Japanreise 2009 Teil V (unser zweiter Tag in Kyoto, neu ergänzt)
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28. Mai 2009 (die Bildchen sind durch Klick vergrößerbar)
Das Ryokan I
Nach einem ausgiebigen Frühstück packe ich schon wieder unseren Koffer, da wir die letzte Nacht in Kyoto in einem typisch japanischen Gasthaus, einem Ryokan, verbringen wollen.
Wir verlassen das Granvia und sind schon mächtig neugierig, ob unsere Reiseführer Informationen auch tatsächlich zutreffen. Um wenig Zeit bei unserem Umzug zu verlieren, nehmen wir eines der vielen Taxis, die vor dem Hotel warten. Das heißt eigentlich nicht irgendeines, sondern das, welches an der Markierung wartet. Auch hier hält sowohl jedes Taxi wie jeder, der ein Taxi benutzen will, eine genaue Reihenfolge ein. Ein Gedränge wie an unseren Bahnhöfen um ein Taxi gibt es nicht. Jeder Fahrgast stellt sich hinten in der Reihe an. Taxitüren öffnen und schließen automatisch und selbstverständlich kümmert sich der Fahrer um das Gepäck seiner Passagiere. Das Taxi war für uns eine Überraschung, denn alle Sitze hatten einen weißen Spitzenüberzug wie Urgroßmutters Sofa und waren blitzsauber. Der Fahrer ist durch eine Glasscheibe von seinen Fahrgästen getrennt. Die Türen öffnen sich immer nur zur Gehwegseite, was den Nachteil hat, dass man am Rücksitz durchrutschen muss, den Vorteil, dass niemand unachtsam zur Straße hin aussteigen kann und einen Unfall verursacht.
In Japan herrscht Linksverkehr wie in England. Als Fahrgast fühlte ich mich dadurch mehr irritert als als Fußgänger, so dass ich es vorzog, nur durch die Seitenfenster zu sehen. Obwohl wir unserem Fahrer unsere Zieladresse auch auf Japanisch gegeben hatten, erkundigte er sich die ganze Fahrt hindurch über Funk bei seiner Zentrale, welchen Weg er nehmen sollte und studierte die ganze Fahrt hindurch den Stadtplan. Später verstanden wir das Verhalten besser. Zwar ist Kyoto eine Stadt mit rechtwinkligem Straßennetz, aber unser Ryokan lag mitten in der Altstadt, in der sich viele enge Straßen kreuzen. Dazu kommt, dass man sich nicht wie bei uns an den Hausnummern orientieren kann, denn das älteste Haus einer Straße hat die Nummer eins, das letzterbaute erhält die höchste Hausnummer. In langen Straßenzügen kann man dann auch entsprechend lang suchen.
Vorbei an überdachten Einkaufspassagen bogen wir in immer engere Straßen ein und hielten vor einem alten Holzhaus, dem Tawaraya-Ryokan, das Karls Kollege für uns ausgesucht hatte, damit wir die alte japanische Gastfreundschaft kennen lernen können. Das Tawaraya soll mit seiner dreihundert Jahre alten Geschichte eines der ältesten Gasthäuser der Welt sein, und wird seit zwölf Generationen von derselben Familie geführt. Wir setzen nun also eine alte Tradition fort, nämlich die der Gäste, die ja auch seit dreihundert Jahren dieses Gasthaus aufsuchen. Ich rief mir die Hinweise aus meinen Reisenführern und aus dem Internet in Erinnerung, wie man sich richtig verbeugt, wie man sich vorstellt und an welcher Stelle man seine Schuhe auszieht. Und tatsächlich, alles war so, wie gelesen, aber doch ganz anders.
