Japanreise Teil IX (letzter Teil)
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Niigata 2. Tag und Rückreise nach Tokio (31.5.2009)
Bei einem japanisch-europäischen Frühstück planten wir unseren Tag. Klar war, dass Karl als Begleitung für mich ausfiel, da er seinen Vortrag und einen vollen Arbeitstag in verschiedenen Arbeitsgruppen vor sich hatte. Karls Anzug war ziemlich verknittert aus dem Koffer gekommen. Zum Glück gab es im Hotel einen Wäsche- und Bügelservice, der über das Zimmertelefon erreichbar war. Kurz nach unserem Anruf kam auch ein junger Mann mit allem Bügelzubehör, grüßte und verbeugte sich, baute das Bügelbrett auf, schloss das Bügeleisen an. Er prüfte dessen Funktion und blickte uns erwartungsvoll an. Karl gab ihm seine Anzugsjacke, aber es geschah nichts weiter, als dass der Junge sie auf das Bügelbrett legte und wieder freundlich dreinblickte. Karl rätselte, welches Problem nun aufgetreten sein könnte und suchte die eingenähte Pflegeanleitung, deren Symbole sicher auch in Fernost verständlich waren. Versuche, sich verbal zu verständigen, waren erfolglos. Unser Japanisch war einfach zu schlecht und führte immer zu einer höflichen Verbeugung. Wieder wurde die Temperatureinstellung überprüft, es geschah aber nichts. Verlegen standen wir um das Bügelbrett herum, ich versuchte mich einzumischen, hatte aber auch keinen Erfolg. Da kam unserem jungen Mann der rettende Einfall und er bat uns um das Zimmertelefon, rief die Rezeption an, sprach ein paar Worte und reichte den Hörer mit einer weiteren Verbeugung an uns. Der Bügelservice bestand in der Bereitstellung des Handwerkzeuges, nicht aber in der Dienstleistung. Da im Japanischen ein direktes „nein“ nicht üblich ist, hatten wir ein Verständnisproblem gehabt. Erleichterung breitete sich bei allen aus. Ich übernahm die Dienstleistung, der Hotelpage verließ froh das Zimmer mit einer tiefen Verbeugung und Karl war glücklich über seinen knitterfreien Anzug.
Nun stand unserem Aufbruch nichts mehr im Wege. In der Lobby trennten wir uns. Beim Blick aus unserem Fenster hatte ich viele junge Leute gesehen, die in das Kongresszentrum strömten. Deshalb war ich neugierig, welches Ereignis neben dem Biologenkongress hier noch statt fand und so viele Besucher anzog. Auf dem Weg durch den Gebäudekomplex kam ich an den unterschiedlichsten Geschäften vorbei, auch an einem, das sich auf Hochzeitskleider und Zubehör spezialisiert hatte. Sehr kleidsam fand ich das im Schaufenster ausgestellte Modell, das Tradition mit Moderne vereinte. Die Kleidung von Braut und Bräutigam war perfekt auf einander abgestimmt. Neidisch werden könnten da unsere Männer, der japanische Anzug wirkt wesentlich eindrucksvoller als die unseren.
Inzwischen bewegte ich mich mit dem Besucherstrom. Am Rand des Weges waren verschiedene Werbestände und Buden mit Essensangeboten aufgebaut, die ein gutes Geschäft machten. Die Besucher strömten in einen großen Saal, in den man durch eine Scheibe blicken konnte. Tische und Bänke waren aufgebaut, an denen die Leute saßen und vesperten. Nicht klar wurde mir, ob es sich um eine Tauschbörse für Musik handelte oder ob auf der Bühne noch ein Ereignis bevorstand.
Da ich bis zum späten Nachmittag Freizeit hatte, machte ich mich zu Fuß auf, um im Zentrum bummeln und einkaufen zu gehen. Seit unserem Ryokanaufenthalt wollte ich für uns Yukatas kaufen und natürlich auch einige andere Mitbringsel. Überrascht war ich, dass in Japan sonntags alle Geschäfte geöffnet hatten und lebhaft besucht waren. Zuerst landete ich in einem großen Kaufhaus mit dem Namen Isetan, knapp hatte ich die morgendliche Eröffnung verpasst, von deren Ritual ich von Herrn Takemasa gehört hatte. Alle Angestellten eines Kaufhauses stehen bei der morgendlichen Öffnung Spalier, um die ersten Kunden mit Verbeugung und einem freundlichen guten Morgen zu begrüßen. Sie sind an ihrer einheitlichen Uniform leicht zu erkennen und ausgesprochen bemüht, den Kunden bei allen Fragen und Problemen zu helfen. Einkäufe werden unaufgefordert mit viel Sorgfalt eingepackt, so dass auch Kleinigkeiten ganz reizvoll aussehen.
