Mit dem Wohnmobil durch Skandinavien, Teil 3, Ost-Schweden


Mit dem Wohnmobil durch Skandinavien, Teil 3, Ost-Schweden

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Schnell umfangen den Reisenden lichte Laubwälder am Zubringer zur Europastraße. Ab und zu kommt noch ein Auto entgegen. Die ländliche Idylle lässt schnell vergangen Unbill verblassen.
 Dann die Einfahrt in die neu ausgebaute Schnellstraße. Die Wunden, die sie in die Natur gerissen hat, sind bei weitem noch nicht verheilt. Darum soll die anstehende Mittagsrast der Mannschaft etwas abseits im Wald gemütliche Ruhe und Erholung bringen. Der geschotterte Platz hinter der Straßenbrücke scheint genau richtig zu sein. Natürlich sind wir die Einzigen, die sich der Hast der Autobahn entzogen und die Stille gesucht haben. Leider sorgt offensichtlich das Inventar des Platzes für die Einsamkeit. Bei näherer Betrachtung fallen zahlreiche Einschusslöcher und das zerschossene Heckfenster des nebenan geparkten PKW' s ins Auge. Das ist nun auch nicht direkt das gesuchte Ambiente für die Rast. Da bleibt nur die Weiterfahrt zum nächsten Parkplatz der leider unmittelbar an der Schnellstraße liegt. Doch für den kurzen Zwischenstopp tut er' s allemal. 
 Ursprünglich hatten wir geplant, Schweden auf einer extra Reise kennen zu lernen und die E 04 nur als Transitstrecke für den Heimweg zu nutzen. Aber deshalb die Sehenswürdigkeiten am Wegrand liegen lassen? Nie und nimmer! So wird das Kirchdorf Lulea zum nächsten Fixpunkt. 
 Heute heißt der ursprüngliche Ort Gammelstaden. Durch die Landhebung war der Hafen Luleas unbrauchbar geworden und die Bürger siedelten sich 11 Kilometer weiter zum Meer hin neu an. Natürlich nahmen sie auch den Ortsnamen mit ins neue Lulea. 
 Gammelstaden ist in erster Linie die große Steinkirche mit den um sie gescharten Kirchhäusern. Diese sind. ähnlich wie die Kirchställe im finnischen Närpes, auch wegen der Weitläufigkeit des kirchlichen Gemeindegebietes entstanden. Nur sind es hier keine Ställe, sondern richtige kleine Wohnhäuser. Kein Wunder, die Kirchgänger wollten es nach der mehrtägigen Anreise bequem haben. Immerhin reichte das Gemeindegebiet bis an die norwegische Grenze hinüber. 
 Am Ortsrand nimmt das Wohnmobil ein kleiner Parkplatz mit Informationsstand auf. Es ist sehr ruhig beim Spaziergang durch die Sträßchen zum Kirchhügel hinauf. "Schon wieder Kirche!", entfährt es meiner Gattin. Aber so ist es nun mal. Hunderte von Jahren an Geschichte, Kunst und Kultur haben sich in den Gotteshäusern angesammelt. Es sei auch nicht verschwiegen, dass nicht nur die Gläubigkeit der Gemeindemitglieder und das Imponiergehabe ihrer Führer den finanziellen Grundstein für diese Art Gott zu loben legten, sondern zum Lob des Herrn auch viel Fronarbeit eingefordert wurde und viel Blut geflossen ist. Kirche+Gasse.JPG
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  Die Bauern aus Lulea sollen den Schnitzaltar, angefertigt 1520 in Antwerpen, einfach bar bezahlt haben. Allerdings kostete das barocke Kleinod die damals unvorstellbare Summe von 900 Silbermark. Es ist aber nicht nur der Altar, die barocke Pracht zieht sich durch das ganze Kirchenschiff. Da ist noch die Kanzel mit dem geschnitzten Aufgang und die Malerei des Kreuzrippengewölbes im Chor. Die kunstvolle, filigrane Malerei stammt freilich aus dem späten Mittelalter und konnte, nachdem sie im 18. Jahrhundert über kalkt  wurde, 1909 wieder freigelegt und restauriert werden. 
 Wieder im Freien, schlagen mich sogleich die vor dem gegenüber liegenden Kaffee abgestellten, schweren Motorräder in den Bann. Nach kurzer Verschnaufpause führt der Rundgang erst über die Brücke in Richtung Stadt. Doch da reihen sich moderne Siedlungshäuser aneinander, die zwar gepflegt, aber nicht nach unserem Geschmack sind. So wendet man sich wiederum der Kirchstadt zu. Sie ist sogar UNESCO Weltkulturerbe. Nur müssen die kleinen, roten Häuschen zeitweise, längerfristig bewohnt sein, um diesen Status zu erhalten. So verbringen die Konfirmanden ihre mehrwöchige Vorbereitungszeit als Bürger der Kirchstadt. Nebenbei bemüht man sich auch darum den alten Brauch wieder aufleben zu lassen. Man geht nicht einfach auf die Jahrmärkte um anschließend nach Hause zu fahren, sondern nächtigt wie früher in den angestammten Domizilen. 
 Wir haben noch nicht vor zu übernachten. Darum schlendert man gemächlich durch die Gässchen zurück zum Mobil. Nebenan grasen ruhig Pferde auf der Weide, wie das Auto den Weg zurück zur E 04 sucht. 
 Immer wieder weisen große Werbetafeln auf Campingplätze direkt am Meer hin. Ab und zu reagiere ich zu langsam für die Ausfahrt, dann ist schon die nächste Stadt da und unser Plätzchen soll doch ein wenig außerhalb liegen. Wie schon so oft, ist es wieder spät geworden. Der schier unendlich lange Tag verleitet dazu, die Uhrzeit zu vergessen. Schließlich geht' s dann doch die Ausfahrt von Byske raus, obwohl der Ort als touristische Hochburg bekannt ist. Im Grün der Abzweigung steht riesengroß die Reklametafel für den Supercampingplatz mit soundso vielen Sternen direkt am Meer. Unsere Aufmerksamkeit erregt jedoch das Stück abgerissene Pappe mit dem hingekritzelten Wort "Camping" und dem landeinwärts weisenden Pfeil. Wir blicken uns fragend an und - folgen dem Pfeil aus Pappe. Nach wenigen Kilometern findet sich der nächste Hinweis zu dem ehemaligen Bauernhof, dessen weitläufiger Hofraum direkt an den Byskavälen grenzt. Nur ein abgestellter Wohnwagen am Gelände und wir dürfen unseren Standplatz frei am Hochufer des Flusses auswählen. 
 Nachdem der Hofbesitzer noch schnell den Obolus für die Ferienhütten von zwei abreisenden Familien kassiert hat, kommt er auf einen Sprung zu uns. Wärmstens empfiehlt er mir die Jagd auf den Lachs. Nach den bislang gesehenen Erfahrungen scheint mir der Erfolg in einem schlechten Verhältnis zum Aufwand zu stehen, so dass ich mein Angelzeug eingepackt lasse. 
 Die Nacht ist ruhig. Wo soll der Lärm auch herkommen? Wir sind ja mit dem Rauschen des Wassers alleine. Gegen halb vier steige ich behutsam, um meine Gemahlin nicht zu wecken, aus dem Bett. Die Strahlen der Sonne verzaubern im Morgennebel den Fluss mit ihrem unwirklichen Licht. Rosarote und gelbe Blumen wachsen dicht am Weg zum Wasser hinunter. Die durchs taunasse Gras schleichenden Füße hinterlassen deutliche Spuren. Ich bin auf der Jagd. Auf der Jagd nach dem Lachs. Nur ist nicht die Angel, sondern der Fotoapparat mit von der Partie. 
 So angestrengt die Augen die quirligen Stromschnellen und die stillen Gumpen durchdringen, kein Fischlein, weder Lachs noch Forelle, lassen sich blicken. Aber traumhafte Naturbilder im Gegenlicht bieten sich dem Betrachter. Dank der "Bewaffnung" führt die Jagd doch noch zum Erfolg. Wie sich der Nebel hebt, schlüpfe ich wieder unter die warme Decke um noch eine Mütze Schlaf zu nehmen. 

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Kaffeeduft holt den Langschläfer aus den Träumen. Es ist immer noch schön über dem Fluss in der morgendlichen Wärme das Frühstück zu nehmen, doch der Zauber ist verflogen. 
 Vor der Abreise schwatzt man noch ein wenig mit dem frisch angekommenen norwegischen Pärchen. Sie sind bereits Dauergäste in Schweden. Das ruft den Satz aus dem Führer in Erinnerung, dass dieser Landstrich ein Hauptziel norwegischer Feriengäste sei. Bevor es zurück auf die Piste geht, verblüffen wir die Beiden noch mit unserer bislang zurück gelegten Route. 
 Endgültig liegt jetzt Kurs "Süd" an. Zwar immer noch hoch am Bottnischen Meerbusen, hat die Fahrt nun doch etwas von "Heimweg". Es gäbe ganz in der Nähe noch etwas Einzigartiges zu besichtigen. Nämlich die Erzseilbahn zur Grube Kristineberg. Da darf man 13 Kilometer der insgesamt 96 Kilometer langen Erzseilbahnstrecke, als Besucher in 4 Personenkabinen befahren. Über Wälder und Moore schwebend gelangen die Touris zur Endstation, die mit Imbiss-Station und Übernachtungsmöglichkeit aufwartet. Leider muss die Busrückreise im Voraus entrichtet werden und zudem ist bei uns ein gewisser Zug nach Hause zu verspüren. Kurzer Hand hakt man die Grube Kristineberg ab.
 Weiter Strecke machen, weiter südwärts heißt aber auch weitere Landschaften zu durchqueren. Flüsse breit wie Seen, die sich träge dem Meer entgegen wälzen. Dunkelgrüne Fichtenwälder und dazwischen weite, hellgrüne Wiesenflächen. 

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Der Lübecker Flügelaltar von Skelleftea fällt dem Drang genSüden genauso zum Opfer, wie die Feldsteinkirche von Bygdea oder Umea. Die Stadt ist zwar mit 75000 Einwohnern die größte Stadt Norrlands und Universitätsstadt dazu. Sie scheint jedoch ziemlich modern geprägt und für uns weniger interessant zu sein. 
 So kommt es erst in Själevad zum ersten Stopp. Ins Auge fällt bei der Anfahrt gleich die achteckige Kirche auf dem Hügel voraus. Sie hat schon eine besondere Geschichte. Um den eigenwilligen Bau bewerkstelligen zu können, sprengte man um 1880 kurzerhand die alte Kirche weg. Heute erhebt sich der mächtige Bau eindrucksvoll über der Fjordmündung. 