Nach Verlassen unseres klimatisierten Taxis standen wir in der schwül-warmen Luft vor einem engen Durchgang, der in einen spärlich beleuchteten Gang führte. Der Boden war mit kaltem Wasser besprengt und dadurch angenehm kühl. Am Ende des Gangs wurden wir von einem Herrn mit einer Verbeugung und Irashaimasu – herzlich willkommen - begrüßt und nach Vorzeigen unserer Reservierung waren wir von freundlichen Helfern umgeben. Einer kümmerte sich, nicht ohne die obligatorische Verbeugung, um unser Gepäck, ein anderer wies uns den Weg zum eigentlichen Eingang, an dem sich auch die erwartete Stufe zum Ausziehen der Schuhe befand. Meine Sandalen stellten kein Problem dar, da ich nur rausschlüpfen musste, Karl tat sich mit seinen neu gekauften Turnschuhen schon etwas schwerer. Dabei hatte er doch extra wegen des Schuhwechsel Slipper mitgenommen, die sich aber jetzt, wo sie praktisch gewesen wären, im Koffer befanden. Während Karl also noch mit den Schnürsenkeln beschäftigt war, tat ich den ersten Schritt ins Hausinnere und schlüpfte in die bereitstehenden Pantoffeln. Aber nicht einfach so, wie ich es zuhause mache, wenn ich meine Schuhe wechsle, sondern hinter den Schuhen, die für mich bereitgestellt waren, kniete eine ältere Frau am Boden, verbeugte sich und hielt die Schuhspitzen fest, damit die Schuhe nicht wegrutschen konnten. Diese Art der Hilfsbereitschaft mutete mich nicht nur fremdartig, sondern auch fast beschämend an und ich war froh, als ich weitergehen konnte. Auch Karl hatte sein Problem mit diesem japanischen Brauch. Als wir nach unseren Schuhen schauten, waren sie schon verschwunden.
Eine junge Frau im Kimono erklärte uns, unser Zimmer würde noch vorbereitet und bat uns in einem kleinen Raum mit Sitzgelegenheiten kurz zu warten. Wir hatten gerade auf den Sitzkissen kniend Platz genommen, als uns in kleinen Schalen heiße Tücher zur Reinigung der Hände und kurz danach Schalen mit heißem grünem Tee gebracht wurden. Unser Blick fiel durch eine Öffnung in der Schiebewand zurück zu einem kleinen offenen Hof, an dem wir vorbeigekommen waren, und ruhte auf blühenden Iris, die in einem kleinen Beet wuchsen. An der Wand hinter uns war eine Nische mit einem Wandbild und einer kleinen Figur, nach der anderen Seite blickten wir in die Bibliothek, die auch Gästen zur Verfügung stand. Doch unsere Betrachtungen wurden jäh gestört durch unsere eingeschlafenen und schmerzenden Beine – korrektes Sitzen will geübt sein.
Wir gaben unserem Körper nach und verlegten unseren Sitzplatz auf die andere Seite des Raumes, wo sich niedrige Sessel befanden. Ich konnte gerade wieder meine Füße spüren, als unsere Betreuerin erschien, ohne sichtbare Verwunderung unsere neue Position zur Kenntnis nahm und unsere Teeschalen nachfüllte.
Nach einer ausführlichen Absprache über Zeit und Inhalt unseres geplanten Diners am Abend, bei dem wir einfach den Empfehlungen unserer Service-Dame Folge leisteten, geleitete sie uns zu unserer kleinen Wohnung. Nach Durchschreiten der Eingangstür und Ablegen unserer Jacken gab es wieder eine Stufe; beinahe hätten wir diese mit unseren Hausschuhen betreten, als uns gerade noch unser Reiseführer- Wissen daran erinnerte, dass jede Stufe Schuhe ausziehen bedeutete. Barfuß und strümpfig betraten wir nun einen kleinen Flur, der zu unserem Wohn- und Schlafzimmer führte.
Unser im Washitsu-Stil, das heißt traditionell, gestaltetes Zimmer war mit Matten aus Reisstroh (Tatami) ausgelegt. Mitten im Zimmer stand ein niedriger, alter Tisch mit edler Tischplatte, zu dem zwei Sitzkissen gehörten, die eine Rückenlehne besaßen. Auf der gegenüberliegenden Wand befand sich die traditionelle Nische mit dem Ikebana-Gesteck und dem Wandbild. Die rechte Wand nahm ein Einbauschrank ein, ansonsten war der Raum leer und wirkte dadurch ruhig und großzügig.
