Mein einziges Weihnachtsspiel


Mein einziges Weihnachtsspiel

Meine Schulklasse wurde 1956 ausgewählt, das Weihnachtsspiel im grossen Treppenhaus des Schulhauses aufzuführen. So wurde erst mal in der Klasse die Geschichte, die wir spielen sollten, besprochen und danach die Rollen verteilt. Ich bekam die Rolle des ersten Hirten, worüber ich mich freute. Nur, Texte auswendig lernen war meine ganz grosse Schwäche. Das fiel in der Schule nicht so sehr auf, weil ich den Text jeweils bis zu einer bestimmten Zeit konnte, zwei Minuten später wäre nichts mehr aus mir rausgekommen. Meine Angst, es nicht zu können, stand mir in der Schule oft im Wege. So tat ich fast nichts anderes mehr, als meinen Text auswendig zu lernen.

Dann passierte es: bei einer Probe vergass ich, was der erste Hirte alles zu sagen hatte. Meine Lehrerin, die mit ihrer Sympathie mir gegenüber sowieso ausserordentlich sparsam umgegangen war, nahm mir den Hirten sofort weg. Mein Argument, ich könne den Text, wenn es darauf ankomme, nützte bei ihr nichts.  

Zu meiner grossen Überraschung wehrten sich jedoch meine Schulkameradinnen zu meinen Gunsten, sodass die Lehrerin mir nochmals eine Chance gab. Und ich lernte und lernte und und……………..
  
Nun kam der Tag der Aufführung. Alle Familienmitglieder und Freunde der Kinder waren eingeladen und sie kamen tatsächlich in Scharen.
Weihnachtsspiel 3 Hirten - ich mit Stab 1956.jpgWir Kinder konnten uns endlich der Rolle entsprechend verkleiden und plötzlich war ich tatsächlich ein Hirte mit einem grossen, langen Stab und hockte nachdenklich mit zwei anderen Hirten auf dem Boden. Es war ganz ruhig und ich bekam das Zeichen, das Spiel zu beginnen.

Und so hörte man den ersten Hirten sorgenvoll sagen: «Ich lieg Tag und Nacht in grosser Sorge………….» erklärte weiter seine Sorge und war selber überrascht über den «sorgenvollen ersten Hirten». Im Publikum hörte ich ein Raunen – und das Weihnachtsspiel nahm seinen Lauf und zum Schluss gab es ganz grossen Applaus des Publikums, ja sogar eine gewisse Betroffenheit war für mich zu erkennen.

Was ist passiert?  Der erste Hirte bekam viel Lob von den Eltern der Mitschülerinnen. Sogar bekam ich zu hören, «wäre schade gewesen, wenn sie den Hirten nicht hätte spielen dürfen» und so weiter. Auch meine Mama fand die Aufführung gut.

Der erste Hirte war sehr, sehr stolz, blieb aber auf dem Boden und dachte, «den auswendig gelernten Text kann ich ja immer für eine gewisse Zeit behalten»……
 
Jutta

 

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Kommentare (6)

Claudine

Liebe Jutta,

gerade in der Advents- und Weihnachtszeit erinnert sich unsere Generation oft an früher. Wir stellen Vergleiche zur heutigen Zeit an. Der Kontrast ist gewaltig, wie Deine Fotos zeigen.
Das geht auch klar aus Deiner Geschichte hervor. Die Lehrerschaft ging nicht zimperlich mit den Schülern um. Gut, dass Deine Schulkameraden hinter Dir standen. Ihr Verhalten hat Dich beflügelt, zu zeigen, was tatsächlich in Dir steckt. Toll.

Die Zeiten haben sich glücklicherweise geändert. Heute dürfen Kinder auch Schwächen haben, früher ging das nicht. Die Lehrer ließen Dich das spüren, manches mal sogar mit Schlägen. Ich habe das auch zu spüren bekommen. Aber das gehört nicht hierher.

Schönen 2. Advent und danke für diese Erinnerung an damals
Irmina
 

Jutta

@Claudine  

Liebe Irmina,

Danke für deine lieben Zeilen. Damals war es für mich die grösste Überraschung, dass die Mitschüler mir die Stange hielten und sich offenbar gegen die Lehrerin durchsetzten - vielleicht war es auch eine Zeitfrage, aber was soll's!! Mich überraschte damals, dass man sich meinetwegen so lange an dieses Weihnachtsspiel erinnerte. Es war schön für mich!
Was ich allerdings nicht glaube, dass sich die Zeiten für Kinder, die ähnlich schlechte Bedingungen haben, wie ich sie hatte, heute verbessert haben - kaum, denn die Menschheit unterdrückt nach wie vor Schwächere!

Ich wünsche dir einen friedlichen 2. Advent und

grüsse dich herzlich
Jutta


 

pfundig


Liebe Jutta, ich kann das nachvollziehen, wie stolz du warst. Bei uns wurde auch von den Schulklassen ein Krippenspiel in der Kirche aufgeführt. Als unsere Klasse dran war, träumte ich davon, einen Engel zu spielen. Lange, blonde Haare hatte ich ja. Aber unser Pfarrer entschied, dass drei Mädchen singen sollen, eine davon war ich. Bei den Proben stellte sich heraus, dass meine Stimme raus zu hören war und der Pfarrer entschied, dass ich solo singen sollte. Anfangs war ich enttäuscht, wollte doch einen Engel spielen. Aber nach dem Krippenspiel hamsterte ich viel Lob ein, alle waren begeistert von meiner klaren Stimme, ich war dann auch stolz. Aber leider hat sich die Stimme, durch eine Kehlkopfentzündung schwer verändert heute sage ich, jetzt habe ich eine Reibeisenstimme. Gruß Luise

 

Jutta

@pfundig  

Liebe Luise,

Danke für deine Zeilen. Ja ich war stolz, denn mit einem solchen Echo rechnete ich nicht im Traum. Eltern erinnerten sich sogar noch am Schulende über die Aufführung des ersten Hirten. Von meiner Lehrerin bekam ich natürlich kein Lob. Und alle Mütter, die sich bei meiner Lehrerin beschwerten, ich sei kein Umgang für ihre Töchter, waren plötzlich sehr leise!

Aber Luise, eine Reibeisenstimme hast du keinesfalls, sonst hätten wir dich im Stübchen doch schon lange Reibeisen genannt 😉.

Liebe Grüsse
Jutta

Agathe

Schöne Erinnerung, liebe Jutta.
Es tut doch gut, machmal wieder in "früher" einzutauchen. 

Liebe Grüsse zu dir und eine gute Zeit, Agathe 

Jutta

@Agathe  

Eigentlich tauche ich nicht so gerne in alte Erinnerungen, liebe Agathe, denn sie haben meistens einen unguten Nachgeschmack. 
Aber in diesem Spiel war ich wirklich plötzlich in der Rolle des ersten Hirten und der Text war so selbstverständlich.

Auch dir eine gute Zeit und
liebe Grüsse
Jutta

 


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