Das Kaufhaus entsprach in seiner Einrichtung in etwa unseren Kaufhäusern. Über mehrere Stockwerke verteilt wurden Kleidung, Wäsche, Porzellan, Papierwaren, Bücher und Elektroartikel angeboten. Ganz oben gab es Restaurants, im Untergeschoss Lebensmittel. Allerdings schienen mir die einzelnen Abteilungen aus verschiedenen selbständigen Geschäften zu bestehen, die sich unter dem Dach des Kaufhauses zusammen gefunden hatten. Für fast jedes Warenangebot gab es Shops mit unterschiedlichen Stilrichtungen und Preisniveaus. Ich kaufte in der Papierabteilung ein und machte mich dann wieder auf die Suche nach den Koinoboris und den Yukatas. Auf meine Fragen wurde ich weiter geschickt und fand an zwei Stellen Yukatas angeboten. Die erste Abteilung war eigentlich die Wäscheabteilung und in einer Ecke gab es einen Ständer mit Yukatas, aus glänzendem Stoff mit sehr auffälligen bunten Mustern, die dem Vergleich mit unseren von Kyoto nicht standhalten konnten. Weiter oben gab es Spezialgeschäfte, die Mode wurde exklusiver und teurer und in einer Abteilung fand ich einige Yukatas und viele Kimonos, allerdings in so edlen Exemplaren, dass ich sie kaum zu berühren wagte. Es gab traumhaft schöne Stücke zu (alp)traumhaften Preisen. Die einfachsten kosteten etwa 120 Euro und die exquisiten Stücke waren für mehrere Tausend Euro zu haben. Damit ist es allerdings nicht getan, zum Kimono gehört das passende Zubehör. Wir würden zum Abendkleid ja auch nicht Gesundheitssandalen und Einkaufstaschen tragen. Schuhe, Strümpfe, Unterkleid, Fächer, Handtasche, Haarschmuck, Schärpen, Schirme und Fächer gab es in großer und verführerischer Auswahl. Leider begann die Preisskala über der Summe, die ich mir als Limit gesetzt hatte, und mein Einkauf beschränkte sich dann auf eine Art Sommer-Pyjama für unseren Sohn.
Ich verbrachte noch einige Zeit in dieser Abteilung, weil es hier auch die Wandbilder gab, die in japanischen Wohnzimmern in einer dafür vorgesehenen Nische hängen, meist in Kombination mit einem Blumengesteck. Die Bilder bestehen aus einem Roll-Rahmen (Kakejiku), aus gemustertem wertvollem Papier auf dem dann das eigentliche Bild (Shikishi) befestigt wird, das je nach Jahreszeit variieren kann und aus einer Kalligraphie und Zeichnung besteht. Stempel auf dem Bild geben den Künstler an und garantieren, dass es sich um ein Original handelt. Im Gespräch mit der Verkäuferin erfuhr ich dann auch, weshalb ich keinen Koinobori für unseren Enkel gefunden hatte. Diese Karpfenfahne wird in Japan am 5. Mai, dem Knabenfest, vor den Häusern gehisst, in denen Jungen leben. Für die Eltern werden größere Karpfenfahnen, eigentlich Karpfenwindsäcke, aufgehängt, der Vater-Karpfen ist schwarz, der Mutter-Karpfen rot und die kleineren Karpfen für die Söhne sind blau. Da es nun bereits Ende Mai war, war auch die Saison für die Koinoboris vorbei. Die Verkäuferin schickte ein Lehrmädchen los, das versuchen sollte, irgendwo doch noch eine Karpfenfahne zu finden, leider ohne Erfolg. Es gab nur einige Abbildungen und ich bat um Verständnis, das dies nicht das richtige Mitbringsel sei. Wieder wurden meine Einkäufe mit viel Sorgfalt und Kunst verpackt.