Die linke Wand bildeten Schiebetüren, die mit Reispapier bespannt waren und zu einem Wintergarten führten, der durch große Glasscheiben den Garten in den Wohnbereich mit einbezog. Im Wintergarten, der eine Stufe tiefer lag, stand ein antikes Schränkchen mit heißem Wasser zur Teezubereitung und kaltem Wasser, gegenüber befand sich ein gemütlicher Sitzplatz mit Blick in unseren Garten. Hier standen natürlich wieder Schuhe für uns bereit, dieses Mal aus Stroh und mit den Riemchen, die zwischen Großem Zeh und dem zweiten Zeh hindurchgingen. Für den Garten gab es nochmals andere Schuhe, dieses Mal aus Holz.
Lange Zeit zum Schauen blieb uns erstmals nicht, da sich unsere Betreuerin bemerkbar machte, um uns mit unserem Heim mit seinen Funktionen vertraut zu machen. In den Wandschränken befand sich unser Futon für die Nacht, Kleiderbügel und für jeden ein Morgenmantel und Nachtwäsche sowie Socken mit einem abgetrennten Fach für den großen Zeh, falls wir die Terrassen- oder Gartenschuhe benutzen wollten. Schamhaft hinter einem Schiebegitter versteckte sich die moderne Technik in Gestalt eines Fernsehers. Neben dem Wohn-Schlafraum gab es ein kleines Arbeitszimmer mit einem niedrigen Schreibtisch, vor und rechts neben dem bequeme Sitz- oder besser Kniekissen lagen. Allerdings konnt sich Karl über die Vertiefung unter dem Tisch freuen, da ihm dies normales Sitzen ermöglichte. Durch das Fenster hinter dem Schreibtisch fiel der Blick in den Garten. Unter einem Deckchen war das Telefon versteckt. Ein Mitarbeiter des Hauses richtete uns den Internetzugang für unseren Laptop ein (wir mussten ja einen Blick in den Seniorentreff werfen).
Weiter ging die Führung in unseren Waschraum und das dahinter liegende Bad. Im letzten Raum, den wir vorgestellt bekamen, befand sich das WC, und natürlich gab es hier, wie im Reiseführer beschrieben, nochmals neue Pantoffeln, die schon zum Reinschlüpfen bereitstanden und von denen wir wussten, dass deren Reichweite sich nur und wirklich ausschließlich auf die Toilette beschränkt.
Es war inzwischen bereits mittags. Da wir noch viel von Kyoto sehen wollten, brachen wir bald auf. Am Ausgang erhielten wir unsere frisch geputzten Schuhe, einen vereinfachten Stadtplan, damit wir wieder zurückfinden, und zwei große blaue Regenschirme, da es inzwischen zu regnen begonnen hatte.
Wanderung durch Higashiyama
Um Zeit zu sparen winkten wir uns an der nächsten größeren Straße ein Taxi heran und ließen uns zum Yasaka Jinja Schrein mit seinem leuchtend roten Tor fahren. Von dort aus wollten wir die in unserem Reiseführer empfohlene Wanderung durch Higashiyama bis zum Kiyomizu-dera-Tempel unternehmen.
Die Beschreibung der Tour in unserem Reiseführer war ungenau, die japanische Beschriftung für uns unleserlich, englischsprachige Schilder zu gut versteckt, als dass wir sie gefunden hätten, und wir ließen uns undiszipliniert einfach von zu vielem ablenken. Außerdem fanden wir viele Erklärungen in unserem Reiseführer nicht besonders informativ, so dass wir ihn dann einfach im Rucksack verschwinden ließen und unsere eigenen Wege gingen. Wir verbrachten einen faszinierenden Tag, aber wenn ich jetzt die einzelnen Schreine und Tempel namentlich einordnen soll, komme ich nicht voran. Deshalb beschreibe ich hier nun nicht einzelne Bauwerke mit ihrer Geschichte, sondern versuche, meine Eindrücke wieder zu geben.
Kyoto ist von bewaldeten Bergen, die sich bis über 1000 Meter erheben, umgeben. Östlich des Kamo-Flusses am Hang der Higashiyama-Bergkette befinden sich viele der bedeutenden Tempel und Schreine der Stadt. Nachdem wir das Große Tor des Yasaka Jinja Schreins durchschritten hatten, befanden wir uns in einer großen Tempelanlage mit vielen Schreinen. Zwischen alten Bäumen führte uns der Weg bergan, vorbei an wachsamen Tempelhunden aus Stein, kleineren Schreinen mit den beiden Füchsen und Blumenschmuck, vorbei an Läden, in denen wie bei unseren Wallfahrtskirchen fromme Gegenstände und Souvenirs gekauft werden können, und immer wieder über Treppen und durch Toranlagen.
