Meine erste Busfahrt in Edinburgh und ihre Folgen
Inzwischen war ich aber bereits ein paar Jahre im Beruf, wollte jedoch die Sprache unbedingt lernen und entschloss mich, nach Edinburgh zu gehen, dort bei einer Familie zu leben und in deren Haus ein wenig zu haushalten. Vom Alter her (22) war es auch Zeit, dieses Abenteuer in Angriff zu nehmen. Zudem verstarb meine Liebe zum damaligen Jahreswechsel und ich dann froh war, Basel verlassen zu können.
Also war ich in Edinburgh gelandet, von der Familie freundlich in Empfang genommen und instruiert worden, wie alles so zu laufen hat, was ich im Haus zu tun habe und dass ich täglich vormittags zur Schule gehen müsse.
Am ersten Schultag brachte mich die Land-Lady mit dem Auto bis zum Schulhaus und erklärte mir, dass der 23er Bus gegenüber der Strasse ohne Umsteigen nach Trinity (unser resp. mein neues Quartier) fahre – ich dann nur noch ein paar Schritte bis nach Hause habe.
So versuchte ich in meiner ersten Englisch-Stunde irgendetwas zu verstehen, was zu meiner grossen Überraschung tatsächlich passierte, ich mir aber nicht erklären konnte. Ich stellte auch fest, dass unsere Englisch-Klasse ein international zusammen gewürfelter Haufen war, aber sehr sympathisch.
Dann kam der Moment, wo ich zur beschriebenen Bushaltestelle ging und auf die Nummer 23 wartete. Zum ersten Mal stieg ich in den 23er Bus in Richtung Trinity, löste das Ticket beim Schaffner und die Reise begann. Ich passte ganz genau auf, wo der Bus durchfuhr und als wir einem riesen grossen Sportplatz entlangfuhren, war mir klar, dass ich aussteigen musste, was ich auch tat.
Plötzlich wusste ich nicht mehr, wo ich war - alles sah anders aus, als ich es kennengelernt habe. Das Einzige was für mich stimmte, war der grosse Sportplatz.
Was tun??? Ich wartete auf den nächsten Bus, stieg ein und verlangte beim Schaffner die Station «Trinity». Er grinste mich freundlich an, nahm mein Geld nicht entgegen, erzählte mir irgendetwas, das ich nicht verstand. Der Bus fuhr um die Ecke und blieb an der nächsten Ecke stehen. Der Schaffner sagte freundlich zu mir «Trinity» und ich verstand plötzlich alles, was der Schaffner mir zuvor erklärte. Ich bin lediglich eine Station zu früh ausgestiegen. Der Schaffner lachte herzhaft und sagte dann, «bye, bye dear».
Ein paar Tage später, als ich den Bus Nr. 23 an der Endstation Trinity betrat, wurde ich freundlich begrüsst mit «hello my dear» ich kuckte und siehe da, es war der Schaffner, der mich bei der ersten Busfahrt um die Sportplatzecke begleitete.
Die Folge dieses Irrtums meinerseits war, dass ich ab diesem Moment stets kostenlos zur Schule oder nach Hause fahren konnte, wenn dieser Schaffner den 23er Bus begleitete. Mit einem «Hello dear» oder «good morning dear» war ich dabei.
Nach ein paar Monaten Aufenthalt in Edinburgh und der Englischen Sprache bereits etwas mächtig, befand ich mich in der Princes Street beim Shopping und hatte zum Schluss kein Geld mehr für die Heimfahrt. Zu Fuss nach Hause gehen wäre eine kleinere «Weltreise» gewesen. Also stellte ich mich an die Bushaltestelle und wartete auf die Nr.23 mit der Hoffnung, mein charmanter Schaffner erscheint in irgendeinem 23er Bus. Ich weiss heute nicht mehr, wie viele 23er ich ohne Erfolg abgewartet hatte. Erneut was mache ich jetzt. Ich erinnerte mich, einige Briefmarken im sonst leeren Portemonnaie zu haben, sodass ich an der Bushaltestelle die wartende Menschenschlange angesprochen hatte und meine Briefmarken zum Verkauf anbot. Eine Dame fragte mich, woher ich denn komme – als sie Schweiz hörte, war sie entzückt und meinte, sie wolle keine Briefmarken, aber sie gebe mir das Bus-Geld.
Diese und noch viele andere schöne Gegebenheiten erlebte ich in Schottland und wollte eigentlich am Schluss meines Aufenthaltes gar nicht wirklich in die Schweiz zurück.
Es scheint, dass mir es die Mentalität der Schotten sehr angetan hat, wenn man bedenkt, dass auch die kanadischen Schotten mir den Kopf verdreht haben. Vielleicht war ich in einem früheren Leben eine Schottin???