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 Neben dem Pfarrgemeindehaus bietet sich der große Parkplatz als kurzfristige Bleibe an. Gemütlich dahin spazierend erklimmen Traudl und ich die Anhöhe zum Gotteshaus hinauf. Den Eingangsbereich beherrschen vier gewaltige Säulen, auf denen nicht minder gewaltig, der dreieckig Ziergiebel ruht. Im Inneren empfängt uns barocke Pracht. Der Altar, die Kanzel und das geschnitzte, blaue Gestühl passen prächtig zu den marmorierten Säulen, die die Kuppel und den daraus emporragenden Turm tragen. Die eigenwillige Architektur führt das ausgestellte Schnittmodell deutlich vor Augen. Nach eingehendem Studium wenden wir uns wieder dem Ausgang zu. Leider passt sich die Orgel dem übrigen Interieur nicht an. Sie ist moderneren Datums und stört die Harmonie des Innenraums ein wenig. 
 Dafür entschädigt unverzüglich die Aussicht über das tiefblaue Wasser des Fjords, der malerisch eingebettet in die Wiesen und Wälder der Hügellandschaft unter uns liegt. Schon ein extravaganter Platz, auf dem die Kirche steht.
 Aber Själevad hat noch etwas zu bieten, Es ist das in ursprünglicher Form belebte Eisenzeitdorf Gene Fornby. Weil uns nicht klar ist, wo es in die "Eisenzeit" geht, fragen wir die gemütliche Kaffeerunde im Schatten des Gemeindehauses. Bescheid weiß niemand so richtig, bis der Herr Pfarrer recht sportlich sein Fahrrad nach kleinen Ehrenrunde am Kaffeetisch parkt. Sofort klappt auch die Verständigung sehr gut. Der Diener Gottes war lange Jahre in Deutschland und lässt uns erst einmal an den Erlebnissen aus seiner Münchener Studentenzeit teilhaben. Das wissende Lächeln der Damen und Herren reihum zeigt uns, dass auch sie Bescheid wissen über die Exkursionen ihres Pfarrers zu Hofbräuhaus und Oktoberfest. Eine Zwischenfrage aus der gemütlichen Runde übersetzt unser Gesprächspartner für uns. "Was mich denn an den Blechkästchen am Parkplatz so interessiert hätte?" Mir war schon aufgefallen, dass sie mich argwöhnisch beäugt hatten, wie ich die eigenartigen, kleinen Säulen vor den PKW-Stellplätzen untersucht hatte. Die Kästchen beherbergen Steckdosen zur elektrischen Beheizung der Motoren bei heftigen Minusgraden. Was mich besonders fasziniert ist die Tatsache, dass diese Boxen an den Supermärkten frei zugänglich, aber an den Kirchen immer mit Schlössern versperrt sind und das sogar Länder übergreifend. Die daraus resultierende Frage nach der Barmherzigkeit stelle ich mal nicht, denn ich möchte ja noch den Weg zum Eisenzeit-Dorf erklärt bekommen. Der Pfarrer kennt sich aus. Auf unserer Karte erklärt er den Weg in die "Vergangenheit" genauestens.
 So gelingt natürlich die Abfahrt in die richtige Richtung auf Anhieb. Winkend verabschiedet sich die Runde, wie das Wohnmobil langsam die Anhöhe hinab rollt. In den Straßen der Stadt verfranst man sich dann doch noch und erst nach mehrmaligem Fragen liegt der Waldparkplatz vor uns. Irgendwie eigenartig, dass unser Auto das einzige am Platz ist. Aber weitere Gedanken machen wir uns nicht darum, wie man Blumen pflückend den Weg durchs Gehölz zum Eingang sucht.
 Gene Fornby steht auf der großen Übersichtstafel. Und dann steht da noch etwas: "Montags geschlossen!" Wieder mal geschafft! Also zurück, Mittagessen und weiter nach Süden.
 Leider führt die Trasse der E 04 meist nicht direkt am Meer entlang, so dass sich das Wasser oft nur erahnen lässt. Da kommt der Abzweig zum Nationalpark Skuleskogen gerade recht. 
 Er ist vielleicht der kleinste Nationalpark Schwedens und steht doch stellvertretend für die Landschaft "Hohe Küste". Räumlich liegt das Gebiet an der Grenze zwischen subarktischem- und gemäßigtem Klima. Wer sich einen Überblick verschaffen möchte, kann mit der Seilbahn den 293 Meter hohen Skuleberg erklimmen und in wilde Schluchten und Fjorde blicken. 
 Wir hingegen genießen auf der kleinen Rundtour die Postkartenlandschaft. Am See schaukeln gemütlich Ruder- und Motorboote im leichten Wellenschlag. Aus den blühenden Wiesenhängen leuchten immer wieder blutrot bemalte Gehöfte oder niedliche Wochenendhäuschen. Dahinter erstrecken sich die Berge hinauf dunkle Kiefernwälder. Schweden, wie man es sich vorgestellt hatte. 

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 Wahrscheinlich möchten wir dieses Klischee hinüberretten in den Abend. Auf alle Fälle möchte Traudl mal wieder mit freiem Blick aufs Meer campieren. Da bietet sich gleich nebenan der Campingplatz von Norrfällsviken an. Laut Karte und Beschreibung liegt er lang hingestreckt auf einer Landzunge, die sich weit ins Meer hineinschiebt. Für Schatten sorgt der lichte Kiefernbestand und viele Sterne in der Beschreibung versprechen beste sanitäre Einrichtungen. 
 Wieder geht es durch bildschöne Landschaften, an Fjorden entlang hinaus auf die Halbinsel. Die Rezeption hält, was der Führer versprochen hat. Doch bei den Stellplätzen  für Wohnmobile, den sogenannten "Quick-Stopp-Plätzen" vor dem Eingangsbereich bröckeln schon die ersten Zacken der Sterne. Die Areale sind in unmittelbarer Nachbarschaft der großen Mülltonnen. Aber wir wollten ja sowieso ein schönes Plätzchen im Camp ergattern, wenn uns dies auch teuer zu stehen kommt. Leider ist fast das gesamte Gelände belegt. An den Wegen noch hie und da ein paar Quadratmeter zwischen den Bäumen. Meerblick - Fehlanzeige! Dann einfach dorthin, wo der Waldboden einigermaßen eben ist. Dabei stand uns noch das Glück zur Seite Denn kaum stehen wir, fallen Schwärme von Gespannen und Mobilen ein. Stetig herum kurvend und rangierend sucht jeder nach dem Geviert für die Nacht oder den Urlaub. Es scheint, dass im gesamten Norden oder gar auf der ganzen Welt die Sommerferien ausgebrochen sind. In diesem Tohuwabohu ist Taktik angesagt. Eigentlich wäre noch das Grauwasser abzulassen, aber wer jetzt aus seiner Lücke fährt, findet seinen Platz bei der Rückkehr bestimmt belegt. Selbst wenn meine Frau unser "Gärtchen" bewacht bis ich wiederkomme, sind Streitereien vorprogrammiert. 
 So machen wir uns nach dem Abendessen auf, den Platz und die nähere Umgebung "fußläufig" zu erkunden. Hässliches tritt bei näherer Betrachtung zu Tage. Für das Grauwasser gibt es am Straßenrand einen riesigen, müffelnden See. Da haben sich vermutlich schon viele Campingfahrzeuge erleichtert und der im Gebräu versteckte Gully scheint verstopft zu sein. Für die WC-Entsorgung findet sich weit hinten im Wald eine stinkende Grube im vermoderten Bretterverschlag. Nichts wie raus hier und an den Bootsanleger und ins Dorf. 

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 Freilich, ursprünglich ist das nicht mehr. Wie überall ist der kleine Ort fest in der Hand der Touristen oder Zweitwohnsitz- "Einheimischen". Trotzdem ist es gut möglich, dass es gerade das Verdienst der Wochenendbürger ist, etwas vom alten Flair herüber gerettet zu haben in unsere Zeit. Auf dem steinigen Hügel, über den Dächern der rot und blau bemalten Häuser genießen die Spaziergänger den Sonnenuntergang, bevor man sich heimwärts wendet. Erst spät kehrt am Platz Ruhe ein. So dauert es ein Weilchen, bis man in den Schlaf findet.

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 Bald hat uns am Morgen die Straße wieder. Hinter uns der nervende Trubel. Voraus die unaufdringlich ruhige Landschaft. Spektakulär wird es erst, wie die E 04 erreicht ist. Die Straße steigt an um die Höhenrücken, die den Ängermanälven einfassen, zu erklimmen. Der Fluss erweitert sich an seiner Mündung zu einem fotogenen, 35 Kilometer langen Meerbusen. Voraus tauchen die Pfeiler der 1867 Meter langen Högakusten-Brücke auf. Heute das zweithöchste Bauwerk Schwedens, trägt die Hängebrücke den Verkehr in 40 Metern Höhe über den Fluss. 

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Nur schlappe 25 Kilometer nach der Brücke legt das Mobil in Härnösand am blühenden Stadtpark an. 
 Sogar hier unten wälzt sich noch ein Arm des Ängermanälven malerisch ins Meer. Auf Schusters Rappen wagt man den Weg in die Stadt. Zuerst geht es auf die Terrasse des Schnellimbisses. Von da bietet sich die schönste Aussicht auf die aus dem Meer sprühende Fontäne des überdimensionalen Springbrunnens. Dann sogleich rüber über die Brücke und direkt zwischen die Mauern der alten, fein restaurierten Stadthäuser hinein. Wohlstand strahlen die Häuser des alten Marktortes aus, der 1565 zur Stadt erhoben wurde. Selbst verheerende Stadtbrände und russische Überfälle konnten die Erfolgsgeschichte der Ansiedlung nicht bremsen. Sogar das älteste Gymnasium des Nordens haben die Stadtväter im Jahr 1647 hier gegründet. Und noch etwas ganz besonderes konnte sich die Stadt leisten. Als Erste Europas führte Härnösand 1877 die elektrische Beleuchtung ein. 
 Unsere Route führt erst durch die Einkaufspassagen und letztlich doch hinauf zum Dom. Das Innere der kleinsten Kathedrale Schwedens ist faszinierend.. Klassizistisch ist der Bau - steht im Führer. Uns gefällt einfach nur die Ausstattung. Reiche Stuckarbeiten, die jedoch nicht überladen wirken. Sie schmücken die Säulenportale, bilden den Rahmen der Wand-und Deckengemälde und ziehen sich an den rundum verlaufenden Brüstungen entlang. Stimmig fügen sich auch Altar, Kanzel und Orgel in das Ensemble ein. Nur eines bleibt uns verborgen. Ob die herrlichen Bronzeleuchter noch identisch sind mit jenen aus der Vorgängerkirche. Diese haben nämlich eine besondere Geschichte. Während eines russischen Überfalls auf die Stadt, der selbstredend in unverzügliche Plünderungen mündete, gruben Bürger die kostbaren Leuchter in ein frisches Grab ein. Die Soldaten schonten pietätvoll das Grab und Härnösands Kirche blieben die Lüster erhalten. 
 Im Schatten der mächtigen Kronen der Bäume vor der Kirche suchen wir uns im Stadtplan  den passenden Rundgang aus. Das etwas außerhalb liegende Norrlandmuseum, wie auch das Freilichtmuseum fallen der Bequemlichkeit zum Opfer, um der Innenstadt den Vorzug zu geben. 
 So lassen wir den Eingangsbereich des Gymnasiums auf uns wirken, der allerdings für das Gebäude ein paar Nummern zu groß geraten scheint. Auf dem Weg zur Sparkasse  bieten sich etwas ausgemergelte Passanten zum Erinnerungsfoto an. Freilich sind sie nicht echt, sondern Skulpturen, deren Sinn oder deren geschichtlicher Bezug uns verborgen bleibt. Dann geht es am repräsentativen Gebäude der Reichsbank vorbei zurück zum Einkaufsmeilchen. Nach dem üblichen herumstöbern trödelt man gemächlich über die Brücke um dort noch einmal die Urlaubsstimmung am Fluss einzufangen. Bootsbesatzungen halten gemütliche Mittagsrast, während andere ablegen und dem Meer zustreben. Auch wir wollen es ihnen gleichtun und bald ablegen. 

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 Die Schnellstraße führt etwas landeinwärts um das Mündungsgebiet des Indalsälven queren zu können. Direkt an der Küste wäre es zu breit für Brückenkonstruktionen. Dabei verdankt es seine Entstehung nicht der Natur, sondern fehlgeschlagener Ingenieurskunst. 
Der Fluss kommt aus dem Land der "Holzbarone" und trug die Stämme aus den tiefen Wäldern zu den Sägewerken und Papierfabriken. Leider behinderten die Wasserfälle und Stromschnellen die Wirtschaftlichkeit nach Ansicht der Unternehmer. So verfiel der Kaufmann Magnus Huss auf die Idee ein Konsortium zu gründen, das neben dem Storforsen einen Kanal zum Holzflößen graben sollte. Dabei kam man dem Kiesdamm des Ragundasees zu nahe, der eiszeitliche Damm brach und der große See lief in nur vier Stunden leer. Die Wassermassen rissen alles mit. Häuser, Bäume, Ufer und Gestein. Wie sich dieses Inferno ins Meer ergoss, veränderte es sogar den gesamten Teil der Küste. Die Flussläufe des Mündungsdeltas veränderten sich und das Schwemmgut bildete neue Inseln. Der Mensch hatte sich im Umgang mit der Natur gewaltig überschätzt. Bei allem Unglück ist es fast unglaublich, dass niemand zu Tode kam. 
 Wir sehen freilich nichts mehr davon. Die Katastrophe ereignete sich ja bereits im Jahr 1796. Heute genießen wir eher die Aussicht auf die sich behäbig dahinwälzenden Wassermassen, bevor sich die rauchenden Schlote der Zellulosefabriken von Sundsvall ins Bild schieben. Das ist jetzt nicht direkt unser Fall und so geht es weiter, bis etwas seitwärts des Weges das Emblem der bekannten Supermarktkette zum Einkauf mahnt. 
 Vom Parkplatz des Discounters aus springt uns förmlich die kunstvolle Holzkonstruktion des Kirchturms jenseits der Straße ins Auge. So findet sich zufällig der berühmte Bau der Hälsingtuna Kyrka. Im grellen Sonnenlicht verschwindet das Weiß der Mauern fast im im Hintergrund schneeweißer Wolken. Eintreten können wir leider nicht. Vermutlich könnte man sich von den Bauersleuten nebenan aufsperren lassen, aber die sind mit ihrer Heuernte voll beschäftigt. Weil wir recht gut nachempfinden können, wie gelegen im Moment Besucher beim Bauern sind, trollt man sich nach kurzem Rundgang wieder. Zeit ist es im Übrigen auch, sich nach einem Nachtquartier umzusehen. 
 Nachdem das letzte Camp eher als Reinfall zu bezeichnen war, nimmt man nunmehr Kurs auf die familiäre Anlage am Ufer der kleinen, warmen Dellen-Badeseen. Kinder tollen noch auf der Rutsche am Ufer herum bevor allenthalben der Rauch von Grillfeuern zum Abendessen ruft. Auch bei uns brutzelt bald Leckeres auf dem Feuer, bevor sich der Tag mit blutrotem Sonnenuntergang verabschiedet. Extra fürs Foto scheint das halb versunkene Ruderboot in das Idyll hineindrapiert zu sein. 