Es waren nicht viele Leute unterwegs, auch europäische Touristen fielen uns nicht auf. Der leichte Regen machte die schwül-warme Luft angenehmer und sorgte beim Bergaufgehen für eine angenehme Erfrischung.
Wir betraten nur zwei Tempel, deren Türen offen standen, zuerst einen kleineren und gegen Ende unserer Wanderung den Chion-in-Tempel.
Vielleicht gerade weil wir fast nichts oder nur wenig aus unserem Reiseführer über die Bedeutungen der verschiedenen Tempel und religiösen Bräuche wussten, kam uns vieles fremd und doch auch irgendwie vertraut vor: die Brunnen, deren Wasser zur Reinigung vor dem Gebet dient, das gedämpfte Licht und die Ruhe im Inneren sowie die altarähnlichen Aufbauten im Zentrum der Tempel und Schreine. Wir ließen unsere Schuhe vor den Stufen stehen und betraten den kleinen Tempel barfuß. Der Boden war mit Tatami-Matten ausgelegt, gedämpftes Licht fiel durch die mit Reispapier bespannten Fenster und vor uns befand sich der geschmückte Altar mit einer goldenen Statue. Rechter Hand gab es zwei kleine Räume, die den Mönchen als Bibliothek und Schreibstube dienten. Wieder einmal bedauerte ich sehr, weder lesen noch sprechen zu können. So mussten sich die Laien im Mittelalter vorgekommen sein, wenn sie im Kloster auf schrift- und lateinkundige Mönche trafen.
Der gesamte Bezirk, in dem sich die vielen Tempel befinden, ist eine große Parkanlage.
Wir gingen am Ufer eines großen Teichs entlang, aus dem uns Karpfen ohne Scheu aus dem Wasser heraus anschauten, Schildkröten unbeeindruckt ihr Sonnenbad nahmen oder sogar näher schwammen in der Hoffnung auf Futter.
Gespeist wurde der See aus einem kleinen Bach, der sich zwischen blühende Azaleenbüschen und alten Bäumen durchschlängelte. Wir folgten dem Bach und bogen wieder von unserem Weg ab, um über eine sanft geschwungene Brücke das andere Ufer zu erreichen und erblickten einen Reiher, der unter einem überhängenden Baum auf den richtigen Fisch wartete. Uns stufte er mit einem kurzen Blick als harmlos ein und ging seiner Beschäftigung weiter nach. Ein kleiner Weg zog uns an, der nach oben an immer wieder neuen, kleinen Tempelbauten vorbeiführte. Wir mussten vorsichtig gehen, um auf den regennassen Stufen und Wurzeln nicht auszugleiten. Als wir das bebaute Terrain hinter uns gelassen hatten, wurde der Regen stärker und wir waren über unsere Schirme sehr froh.
Plötzlich hörten wir über uns Kinderstimmen und sahen eine Gruppe leuchtend blauer Kinder, die einen Kindergartenausflug machte. Natürlich waren nicht die Kinder blau, sondern ihre Uniformen, und beim Näherkommen sahen wir, dass es doppelt so viele Kinder waren, als wir zuerst gesehen hatten. Die Hälfte hatte bereits einen dunklen Regenschutz an und fiel dadurch im Regen überhaupt nicht auf. Die Kinder betrachteten uns wesentlich argwöhnischer als der Reiher, wir sahen für sie wohl sehr fremdartig aus.
