Meine Schottische Familie und meine Erfahrungen - 4


Meine Schottische Familie und meine Erfahrungen - 4

Meine Schottenfamilie war nicht nur kurios, sondern auch recht knauserig und berechnend, was in meinen Beiträgen auch erkennbar war und meine 4. Anekdote nun berichtet.
 
Eines Tages brachte die Land-Lady Aprikosen nach Hause. Verstaut in einer grossen Papiertüte lagen sie in der Küche auf einer Ablagefläche. Dort entdeckte ich sie, als ich gerade mein Mittags-Picknick in der Küche zu mir nahm. Wow lecker, dachte ich und konnte der Versuchung nicht widerstehen, drei Aprikosen zu klauen. Und wie diese Aprikosen mundeten, das war einfach ein himmlischer Genuss. Aber wohin mit den Aprikosensteinen? Auf keinen Fall in den Abfallkübel. Ich ging in den Garten hinten raus und warf die Steine in hohem Bogen über die Gartenmauer.
 
An diesem Tag war das Spielzimmer zum Reinigen dran – tja und was fand ich dort auf dem Boden??? 3 Aprikosensteine!!! Das waren aber nicht meine, denn sie verliessen ja bekanntlich das King-Murray-Haus in hohem Bogen. Ich entsorgte die Steine in Abfalleimer und gut wars. – dachte ich –

Vor dem Abendessen, ich befand mich in meinem Zimmer, hörte ich im Erdgeschoss ein Geschrei, öffnete leise meine Türe (2. Stock), um zu horchen und hörte, wie die Rede von 6 Stück war. Noch konnte ich nicht ahnen, worum genau diese Diskussion stattfand.
Beim Abendessen dann berichtete die Land-Lady verärgert und in meine Richtung über die fehlenden 6 Aprikosen. Im ersten Moment war ich schockiert über «abgezählte» Aprikosen. Auf ihre Frage, wer die Aprikosen genommen habe, war gähnende Stille – sie insistierte und wurde auch noch von ihrem Mann unterstützt. Dann kam ein Moment, wo ich aufgrund der Mimik in den Gesichtern lesen konnte, dass sie mich in Verdacht hatten. Stopp dachte ich, jetzt musst du etwas unternehmen:
 
Ich berichtete, dass ich drei Steine im Spielzimmer gefunden habe. Blitzartig ging der Land-Lord zum Abfallkübel und kuckte nach, ob die 3 oder gar mehr Steine drin waren. Es waren nur 3!!!
Wieder am Tisch tauschten er und sie Blicke aus und bedankten sich bei mir, was mir im ersten Moment peinlich war, aber es ging um meine Haut.
Die Land-Lady bereitete mit den noch übrigen Aprikosen ein Dessert zu und als Entschuldigung an mich, bekam ich eine zweite Portion.
Zugegeben, mein Verhalten war nicht ganz fair, aber wenn ich an all die Gegebenheiten denke, die mir bei dieser Familie so geschehen sind – ich erinnere an das abgeschaltete warme Duschwasser usw., machte ich mir um die Fairness nicht mehr so viele Gedanken.
 
Übrigens, weder von der Land-Lady, noch vom Land-Lord wurde mir je eine Tasse Kaffee angeboten, obwohl die beiden beim Fernsehen Kaffee und auch Whisky tranken und ich sass im gleichen Raum und schaute fern. Auch Tee wurde mir nicht zusätzlich angeboten, den hatte ich nur zum Frühstück.
Aber auch diese Tatsache machte mich sehr erfinderisch. Wie bekannt, war ich während meiner Mittagspause nach der Schule und der Arbeit immer alleine. So machte ich mir öfters über den Mittag einen Kaffee (Nescafé), der natürlich doppelt so gut schmeckte, weil geklaut! Eines Mittags ging plötzlich die Haustüre und vor lauter Schreck schüttete ich den Kaffee weg, dachte aber nicht gleich an den Kaffeeduft im Raum!!! Der Land-Lord hatte etwas vergessen und war danach gleich wieder weg - und ich brühte den nächsten Kaffee auf🤔

Auch die Whiskyflasche fand ich irgendwann, so genehmigte ich mir hin und wieder mal einen kleinen Whisky.
An Samstag und Sonntag gab es für die Erwachsenen immer ein kleines Glas Sider – NIE ein zweites Glas, denn es musste ja für die Herrschaften noch etwas übrig bleiben für den Montagabend, wenn sie vor dem Kamin sassen!
Selbstverständlich fand ich auch diese Flasche und befriedigte hin und wieder meine Lust auf Sider. Irgendwann erwischte ich den Sohn, der ebenfalls Durst nach Sider hatte! Aber ich behielt es für mich.
 
Das sind und waren einige Geschichten aus meiner Zeit in Edinburgh bei der Familie King-Murray. Ich kann verraten, dass ich nach dem Jahreswechsel diese Familie verlassen und drei Häuser weiter zu einer anderen Familie gewechselt habe. Über diesen etwas unschönen Abgang und den komfortablen Neubeginn werde ich in Kürze schreiben. Bis dahin………..
 
Jutta

 


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Kommentare (10)

Fewa

Einfach nur großartig diese Geschichten zu erfahren und natürlich dein Schreibstil,einfach zu köstlich. Ich freue mich schon auf die Fortsetzung.
Herzlichen Dank sagt
Fewa 

Jutta

@Fewa  

Liebe Fewa,

Erstmal danke ich dir für all deine geschenkten Herzchen und ich freue mich, dass dir meine Geschichten gefallen. Es macht mir auch viel Spass, die Erinnerungen wieder hochleben zu lassen - man befasst sich wieder mit den Erlebnissen, wobei ich mir auch bewusst werde, was so alles in meinem Leben geschah und wie spannend es war.