Jutta
Kommentare (21)
Edinburgh gehört, aber das ist eine andere Geschichte, die nicht hierher gehört, zu meinen Lieblings-Städten. Aber offensichtlich gibt es einige hier, die dort waren, ohne Schottland insgesamt näher erkundet zu haben.
(Ich verfolge den blog aufmerksam, ich hatte glaub ich auch mal einen thread mit meinen Bildern gemacht.)
Liebe Jutta,
auch mir ging es ähnlich wie Dir in jungen Jahren als ich in Paris als jung verheiratete Frau fernab von der bayrischen Beschaulichkeit meines Dorflebens plötzlich in einer Großstadt zurechtkommen sollte. Und das mit einem Kleinkind.
Anfangs habe ich mich häufig in der Stadt verfahren, bin in die falsche Metro eingestiegen und bin zu Verabredungen mit meinem Mann oder Freunden zu spät gekommen, die sich rießige Sorgen gemacht haben um mich. Denn damals gab es ja noch kein Handy, um Bescheid zu sagen.
Ich danke Dir, dass Du den Mut hast, uns an Deinen Erinnerungen teilhaben zu lassen. Es ist immer schön, sie zu lesen.
Herzliche Grüße nach Basel
Irmina
@Claudine
Liebe Irmina,
Das kann ich sehr gut nachempfinden, wie es dir in der Grossstadt Paris ergangen ist.
Als noch junger Mensch besuchte ich im 1993 Paris und zwar mit meinem Auto. Das ging erstaunlich gut, weil ich mich einfach dem Fahrstil der Pariser angepasst habe. Plötzlich realisierte ich, dass ich die falsche Richtung fuhr, befand mich auf dem Place de la Concorde, wo es damals eine riesen grosse Baustelle gab. Kurzerhand kehrte ich auf der grossen Baustelle, indem ich auf der einen Seite auf und auf der anderen Seite von der Baustelle fuhr und mich wieder in Richtung Champs-Elysées befand - niemand schimpfte oder hupte.
Es freut mich, dass dir meine Erinnerungen gefallen und ich bin sicher, dass es noch einige Anekdoten zu erzählen gibt.
Danke, dass auch du deine Erinnerung mitgeteilt hast!
Ich grüsse dich herzlich
Jutta
Liebe Jutta, deine hübsche Erlebniserzählung zeigt zugleich, dass es doch noch immer wieder uneigennützig gute Menschen gibt. Das lässt hoffen, dass diese Welt noch nicht ganz verloren ist.
Habe es gerne gelesen und sende freudige Wochenendgrüße
Syrdal
@Syrdal
Lieber Syrdal,
Ich glaube sogar an die Mehrheit der guten Menschen, nur sind die anderen einfach lauter! Danke für deinen Kommentar und sende dir
liebe Grüsse
Jutta
Liebe Jutta,
genauso wie du dich über das geschenkte Fahrgeld gefreut hast, hat sich die Geberin höchstwahrscheinlich auch gefreut. Jedenfalls geht es mir immer so, wenn ich mal einem Menschen aus einer Bredouille helfen kann. Wie war das noch bei den Pfadfindern "Jeden Tag eine gute Tat tun"😁
Die Stadt Edinburgh fand ich auch sehr schön, die Aussprache des Namens musste ich allerdings erst lernen.
LG
Gisela
@Globetrotter
Liebe Gisela,
Ich war zwar nie bei den Pfadfindern (wäre gerne dabei gewesen), aber machte in der Regel stets gute Erfahrungen mit Geben, wie auch mit Nehmen, besonders im Ausland. Der Erfolg hängt natürlich sehr stark von einem selber ab, wie man den Menschen begegnet.
Es freut mich, dass dir Edinburgh auch gut gefällt - es ist wirklich eine spannende Stadt.
Sei herzlich gegrüsst von
Jutta
Und jetzt beim nochmal durchlesen, begreif ich nicht nur die Quintessenz deiner Geschichte, sondern hab heut was ähnliches erlebt; mir, der aus einer Unaufmerksamkeit ohne Geld und alles dastand, schenkte ein netter Mensch 3.90 €, damit ich mir eine Fahrkarte kaufen konnte.😃
Sonst hätt ich 10 km laufen müssen.
Liebe Jutta,
gerne habe ich Deinen Erlebnisbericht gelesen. Schottland ist wirklich sehr interessant, denn es verfügt über viele mysteriöse Burgen und Schlösser und weiten Landschaften, die ich mir gerade im Netz angesehen habe.