Beim weiteren Aufstieg fanden wir immer wieder kleine Altäre mit mehreren Steinen, die teilweise mit Stoffstreifen oder Schürzen behangen und mehr oder weniger bearbeitet waren. Frische oder bereits vertrocknete Blumen standen an vielen dieser Gedenkstätten. Wir sahen sehr alte bereits verwitterte Steingruppen, aber auch immer wieder welche, die aus jüngerer Zeit stammten. Als ich mich später bei unserem Gastgeber nach der Bedeutung erkundigte, erhielt ich die etwas ausweichende Antwort, die Steine würden für das Wohl der Kinder aufgebaut. Da ich das Gefühl hatte, eine unpassende Frage gestellt zu haben, gab ich mich mit der Auskunft zufrieden und drängte auf keine ausführlichere Antwort. Wieder zu Hause, suchte ich im Internet nach diesen Steinen, die ich sowohl in der Stadt in kleinen Häuschen wie auch überall im Wald und in den Parks gesehen habe. Die Steine standen für das Wohl der Kinder, allerdings für das Wohl verstorbener und nicht geborener Kinder. Abtreibung war bis vor kurzem die häufigste Art der Geburtenregelung in Japan.
Oben am Bergggipfel kamen wir zu einem von einem gepflegten Garten umgebenen Haus, in dem sich ein Tempel befand, der von zwei Hauskatzen bewacht wurde. In der Nähe gab es einen großen Parkplatz und eine ebene Fläche mit sanitären Einrichtungen, einem Grillplatz, einer Schutzhütte und einem Getränkeautomaten mit gekühlten Getränken, über den wir sehr froh waren. In Japan fanden wir überall solche Automaten, die auch für uns einfach zu bedienen waren und ein großes Angebot an verschiedenen Säften, Wasser und diversen Teesorten enthielten. Der Platz schien demnach ein beliebtes Ausflugsziel zu sein, wir trafen aber nur auf einen schlafenden Taxifahrer und einige Katzen und Krähen. Katzen (neko) gelten in Japan als Glücksbringer und es gibt überall runde kleine Katzenstatuen zu kaufen, die ihre Pfote grüßend heben. Nach einer Ruhepause machten wir uns auf den Rückweg ins Tal und wollten über den Philosophenweg entlang des Kanals zum Einkaufen in die Innenstadt.
Stattdessen erweckte ein riesiges Tempeleingangstor aus dunklem Holz unsere Neugier und schon stiegen wir wieder nach oben, dieses Mal auf extrem steilen, sehr breiten Treppen. Ich musste den beschwerlichen Weg gleich zweimal machen, da mir mein Regenschirm, den ich als Wanderstock benutzte, aus den Händen glitt und in gerader Linie treppab rutschte. Endlich oben angekommen standen wir vor einer gewaltigen Glocke und dem beeindruckenden Chion-in-Tempel, der geöffnet war und in dem viele Besucher aus- und eingingen. Radio und Fernsehen waren da und wie wir hörten, würde eine berühmte Musikgruppe ein Interview geben.
Hier die Beschreibung unseres Japanführers (National Geographic Traveller): “In der nordöstlichen Ecke des Parks steht der Chion-in. Er ist einer der größten Tempel des Landes und Hauptsitz der Jodo-Schule. Sie wurde 1170 von dem Priester Honen gegründet und ist bis heute eine der wichtigsten buddhistischen Schulen Japans. Die ursprünglichen Tempelbauten von 1234 wurden durch Brände zerstört. Die heutigen Gebäude stammen aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts und sind an Größe und Ausstattung kaum zu übertreffen. Zudem steht hier das 24 Meter hohe, zweigeschossige Sanmon, das größte Tempeltor des Landes, und auch die größte Tempelglocke Japans gehört zum Tempel. Solche Glocken haben keinen Klöppel, sondern werden mit einem hängend befestigten Baumstamm angeschlagen. Bei den Gedenkfeierlichkeiten für Honen (17. April) und zum Neujahrsfest schlagen traditionell 17 Mönche die 1633 gegossene Glocke.“
Vor Ort hatten wir unseren Reiseführer nicht zu Rate gezogen, sondern schauten uns um und staunten über all das, was wir sahen. Um den Tempel zu betreten, stellten wir unsere Schuhe in die Reihe der anderen. Hinter der weiten Eingangshalle öffnete sich die Haupthalle des Tempels, die prächtig geschmückt war. Vor dem goldenen Altar war hoch oben ein goldener Baldachin befestigt und an dessen Ecken hingen breite goldene Bahnen, die etwa bis in Kopfhöhe reichten. Mönche in einfachem Ornat durchschritten schweigend den Raum, auch ein prächtig gekleideter Priester war zu sehen.