Liebe Grüsse
Jutta

ladybird

oweih, liebe Jutta...
Deine Erlebnisse sind das ganze Gegenteil von den schönen Landsitzen und auch Geschichten der Rosamunde Pilcher....
Deine Erzählungen gleichen ähnlich einem Aufenthalt im Gefängnis....

diese Familie zeigte Dir stets " ihre Macht und Deine Abhängigkeit" von ihnen.Das steht niemals für "typically Scottish"
Du hast ja danach auch Bessere erfahren dürfen...
Für Deine Entwicklung hat diese Zeit sich lehrreich gezeigt.....
läßt Du uns stets wissen.....
also, bleibt es spannend....
lieben Dank
Renate

 
 

 

Jutta

@ladybird  

Liebe Renate,

Ich habe mich aber nie einschüchtern lassen durch das Gehabe von der Land-Lady, denn ich fand sie ja wirklich affig, was eine grosse Erkenntnis über mich selbst war. Und ich bewegte mich ja nicht ausschliesslich in dem Haus, sondern ich ging raus und traf Schulkolleginnen. Weder machte ich die Faust im Sack, noch drehte ich Däumchen - ich war unterwegs!

Also bis bald, Renate und
liebe Grüsse
Jutta

JuergenS

toll, ein gutes Lehrstück fürs Leben.
und auf dem Bild oben seh ich den calton hill, auf dem ich besonders gerne war, und im Vordergrund St Giles?

Servus(übrigens haggis schmeckte uns ausgezeichnet)

übrigens, meine tochter war auch Aupair, aber in Manchester, musste ebenfalls bald wechseln, hatte dann eine schöne Zeit bei einer großen Familie, stressfrei und, allerdings waren die reich.

 

Jutta

@JuergenS  

Ja, ich habe sehr viel gelernt und über mich erfahren - eine Zeit, die ich keinesfalls missen möchte. Ich habe Schottland in absolut guter Erinnerung.

Jutta

Globetrotter

Liebe Jutta,
das hört sich mal wieder grausig an, wurdest du am Anfang deines Besuches denn irgendwie in eine Hausordnung eingewiesen, nach dem Motto was du dir wann zum Essen und Trinken nehmen durftest?
LG
Gisela

Jutta

@Globetrotter  

Liebe Gisela,

Mir wurde erklärt, wo mein Zimmer ist, wann ich zur Schule gehen muss, wann die Essenszeiten sind, wann und was ich zu arbeiten habe, wann ich ein Bad jede Woche nehmen darf und dass sie mir jeden Mittag in der Küche den Lunch bereitstellen werde. Mein Lunch war oft irgendeine Pie oder Sandwich mit einer Käsescheibe drauf. Sie stellte mir nicht das Sandwichbrot hin, nein, sie bestimmte, wie viele Sandwichscheiben ich zu essen hatte! War mir das nicht genug, klaute ich halt noch eine Scheibe. Zu Trinken gab es Wasser und wenn ich mich richtig erinnere, gab es zum Abendessen manchmal nochmals Tee, sonst Wasser. 
Ich war nicht frei, mir etwas Essbares einfach so selber zu nehmen. Ich war auch überzeugt, dass die Toastbrotscheiben abgezählt waren. 

An einem Wochenende fragte ich nach einem kleinen Picknick anstelle des Mittagessens, weil ich mit einem dort kennengelernten Freund wegfahren wollte. Sie akzeptierte das nicht, weil das Mittagessen für alle bereits organisiert sei - entweder Mittagessen zuhause oder KEIN Picknick!!!
Ich entschied mich für "kein Picknick"

Trotz meiner 22 wagte ich nicht oft zu widersprechen, ausser wenn es ungerecht wurde.

Ich grüsse dich über die Meere

Jutta

 

Claudine

Liebe Jutta,
es ist geradezu lächerlich, wie knauserig diese Leute waren. So ein Theater wegen ein paar Aprikosen, die Madame Land-Lord vermutlich von irgend einem Nachbarn geschenkt bekommen oder irgendwo eingesammelt hat.
Aber Du hast auch diese Anekdote derart mit Witz gewürzt, dass ich wieder und wieder herzlich lachen musste.
Zum Trost anbei ein Schottenwitz, um Dich ein wenig aufzuheitern: 
Der traditionelle schottische Heiratstermin ist der 29. Februar, denn dann brauchen die Eheleute später nur alle 4 Jahre ihren Hochzeitstag feiern.😏

Herzlichst
Irmina


 

Jutta

@Claudine  

Liebe Irmina,

Diese Aprikosengeschichte war damals schon sehr speziell. Ich litt zwar nicht so sehr unter diesem Geiz und deren Unnahbarkeit. Vielleicht hätte ich auch etwas mehr auf sie zugehen sollen, aber das war nicht so sehr meine Stärke und vor allen Dingen war es auch anfangs ein Sprachproblem. Ich liess aber die Dinge nicht so nahe an mich ran resp. ich hatte wohl genügend Galgenhumor, um mit den Geschehnissen umzugehen.
Für mich war es eine sehr lehrreiche und wichtige Zeit in Schottland. 

Bis zur nächsten Geschichte
grüsse ich dich herzlich
Jutta
 

 


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