Jetzt war ich hungrig und fuhr mit der Rolltreppe ganz nach oben zu den verschiedenen Restaurants. Von der Menge der ausgestellten Speisen war ich so beeindruckt, dass ich mich nicht so recht entschließen konnte und wieder treppab in die Lebensmittelabteilung fuhr. Dort hätte ich vor lauter Schauen und Staunen über das Angebot fast vergessen, dass ich eigentlich etwas essen wollte. Auf einer Riesenfläche wurden Lebensmittel und Fertiggerichte angeboten in einer Form, die selbst das Gemüseangebot zu einem Kunstwerk machte. Ganz zu schweigen von den Fischtheken, die außer Fischen noch einige mir unbekannte Lebewesen anboten – in einer so gekonnten Präsentation, dass ich selbst den komischsten Wesen einen exzellenten Geschmack zutraute. Ich verließ mich auf Lebensmittel, die mir vertrauter vorkamen und bereits fertig zubereitet waren, versorgte mich mit Tee und Gebäck und nahm in dem kleinen Cafe, das der Bäckerei angeschlossen war, Platz. Danach gönnte ich mir noch in der Eisdiele daneben einen Becher mit frischem Obst und ein Eis. Für die Kunden gab es auch hier Sitzbänke, keiner wäre auf die Idee gekommen, den vorgesehenen Essbereich mit einem Eis zu verlassen. Während ich Pause machte, konnte ich die Verkäufer beobachten, die sobald ein Kunde kam, für ihn zur Verfügung standen. Der Gegensatz zu unseren Kaufhäusern, in denen man oft nach Personal suchen muss und sich manchmal nicht als Kunde, sondern als Störenfried empfindet, war nicht zu übersehen. Als offensichtlichem Fremdmensch, die japanische Übersetzung für Ausländer, wurde mir stets besondere Aufmerksamkeit und Höflichkeit zu teil. Das erfuhr ich besonders an einer Theke mit speziellen Süßigkeiten, Mochi genannt, an der ich mir Zeit ließ, die Köstlichkeiten zu bewundern, bevor ich eine kleine Auswahl zum Mitnehmen traf. Mir wurde eine kleine Anweisung mit der Überschrift „How to eat“ überreicht, die ich dankbar entgegen nahm. Als ich später den kleingeschriebenen Text darunter mit Brille lesen wollte, kam ich nicht weiter. Die genauere Anweisung richtete sich auf Japanisch an mich, ein weiterer gewichtiger Grund, Japanisch zu lernen. So aß ich dann am Abend mit Karl im Hotelzimmer in Tokio ohne Anleitung, aber doch mit Genuss meine Mochis. Sie bestehen aus einer Hülle aus gestampften Klebreisteig, der mit verschiedenen süßen Pasten gefüllt wird. Früher wurden Mochis nur zum Neujahrsfest gegessen, heute gibt es sie in verschiedenen Variationen das ganze Jahr hindurch.
Nach meinem Einkaufsbummel wartete ich in der Hotel-Lounge auf das Ende von Karls Tagung. Mir stand dort eine kleine mehrsprachige Bibliothek zur Verfügung, doch ich zog es vor, die Aussicht auf den Fluss zu genießen und das geschäftige Treiben in der Hotelhalle zu beobachten.
Vor der Abfahrt unseres Zuges zurück nach Tokio versorgten wir uns mit Ekiben, unserem Abendessen und Reiseproviant. Karls Kollege, der wieder mit uns zurück reiste, brachte uns zum Zug, um dann noch kurz einige Einkäufe am Bahnhof zu machen. Die Zeit war knapp bis zur Abfahrt und der Zug setzte sich ohne ihn in Bewegung. Als wir uns schon damit abgefunden hatten, allein zurück zu fahren, erschien er doch noch an seinem Platz uns gegenüber. Er hatte den letzten Wagen vor der Abfahrt gerade noch erreicht.
Wieder checkten wir in unserem alten Hotel neu ein, nahmen unser zurückgelassenes Gepäck in Empfang und bezogen unser altes Zimmer.
Letzter Tag in Tokio (1.6.2009)
Am nächsten Morgen, unserem letzten Tag in Tokio, war Karl mit einem anderen Kollegen an der Universität zum Arbeiten verabredet. Da auch dieser Kollege vor einiger Zeit unser Gast in Freiburg war, wollte ich ihn begrüßen und mir danach selbständig einige Sehenswürdigkeiten in dem benachbarten Stadtteil ansehen und nochmals versuchen, eine Yukata zu kaufen.