Im Vorraum warteten viele Menschen, weil ein Radio- und Fernsehinterview bekannter Sänger stattfinden sollte. Ein Blick auf die Uhr überzeugte uns, den Beginn der Sendung nicht abzuwarten, sondern unseren Weg fortzusetzen. Viel hätte uns das Warten bei unseren fehlenden Sprachkenntnissen sicher nicht gebracht. Wir wählten für den Abstieg einen anderen Weg und kamen zum Eingang eines Gartens, der uns magisch anzog. Nach Lösen der Eintrittskarte stand uns der Weg offen.
Inzwischen habe ich einiges über japanische Gärten und deren Gestaltung und ihre Bedeutung gelesen. Es gibt den Zen-Garten Karesansui („Berg ohne Wasser“), der zur Meditation dient, und in dem Wasserflächen durch Sand und Kies, aus denen einzelne Steine herausragen, dargestellt sind. Anstelle von Rasen ist der Boden oft dicht mit Moos bewachsen. Gärten im Tsukiyama-Stil bilden die Landschaft im Miniatur-Format ab. Den Garten im Chani-wa-Stil erkennt man an Steinlaternen, steinernen Wasserbecken mit Schöpfkelle zur Reinigung von Händen und Mund. Der Weg durch den Teehausgarten gilt als innere Vorbereitung für die Tee-Zeremonie.
Wir kannten diese Unterschiede nicht und waren trotzdem von der Harmonie und Schönheit gerade dieses Gartens beeindruckt. Verschlungene Wege führten uns zu einem Teich, in dem sich Koi-Karpfen tummelten und vertrauensvoll ans Ufer schwammen, um uns genauer in Augenschein zu nehmen. Wahrscheinlich kamen sie aber eher, um nach zu schauen, ob es etwas zu fressen gab. Immer wieder genossen wir Ausblicke auf alte, seltsame, uns unbekannte Bäume, die besonders schön gewachsen oder zurechtgeschnitten waren. Unser Blick ruhte auf rot und rosa blühenden Azaleenbüschen, die eine eigene Landschaft bildeten.
Kleine Steinlaternen standen immer wieder am Wegrand oder waren ein Blickpunkt tiefer in der Anlage. Oft waren sie kombiniert mit großen, kugelförmigen Steinblöcken, in die oben eine halbkugelige Vertiefung eingemeißelt war. Diese Vertiefung war mit Wasser gefüllt, daneben lagen zwei miteinander verbundene Bambusrohre. Auch in Wasserläufen gab es Bambusrohre, die so aufgestellt waren, dass sie sich langsam mit Wasser füllten und dann kippten, um sich mit einem leisen „plop“ zu entleeren und von der Wasserlast befreit wieder in ihre Ausgangsposition zurück zu kehren. In YouTube habe ich dazu einen kleinen netten Film gefunden.
Verschiedene Farne und andere Grünpflanzen wuchsen üppig. Unter den Bäumen war der Boden mit grünem Moos bedeckt. Unser weiterer Weg führte uns an einem Steingarten vorbei, der für uns, die wir kein Vorwissen hatten, den Eindruck einer ruhigen Wasserfläche vermittelte. Mitten aus der Fläche tauchte wie eine Insel ein einzelner markanter dunkler Stein auf, dessen Oberfläche leicht geriffelt war. Dort sahen wir auch Gärtner, die kniend Unkraut zupften, eine echte Sisyphus-Arbeit, wie mir schien.
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28. Mai 2009 (die Bildchen sind durch Klick vergrößerbar)
Das Ryokan I
Nach einem ausgiebigen Frühstück packe ich schon wieder unseren Koffer, da wir die letzte Nacht in Kyoto in einem typisch japanischen Gasthaus, einem Ryokan, verbringen wollen.
