Lothars Wunder


Schmetterlinge kommen Lothar in den Sinn. Bunte, weiße, große und kleine Schmetterlinge.
Lothar sieht sie alle nur vor seinem inneren Auge, denn er hält die Augen geschlossen. Zauberhafte Harmonien umgeben ihn. Mit sanften, aber durchaus kraftvollen Bewegungen zieht er den Bogen über die Saiten seiner Geige. Mit der gleichen Leichtigkeit und Schönheit, die Schmetterlinge ihr Eigen nennen, erheben sich die Töne und schwingen sich zum Himmel empor, höher und höher. Töne kennen keine Grenzen. Irgendwo dort, wohin wir ihnen nicht folgen können, vergehen sie, oder vielleicht auch nicht?

Bereits beim ersten Ton, der emporstieg, hatte Lothar sich an seine Geige verloren. Hatte sich ihr hingegeben und genießt es nun, ihr kühles Holz in seiner Halsbeuge zu spüren und mit ihr zu vibrieren. Lothar ist einfach nur glücklich. Er steht auf der Wiese vor dem Haus und spielt.
Seine Geduld wurde belohnt. Endlich, nach langen Jahren des Übens. Wie oft er sich ärgerte, wenn er wieder einmal den Ton nicht traf, weiß Lothar nicht mehr. Jetzt ist er Teil der Melodien, die sich mit seiner Hilfe aus dem Instrument verströmen.
Die Melodien und Töne sind leicht und schön, als seien sie kleine und große Schmetterlinge, die ihn mit seichten Schwingen berühren. Note für Note. Melodien für Melodien erscheinen ihm wie zarte, bunte, weiße, große und kleine Schmetterlinge.

Sein Geigenbogen tanzt über die Saiten und Lothar fliegt in Gedanken mit den Schmetterlingen über Seen und Wälder, von Blume zu Blume. Helle Töne heben ihn empor, während die dunklen Vibrationen ihn zurück zur Erde senken.
Erst als der letzte Ton leise verklingt, öffnet Lothar seine Augen. Sein Blick fällt auf den Bogen, der die Geige bis zum letzten Schwingen begleitete.
Auf der Spitze des Bogens sitzt ein kleiner Kohlweißling, breitet seine Flügel aus und fliegt davon.
 


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Kommentare (6)

indeed

Liebe Gabriele,

wunderschön hast du die Emotionen von Lothar beim Geigenspiel wieder gegeben. Man fühlt richtig mit und so soll es auch sein.

Ist der Schmetterling auf der Geige nicht eher eine "Weiße Baumnymphe"?

Es ist aber ein sehr schönes Bild und passt super zu deinem Text, der mir sehr gefällt.

Herzliche Grüße von
Ingrid
 

Gabriele Ende

@indeed  

Danke liebe Ingrid für deinen Kommentar. Tatsächlich habe ich nur dieses Bild eines Schmetterlings auf einer Geige gefunden, und ich wollte die Geschichte dahingehend nicht umschreiben.

Umso mehr freue ich mich, das auch du den Melodien gelauscht hast, zumindest innerlich.
Herzliche Grüße an dich, Gabriele

Christine62laechel


Liebe Gabriele, beim Lesen kann man fast schon eine schöne Melodie mitbekommen... Wenn mehr musikalisch als ich es bin , könnte man die sogar in die Notensprache übersetzen. Die letzten Töne würden wahscheinlich aus paar kurzen, ganz leisen Noten bestehen.

Mit Grüßen
Christine

Gabriele Ende

@Christine62laechel  

liebe Christine, hab herzlichen Dank für deine freundlichen Worte. Ich freue mich sehr, dass sich die Melodien erreichen konnten und wünsche dir einen schönen Tag
Herzliche Grüße, Gabriele

ladybird

Liebe Gabriele,
schade, dass ich beim Lesen Deiner anmutigen Geschichte die Augen nicht schließen konnte, um den Schmetterlingen durch die Melodie zu folgen....mir gefiel dieser Vergleich ganz besonders,
mit Gruß, Dank unf Freude,
Renate-ladybird

Gabriele Ende

@ladybird  liebe Renate, ich freue mich sehr über deinen Kommentar und dass dir meine kleine Geschichte so gut gefallen hat.

Ich wünsche dir einen zauberhaften Tag und sende dir herzliche Grüße, Gabriele


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