Dieses Mal fanden wir die richtige Bahn selbständig und hatten auch beim Umsteigen keine Schwierigkeiten. Unser einziger Fehler war, eine Station zu früh ausgestiegen zu sein. Da wir genügend Zeit hatten, freuten wir uns darauf, die Strecke zu Fuß zurück zu legen und so etwas mehr von Tokio zu sehen. Der Linksverkehr machte uns als Fußgängern keine Probleme, für die Radfahrer, die alle am Gehweg fuhren, waren wir allerdings eine Gefahr, bis wir dann unsere Spur genau einhielten und damit rechneten, überholt zu werden. Vorbei an Antiquariaten, die mich magisch anzogen, obwohl ich nichts lesen konnte, vorbei an kleinen Häusern mit vielen Blumentöpfen an Stelle eines Vorgartens, kamen wir nach kurzer Gehzeit an das Universitätsgelände, das wir wieder durch ein großes Tor, hinter der sich eine breite Allee öffnete, betraten.
Als wir an die erste Abzweigung gekommen waren, war uns endgültig klar, dass wir einen anderen Eingang als Tage zuvor gewählt hatten. Eine größere Anlage mit geschnittenen Hecken und vielen Bänken bot den Studenten Gelegenheit zum Pause machen und Entspannen. Ein Weg führte zu einem romantischen See mit Brücken und altem Baumbestand. Wir kehrten zum Eingangstor zurück, um uns an der großen Tafel mit dem Lageplan zu informieren und stellten fest, dass das Campusgelände riesige Ausmaße hatte und wir uns sputen mussten, um pünktlich unsere Verabredung einzuhalten. Der Umweg zeigte uns, dass die älteren Gebäude symmetrisch angelegt waren, mit Durchgängen und bepflanzten Innenhöfe. Interessante Architekturleistungen fielen uns besonders da auf, wo altehrwürdige Gebäude in supermoderne Architektur integriert waren und von diesen Umbauten in der Höhe um ein Vielfaches überragt wurden. Überall waren zwischen den Gebäuden Freiflächen, die Studenten zur Erholung nutzten. Einer Gruppe mit Jongleuren hätten wir gerne zugeschaut, aber die Zeit drängte.
Nach einem längeren Fußmarsch erreichten wir unser Ziel und fanden auch die gesuchten Laborräume. Dort traf ich einige Zeit später Karl und seinen Kollegen wieder, da wir gemeinsam essen gehen wollten.
Außerhalb des Campus gelangten wir zu einem Restaurant in einem alten Holzhaus, das aber leider montags geschlossen hatte. Karls Kollege machte einen anderen Vorschlag und ich war zuerst ein wenig enttäuscht über seine Wahl, weil wir zu einem Hotel kamen, das überhaupt nicht japanisch aussah. Wir gingen durch das Vorderhaus und an einem japanischen Garten vorbei zu dem Restaurant, das sich im hinteren Teil des Hauses befand. Inzwischen waren wir so fit mit den Stäbchen, dass wir uns ganz auf den Geschmack konzentrieren und das Essen ohne technische Probleme genießen konnten. Im Anschluss an das Essen machten wir einen Rundgang durch den Garten, der mit einem Wasserlauf, einem kleinen Teich, einer Brücke und künstlichen Felsen auf kleinstem Raum viel Abwechslung bot. Rote Kois und Azaleen setzten Farbakzente.
Auf der anderen Seite des Gartens stand ein größeres altes Holzhaus, das einmal einem hohen Beamten gehört hatte und jetzt besichtigt werden konnte. Der frühere Besitzer, Ogai Mori (1862 – 1922), der von 1884-88 in Deutschland sein Medizinstudium vervollständigte, schrieb hier 1890 die Erzählung „Maihime“. Sie handelt autobiografisch von einer Tänzerin, in die sich ein vornehmer Japaner bei seinem Studienaufenthalt in Deutschland verliebt und ihn nach Japan begleitet hatte. Auf Druck seiner Familie scheiterte die Beziehung. Ogai Mori ist aufgrund seiner literarischen Leistungen in Japan berühmt; seine Werke gehörten zum Lektürekanon an japanischen Schulen. Mehr über sein Leben findet sich bei Wikipedia. In seiner Studienstadt Berlin gibt es eine Gedenkstätte, die an sein Leben und Werk erinnert.
Karls Kollege wanderte mit uns durch den Ueno-Koen-Park zurück in Richtung Universität. Beim Nezu-Jinja-Schrein überzeugten uns die vielen Toris, die als Dank für erfüllte Wünsche errichtet werden, von der Wunderkraft der Gottheit. Leider war auch hier der große Tempel eingerüstet, um renoviert zu werden.