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 Mit uns und der Welt zufrieden verkrümeln wir uns ins Schlafgemach.
 Das Bad im flachen Wasser des warmen Sees verkneife ich mir am Morgen und wähle lieber das wohlig, warme Nass aus der Dusche. Zum Kaffee wird noch einmal das kleine Info-Heftchen für den Ort Delsbo und seine Umgebung hervor gekramt. Das Freilichtmuseum mit seinen Ausstellungen für trachten, Weberei und Bauernmalerei ist uns aufgefallen. 
 Weil wir bei einfachen Übernachtungen nur gerade mal den Tisch und zwei Stühle aufstellen, uns als Grill ein kleiner Spiritusbrenner im Keramiktopf dient, ist schnell aufgeräumt. Flugs noch zum Bezahlen an die Rezeption und schon dürfen die Räder wieder über den Asphalt rollen. 
 Gut dass die Freilichtanlage Forngard nicht der Fixpunkt der Etappe ist, denn sie ist geschlossen. So bleibt nur die Erkundung auf eigene Faust und ab und zu der Blick durch blank geputzte Fensterscheiben. 

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 Damit ist Delsbo und seine Umgebung schnell abgehakt und Ljusdal, der Hauptort des Tales rückt ins Visier. Dort gibt es beeindruckende barocke Kunst. In der Kirche steht der "Antwerpener Schnitzaltar", der Beute aus einem schwedischen Raubzuges in Belgien sein soll. Doch wir sind auch gefürchtet, am Parkplatz vor der Kirche. Den reservierten Blicken älterer Damen, die eben von der Grabpflege kommen, lässt sich entnehmen, dass wir für sie dem fahrenden Volk zuzurechnen sind. Nicht einmal mein herzliches "Grüß Gott" sorgt für Aufhellung der Mienen. 
 Die Kirche ist innen sehr schön ausgemalt. Leider hat man die ursprüngliche Malerei im 18. Jahrhundert beim Auskalken vollständig zerstört. Immerhin ist die jetzige Ausgestaltung auch schon fast 100 Jahre alt, aber eben nicht mehr das Original. der Altar hält, was die Beschreibung versprochen hat und auch das übrige Interieur passt sich wohltuend dem Stil an. 

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 Vom Kirchenportal aus gewahre ich, wie sich jemand hinter unserem Auto herumdrückt. Es ist jedoch nur ein älterer Herr, der das Nummernschild inspiziert. Leider wartet er nicht, sondern verschwindet eilig, wie er uns kommen sieht. Da hätte er schon bleiben können. Das Mobil ist nämlich das Interesse an seinem Nummernschild gewöhnt. Das liegt daran, dass ich mir bis heute das alte Kennzeichen, ohne EU Balken erhalten konnte. 
 Langsam bummelt das Auto über die 83 südwärts. Es heißt aber aufpassen, denn irgendwo geht es links ab nach Växbo. Schmale Sträßchen führen uns durch dichte Wälder und an Getreidefeldern entlang. Die wogenden Halme wären bestimmt im Sonnenlicht schöner anzusehen gewesen, wie jetzt hinter den schmierigen Schlieren des Scheibenwischers. Leichter Nieselregen hat eingesetzt. Da ist es gut, nun die örtliche Leinenweberei zu besichtigen. 
 Aber was heißt da örtliche Leinenweberei? "Växbö Leinen" ist bis heute schwedischer Hoflieferant und verschickt seine Produkte weltweit. Am Eingang lernen die Besucher auf Schautafeln ein wenig über Flachs sowie dessen Verarbeitungsschritte bis hin zum fertigen Leinen. Natürlich sind auch von der Wäsche bis zu ganzen Tischausstattungen viele gängige Produkte verkaufsfördernd in Szene gesetzt. 
 Unser Augenmerk liegt aber erst einmal auf der Produktionsstätte. Ohne jede Einschränkung dürfen wir durch die Maschinenhallen, an den laufenden Maschinen vorbei, herumspazieren. Vielen Maschinen sieht man das Alter an, doch ihre Arbeit verrichten sie seit Jahrzehnten zuverlässig, wenn auch laut lärmend. 

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 Freilich stehen sie in Konkurrenz zu modernsten, computergesteuerten Webstühlen gleich nebenan. Surrend und zirpend weben sie in irrer Geschwindigkeit dahin. Weil sie aber mehr im Verborgenen ihre Arbeit verrichten, werden sie für die Besucher wohl nie die Anziehungskraft der ratternden, freilaufenden Mechanik der alten Maschinen mit ihrem verwirrenden Hebelspiel erreichen. 
 Am Ausgang beschäftigt man sich dann intensiv mit den fertigen Produkten. Reiseandenken aus Leinen - mal was Anderes. Doch die Vernunft gebietet Einhalt. Die Teile sind nicht nur von königlicher Qualität, sondern auch mit königlichen Preisen ausgestattet. Weil wir nun aber nicht von blauem Blute sind, wollen wir uns lieber der im Gelände liegenden Mühle mit Kaffee und Schaubäckerei zuwenden. Leider vermiest der strömende Regen den kurzen Spaziergang und die Aussicht auf den Terrassenplatz. Statt ins Kaffee geht es wieder auf die Piste. 
 Wie der Himmel wieder aufreißt, bieten die kleinen Fahrwege Landschaftliches vom Feinsten. An stillen, weiten Seen vorbei, durch dunkle Wälder hindurch, lernt man Schweden von seiner zauberhaften Seite kennen. Sogar die Kilometersteine sind besonders verziert und mit dem königlichen Wappen ausgestattet. 

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Geborgen in einem Waldweg an der scheinbar verlassenen Bahnstrecke hält man Mittagsrast. Tiefe Stille, die nur vom Gezwitscher der Vögel durchbrochen wird, verschafft uns Ruhe und Erholung. So geht es gut gerüstet an die weitere Fahrt. Irgendwann bleiben die Wälder zurück. Felder und Wiesen bestimmen das Bild, bis Ockelbo am Horizont auftaucht.
 Inzwischen erlangte der Ort ziemliche Berühmtheit, weil die Gemeinde Heimatstadt des Mannes der schwedischen Prinzessin ist. Unser Begehren trachtet jedoch mehr nach dem kleinen, gepflegten Campingplatz am See. 
 Gibt es am Platz schon kleine, bunte Blumenbeete, so umfängt die Natur die Spaziergänger am direkt angrenzenden Seeufer fast ungestüm. Unter leichtem Rauschen wiegen sich die Schilfrohre in der leise säuselnden Sommerluft. Der Schilfgürtel, der sich an manchen Stellen wiesenartig bis weit ins Wasser hinein ausbreitet, ist von rosafarbenen, kleinen Disteln eingerahmt. manchmal spiegeln sich die Häuser vom gegenüber liegenden Ufer in der sich immer wieder kräuselnden, blauen Fläche des Sees. Wellen schwappen verhalten an den Steg, an dem "Carl", ein großer, offener Kahn liegt. Carl fordert sofort meine ganze Aufmerksamkeit. Zwischen seinen Sitzbänken ist eine alte, offene Dampfmaschine eingebaut. So gepflegt wie sie sich zeigt, tut sie bestimmt noch Dienst auf dem Schiff und transportiert gewiss auch noch ihre Passagiere zuverlässig über den Bysjön.
 Unter den drängenden Worten meiner Frau, kann ich mich letztlich losreißen vom Anblick des alten Dampfers und folge meiner besseren Hälfte den Weg am Ufer entlang. Er führt in den Ort, direkt durch einen kleinen Park mit modernen Kunstobjekten den Hügel hinauf zur Kirche. 
 Der Sakralbau, der sich von außen sehr beeindruckend darstellt, hält im Innern nicht, was wir erwartet haben. Wir möchten es eben üppig haben, schwelgen in Barock und Rokoko. Hier dagegen ist alles reduziert auf das Wesentliche. Nur das modern, bunte Altarbild hebt sich vom schlichten Weiß des Raumes ab. Einzig die Kanzel scheint noch aus prunkvolleren Tagen übrig zu sein. 
 So ist man schnell und ein wenig enttäuscht wieder draußen um den Straßenzug einmal  rauf und runter zu marschieren. Viel sehenswertes ist nicht zu entdecken im 2800 Einwohner Ort. So bleibt viel Zeit zum genussvollen Dinner. "Selten ein Schaden, an dem kein Nutzen ist!", meint weise meine Gattin.

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Irgendwann hat uns die Straße wieder. Und wieder taucht man ein in die Wälder und einsamen Seen, bis man in Sandviken auf die Autobahn nach Gävle trifft. 
 Gävle, die Provinzhauptstadt mit ihren 70 000 Einwohnern zwingt erst einmal zur "Dorfrunde" durch die City und tatsächlich findet sich unter Bäumen der zentrumsnahe, schattige Parkplatz. Nur wenige Schritte entfernt zeigt sich im parkähnlichen Areal die Kirche. Angemessen still ist es. Der Straßenlärm dringt nicht bis hierher. Leise schieben wir die Türe des Sakralbaues auf. Unvermittelt trifft die Touristen die pralle, barocke Pracht. Das ist mal wieder so recht nach unserem Geschmack. Überschwänglich verziert strebt der Altaraufsatz in üppigem Gold  und Blau dem Sternenhimmel des Netzgewölbes zu. Genauso opulent verziert ist die Kanzel . Da lacht das Herz des kunstverliebten Bayern. Sogar die Orgel, obwohl moderner, ist ein "Hingucker", mit ihrer Pfeifenanordnung in stilisierter Engelsflügelform. Einzig der Taufstein ist etwas unscheinbar obwohl ihn Fabeltiere bewachen. 
 Wieder im Freien folgt man der Straße, dem schlossähnlichen Rathaus zu um nach gebührender Bewunderung, den Park mit Brunnen und Blumenrabatten entlang zu schlendern. Recht praktisch findet es Traudl, zudem, dass die Einkaufsmeilen direkt abzweigen. Aber immer wieder finden wir zurück in die erfrischenden Anlagen mit ihren bald zwei Meter hohen Fuchsienbäumen. Dann zum Theater und zum Torget. Ein moderner, aber gefälliger Marktplatz mit Springbrunnen, der zum Spazieren animiert. 
 So trödeln wir durch die Straßen, lassen aber die hölzernen Altstadthäuser und das Schloss am anderen Flussufer unbeachtet. es ist wieder einmal ein richtig heißer Sommertag, der die Kleider an der Haut kleben lässt. Immer den Schatten suchend, findet man langsam zurück zu den eisgekühlten Getränken im Mobil. 

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Geradewegs rollen die Räder die E 04 wieder entlang. Die weit sich ausbreitenden Wasser des Dalälven setzen das landschaftliche Ausrufezeichen an der Strecke, während die entgegenkommenden, alten, amerikanischen Straßenkreuzer und Motorräder das Blut des Technikfreaks in Wallung bringen. Plötzlich taucht der Turm des "Drachen Tor" auf. Der Bau im Stile der chinesischen Architektur mutet hier schon ein wenig deplatziert an. Ein wenig ist diese Einrichtung Hotel, ein wenig Ausstellung zu China mit einer Nachbildung der Terracotta-Armee und ein wenig Begegnungsstätte für Geschäftsleute. Der Schwerpunkt der Aktivitäten verschiebt sich von Jahr zu Jahr, nachdem der Beginn als Hotel nur mäßigen Erfolg brachte. Die Mauer entlang der Straße ist nicht minder ungewöhnlich. Für die Einen sehenswert und für Andere eben unpassend. Uns kündigt das Drachentor die Nähe der Universitätsstadt Uppsala an. 
 da wir der schwedischen Sprache nicht mächtig sind, kommt der erste Wegweiser nach Uppsala gerade zur rechten Zeit. Der Zusatz "Gamle" kann nur Altstadt bedeuten und da wollen wir natürlich hin. die Gegend ist sehr ländlich. Fast etwas zu ländlich. Keine Spur von Stadt.  Auch kein Wunder, denn wir sind in Uppsalas erster Ansiedlung gelandet. 
 Die Hügel rundherum hat nicht die Natur geschaffen. Das sind Königsgräber. Sie bergen Schätze, also eigentlich, weil die Grabbeigaben aus Goldblech, der Schmuck und die Glasgegenstände inzwischen im Museum am Eingang des Geländes zu begutachten sind. Aber immerhin hat man sie untersucht und auf das 6. Jahrhundert datiert. 
 Langsam schnaufen wir den kleinen Hügel zur alten Steinkirche hinauf. Sie ist die älteste Domkirche Uppsalas und soll im 11. Jahrhundert erbaut worden sein. Kurze 100 Jahre später hat man sie zum Erzbischofssitz erhoben. Wie eng die alten Religionen mit dem Christentum verknüpft sind förderten Ausgrabungen unter der Kirche zu Tage. Die morschen Balken deuten auf einen Kultplatz nordischer Religionen hin. Und noch ein Novum gab der Boden Preis. Die Kirche muss ehedem doppelt so groß gewesen sein wie heute. 
 Dieses Wissen lastet nun nicht gerade schwer auf uns. Schon eher, ob wir das Kaffee, an dem der Weg vorbei führt, gleich oder erst später aufsuchen sollen. Die Entscheidung fällt auf später und wir treten erst einmal durch das Portal der Kirche. Kreuze und einfach geschnitzte Tafeln sollen aus dem 13. Jahrhundert stammen. Mein Augenmerk fällt auf die filigrane Malerei an der Decke. Diese Kunst imponiert mir immer wieder mächtig. Grobes Werkzeug und Farben ohne Chemie hinderten die Künstler nicht daran, Arbeiten zu vollbringen, die uns heute noch staunen lassen.
 mit den Messgewändern hinter Glas und dem Messgeschirr kann ich weniger anfangen, so dass wir schnell wieder die frische Luft im Freien genießen können. Ganz interessant die eigenartige Rutsche am etwas abgesetzten Glockenturm, in dem sich sogar ein Glockenspiel befinden soll. So gammelt man ausgiebig durch die Anlage und schließlich sogar am Kaffee vorbei. Das ist weiters nicht schlimm. Es ist Mittag und der Parkplatz im Stile einer Schlossauffahrt mit zwei Reihen Bäumen bepflanzt, lädt geradezu zur Jause im Mobil ein. 