Haggis, Neeps und Tatties soll wohl das Lieblingsessen der Schotten sein. Hast Du dieses Gericht damals auch mal probiert?😏
Herzliche Grüße
Rosi65
@Rosi65
Liebe Rosi,
Ich bin eigentlich ein sehr anpassungfähiger Mensch, aber auf den "Haggis & Co"-Ast liess ich mich nicht ein 😓
Herzliche Grüsse
Jutta
Liebe Jutta,
gerne habe ich deine Erinnerungen gelesen, die du so locker und lebendig mit uns geteilt hast. Danke dafür.
Meine ersten Alleingänge auf der anderen Seite unseres Erdballs zeigen in etwa gleiche Ähnlichkeiten auf. :-))
Wichtig sind aber die Erfahrungen und man muss die richtige Neugier auf andere Kulturen und Menschen mitbringen. Dann fußt man relativ schnell.
Mit lieben Wochenendgrüßen winke ich dir zu.
Ingrid
@indeed
Liebe Ingrid,
Vielen Dank für Deinen Kommentar.
Das war damals der beste Entscheid, nach Edinburgh zu gehen. Wenn ich mir das gerade so überlege, finde ich es interessant, dass wichtigste Entscheide stets etwas mit dem Landesname "(...)Schottland" zu tun haben!
Ich freue mich, dass dir meine Erinnerung gefallen hat und
schicke dir herzliche Grüsse
Jutta
Liebe Jutta,
...Deine so herzlichen Erlebnisse in Schottland´s Hauptstadt waren sicherlich ein
"Grundstein" für Dein weiteres Leben?
So kann ich Deinen Eindruck von diesem Land und besonders von den Menschen dort nur bestätigen und bekräftigen. Durch meine günstige Gelegenheit, meine dort wohnende Familie seit 25 Jahren immer besuchen zu können, (am Rande der highlands) bleibe ich auch begeisteter "SCO-fan"....
Lieben Dank fürs "Mitfahren dürfen nach "Trinity",
mit Gruß
Renate and enjoy a nice day...
@ladybird
Liebe Renate,
Danke für Deine Nachricht. Weil Deine Familie in Schottland lebt, verirren sich Deine Gedanken natürlich fast täglich zu den Schotten. Bei mir nicht gerade täglich, aber doch sehr oft. Du bist ja wirklich zu beneiden, ständig mit einem Fuss in Schottland zu stehen.
Na, lassen wir uns überraschen, wohin mich der nächste "Edinburgher Bus" hinführt!!?? Bis dahin
liebe Grüsse von
Jutta
good morning dear,
das hast du aber schön erlebt und uns daran teilnehmen lassen!
Man kann sich gut vorstellen, daß Du bei Deinem Aufenthalt nicht nur Englisch gelernt hast, sondern auch Durchhaltevermögen, Cleverness und Freude an neuer Umgebung und an anderen Menschen.
Erzähle nur weiter - das wird nicht die einzige Anekdote gewesen sein?
Mit herzlichen Grüßen
Ursula
@U. Petri
Hello dear,
Danke, liebe Ursula, für Deine lieben Zeilen. Die Zeit in Schottland resp. Edinburgh war für mich damals wirklich eine spannende und weiterbringende Erfahrung, die ich nie hätte missen wollen. Sicher gibt es in meiner Erinnerung noch einige amüsante Ereignisse, die ich vielleicht hier erzählen werde - bis dahin sage ich zu Dir
bye, bye dear, I'll see you
Jutta
Interessant, denn ich war als Tourist 2 mal in Edinburgh, natürlich ganz was anderes, aber vielleicht berichtest du noch mehr. Wenn man E. nicht kennt, kann man es gar nicht erfassen, was das, zumindest für mich als Tourist für eine einmalige Stadt mit ihrer Atmosphäre ist.
Ich hatte zusammen mit meiner Tochter mehrere Stadtrundfahrten mit stops gemacht, übrigens war die mal aupair aber in Manchester.
Servus
@JuergenS
Lieber JuergenS,
Danke für deine drei Beiträge zur Stadt Edinburgh.
Ich kann deine Aussagen über diese Stadt nur bestätigen. Es ist eine spannende und einmalige Stadt mit sehr viel Charme. Erst als ich dort lebte begriff ich, was Freiheitsgefühl bedeutet. In der Zwischenzeit war ich etliche Male dort und es fühlte sich jeweils wie «nach Hause kommen» an.
Ich meine, es war im 2021, als du den Schottland-Thread hattest, wo ich dir auch etwas geschrieben habe über meine Erfahrung.
Ich werde sicher noch das eine oder andere amüsante «Geschichtlein» zu erzählen haben. Bis dahin
grüsse ich dich herzlich
Jutta
Ganz herzlichen Dank sage ich allen "💚"chen-Gebern für meine Schottische Erinnerung - ich freute mich sehr darüber. Es spornt mich auch an, Euch noch andere amüsante Ereignisse aus Schottland zu berichten wollen.
Seid herzlich gegrüsst
Jutta