Glück kommt ohne Einladung


Glück kommt ohne Einladung






Glück kommt ohne Einladung


Die Muscheln waren fast vollständig mit Sand bedeckt. Er schaute genau, bückte sich hier und da, hockte sich an den Strand, um dann schließlich zwei kleine Muscheln aufzuheben. Eine schwarze und eine weiße. Sie hatten keine Bedeutung für ihn, sollten lediglich für eine Erinnerung gut sein. Eines Tages, wenn er so alt war, dass er nicht mehr verreisen konnte, würde sie ihn an diese Reise erinnern. Sein Abreisetag war heute und er war sich nicht sicher, ob er wiederkommen würde. Hierher, auf die Insel in der Nordsee. Seine drei Wochen Aufenthalt waren so gut wie vorbei. Noch einen halben Tag konnte er hier spazieren gehen, die Wellen beobachten und den Wind spüren, denn sein Zug fuhr erst sehr spät am Abend. Alles geht vorbei, auch der schönste Urlaub, sagt der Volksmund. Nun ja, es stimmte schon, auch wenn er als Rentner keinen Urlaub machte. Er konnte einfach irgendwohin fahren, wenn er wollte, doch bisher hatte er nie gewollt.

Er lebte allein, seine Frau war vor Jahren gestorben. Sie war gegangen und er war noch hier. Anfangs hatte er gar nichts begriffen. Klar, sie war gestorben, er war auf dem Friedhof gewesen und die Freunde hatten kondoliert. Er hatte zu Hause sein Lieblingsfoto von ihr in einem schönen Rahmen an die Wand gehängt und immer auch eine frische Rose in die Vase gestellt. Doch für seinen Abschied von ihr, hatte er viele Jahre gebraucht. Sie war das Beste in seinem Leben gewesen und sie war es immer noch. Auf ihre Weise, auch wenn er nicht mehr mit ihr lachen konnte, sprach er täglich mit ihr und hatte ihr Lachen nie vergessen. In Gedanken hörte er es manches Mal hinter sich und glaubte auch ihre Stimme zu hören.
Nicht selten drehte er sich damals um und spürte dann den Schmerz seiner Trauer.

Viele Jahre waren vergangen. Sie gehörte immer noch in sein Leben, doch inzwischen war sie zu einem wunderbaren, großen Teil seiner Lebenserinnerungen geworden. Es tat nicht mehr weh und er scherzte mit ihrem Foto ohne Schmerz. Er hatte sich an sein Alleinsein gewöhnt. In diesem Jahr hatte er sich entschlossen, und war tatsächlich allein verreist. Er war auf eine der Inseln gefahren, an einen Ort, wo er noch nie war, nicht allein und nicht mit ihr. Wollte nicht auf alten Wegen wandern, wollte keine Wunden aufreißen.

Oh, welch schöne, schwarze Muschel. Sehen Sie die schöne rote Maserung darauf?“, holte ihn eine freundliche weibliche Stimme aus seinen Gedanken. Erst jetzt bemerkte er den Schatten, der auf seine Hand mit der Muschel gefallen war, und drehte sich um.

Er blickte über seine Schulter direkt in zwei dunkelblaue Augen, die ihm freundlich zulächelten und stand auf.
Es waren nicht nur die Augen der Frau, die lächelten. In ihrem Gesicht strahlte einfach alles, der Mund die Augen und die vielen kleinen Fältchen um die Wette. Er sagte immer noch nichts und hörte zu, wie sie ihm von dem Strandabschnitt erzählte, der nur auf dieser Seite der Insel war, und wo die schönsten schwarzen Muscheln zu finden waren.

Wenig später saßen sie bei einem Kaffee und einem leckeren Stück Kuchen in dem kleinen Strandcafé. Er hörte amüsiert und gerne ihren sprudelnden Erzählungen zu. Erfreute sich daran, sie zu beobachten, wie sie gestikulierte, und lachte mit ihr gemeinsam von Herzen, über eine lustige Geschichte, die sie ihm erzählte. Auch sie war verwitwet, auch sie war das erste Mal auf dieser Insel. Sie gingen gemeinsam noch bis zum Sonnenuntergang spazieren. Schnell hatten sie erkannt, dass sie in der gleichen Stadt wohnten und ihre Telefonnummern ausgetauscht. Sie wollten sich auf alle Fälle treffen, ins Kino gehen oder spazieren. Als sie sich verabschiedete, war er fast ein wenig traurig.

Eine Woche später. Er hatte seine neuen Jeans an und einen dunkelroten Pullover und prüfte nochmals den Glanz seiner Schuhe. Dann schaute er auf das Foto seiner Frau und ihm schien es für einen Bruchteil, als zwinkere sie ihm zu. Im Innersten hörte er ihre Stimme, aber nur kurz. „Lebe und habe Freude, mein Lieber, mir geht es gut.“

Als die Haustür hinter ihm ins Schloss fiel, lag der feine Duft seines Aftershaves im Hausflur.
 

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Kommentare (6)

werderanerin

Eine sehr schöne und liebenswerte Geschichte, liebe Gabriele. Am schönsten fand ich ..., dass wohl beide Seelen, nach einem Schicksalsschlag , wieder in das Leben zurück gefunden haben, ohne dabei zu vergessen.

Jeder hat es verdient, glücklich zu sein oder wieder zu werden.

Herzlichst

Kristine

Gabriele Ende

@werderanerin  

Liebe Kristine,
ich danke Dir für Deine so freundlichen Worte.
Dort, wo zwei in Liebe miteinander waren, gibt es kein Vergessen. Und die, die vorausgegangen sind, wünschen den noch Lebenden, dass sie ihr Leben glücklich leben.
Darauf vertraue ich aus ganzem Herzen.
Sind wir doch alle auf die Welt gekommen, um glücklich zu sein.
Mit herzlichen Grüße
Gabriele

ladybird

liebe Gabriele,
diese " Einladung" erweckt eine tiefe Erinnerung in mir: man braucht nur eine gewisse Zeit zum Verschmerzen und schließlich auch loszulassen...um sich wieder einem anderen Leben  zu öffnen....und die verstorbene Liebe bleibt wie ein Juwel in der Seele...
Mit Dank und Freude gelesen,
herzlichst Renate

Gabriele Ende

@ladybird  
liebe Renate, wie schön von dir zu lesen. Ich habe mich sehr gefreut. So hat wohl meine kleine Kurzgeschichte Erinnerungen aus seinem Leben belebt. Gute Erinnerungen. Und du hast recht, die Liebe bleibt wie ein Juwel in der Seele. 
So wünsche ich dir eine zauberhafte Zeit und sende dir meine liebsten. Grüße, Gabriele🍀

Sommerzauber

Diese Geschichte hinterlässt bei mir ein "rundes" gutes Gefühl..... 
Er hat seine Trauer abgeschlossen, nicht aber die liebevolle Erinnerung an seine Frau und ist bereit für Neues...... 
Habe ich sehr gerne gelesen. Danke. 
LG  Katharina 🌊😊

Gabriele Ende

@Sommerzauber  
liebe Katharina , Ich freue mich sehr über deinen Kommentar.
Auch darüber, dass meine kleine Geschichte so ein gutes Gefühl in dir hinterlassen hat. 
Mit herzlichen Grüßen, Gabriele


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