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Bald kann das Wägelchen mit frisch gestärkter Besatzung auf das heutige Uppsala zurollen. Ziemlich viel Verkehr, Baustellen, Umleitungsschilder  und Staus allerorten zeigen uns ganz neue Seiten der Universitätsstadt. Nach erstmaliger Durchquerung landet man wenigstens an einer Tankstelle. Frisch gezapft, geht's los in die zweite Runde. Doch da bleibt man schon im Ansatz stecken. Schluss ist dann in der herrschaftlichen Einfahrt der Villa am Ende der Straße. Und am Ende ist auch das Nervenkostüm. Was solls, auf nach Stockholm! 
 Der Verkehr auf der Autobahn verdichtet sich immer mehr. Die fast Millionenstadt lässt grüßen. Eins ist an uns offensichtlich vorüber gegangen. Stockholm führt die Stadtmaut ein. Arbeiter werkeln in der ganzen Stadt an Schilderbrücken und montieren Kameras. Die Folge der Baustellen sind Straßenverengungen, Umleitungen und Staus ohne Ende. Plötzlich taucht unterhalb der Straßenbrücke ein dichtbelegter Wohnmobil Stellplatz auf. Sollen wir, - oder besser nicht? Vorab schon ausgesucht ist der Idyllische Campingplatz vor der Stadt mit S-Bahn Anschluss. Da, ein Wegweiser! Plötzlich stehe ich vor der Fähre nach Tallinn. Nur - da wollen wir gar nicht hin. Also zurück! Wieder eintauchen ins Getümmel. Langsam setz zusätzlich noch der Berufsverkehr ein. Verflixt! Schon wieder falsch eingeordnet. Irgendwann, das Shirt durchgeschwitzt findet sich die richtige Ausfallstraße. Nur der Campingplatz findet sich nicht. 
 Gut dann eben nicht Stockholm sondern Jädar. Das ist nur ein Dorf, weit vor den Toren Stockholms. Hinter der Kirche sogar recht passabel der Platz zum Nächtigen. Allerdings ist das nur der erste Eindruck. Das Mobil steht auf der exponierten Fläche wie auf dem Präsentierteller. Nur wenige Meter vor uns lärmen pausenlos schwere, röhrende Motorräder vorbei. Zuerst hoffe ich noch, dass bei Einbruch der Dämmerung Ruhe sein wird. Doch dem ist nicht so. Scheinbar haben wir uns an einer gefragten Biker-Strecke platziert. Sie kommen von der nahen Autobahn herauf und suchen auf kurvigen Strecken zwischen Wiesen und Felder in die Seenlandschaft des Mälarn hinein. So ist an Ruhe nicht zu denken. Nach dem Abendessen packt man noch einmal zusammen zum Stellungswechsel. Inzwischen müssen sich die Lichtkegel der Scheinwerfer ins Dunkel der Nacht bohren, Trotzdem ist der Stellplatz am Jachthafen von Strängnäs schnell gefunden. Da herrscht zwar auch noch kräftig Betrieb, weil heute das Hafenfest steigt. Doch Musik und Tanz finden einige hundert Meter weiter weg statt, enden bald im leichten Nieselregen, der uns vermutlich zusätzlich noch vor grölenden Spätheimkehrern schützt. Nach kurzem Geplauder über die verpassten Städtetouren, die wir bei Gelegenheit mal mit dem Flieger nachholen wollen, finden wir schnell in den Schlaf.

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Melancholische Stimmung umfängt uns am Morgen beim Blick aus dem Fenster. Nur die Entenschar scheint das neblige Nieseln nicht zu stören. 
 So hat der Scheibenwischer immer wieder mal zu tun auf den 20 Kilometern zurück nach Jädar. Diesmal parkt das Mobil unter Bäumen vor der Kirche. Der rote Backsteinbau wirkt erhaben auf die Besucher. das Wappen des Bauherrn, des Bischofs von Strängnäs, lässt tief blicken. Es zieren formatfüllend zwei Trinkhörner. Der große Eingangsraum in den wir treten, ist das Waffenhaus. So entnehmen wir es wenigstens der Beschreibung. Also auch in Schweden pflegte man die Sitte, dass bewaffnete Besucher in unruhigen Zeiten vor der Messe die Waffen abzulegen hatten. Heute dagegen ist der Empfang sehr freundlich. Uns erwartet eine gedeckte Kaffeetafel. Kerzen brennen, der Kuchen ist bereits aufgeschnitten, nur Leute sind keine da. 
 Wir sind alleine mit der vielfältigen Kopie des Kirchenführers. Richtig schlau werde ich nicht aus den Ausführungen. Da hat eine Frau Brahe die Brah' sche Grabkapelle anbauen lassen, aber als Begräbnisstätte dient die Kirche dem Geschlecht derer zu Oxenstirna. Wobei Axel zu Oxenstirna im 16. Jahrhundert Reichskanzler von Schweden war. Nur eines klärt sich auf, die Unmenge von Wappen in hiesigen Kirchen. Bei Begräbnissen trag man die Hauptwappen des Verstorbenen vor und die kleineren Nebenwappen der Geschlechter hinter dem Sarg her. Anschließend fanden alle Wappen in der Kirche ihren Platz. Das konnten dann schon mal an die zwanzig Wappen sein, die aufgehängt werden wollten. Da wird der Platz an den Wänden wohl mancherorts ziemlich knapp geworden sein. Bei all den Schaustücken bleibt nicht mehr viel Zeit für den geschnitzten Altar, den einer der Oxenstirnas in Stockholm gekauft haben soll, weil er den Städtern dort zu altmodisch erschien.

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Der Regen hat aufgehört, wie das Mobil den Pfad zurück zur Straße sucht. Und nicht nur die Straße wird gesucht, sondern auch der Weg zum Sigurdsristningen. Bislang haben wir noch nicht viel gehört von ihm, dem großen Stein, in den Szenen der Volsungen Saga, der nordischen Variante des Nibelungenliedes eingeschlagen sein sollen. Interessant dabei, dass die Arbeit etwa 1030 entstanden und vielleicht als Vorlage zur Nibelungensage gedient haben soll. Eigentlich ist es nicht so sehr das geschichtliche Interesse, sondern eher der Entdeckergeist, der uns nach dem gut 10 m2 großen Steinbild forschen lässt. 
 Erstaunlich, dass niemand hier das Teil kennt. Nicht der Passant am Wegrand und auch nicht die freundliche Postbotin. "Noch nie davon gehört!", ist die einhellige Auskunft. "Höchstens dort hinten vielleicht", meint die Frau von der Post und deutet weit ausholend mit ausgestrecktem Arm auf den Wald am Horizont. Also weiter über Feldwege, an Gehöften mit verwachsenen Apfelbäumen vorbei hin zur Hauptstraße. Drei Kilometer und der erste Wegweiser "Sigurdsristningen", steht unübersehbar vor uns. Kurz darauf der Nächste, der uns zum Abbiegen auffordert. Alles gut beschildert - wenn man aus der richtigen Richtung kommt. Noch einmal kleine Fahrwege und sehr verwunderte Blicke der Anwohner. Diese Sehenswürdigkeit scheint nicht gerade der touristische Hit zu sein. Der Parkplatz ist jedoch schon angemessen ausgelegt und der Fußweg nicht weit. Am kleinen Hügel im Wald findet sich endlich der Stein. Vermutlich ist es der Teil eines aus der Erde ragenden Felsens, in den die symbolträchtige Zeichnung geritzt ist. 
 Eingefasst wird das Ganze von einer sich im Oval windenden Schlange. Dargestellt ist ein mit der Schlange kämpfender Zwerg. Ohne die Erklärung auf den Schautafeln würden wir gar nichts verstehen und mit den Tafeln auch nur wenig. Um das Geheimnis zu lüften, müsste man die Sage kennen. Soviel Engagement ist einfach zu viel verlangt von uns Normal-Touristen. Aber gefunden, gefunden haben wir ihn doch noch, den Sigurdsristningen. 

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 Fast stolz kehrt man zum Reisemobil zurück um das nächste Ziel ins Fadenkreuz zu nehmen. Auserkoren ist Arboge. Die 10000 Einwohnerstadt bietet etwas, was uns jetzt im strömenden Regen gerade recht kommt. Eine Brauerei mit Besichtigung und Bierprobe. Wenn das nichts Besonderes ist. Zwei Bayern in Schweden zur Bierprobe! Nach Tank-Stopp am Ortseingang und Einkauf im Lebensmittelgeschäft machen wir uns zu Fuß auf die Suche. Die Fähnchen geschmückte Hauptstraße hinunter bis zur Stadtkirche, dann herum ums Karree. Pflanztröge tauchen plötzlich vor den Schutzschilden der Regenschirme auf, aber keine Brauerei. Also fragen wir mal bei den Passanten nach, die eben aus den Geschäften kommen und noch kurz unterm Vordach des Einganges verweilen. "Brauerei?", so etwas gibt es hier nicht. 
 Das Wetter zehrt an den Nerven und der Ausdauer der Forscher. Nichts wie zurück ins warme Stübchen und den Pferden die Sporen geben.             
 Diesmal bleibt das Mobil länger auf der Straße. Bis nach Askersund hinunter, das über Flüsse und Kanäle mit dem bekannten Revier des Vättern Sees verbunden ist. Entsprechend groß ist hier der Andrang in den Ferien - und es sind Ferien. 
 Weil es immer noch wie aus Kübeln schüttet dreht man nur mit dem Auto eine quälende Runde durch den Ort. Alles zugeparkt!  Die heillos verstopften Straßen zwingen zur schnellen Flucht. Erst wenige hundert Meter außerhalb, am fast leeren Parkplatz nützen wir die Gunst der Stunde zur Mittagspause. Eigentlich ist der Parkplatz für Wohnmobile gesperrt. Das Schild sieht man allerdings nicht mehr, weil ich es geschickt zugeparkt habe. Wie dann der Kirchenpfleger, der gerade noch die Wege am Friedhof maschinell geharkt hat, davon fährt steht das Mobil ganz alleine auf dem weitläufigen Areal. Da mache ich mir auch keine Gedanken darüber, das Mobil während des Kirchenbesuches stehen zu lassen. 
 Wieder ein roter Backsteinbau, der etwas kalt und abweisend wirkt. Bestimmt wäre das Gelände mit seinem vielen Grün bei Sonne wesentlich einladender, doch kaum tritt man durchs Portal ist alles anders. 
 Die Altäre, die Kanzel, die Tafeln an den Wänden, alles scheint aus weißem Alabaster geschnitzt zu sein. Rahmen und Verzierungen aus Gold heben das strahlende Weiß noch hervor. Farbe bringt nur das in rot und blau bemalte Gestühl ins Gotteshaus. Kaum zu glauben, dass weiße Farbe nicht nur eintönig sein kann, sondern solche Pracht zu verbreiten vermag. Und noch etwas fällt auf. Es sind die schweren Sarkophage derer zu Oxenstirna. Das Geschlecht scheint in vergangener Zeit wahrhaft beherrschend in Schweden gewesen zu sein. 

