das war kein D-Zug, das war so ein richtiger Bummelzug. Bis nach Wiebelsbach-Heubach brachte er uns, dann war seine Arbeit zu Ende. Und wir waren immer noch nicht an Ziel.
Die Lokomotive, die uns bis hierher gebracht hatte, stand vor dem kleinen Lok-Schuppen. „Piff-peff, piff-peff, piff-peff“ stöhnte sie beim Pressluftsammeln. Immer und immer wieder.
Der Aufsichtsbeamte verwies uns in seinen tollen Luftschutzkeller, weil wieder Luftalarm war. Mutter hielt es mit uns Kindern in dem Keller nicht lange aus. Bloß raus hier.
Erst am Nachmittag kam ein Zug aus Darmstadt, mit dem es endlich bis nach Erbach ging. Cousine Ute holte uns am Bahnhof ab. Sie kam mit einem Handwagen, was uns den Weg vom Bahnhof hinauf zur Stadt leichter machte.
Tja, da waren wir nun, konnten erst einmal bei den Fleischmanns unterkriechen. Ich durfte mit, als es mit Mutter und ihrer Schwester zuerst mit dem Bus zur Spreng und dann zu Fuß das Kainsbach-Tal hinunter ging. Wir machten Quartier – Quartier für ein halbes Jahr Evakuierung.
Heute versuche ich aus alten Kursbüchern heraus zu bekommen, wie der Zug hieß und fuhr, der uns so wie da oben geschildert, in den Odenwald gebracht hatte – vom Anhalter Bahnhof in Berlin bis zum Hauptbahnhof Hanau.
Ich bewundere unsere Mutter immer wieder mit ihren Aktionen.
Orden?
Nebenbei: sie trug als Rotekreuzschwester stolz das silberne Mutterkreuz – manchmal, um sich leichter Beachtung zu verschaffen.
Und als die Russen die Regierung übernommen hatten, war sie weiterhin Flüchtlingswart.
Und als wir in den Westen ausgewandert waren, war sie wieder Flüchtlingswart
– bis sie es aufgab, weil sie sich doch so keinen Bezugschein zuteilen konnte.
Die Aufgabe übernahm dann Frau von Merkatz.
ortwin
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