Zurück ging es entlang eines größeren Sees (Shinbazu-Teich), auf dem Schwanenboote fuhren und Seevögel ihr Gefieder zum Imponieren und Trocknen ausbreiteten und an dessen Ufer ein junges Paar verliebt unter einem Regenschirm turtelte. Unsere kleine Gruppe teilte sich dann auf, die Männer in Richtung Universität zum Arbeiten, und ich wanderte in die andere Richtung und ließ mich ziellos von interessanten Eindrücken leiten. Tempel und Schreine besichtigt hatte ich vorerst genügend. Nach einer Pause in einem kleinen Kaffee und einem netten Gespräch mit einer Architekturstudentin, die aus Taiwan kam und das Privileg hatte, in Tokio studieren zu können, war es dann an der Zeit, mich wieder mit Karl an der Universität zu treffen. Ich befand mich auf einer größeren Straße, deren Namen auch in unserer Schrift angegeben war. In meinem deutschen Reiseführer war eine kleine Karte des Stadtteils um die Uni vorhanden und ich fand auch heraus, an welcher Kreuzung ich mich befand. Weil aber alle Seitenstraßen nur auf Japanisch beschriftet waren, wusste ich nicht, in welcher Richtung ich der Straße folgen musste, um mein Ziel zu erreichen. Ich hatte wenig Lust, einen Umweg zu machen und suchte mir eine Passantin, um nach der Richtung zu fragen. Ich war schon dabei, die Straße in der empfohlenen Richtung zu überqueren, als mich meine Ratgeberin zurückholte. Sie hatte sich inzwischen bei einer anderen Passantin erkundigt, die eine andere Richtung vorgeschlagen hatte. Zurück am Gehweg gab es um mich eine kleine Versammlung, die eifrig diskutierte. Am Ende der Diskussion sprach mich eine der Frauen auf Englisch an, zeigte mir die Richtung und überreichte mir ein Blatt Papier mit der Empfehlung, falls ich noch einmal fragen müsste, einfach das Papier vorzuzeigen, auf dem meine Frage auf Japanisch geschrieben war. Darunter stand das Gleiche noch einmal in lateinischen Buchstaben, damit ich es auch vorlesen konnte. So perfekt ausgestattet fand ich zum verabredeten Treffpunkt, ohne weiter fragen zu müssen.
Zum Abschieds-Abendessen hatten wir Karls Gastgeber und seine Frau, die mich so freundlich durch Tokio geführt hatte, eingeladen – und zwar in ein französisches Restaurant. Es war das erste Mal seit unserer Ankunft in Japan, dass wir Messer und Gabel in Händen hielten.
Spät kehrten wir in unser Hotel zurück, vergewisserten uns nochmals, dass am nächsten Morgen ein Platz im Hotelbus zum Flughafen für uns reserviert war. Ich staunte im Hotelzimmer nicht schlecht, als auf meinem Bett genau so eine Yukata lag, wie ich sie seit Kyoto zu kaufen gesucht hatte. An der Rezeption erfuhr ich, dass im Hotelshop im anderen Gebäude Yukatas und Kimonos zu kaufen seien, aber das Geschäft bereits geschlossen habe und am nächsten Morgen erst nach unserer Abreise öffnen würde. Das Exemplar in unserem Zimmer war nicht verkäuflich. Allerdings hatte ich das nicht gleich verstanden, da die Auskunft des Herrn an der Rezeption war, er wolle nachfragen und mich anrufen. Als kein Anruf aufs Zimmer kam, wurde mir dann klar, dass dies die japanische Form der Verneinung war, ohne „nein“ oder „geht nicht“ sagen zu müssen.
Die Nacht war kurz und um halb sechs fuhren wir mit anderen Reisenden in Richtung Flugplatz. Trotz Müdigkeit war die Fahrt ein Erlebnis. Über gigantische Straßen-, Bahn- und Flussbrücken, vorbei an Parks, Hochhäusern, Hafenanlagen, Vergnügungszentren, durch dichten vielspurigen Verkehr erreichten wir pünktlichen den Narita-Airport. Der Rückflug über die Eismeerroute verlief ruhig, ab und zu riss die Wolkendecke auf, und gab einen Blick auf eine felsige Küste und verschneite Inseln frei. Zum letzten Mal genossen wir im Flugzeug ein echt japanisches Menü und Nudelsuppe. Nach rund 24 Stunden Reisezeit kamen wir abends gegen 21 Uhr zu Hause an, holten unseren Ludwig Hund bei den Nachbarn ab und verschoben das Erzählen auf den nächsten Tag.