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Endlich hat der Regen aufgehört. Sogar die Glockenblumen heben den vereinzelten Sonnenstrahlen verwundert die Köpfe entgegen. Unbeschadet, vor allem ohne Strafzettel oder Parkkralle harrt das Auto seiner Besatzung. Damit steht der ungehinderten Weiterreise nichts mehr im Wege, 
 Hart am Ufer des Vättern entlang strebt Vadstena zu. Wenn sich das Wetter hält, wäre es durchaus eine Option die kleine Wanderung auf den Halberget zu wagen. Die Aussicht soll grandios sein. Doch noch während der Beratung entheben uns die Naturgewalten der Entscheidung. 
 Es blitzt plötzlich. Donner grollt und eine schwarze Walze rollt tief und bedrohlich über die Landschaft. Dem gerade losschlagenden Hagel versuche ich durch die Flucht unter die weit ausladenden Äste der Bäume am naheliegenden Parkplatz zu entgehen. Die Szenerie lässt uns immer noch die Haare zu Berge stehen. Ähnliches brach vor Kurzem über unser kleines Heimatdorf herein und ließ es zum Teil in den Wassermassen versinken. Gut dass es hier nur ein kurzes Schauspiel ist. 
 Als nur noch schwerer Regen auf das Blechdach trommelt und sich die Sicht etwas normalisiert hat, traut man sich wieder auf die Straße. Es braucht etwas Geduld bis sich das Gewirr der schutzsuchenden Fahrzeuge wieder in den Verkehr eingefädelt hat. 
 Der Parkplatz vor dem Kloster Vadstena "schwimmt" fast noch, wie das Mobil die Parkfläche anfährt. Ohne Unwetter wäre die Parkplatzsuche hier vermutlich vergebens gewesen. So aber findet sich schnell das Plätzchen, das uns sogar trockenen Fußes das Auto verlassen lässt. 
 Das Kloster ist nun mal der Anziehungspunkt für Touristen, obwohl das Bauwerk nicht einmal einen richtigen Turm vorzuweisen hat. Freilich, dem Eingeweihten aber auch dem eifrigen Leser der Broschüren ist bekannt, dass die Kirche zum Bettelorden gehört. Außerdem ist sie die Kirche der heiligen Brigitta und soll maßstäblich genau nach den Plänen errichtet worden sein, die ihr in Visionen erschienen sein sollen. Vielleicht rührt daher auch der nach Westen ausgerichtete Chor, ganz gegen die übliche Gepflogenheit der Baumeister. Das gros der Touristen kümmert das nicht. Sie bleiben auch so staunend vor dem verschwenderisch geschnitzten und verzierten Hauptaltar aus einer Brüsseler Werkstatt stehen. Wie mag das zum Bettelorden passen, kommt es mir plötzlich in den Sinn. Nur ein Gedanke, dann fällt uns ein Pater auf, der eine Reisegruppe hinter den Altar und wenige Stufen zur unteren Ebene hinab führt. Dort findet sich das wahre Kleinod in Gestalt des Lübecker Brigittenaltar aus dem 15. Jahrhundert. Flugs gesellen wir uns der Reisegruppe hinzu, die den Vortrag des Paters sogar in deutscher Sprache genießen darf. So erfährt man von den Figuren am Eingang, dass sie Heilige darstellen, deren Reliquien und sterbliche Überreste im Schrein am Mönchschor liegen. Die Konzerte, die im unbeschreiblichen Licht der durchs Fenster fallenden Abendsonne stattfinden, auf die der Pater noch hinweist, werden wir wohl nicht genießen. Dann schon lieber die Sonne beim Stadtbummel. 
 Zuerst durch den mit Obstbäumen bestandenen Klostergarten hinunter ins kleine Gässchen, das uns zum See bringt. Es ist gemütlich hier. Fast keine Autos und immer wieder Blicke in gepflegte Gärten hinein. Am Rand des park-ähnlich gestalteten Seeufers steht die markante, kunstvoll verzierte Telefonzelle. Entweder ist sie nachgebaut oder ihr Äußeres liebevoll restauriert und noch im Originalzustand. Auf jeden Fall passt das Relikt wunderbar in das Ambiente am See. Je näher wir dem Rathaus kommen, übrigens das Älteste in Schweden und mit seinem Turm eher einer Kichre ähnlich, desto dichter wird das Gedränge. Vor dem Rathaus dicht besetzte Tische und Bänke. Vielleicht findet gerade ein Fest statt, oder es ist Markttag in der 6000 Einwohner Stadt. Zumindest sind alle Geschäfte geöffnet. Gleich links am Platz taucht die alte "Apotek" auf. Der Holzbau aus dem 18. Jahrhundert beherbergt immer noch die Apotheke. Kaum zu glauben, dass das Haus seit 1830 ununterbrochen dem selben Zweck diente und darin bis heute die Einrichtung aus dem Jahr 1863 ihren Dienst tut. Leider ist Sonntag. Leider weil die Apotheke sonntags geschlossen ist und wir können uns nicht einmal eine "Besichtigungssalbe" kaufen können. So lassen wir uns weitertreiben im Strom der Touristen, der uns in Klosternähe wieder ausspuckt. Unaufmerksam sind wir am Schloss vorbeigelaufen, das aber neben seiner Gemäldegalerie und seiner Lage am See nicht viel zu bieten hat. Sogar bei Königs feierte man lieber im hölzernen Nebengebäude wie im unwirtlichen Schloss, so dass sich der kulturelle Verlust für uns wohl in Grenzen hält. 

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 Wie die letzten großen Pfützen überwunden sind, lassen wir den Pferdchen wieder freien Lauf. Wolken und Sonne wechseln sich ab, beim Weg am Seeufer entlang. Weite reifende Getreidefelder bringen Kontrast in die grüne Landschaft. Zwischendurch immer wieder der stimmungsvolle Blick auf die schimmernde Wasserfläche. 
 Vor lauter "Stimmung" habe ich nicht aufgepasst und nun muss die Landkarte weiterhelfen. Das ist einfach, weil am Ortseingang des nächsten Dorfes die übliche Reklametafel mit Karte der Region hängt. Weil es aber just jetzt zu regnen anfängt, fahre ich so nahe an die Tafel, dass wir bequem von den Sitzen aus die Karte studieren können. Damit Traudl, mein Bio-Navi, sich auch einen genauen Überblick verschaffen kann, rangiere ich noch etwas herum bis das Beifahrerfenster nahe genug an die Tafel ist. 
 Bei der Abfahrt schlage ich die Räder wohl einen Tick zu fest ein und ein eigenartiges, ziehendes Geräusch macht sich bemerkbar. Wie ich es zuordnen kann, ist es schon zu spät. Das gewölbte Plexiglas Dach der Tafel schneidet schärfer wie unser bestes Küchenmesser durch die Außenhaut des Wohnmobiles. Langsam zurücksetzend befreie ich die Tafel aus dem Mobil. Ungerechter Weise ist der Tafel überhaupt nichts anzusehen, während die Haut des Mobiles ein 15 Zentimeter langer, exakt ausgeführter Schnitt ziert. Zudem ist der Schnitt so weit oben, dass ich ihn nicht erreichen kann. Das ist natürlich sehr ungünstig beim herrschenden Regen. Denn wie allgemein bekannt ist, ist Nässe im Inneren der Konstruktion von Reisemobilen durchaus abträglich. Da erspähe ich wenige Kilometer seitwärts die Auffahrtsrampe des örtlichen Sägewerkes. Gott sei Dank ist Wochenende und kein Betrieb. So fahre ich an die Rampe heran und kann bequem im Stehen die Havarie reparieren. Für Schäden an der Außenwand ist immer eine Rolle Klebeband, das man normalerweise zum Abdichten der Dampfsperren beim Bau verwendet. Das klebt auch bei Nässe und hält 100 % dicht. Allerdings ist es eine ziemliche Schinderei den Kleber zu Hause wieder abzulösen. Das ist allerdings im Moment mein letzter Gedanke, den ich an das Klebeband verschwende. Ich bin nur froh, dass die Karre wieder dicht ist. 
 Nun sind es nur noch wenige Kilometer bis Gränna. Gränna ist Pflicht! Die Attraktion des Ortes ist die Herstellung von Zuckerstangen. Fabriziert werden die Stangen in mehreren Kleinbetrieben die man auch besichtigen darf. 
 Für uns ist jedoch erst einmal der nächste Campingplatz das Pflichtprogramm. Der Regen hat die Wiesenhänge zum See hinunter ziemlich aufgeweicht. Darum lehne ich auch das Angebot des Betreibers ab, den Stellplatz direkt am See in Beschlag zu nehmen, obwohl er mir versichert, mich am nächsten Morgen mit dem Traktor frei zu schleppen. Da sind wir freilich gleich beim Thema und wir fachsimpeln eine Weile über Traktoren und Landwirtschaft. Anschließend rangiere ich etwas oberhalb der befestigten Straße rückwärts in den Hang. Lieber ein paar Klötze unterlegen um waagrecht zu stehen und dafür am Morgen keine Probleme. 
 Nach dem Abendessen spaziere ich noch durch tiefes Geläuf zum Ufer hinunter. Es ist phantastisch, welche Bilder das aufziehende Gewitter und die tief stehende Sonne auf den See zaubern. Der stark  aufkommende Wind lässt schon erahnen was uns in der Nacht erwartet. Die Böen treiben die Gischt der fast meterhohen Wellen als weißen Nebel vor sich her. Wie sich nur noch Tropfen auf der Linse des Fotoapparates sammeln, blase ich zum Rückzug. Gerade noch rechtzeitig. Erste, schwere Tropfen durchdringen schon das etwas schüttere Haupthaar, ehe sich die Türe des gemütlichen Heimes hinter mir schließt. 
 Am Anfang unserer "Wohnmobilkarriere" war das anders, aber heute hat der trommelnde Regen auf dem Blechdach des Mobiles etwas anheimelndes und vermittelt durchaus ein Gefühl von Geborgenheit. 

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Am morgen hat sich genau die Lage eingestellt, die ich vermutet hatte. Wohnmobile, Wohnwägen und einzelne PKW werden Zug um Zug vom Trecker frei geschleppt. Aus eigener Kraft können sich nur wenige auf die befestigten Wege retten. So hat sich unsere Erfahrung bezahlt gemacht. Ohne durchdrehende Räder rolle ich bergab auf die Straße und problemlos zum Auschecken. 

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  Voller Spannung erwartet man den Ort, oder vielmehr seine Fabrikationsstätten für die Süßigkeiten. Die kleinen Zuckerbäckereien sind im Vorbeifahren oft nicht gleich zu erkennen, so dass wir erst an der dritten "Fabrik" zum Stehen kommen. 
 Die Eingangstüre führt sogleich in den Verkaufsraum mit langen Regalen voller köstlicher Süßigkeiten. Vor dem ungezügelten Genuss kommt allerdings erst die Bildung zum Zug. Hinter großen Glasscheiben lässt sich die Herstellung der weltberühmten Zuckerstangen gut verfolgen. Zäh-klebrig hängt die farbige Masse den zwei Mitarbeitern von den Händen, wie sie diese aus dem Rührwerken nehmen. Unter eifrigem walken werden aus den grünen, roten, gelben und weißen Batzen immer dünnere, lange Stangen. Nun verdrillen die Leute die vier Stangen zu einem dekorativen Seil und schneiden in geradezu affenartiger Geschwindigkeit gaumenfreundliche Stücke ab. Bewundernswert diese fast künstlerische Handwerkskunst, denn man produziert nicht nur Stangen sondern formt auch Figuren und ähnliches. 
 Dies sehen wir dann im Verkaufsraum. So viel Süßes kitzelt nicht nur den Gaumen und lässt einem das Wasser im Munde zusammenlaufen, sondern es löst auch Begierde aus. Kleine Tütchen, große Tüten, Stangen, Gläser und kleine Kunstwerke in Cellophan verpackt, alles wandert ins Einkaufskörbchen. Wie der Laden hinter uns liegt, haben wir bestimmt ein Quantum an Süßigkeiten an Bord, das bestimmt den Bedarf für die nächsten zwei Jahre deckt. 

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Wieder ist es nicht weit zur E 04 und auf dieser Autobahn nicht weit nach Janköping. Janköping n der Südspitze des Vättern Sees, sagt mir nicht viel. Nicht einmal. dass die Stadt als Streichholzstadt für Furore gesorgt hat. Hier erfand und produzierte man Sicherheitsstreichhölzer, die 1855 zum Verkaufsschlager auf der Weltausstellung in Paris avancierten. Der Stadtteil Huskvarna sagt mir dagegen schon mehr. Es sind nicht so sehr die Nähmaschinen, mit deren Namen die Fabrik Weltruhm erlangt haben soll, sondern ich verknüpfe den Namen mit Motorsägen und Gartengeräten. Dabei hat der Ort seit dem 17. Jahrhundert eine Tradition als Waffenschmiede. 
 Unser gedanklicher Schwerpunkt ist allerdings etwas anders gelagert. Wir wollen in Astrid Lindgrens Welt eintauchen. So zweigt unsere Route wieder ostwärts nach Eskjö ab. Nicht einmal die alte Garnisonsstadt mit ihrem Holzhauscharme und ihren gemütlichen Innenhöfen kann das Mobil zum Stopp verleiten. Schnurstracks rollen die Räder durch schwedische Bilderbuchlandschaften nach Sevedstorp.  
 Hier wurde Astrid Lindgrens Vater geboren. Astrid soll einige Jahre ihrer Jugend hier verbracht haben und die wenigen Häuser haben bei "Wir Kinder aus Bullerbü" als Filmkulisse gedient. 
 Vom Parkplatz kommend, taucht man die Dorfstraße und den Hügel hinab, zwischen die lose verstreuten Häuser ein. Erwartung macht sich breit. Apfelbäume recken fotogen ihre Äste weit über die Gartenzäune. Spaßige Gärtnerfiguren begrüßen uns aus den Beeten bewohnter und darum nicht zugänglicher Grundstücke heraus. Als Attraktion dürfen die Kinder der Besucher in der kleinen Scheune nebenan ins aufgeschüttete Stroh hüpfen. Dann gibt es da noch den Andenkenladen etwas weiter hinten, dessen Angebot wenig Bezug zu Astrid Lindgren hat - und das war es auch schon. Aus Enttäuschung verweigern wir die Gartentische des Ausschanks gegenüber und werfen nur noch beim Trödler einen Blick auf dessen Sammelsurium. Vielleicht haben wir einfach zu viel erwartet von Astrids "Bullerbü".
 Der Rückweg führt fast direkt am Kirchlein von Pelarne vorbei. Die älteste in Gebrauch befindliche Holzkirche Schwedens stammt aus dem 13. Jahrhundert und einige Kunstgegenstände aus dem Innern sollen auch noch aus dem Mittelalter datieren. Sogar ein, zugegeben recht kleines Seitenschiff gibt es, in dem das Wappen des vermutlich ortsansässigen Adeligen  hängt. Bestimmt hat schon Astrid Lindgren in Kindertagen in den ausgetretenen Betstühlen gekniet und den Worten des Pfarrers gelauscht. 

