Kirchenschlaf

---- Ein äußerst düsteres Kapitel,
das ich voll Abscheu hier bekrittel,
obwohl´s seit jeher viele traf,
ist der berühmte Kirchenschlaf.
Er gilt, belauscht man Volkes Mund,
als heilsam, stärkend und gesund,
weswegen, wenn auch viele spotten,
es kaum gelingt, ihn auszurotten.
---- Obwohl die echte Kirchenbank,
man muss fast sagen: Gott sei Dank,
sei es durch Zufall oder List,
so hart und steif gezimmert ist,
dass jeglichem Gemeindeschäfchen
vergeht der Wunsch nach einem Schläfchen
und diese Bank dem, der sie kennt,
erscheint als Marterinstrument,
wo er vor Unbequemlichkeit
und Qualen innerlich laut schreit,
sieht feiertags im Gotteshaus
die Praxis oft erschütternd aus.
---- Wer erst in frühen Morgenstunden
hat seinen Weg ins Bett gefunden,
wird überwältigt von dem Sehnen,
den Mund zu öffnen, um zu gähnen,
wobei es ihm zunächst noch glückt,
dass er den Anfall unterdrückt.
Doch dann verstummt der Lärm der Lieder;
derselbe Drang quält ihn schon wieder,
und zwar noch schlimmer als vorher.
Der Widerstand fällt doppelt schwer.
Jetzt würde er es sehr genießen,
die müden Augen sanft zu schließen,
was er sich, mehr und mehr ermattet,
zwar zögernd, aber doch gestattet,
zumal er beinah mühelos
auch Gründe hat für den Verstoß,
wie Buddha einst am Gangesstrand
Erleuchtung und Erlösung fand,
der offnen Sinns, doch Augen zu
emporstieg in Nirvanas Ruh.
---- Erst konzentriert er sich noch frei,
dann legt sich ein Gewicht wie Blei
auf Augenlider und Verstand
und nimmt zusehends überhand.
Das Haupt, das meistens hoch erhoben
getragen wird, senkrecht nach oben,
beginnt nach einer der vier Seiten
ins Waagerechte abzugleiten,
wodurch, für alle wahrnehmbar,
sein Gleichgewicht kommt in Gefahr.
---- Ein Zweiter, daran nicht beteiligt,
der wachen Augs den Sonntag heiligt,
erwägt dann wohl gedankenvoll,
ob er den Schläfer wecken soll,
der seitlich in sich selbst verbogen,
von Erdenschwerkraft angezogen,
im nächsten Augenblick wie tot,
doch krachend umzukippen droht.
Drum überlegt er fieberhaft,
wie er es ohne Aufsehn schafft,
dass er ihm Schmerz und Leid erspare
und ihn vor Spöttelei bewahre,
von Jesu Forderung getrieben,
den andern wie sich selbst zu lieben.
---- Zivilcourage ist nicht leicht,
weswegen meist viel Zeit verstreicht,
bis er die Folgen seiner Tat
bedacht und durchgerechnet hat,
anstatt auf Anhieb und spontan
auch auszuführen seinen Plan.
Wer Gutes tun will, tu´s sofort,
bevor der edle Drang verdorrt,
weil jeder leicht Aspekte findet,
begründet oder unbegründet,
teils anrüchig, teils ehrenvoll,
warum er´s lieber lassen soll.
Sobald es dann zum Handeln geht,
ist´s leider, leider schon zu spät.
---- Der andre äußert Lebenszeichen,
Haltlosigkeit und Ohnmacht weichen.
Mit einem Ruck setzt er sich grade.
Die Predigt ist zu Ende, schade.
Was der Herr Pfarrer dem, der sündigt,
nachdrücklich einschärft und verkündigt:
Gott will ermuntern, mahnen, strafen,
besonders ihn, er hat´s verschlafen.
---- Jedoch was geistlich ist zerronnen,
das hat er körperlich gewonnen.
Versehn mit neu geschenkter Stärke
geht er von dannen und zu Werke.
Wenn ihn zu Hause jemand fragt:
„Was hat der Pfarrer denn gesagt?“,
dann ist er keineswegs verlegen.
„Um Sünde ging´s. Er war dagegen,“
womit er ohne viel Bombast
das Wichtigste zusammenfasst.
---- Es macht ihm Mühe zu verstehn,
dass andre nicht zur Kirche gehn.


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Kommentare (8)

Lerge

Auf der harten Kirchenbank
lag ein Kissen, Gott sei Dank.

Nur, wenn man sich wollte setzen,
spürte man schnell - zum Entsetzen -
daß die weiche Unterlage
steinhart war.

Und nun die Frage,
wie das Kissen, einstmals "soft",
soo verhärtete.

Weil oft
meine liebe Oma dort
saß und lauschte Gottes Wort.
Und so formte sich das Kissen,
- nicht nur sorglos hingeschmissen -
ins Format der lieben Frau.
Paßte jahrelang genau!
Doch nur ihr. -

Nach vielen Jahren,
als die Bänke uralt waren,
wurden sie hinausgeschmissen.

Ich vermiß das alte Kissen!!

Und damit einen lieben Gruß von jemandem, der (die) über 40 Jahre lang in der Kirche aufrecht stand. (Guess why)

Lerge



 

silesio

Hallo, @Lerge, du verstehst anscheinend  nicht nur viele Künste,
sondern hast anscheinend viele Erinnerungen. Danke!
Christoph 

Lerge

Hi @silesio  
Erinnerungen, Christoph dear,
sind soo lebendig, daß mich schier
Vergangenheit und Dank beleben.

Deshalb auch täglich mein Bestreben,
den Alltags-Mist zu überwinden
und lieber einen Weg zu finden,
der "Henne-Hahn-und-Küken"-Sorgen
verschiebt: von heute bis auf auf morgen.

Und weil das ab und zu gelingt,
sind manche Tage fast "beschwingt".

😃😃
 

silesio

@Lerge
Du sprudelst ja geradezu vor guter Laune
und verstehst es dazu, deine Gedanken in einwandfreie und witzige Verse zu kleiden.
 
Bravissimo

Tulpenbluete13

Lieber Christoph,

wenn man auf solch unbequemen Bänken schlafen kann, dann muß man wirklich sehr müde sein....

Egal in welcher Kirche ich auch bislang war ...und es waren schon einige...keine war "bequem".
Vielleicht ist das auch Absicht? Müsstest Du Dich da nicht auskennen warum das so ist??

Deine Schilderung in Reimform ist köstlich. Ich habe den Schläfer direkt vor mir gesehen und habe immer darauf gewartet daß er auch noch anfängt zu schnarchen.....

Danke für diese "kirchlichen" Einblicke..

mit einem Schmunzeln auf dem Gesicht
grüßt herzlich

Angelika

silesio

@Tulpenbluete13
Schnarchen wäre ja wohl der Höhepunkt der Gottlosigkeit.
Auf diese Weise von der Auslegung der göttlichen Wahrheit abzulenken, das ist ..., das ist ... mir fehlen die Worte
 

ehemaliges Mitglied


Ja, zweifellos, schreibt hier ein Experte,
sowohl den Inhalt als auch die Form betreffend,
voller Witz und Zwiespalt, und doch verständnisvoll.
Köstlich!

immer noch schmunzelnde Grüße
WurzelFluegel

 

silesio

@WurzelFluegel  
Den Experten schmerzt es zutiefst,
obwohl er jetzt im Alter ähnliche Anwandlungen haben kann
Christoph


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