Eine kurze Nachbetrachtung
Selbstverständlich bin ich mir bewusst, dass meine Eindrücke vom Leben in Japan nur sehr oberflächlich sein können, wegen der kurzen Zeit unseres Aufenthaltes und meiner fehlenden Sprachkenntnisse. Besonders fiel mir die Höflichkeit auf, mit der die Menschen einander und auch uns Ausländern ("Fremdmenschen") begegneten. Häufig wurde ich zurück in Deutschland gefragt, ob die Freundlichkeit der Japaner echt, oder nur aufgesetzt und anerzogen sei. Wenn sich hier jemand mir gegenüber freundlich oder unfreundlich verhält, kommt mir eine solche Unterscheidung nicht in den Sinn, sondern ich freue mich über freundliche Menschen und ärgere mich über unfreundliche, ohne zu hinterfragen, ob das Verhalten echt oder unecht sei. Die Frage hat sich mir also in der Form auch während meines Japanaufenthaltes nie gestellt. Karl und ich haben ausnahmslos nie das Gefühl gehabt, als Ausländer schlecht oder unfreundlich behandelt zu werden und haben den Umgangston und die Hilfsbereitschaft sehr zu schätzen gewusst. Einiges davon vermisse ich hier.
Es ist das erste Mal, dass ich so einen ausführlichen Reisebericht geschrieben habe. Auch wenn sich die Fertigstellung etwas länger hingezogen hat, so habe ich doch gern geschrieben und habe es genossen, in Gedanken die Reise noch einmal zu machen. Viele Dinge, die ich während der Reise gesehen und nicht oder nur teilweise verstanden habe, kann ich jetzt besser einordnen, weil ich mir nachträglich Informationen dazu gesucht habe. Fasziniert von Japan und seinen Menschen möchte ich mehr über Kultur und Geschichte erfahren. Ein erster Schritt dazu wird sein, Japanisch zu lernen. Dann hoffe ich darauf, noch einmal für längere Zeit nach Japan reisen zu können.
---- ENDE ----
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Mehr Bilder zu unserer Japanreise gibt es in meiner Galerie.
P.S.: Nachtrag 2014. Auf Wunsch habe ich den Reisebericht jetzt in einem japanforum eingetragen. Wer möchte kann meinen Bericht jetzt mit deren Button bewerten. Danke Margit
Kommentare (12)
Deckblatt: Notizen aus Japan (64 Seiten Text mit vielen Bildern):
Leider ist es teurer geworden als erhofft (Preis auf Nachfrage), weshalb niemand von den Interessenten hier sich verpflichtet fühlen muss. Einige Exemplare haben wir für alle Fälle und Gelegenheiten aber vorgehalten.
Noch einen schönen 2. Weihnachtstag und einen guten Übergang ins neue Jahr 2010,
Margit
Leider haben wir es aus Zeitgründen noch nicht geschafft, ein 2. Layout mit Word zu erzeugen, um dann eine PDF-Datei zu einer normalen Druckerei zu geben.
Liebe Margit,
danke für den ausführlichen Reisebericht. Nachdem ich nun alles gelesen hab,
kann ich nur bestätigen, dass man Gastfreundschaft anders erlebt, als wir
es in Deutschland kennen, das habe ich so in Istanbul erlebt und auch in Colorado.
Meine Meinung über die beiden Länder habe ich grundlegend geändert, nachdem ich
dort gewesen bin.
Falls es den Bericht als Buch oder pdf -Form gibt, wäre ichdaran interessiert.
Nochmals danke für den spannend geschriebenen Bericht.
Chris
Viele Grüsse Tilli
Gäbe es dafür ein Interesse? Wenn genügend Interesse bestände, würde ich das gerne in die Hand nehmen. Je mehr Interessenten, umso billiger käme das Binden und Drucken pro Exemplar.
Aber ich hoffe,das auch deine nächsten Reisen so schön mit Fotos sein werden.
Viele Grüsse und danke Tilli
liebe grüße von marlenchen
Liebe Margit,
gerade habe ich Deinen Reisebericht gelesen und bin sehr beeindruckt.
Sicher würde ich Wochen benötigen, um die Fülle der Eindrücke zu reflektieren und zu verarbeiten. Einige Szenen hast Du so herrlich beschrieben, dass es ein Lesegenuss war, sie in der Fantasie mitzuerleben. Wahrscheinlich hätte ich, nach dem herrlichen Bügelservice-Missverständnis, Tränen gelacht.
Herzliche Grüße
Rosi65