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Nach gebührender Bewunderung bleibt man den kleinen Nebenwegen treu um nach Djursdala hinüber zu fahren. Am weg liegt aber noch Vimmerby mit "Astrid Lindgrens Värld". Hier sind an die 30 Szenen aus den Büchern der Schriftstellerin nachgestellt. Doch im Kern ist das hier ein riesiger Freizeitpark. Der Andrang lässt sich erahnen. Ein bis auf den letzten Platz vollgepferchter Parkplatz, mit einer "Außenwand" aus dicht an dicht geparkten Wohnmobilen. Billig wird das hier auch nicht gerade sein und "Freizeitparks" sind eh nicht unser Fall. Also abgedreht und weiter durch die Natur. es wird sehr ursprünglich im nächsten Tal. Das Hochwasser der vergangener Wolkenbrüche steht noch in den tieferen Lagen. Inseln mit Bäumen ragen ab und zu aus der Wasserfläche. Die Straße ist wegen der Überflutungen teilweise nur im Schritttempo befahrbar. Die Befangenheit fällt erst ab, wie die Räder am anderen Ende des Tales wieder bergauf klettern. 
 Der große Kirche von Djursdala, mit ihrem abgesetzten Turm auf der kleinen Anhöhe über dem Juttern See ist schon von weitem zu sehen. Doch wir sind die einzigen Besucher die sich her getraut haben oder vielleicht auch, weil das Gotteshaus schon geschlossen hat. Dass das alte Bauholz aus dem Mittelalter die Zeit unbeschadet überstanden hat, schuldet es nicht seiner besonderen Härte, sondern wohl mehr dem martialischen Teeranstrich. An den dicken Schichten der klebrig, schwarzen Masse beißen sich Holzwurm und Borkenkäfer bestimmt die Zähne aus. 

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  Zeitlich so richtig eingeordnet haben wir die verschlossene Kirche nicht. Denn eigentlich hätte uns das sagen sollen, es ist schon spät! Deshalb wählt man für die Route nach Süden wieder die kleinen, landschaftlich bezaubernden Nebenwege aus. Irgendwann trifft das Mobil dann auf die Straße, die am Veran entlang führt. Der Fluss begleitet uns fast bis Kristdala. Da schrecken uns die muhenden Kühe auf in den Ställen auf. Schon so spät? Bei den Bauern ist offensichtlich schon Zeit für die Stallarbeit. Das ist nun für uns das Signal nach einem Nachtlager Ausschau zu halten. Inzwischen hat das Wohnmobil die nächste größere Straße, die 23 erreicht. Wie immer dauert es nicht lange bis ein Campingschild am Wegrand aufblitzt. 
 Etwas einsam zeigt sich die Schotterstraße durch den dichten Wald schon ehe der direkt am See gelegen Campingplatz auftaucht. Kaum ist der Strom angeschlossen, prasselt auch schon der Ausläufer des nahen Gewitters nieder. Das Macht aber nichts, weil eh das Abendessen ansteht. Wie das Gewitter abzieht, taucht die tiefstehende Sonne die Wolkentürme in das schönste Abendrot, das man sich vorstellen kann. 

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Natürlich heißt es da "nichts wie raus" und eine Fotoserie nach der anderen schießen. Erst wie die Wolken in stimmungslosem Grau versinken gehe ich heim. Traudl hat den Krimi weggepackt und die Karte auf dem Tisch liegen. Die Strecke für morgen will gut abgestimmt sein zwischen Landschaft und Kultur.
 In der Früh' ist erst einmal Landschaft dran. Nach wenigen Kilometern verlässt das Mobil die große Verbindungsstraße um in die endlosen Wälder einzutauchen. Durch die Dörfer an den kleinen Seen, die sich um den Allgunnensee herum gruppieren, rollen die Räder etwas verhalten der Abzweigung nach Aboda Klint zu. Gleich geht es steil bergauf durch dicht stehende Bäume, die fast kein Licht auf den Weg fallen lassen. Am höchsten Punkt erwartet die Reisenden ein Aussichtsturm. Beim erklimmen seiner 120 Stufen gewährt er schon die herrlichsten Ausblicke. Da breiten sich unendliche Wälder unter uns aus. Nichts wie Wald und noch einmal Wald bis zum Horizont. Die einzigen Unterbrechungen im grünen Teppich bilden die hineingesprenkelte Seen. Um dem Ganzen noch ein Glanzlicht aufzustecken liegt direkt unter uns, in malerischem tiefblau der Badesee unter der vorspringenden Felsklippe.
 Bis jetzt sind sie mir nicht richtig bewusst geworden, die schwedischen Wälder. Beim Durchfahren dauert ein gr0ßer Wald eben nur etwas länger. Aber dieser Blick relativiert die Ausdehnung, macht den Wald groß und ein wenig erhaben. 

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Quasi durch die Hintertür kommen wir auf Kalmar zu. Es ist sehr ländlich. Getreidefelder und Wiesen säumen die Straße, bis die ersten Häuser der 35 000 Einwohner Stadt hinter Bäumen und Gebüsch auftauchen. Irgendwie führt der richtige Riecher das Mobil auf den Parkplatz in der Nähe des Schlosses. 
 Der ruhige Park, an dessen Mauern das Auto seinen Platz gefunden hat, nennt sich Klostergarten. Der kürzeste Weg zum Schloss führt durch diesen Garten, der in Wirklichkeit ein Friedhof ist. Die Ruhe unter den Jahrhunderte alten Bäumen und die teilweise verfallenen oder aufgelassenen Grabstätten zaubern eine besondere Stimmung in die Umgebung. Aus dunkelgrünem Moos erheben sich einfache Kreuze neben Grabsteinen. Manche Gräber sind gepflegt, andere der Natur überlassen. Der Gang durch diese letzten Ruhestätten berührt mich. Es scheint, dass sich hier Vergänglichkeit und Unendlichkeit unmittelbar begegnen.   
 Gleich hinter den großen Bäumen schließen sich die weiten Rasenflächen um den Schlossgraben herum an. Gelassen genießen Sonntagsausflügler beim Picknick die Ruhe und Wärme zwischen den mächtigen Mauern der Burganlage. Vom inneren Ring der Festung zielen schwere Kanonen auf uns. Doch wir lassen uns nicht abschrecken und schreiten bedächtig am Torhaus vorbei, über die Brücke zum Herrensitz hinüber. Der Blick in den Innenhof auf den vielbeschriebenen Wasabrunnen animiert nicht dazu, den Besichtigungsobolus zu löhnen. Wir drehen um, um uns in den frei zugänglichen Bereichen des Schlosses zu ergehen. Eigentlich ist der Bau der besterhaltene Renaissance Palast Nordeuropas, trotzdem er eine ziemlich bewegte Geschichte hinter sich hat. 
 Entstanden ist das Gemäuer aus einem Schutzturm gegen Piraten. In den späteren Jahren belagerten Feinde das Schloss 22 Mal, ohne es auch nur einmal einnehmen zu können. Zum Ende des 17. Jahrhunderts hin, begann schließlich der 250 jährige Verfall der Anlage. Dieser Teil der eigenartigen Karriere des Schlosses sah es als Getreidespeicher, Gefängnis und sogar als königliche Schnapsbrennerei. 
 Erst um das Jahr 1850 besann man sich auf das kulturelle Erbe und begann mit der Renovierung, die bis heute andauert. Das sieht man deutlich an den noch immer eingerüsteten Bauten. Was inzwischen fertig ist und wo noch herumrenoviert wird, entzieht sich meiner Kenntnis. Aber besonders groß wird der Verlust an Bildung durch die Meidung der inneren Burg für uns nicht gewesen sein. Dafür gibt es in einem Innenhof ein Kindertheater, nebenan den Gemüse- und Blumengarten des Kastellan und immer wieder Grünflächen vor den Mauern mit herrlichen Meerblicken. Die Idylle der kleinen Dinge macht den Schlossbesuch auch ohne illustre Details zum romantischen Erlebnis. 

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Wie die Brücke hinter uns liegt, wenden sich die Schritte der Stadtseite des Parks zu. Die Anmutung eines englischen Parks, der mit kleinen Beeten die Blumenarrangements gleichen aufgelockert ist, nimmt uns gefangen. Bestimmt schützt der uralte Trauerbaum am Weg, mit seinem riesigen, bis zum Boden hängenden Blätterdach, oft Liebespaare vor neugierigen Blicken. Daneben still sprudelnde Brunnen in Mini-Seerosenteichen, die in die Waldumgebung fast natürlich, eingewachsen erscheinen. Recht abrupt beendet der Stadtverkehr die Harmonie und Ruhe am Rand des Parks. 
 nun steht die Entscheidung an: Zu Fuß in die Stadt oder doch zurück und Auto holen? Was Wunder dass der Zuschlag für "zurück unters Blätterdach, über weiche Wiesenwege und Begleitung durch Vogelgezwitscher fällt. 
 Traudl findet den anvisierten Parkplatz für die Stadtrunde gleich beim Gefängnis, etwas unheimlich. Aber bitteschön, wo soll es sicherer sein, wie an den mit Stacheldraht bewehrten Zäunen? Zudem schwirrt noch viel Polizei um das schöne, jugendstilartige Gebäude. So bewacht lässt man das Mobil gerne zurück um zum Stadtbummel aufzubrechen. 
 Den weiträumigen Stadtplatz beherrscht der geradezu italienisch aussehende Dom. Und er enttäuscht nicht, birgt er doch tatsächlich von italienischen Künstlern geschaffenen Barock. Da sind nicht nur Kanzel und Altar in ihrer reich geschnitzten Goldoptik, sogar die Orgel passt ins Ensemble. Hinter dem runden Balkon, der auf Marmorsäulen ruht erheben sich, das Halbrund der Balustrade fortsetzend die Orgelpfeifen schier in den Himmel. Sogar die Wappen an den weißen Wänden schauen besonders verziert aus. Da geht dem barockverwöhnten Altbayern wieder einmal das Herz so richtig auf. 
 Dass die Stimmung anhält, dafür sorgt das Rathaus genau gegenüber. Zwar nicht so wuchtig wie der Dom, aber in der schwungvollen Leichtigkeit der holländischen Renaissance erbaut, steht es dem italienischen Flair nicht nach. 
 Die Einkaufstraße hinunter zum fotogenen Wasserturm säumen große Palmen. Über der Straße wehen bunte Fähnchen lustig im Wind. Nur Einkaufen geht trotz der beschwingten Stimmung heute nicht. Es ist ja schließlich Sonntag. Richtig südländisch gibt sich eine der nächsten Querstraßen, die uns zurückführen soll. Unter dem weitausladenden Geäst der Bäume sitzen Leute vor Kaffees und Eisdielen. Pure Urlaubsstimmung breitet sich in der lauen Sommerluft aus. Natürlich gesellen wir uns dazu, zu den Eis schleckenden Menschen und genießen in den Tag hinein. 
 Der Genuss verfliegt erst an der Gefängnismauer. Nein, passiert ist nichts! Es sind nur die Gedanken an die eingesperrten Menschen und an deren Schicksale, die etwas auf die Stimmung drücken. 
 Jetzt tut es natürlich gut, das Auto nicht vom Schloss holen zu müssen, sondern sogleich an Den Start gehen zu können, zum Sprung hinüber nach Öland. Die Überfahrt über die 6 Kilometer lange und etwa bis zu 40 Meter hohe Brücke erfordert die ganze Aufmerksamkeit des Piloten. Der Wind zerrt kräftig an der hohen Breitseite des Mobiles. So fällt auch die überragende Aussicht der Anspannung zum Opfer, bis das Lee der Insel erreicht ist. 
 Erst einmal haben die Pferdchen Durst. Also gleich zur Tränke. Leider hat diese kein Personal, sondern nur Automaten. Noch dazu uns unbekannte Automaten. Es ist mir schlichtweg ein Rätsel wie ich "Diesel" einstellen soll und mit den aufgedruckten Geldscheinsymbolen komme ich auch nicht klar. Die Beschriftung ist von Sonne, Wind und Wetter so verblichen, dass hinter dem Plexiglas so gut wie keine Buchstaben mehr erkennbar sind. Na denn, wieder raus auf die Landstraße! 
 Selbst das ist schwierig. Im "Stopp and Go" quält sich die Blechkolonne über die Insel. Für uns hat diese beschauliche Geschwindigkeit etwas für sich. So lassen sich die Windmühlen am Wegrand in Ruhe betrachten. Große beherbergen schon einmal Kaffees, jedoch die meisten stehen recht traurig in der Landschaft, sind dem Verfall preisgegeben. Dass sie immer genügend "Treibstoff" zur Verfügung hatten, davon zeugen die zerzausten Bäume, die in Windrichtung gebeugt den Naturgewalten trotzen. Dazwischen tauchen oft auf "Alt" und "Inselstil" gestylte Villen hinter Hecken auf. 
 Doch irgendwann gewinnt der Ärger über den Verkehr die Oberhand. Sobald die Inselhauptstadt Bornholm und damit eine geöffnete Tankstelle erreicht ist, wird umgekehrt. Endlich kann sich die Mannschaft in der Naturparkbucht am Wegrand der verdienten Pause hingeben. Nebenan auf dem Inselflugplatz dürfen wir aus sicherer Entfernung mehrmals die Landung der Rundflugmaschine in bedenklicher Schräglage miterleben. Der Pilot kämpft jedes Mal vehement mit dem Seitenwind, startet aber gleich wieder um den Passagieren die 137 Kilometer lange und zwischen 4 und 16 Kilometer breite Insel aus der Luft zu zeigen. 
 Für uns "Bodengebundene" sind die 137 Kilometer im Wochenendverkehr allemal zu lang. Da tut es gut an der Autoschlange des Gegenverkehrs entlang brausen zu können. Öland macht seinem Ruf als Ferieninsel, eigentlich wird sie als Sonneninsel Schwedens bezeichnet, all Ehre. Sogar Königs haben auf dem Eiland eine Ferienresidenz. 

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Wir sind letztlich froh, wie die Brücke im Rückspiegel verschwindet und die Räder auf der Europastraße wieder einmal südwärts rollen. Weil inzwischen Spätnachmittag ist, kommt der Campingplatz in Bergkvara gerade recht als Etappenziel. Nur zufällig ausgewählt überrascht die Anlage mit angenehm, erholsamer Atmosphäre.
 Die Stellplätze ziehen sich über einen breiten Wiesendamm zwischen zwei kleinen Seen hin. Von irgendwoher speist der breite Zulauf die Gewässer, um sich gleich hinter der Straße ins Meer zu ergießen. Wegen der für den nächsten Tag geplanten Weiterreise, parkt man nicht in den weiten Wiesen sondern direkt am Damm. Da habe ich noch dazu beste Sicht auf die kleine Brücke, die von den Anglern dicht belagert ist. Tatsächlich beißen auch noch Fische an. Soll ich nun mein immer noch originalverpacktes Angelzeug herrichten? Dann siegt letztlich die Faulheit über den Jagdtrieb. Traudl kann nur noch ungläubig über solche Gleichmütigkeit den Kopf schütteln. Das Argument, dass sich die Angelruten besser transportieren lassen, wenn sie nicht mit Haken bestückt sind, nimmt sie mir nicht direkt ab - glaube ich. So lege ich genüsslich nach dem Abendbrot die Beine hoch, bis ich zum Spaziergang antreten muss. Die kleine Runde auf die baumbestandene, nur wenige hundert Quadratmeter große Halbinsel gestaltet sich sehr erbaulich. Da liegt halb eingewachsen, das Wrack des großen, hölzernen Ruderbootes im Halbschatten der umstehenden Kiefern. Dort sind verlassene Feuerstellen und im Meer Muscheln und die von meiner Frau so geliebten, bunten Steine. Im Abendwind singen die Taue der in der Nähe festgemachten Segelboote ihr monotones Lied. Es ist einfach nur schön. 
 Wie ich am Morgen kurz aufwache, es ist gegen halb fünf, da bereue ich meine Faulheit von gestern. jetzt wäre die Zeit um auf Fischzug zu gehen. Jedoch im Bett noch einmal umdrehen und weiterschlafen ist auch nicht schlecht!

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 Bald schon schnürt das Mobil auf der E 22 dahin. Aber nicht weit, denn Karlskrona will noch besucht werden. Nicht außerhalb zu parken, sondern erst mal eine Runde durch die Stadt zu fahren, bringt dem Auto den erwünschten Vorzugsplatz direkt am Storget. Marktplatz ist wohl tief gestapelt. Den weiten  Platz fassen behäbige Bürgerhäuser, das monumentale Rathaus und zwei Kirchen. In der Mitte steht die Statue des Stadtgründers Karl XI. 
 Es hat so seine besondere Bewandtnis mit der Entstehungsgeschichte der Stadt. Schweden war um die Mitte des 17. Jahrhunderts herum beherrschende Seemacht im Ostseeraum mit Besitzungen bis ins Baltikum hinüber. Dringend erforderlich für diverse Aktionen war natürlich der eisfreie Kriegshafen. Den wollte man hier im Südosten auf mehreren, durch Brücken verbundenen Inseln mit der dazugehörigen Stadt errichten. Wegen den Eigentumsverhältnissen verzögerte sich der Baubeginn. Die Inseln waren in bäuerlichem Besitz. Freilich stellte das damals kein Hindernis dar. Man kaufte den Bauern die Grundstücke ab und wer sich weigerte wie Veit Anderson, der Besitzer der Hauptinsel, den warf man kurzerhand ins Gefängnis und nahm ihn in Beugehaft. Letztlich musste er froh sein, mit dem Leben davon gekommen zu sein. Und nun stehen wir staunend vor der Statue des Kriegsherrn, anstatt vor einer Gedenkstätte der ihrer Lebensgrundlage beraubten Bauern. 
 Wie anders soll es sein? Der erste Weg führt uns in die Fredrikskirche. Von außen Barock und innen etwas reduziert ausgeschmückt. Gut, dann eben rüber zur Dreifaltigkeitskirche. Die ist aber zugesperrt. 
 Nach genauerer Betrachtung des Zentrumsplatzes legen wir den nächsten Besichtigungsring einfach eine Straße weiter nach außen. Da ist es aber nicht mehr so vornehm. Zwar ziehen wir unsere Bahn weiter, aber den Weg hinunter zum Hafen, zu Admiralskirche und Admiralsturm spart man sich. Der Himmel tut seins dazu, schickt schon die ersten dicken Tropfen, wie das fahrbare Heim erreicht ist.
 Vorrat auffüllen ist angesagt. Die Gelegenheit ist günstig weil nur einen Katzensprung entfernt, der auch bei uns bekannte Discounter, seine Filiale hat. Direkt am Vordach wartet die Vorzugsparklücke auf uns und lässt uns trockenen Hauptes die Halle erreichen. Traudl kümmert sich um die profanen Lebensmittel, während ich nach den besonderen Dingen suche. Nur die Magnum Flasche, die sich eine Weile in meinen Händen dreht, wandert ins Regal zurück. Nach genauerer Untersuchung entpuppt sie sich als alkohol-minimierter Cidre. Hab mich eh schon gewundert frei angebotenen Schampus im Regal zu finden. Nur der Preis, der steht echtem Schampus in nichts nach. 

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 Wie uns die Straße wieder hat, verdüstert es sich immer mehr. Wenn die Schauer leichter werden , gehen sie in gleichmäßigen Landregen über. Diesem Wetter fallen die restlichen Fixpunkte der Reise zum Opfer. Kristianstad, die vom kunstsinnigen, dänischen König in niederländischem Renaissance geprägte Festungsstadt und Ystad, das gemütliche Fachwerk-Hafenstädtchen. bleiben auf der Strecke. Auch das landschaftlich, schöne Obstanbaugebiet, genauso wie die weiten, reifen Getreidefelder, verschwinden hinter dem eintönigen Grau. Hoch über dem Strand gäbe es noch eine Wikinger Grablegung in Schiffsform zu bewundern. Aber bei diesem Wetter? Und es wird immer schlimmer. An den zauberhaften Stränden der Partymeile Südschwedens entlang peitscht der Wind die Wellen, treibt die Gischt über Land, dass nicht mehr zu unterscheiden ist zwischen Regen und Wasser aus dem Meer. Nur mit Mühe lässt sich das Reisemobil, gegen die an den Aufbauten zerrenden Böen, auf die Straße zwingen. Da denken wir nicht mehr an die eingeplanten Badetage an der schwedischen Südsee. Unendlich erleichtert erreicht man schließlich Trelleborg und seinen großen Stellplatz. Dicht an dicht stehen da in langen Reihen die Mobile. Sie warten auf das Ablegen der Fähren.

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Vielleicht setzen wir morgen auch über nach Rostock. Aber erst einmal ist erholsamer Schlaf angesagt.  
 Ungewohnte Ruhe weckt mich. Das Trommeln des Regens hat aufgehört. So wage ich den Kontrollgang, vor ans Meer. Die See ist immer noch aufgewühlt. Der Wind treibt immer noch die tiefhängenden, schwarzen Wolken übers Wasser. Draußen rollen die Fähren schwer kämpfend ihren Zielen entgegen. So eine Überfahrt ist vermutlich nichts für uns. 
Damit ist schon beim Kaffee diese Art der Heimreise ad Acta gelegt. Es gibt ja auch noch die Variante über die tolle neue Brücke. bestimmt auch ein tolles Erlebnis. Vorher noch eine kleine Exkursion nach Malmö. Traudl möchte unbedingt im Heimatland des bekannten Möbelhauses den dortigen Flair genießen. Da bei diesem "Genuss" die Meinungen der Reisegesellschaft durchaus konträr sind, bin ich nicht direkt unglücklich, dass das Wetter den Stadtbummel in Malmö vermiest. 
 Fast direkt nehmen das Mobil die Rollbahn zur Brücke unter die Räder. An der Mautstelle interpretiere ich die Beschilderung falsch, weil ich meine, man könne nur mit einer bestimmten Karte bezahlen. Darum fahre ich sogleich in die Verwaltungs- und Betriebsstelle nebenan. Bis die richtigen Leute gefunden sind, das dauert. Niemand versteht mein Problem, weil man ja direkt am Mauthäuschen der Brücke bezahlen kann. Irgendwann glaube ich dem Personal dann doch. Aber Schreck lass nach, die Schranke zum Betriebshof hat sich geschlossen und das Mobil ist gefangen. 
 Also noch einmal rein zu den Leuten. Jetzt dauert alles noch ein Weilchen länger. Die Einfahrt ist nur Betriebsangehörigen erlaubt und die Schranke wird aus Sicherheitsgründen geschlossen. Blöderweise ist die Auskunftsdame von vorhin in die Pause gegangen. Die noch anwesenden Kollegen stufen mich als Sicherheitsrisiko für die Brücke ein. Ausweiskontrolle, Führerschein und Fahrzeugpapiere muss ich vorlegen. Dann kommt meine Gesprächspartnerin von vorhin aus der Pause. Sie klärt lachend die gestrengen Kontrolleure auf und ich darf das Auto wieder aus der kurzzeitigen Haft holen. Fast ein wenig enttäuschend nun keines Blickes mehr gewürdigt zu werden.
 So gewaltig und doch elegant, wie sich die Brücke von der Seeseite her präsentiert, so unspektakulär ist das Bauwerk beim Drüberfahren. Die einmalige Leistung der Architekten und Erbauer reduziert sich auf eine Autobahn. Nicht einmal die hohen Pylone vermögen ihre erhabene Größe zu vermitteln. 
 Ursprünglich hatten wir die Überfahrt auf eigenen Rädern schon mal als besonderen Punkt im Programm. Zudem hat uns die Brücke vor Wellengang und Seekrankheit gerettet, doch eigentlich enttäuscht sie die touristischen Straßenbenutzer, wenn sie nicht wie wir, mit außerordentlichem Geschick für eigene Akzente sorgen. 

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In Rödby wartet das bislang unbekannte Phänomen ausgebuchter Fähren. Da ist vermutlich die Ferienzeit daran schuld. Lange Autoschlangen sehen Schiffe kommen und gehen. Erst die dritte Fähre nimmt uns mit. Etwas stürmisch gebärden sich Wind und Wellen schon, aber es ist schließlich nicht weit, hinüber nach Puttgarden. Dort steht der Sinn nach Erholung, Einkauf und gepflegter Nachtruhe. Wie zu Beginn der Reise sucht man Unterschlupf beim schon bekannten Installateur. Auch bei ihm hat die Saison begonnen. Der Stellplatz kostet plötzlich kräftigen Zuschlag.   

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 Wehmut schleicht sich am Morgen in die Herzen, wie der "Kleiderbügel", die Brücke aufs Festland ins Blickfeld rückt. Unwiderruflich neigt sich die Reise dem Ende zu. Aufheiterung bringt nur das Wetter im wahrsten Sinne des Wortes. Die Sonne blinzelt durch die weißen Wolken vom blauen Himmel. Direkt bayrisch, in weiß und blau.

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Natürlich hat man noch Fixpunkte in petto. Da ist zum Einen das Steinhuder Meer. Auch so ein in die Erinnerung gebranntes Mal. Das Klebebildchen im Sammelalbum der heimischen Tageszeitung vor Augen, ziehen schwere niedersächsische Bauernhöfe an der Frontscheibe vorbei. Die roten Backsteinmauern setzen farbliche Akzente zwischen grasende Kühe, Wiesen, Felder und lichte Wälder. 
 Bei der Ankunft am Campingplatz merkt man es sofort. Deutschland! Es herrscht Mittagsruhe und drum heißt es erst einmal warten. Zum Glück! Weil noch eine Stunde Wartezeit vor uns liegt, schreiten wir zur Exkursion. Der See ist zugesperrt. Kajakfahrer setzen zwar die Boote in einem schmalen Zugangsstreifen ein, jedoch sonst verschwindet das Ambiente hinter einem zwei Meter hohen Zaun.                          
          
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Sogar am Kiosk, dessen Terrasse mit Tischen und Bänken bestückt ist, bleibt nur der Blick auf das massive Stahlgeflecht. Jeder Steg, jeder Zugang, gnadenlos verschlossen. Da fällt die Entscheidung leicht, dem Steinhuder Meer den Rücken zu kehren. Noch bevor sich an der Rezeption des Platzes jemand rührt, tastet sich das Mobil den schattigen, engen Fahrweg zurück, hinaus zur Landstraße. Später bestätigt sich Traudls Vermutung. Wir sind auf der Naturschutzseite des Meeres gelandet. Die übrigen Bereiche am Wasser geben sich nicht so zugeknöpft. 
 Doch zu spät! Schon geht es dem nächsten Flecken zu, der in meiner Erinnerung herumspukt. Es ist der Name "Porta Westfalica" und als Leitbild dazu das Kaiser Wilhelm Denkmal. Wobei sich die Dinge in meinen Gedanken zu einer besonderen Sehenswürdigkeit aus der Römerzeit verwoben haben. 
 Nun denn, das muss erforscht werden! Erst einmal führt die Route an die Weser, weil Flussfahrten immer etwas besonderes sind. Und da ist natürlich noch etwas. Flussaufwärts liegt einige Kilometer weiter Fuldatal. Da können wir bequem beim freundlichen Händler, die am Beginn der Reise geliehenen Kevlar- Gasflaschen, wieder los werden. 
 gemächlich kurven wir so, immer möglichst nah am Wasser, auf Minden zu. Dort, auf des Kanzlers Weide sollen unsere Pferdchen das Nachtlager finden. Sie sind nicht alleine. Gut hundert Wohnmobile stehen schon auf dem riesigen Parkplatz. Natürlich richte ich die Nase des Mobiles so, dass wir das Denkmal im Blick haben.  

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  Soll man den Spätnachmittag verbummeln oder noch einmal Kultur tanken? Keine Frage, Stiefel schnüren und rüber in die Stadt! Praktischerweise bringt die Fußgängerbrücke Besucher bequem über die Weser. Unten am Fluss liegt die alte Wassermühle vertäut. Auf der Wiese davor tummeln sich hunderte Wildenten in eifriges Schnattern vertieft. Kühlende Schatten bringen die Bäume des Ufersaumes, der sich fast als schmaler Park den Fluss entlangzieht. Nach wenigen Schritten nimmt uns das Zentrum der Altstadt gefangen. Die hohen, kunstvoll verzierten Fachwerkhäuser zeugen noch vom Handelsreichtum und vom einstigen Gewicht der Stadt in Staat und Kirche. Frühgeschichtlichen Funden nach, soll es bereits um 300 n.Chr. hier eine Ansiedlung gegeben haben. Jedoch erst mit Karl dem Großen kam die Sache in Schwung. Er gründete um 800 ein Bistum und hielt in den diesen Jahren die Reichsversammlung in "Minda" ab. Zu Gute kam Minden natürlich seine Lage am Kreuzungspunkt zweier Handelswege. Wie dann dem Ort im Jahr 977 Marktrecht, Münzrecht und Zollrecht verliehen wurde, kam ordentlich Geld in die Kasse. Leider nicht in die Kasse der Mindener, denn als Verwalter der Stadt fungierte  ein "Wichgraf", also quasi ein dem Bischof unterstellter Beamter. Erst 1230 gelang es den Mindener Bürgern sich vom Bischof zu lösen und in den Besitz der Stadtrechte zu gelangen. Sofort ging man daran den Handelsweg mit dem Bau einer steinernen Brücke zu sichern und zu verbessern. Neben dem Getreidehandel verschaffte sich die Stadt durch Bier brauen eine weitere Einnahmequelle. 
 Der neue Bürgerstolz verlangte nach Repräsentation, So schritt man zum Bau des Rathauses, das den Ansprüchen durchaus gerecht wurde. Das stattliche Bürgerhaus in Sichtweite zum Dom war dem Bischof ein Ärgernis, das er nicht verwinden konnte. Erzürnt verlegte er seinen Amtssitz ins Schloss Petershagen und verließ Mindens Stadtgebiet. Mit dem Übertritt der Mindener Bürger zum evangelischen Glauben im Jahr 1529 war der Affront perfekt.
 Entscheidend wird dieser Schritt vermutlich nicht gewesen sein, als 1618 der "Dreißigjährige Krieg" begann. Besetzt von katholischen Truppen und befreit von den Schweden gab es, wie in jedem Krieg nur einen Verlierer. Das sind die Menschen, deren Behausungen niedergebrannt wurden und die oft nur ihr nacktes Leben retten konnten. Im "Westfälischen Frieden" bekam das brandenburgische Herrscherhaus den Zuschlag für Minden, was der künftigen kulturellen Entwicklung nicht gerade förderlich war. Weil das alles scheinbar noch nicht genug war, musste Minden noch die Wirren des siebenjährigen Krieges überstehen bis wieder Ruhe einkehrte. 
 Dem preußischen Staatsverständnis entsprechend wurde Minden zum Bollwerk mit steinernem Verteidigungswall um die Stadt. Der Mindener Landrat von Arnim setzte alle Mittel zum Ausbau der Festungsanlagen ein. Dies hinderte freilich die Stadtentwicklung entscheidend. Erst wie der Reichstag 1873 die Festungsstrategie aufgab, konnte sich die Stadt frei entfalten. 
 Die Bedeutung Mindens im Mittelalter erreichte die Stadt nie mehr. Nicht einmal nach der Fertigstellung der Schachtschleuse, die Mittellandkanal und Weser verbindet. Eine gewisse Schuld daran mag daran auch der Beginn des ersten Weltkrieges tragen. Aber besonders schlimm erwischte es Minden im zweiten Weltkrieg. Da war natürlich das Wasserstraßenkreuz ein strategisch, wichtiges Ziel, jedoch vermutlich noch viel mehr die unterirdisch gelegenen Rüstungsfabriken im Weser- und Wiehengebirge. Immer wieder trafen die Bomber die Stadt schwer. Wie dann im März 1945 niemand mehr mit neuerlichen Bombardements rechnete, legte der letzte Angriff der Alliierten die Innenstadt in Schutt und Asche. Selbst vom Dom blieben nur Fragmente des Mauerwerkes stehen.  
 Schier unglaublich, dass diese Fachwerkhäuser, diese Fassaden ringsum restauriert wurden und nicht direkt dem Mittelalter entsprungen sind. Einfach bewundernswert die Leistung der Mindener Bürger, die mit ihrer Tatkraft und vielleicht auch mit ein bisschen Bürgerstolz ihre Altstadt wieder erstehen ließen. Direkt gemütlich schaut der Marktplatz aus, mit dem reichen Blumenschmuck vor den Fenstern der historischen Gebäude. Staunend laufen wir durch die Menge flanierender Menschen zum Dom hinunter. Noch ein Zeugnis des Aufbau Eifers. 
 Der Dom steht da, wie er wohl schon im 13. Jahrhundert in seiner Mächtigkeit auf die Gläubigen gewirkt hat. Es bleibt nur "Staunen". Gut dass im Vorraum der Kirche auf einer Tafel die Baugeschichte des Domes und des Wiederaufbaues in Stein gehauen ist. Was hier aus dem Schutt und der Zerstörung des 2. Weltkrieges erstanden ist, nötigt den Besuchern einzigartige Bewunderung ab.

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 Am ehemaligen Stein des Anstoßes, dem Rathaus vorbeiwandernd, umfängt uns unversehens reges Treiben. Straßenmaler, Stelzengänger und Straßenmusiker sorgen für Aufmerksamkeit einer Schüleraktion. Es dauert geraume Zeit, bis wir dem Trubel entrinnen können. Zugegeben nicht nur wegen des Auflaufes, sondern auch, weil die Darbietungen faszinierend sind. 
 Letztlich ist dann der Aufstieg nach St. Marien geschafft. Die Südseite des Kirchenhügels zieren die Stöcke des kleinen Weinberges.
 Nach dem hellen Sonnenlicht draußen ist es beim Eintritt in die Kirche schwer, etwas zu erkennen. Fast erschreckt uns der ältere Herr, der uns anspricht, wie wir uns nach Kirchenbeschreibungen suchend durch das Angebot der ausliegenden Broschüren tasten. Sofort sind wir willige Opfer dieses "Kirchenführers". Er weiß nicht nur über Altäre oder die steinerne, wie aus Porzellan gefertigte Kanzel nebst Taufstein Bescheid, sondern auch über die Jahrhunderte dauernden Verwicklungen der katholischen Domgemeinde mit der evangelischen Kirchengemeinde St. Mariens. Doch nicht nur der gewaltige Schwall Kultur bricht über uns herein, auch den Tipp für ein Gasthaus nach unserem Gusto hat der Kirchenführer parat. 
 Leider hat es geschlossen und so nimmt man direkt oberhalb des Weinberges, auf der Terrasse des neu eröffneten Bistros Platz. 
 Welch gute Wahl! Nach langer Abstinenz umschmeichelt bayrisches Weißbier den Gaumen. Da bleibt es freilich nicht bei einem Gebinde der Halbliterklasse. Der Genuss will ausgekostet werden. Sogar die Besichtigung des hundert Jahre alten Schiffshebewerks, das Weser und Mittellandkanal verbindet, fällt der bayrischen Braukunst zum Opfer. Kein Wunder dass die Abkürzung zu des Kanzlers Weide, wegen der etwas eingeschränkten Orientierungsfähigkeit zum Umweg gerät. Allerdings führt uns der Umweg zum Kloster und weiter durch enge Gassen und an niedrigen, wunderschön-heimeligen Fachwerkhäusern vorbei. 
 Auf der Weser ist noch richtig Betrieb. Drachenboote fahren, vom dumpfen Trommelwirbel ihrer Schlagmänner angetrieben, um die Wette flussabwärts. Auf den Uferwiesen bereiten Besatzungen von Heißluftballonen die Fluggeräte zum Aufstieg vor. Herrliche Bilder werden uns zum Abschied geschenkt, wie die bunten Ballone, fotogen mit dem Wilhelmsdenkmal im Hintergrund, in den Abendhimmel schweben. 

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  Am nächsten Morgen ist der Zauber verflogen, genauso wie das schöne Wetter. Es regnet leicht und das schlaue Büchlein auf dem Kaffeetisch hat mein Bild von "Porta Wesrfalica" zurecht gerückt. Damit hat man nur den Durchbruch der Weser durch die Bergzüge bezeichnet und weil es damals besonders chic war französisch zu sprechen kam es eben zu "Porta Westfalica". Die Stadt selbst ist auch recht unspektakulär entstanden. Im Zuge der Gebietsreform im Jahr 1973 legte man 16 eigenständige Gemeinden zu einer Stadt zusammen und gab ihr, vermutlich um keine Gemeinde zu brüskieren, den Namen Porta Westfalica. 
 Auch das Denkmal für Kaiser Wilhelm hat keinen geschichtlichen Hintergrund. Es war einfach Mode nach dem Tod des Kaisers 1888, überall im Reich Denkmale zu seiner Ehre zu errichten. 
 So ist wieder ein Stück Illusion über Nacht zerstoben. Der leise Nieselregen passt zur melancholischen Heimreise mit Gedanken an zurückliegende, wunderbare Reiseerinnerungen. Und wieder einmal ist damit die Erkenntnis verbunden, dass vieles eben anders ist, wie gängige Vorurteile es vermuten lassen.

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 Ich hoffe dass Euch der Reisebericht zu meiner schönsten Reise gefallen hat und eine besondere Freude wäre es mir, wenn ich vielleicht einige meiner Leser "mitnehmen" konnte auf der Tour durch Skandinavien.
Anderl 
                        
             
          



                                            

       
           
        


       
 

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