Wir verlassen das Granvia und sind schon mächtig neugierig, ob unsere Reiseführer Informationen auch tatsächlich zutreffen. Um wenig Zeit bei unserem Umzug zu verlieren, nehmen wir eines der vielen Taxis, die vor dem Hotel warten. Das heißt eigentlich nicht irgendeines, sondern das, welches an der Markierung wartet. Auch hier hält sowohl jedes Taxi wie jeder, der ein Taxi benutzen will, eine genaue Reihenfolge ein. Ein Gedränge wie an unseren Bahnhöfen um ein Taxi gibt es nicht. Jeder Fahrgast stellt sich hinten in der Reihe an. Taxitüren öffnen und schließen automatisch und selbstverständlich kümmert sich der Fahrer um das Gepäck seiner Passagiere. Das Taxi war für uns eine Überraschung, denn alle Sitze hatten einen weißen Spitzenüberzug wie Urgroßmutters Sofa und waren blitzsauber. Der Fahrer ist durch eine Glasscheibe von seinen Fahrgästen getrennt. Die Türen öffnen sich immer nur zur Gehwegseite, was den Nachteil hat, dass man am Rücksitz durchrutschen muss, den Vorteil, dass niemand unachtsam zur Straße hin aussteigen kann und einen Unfall verursacht.
In Japan herrscht Linksverkehr wie in England. Als Fahrgast fühlte ich mich dadurch mehr irritert als als Fußgänger, so dass ich es vorzog, nur durch die Seitenfenster zu sehen. Obwohl wir unserem Fahrer unsere Zieladresse auch auf Japanisch gegeben hatten, erkundigte er sich die ganze Fahrt hindurch über Funk bei seiner Zentrale, welchen Weg er nehmen sollte und studierte die ganze Fahrt hindurch den Stadtplan. Später verstanden wir das Verhalten besser. Zwar ist Kyoto eine Stadt mit rechtwinkligem Straßennetz, aber unser Ryokan lag mitten in der Altstadt, in der sich viele enge Straßen kreuzen. Dazu kommt, dass man sich nicht wie bei uns an den Hausnummern orientieren kann, denn das älteste Haus einer Straße hat die Nummer eins, das letzterbaute erhält die höchste Hausnummer. In langen Straßenzügen kann man dann auch entsprechend lang suchen.
Vorbei an überdachten Einkaufspassagen bogen wir in immer engere Straßen ein und hielten vor einem alten Holzhaus, dem Tawaraya-Ryokan, das Karls Kollege für uns ausgesucht hatte, damit wir die alte japanische Gastfreundschaft kennen lernen können. Das Tawaraya soll mit seiner dreihundert Jahre alten Geschichte eines der ältesten Gasthäuser der Welt sein, und wird seit zwölf Generationen von derselben Familie geführt. Wir setzen nun also eine alte Tradition fort, nämlich die der Gäste, die ja auch seit dreihundert Jahren dieses Gasthaus aufsuchen. Ich rief mir die Hinweise aus meinen Reisenführern und aus dem Internet in Erinnerung, wie man sich richtig verbeugt, wie man sich vorstellt und an welcher Stelle man seine Schuhe auszieht. Und tatsächlich, alles war so, wie gelesen, aber doch ganz anders.
Nach Verlassen unseres klimatisierten Taxis standen wir in der schwül-warmen Luft vor einem engen Durchgang, der in einen spärlich beleuchteten Gang führte. Der Boden war mit kaltem Wasser besprengt und dadurch angenehm kühl. Am Ende des Gangs wurden wir von einem Herrn mit einer Verbeugung und Irashaimasu – herzlich willkommen - begrüßt und nach Vorzeigen unserer Reservierung waren wir von freundlichen Helfern umgeben. Einer kümmerte sich, nicht ohne die obligatorische Verbeugung, um unser Gepäck, ein anderer wies uns den Weg zum eigentlichen Eingang, an dem sich auch die erwartete Stufe zum Ausziehen der Schuhe befand. Meine Sandalen stellten kein Problem dar, da ich nur rausschlüpfen musste, Karl tat sich mit seinen neu gekauften Turnschuhen schon etwas schwerer. Dabei hatte er doch extra wegen des Schuhwechsel Slipper mitgenommen, die sich aber jetzt, wo sie praktisch gewesen wären, im Koffer befanden. Während Karl also noch mit den Schnürsenkeln beschäftigt war, tat ich den ersten Schritt ins Hausinnere und schlüpfte in die bereitstehenden Pantoffeln. Aber nicht einfach so, wie ich es zuhause mache, wenn ich meine Schuhe wechsle, sondern hinter den Schuhen, die für mich bereitgestellt waren, kniete eine ältere Frau am Boden, verbeugte sich und hielt die Schuhspitzen fest, damit die Schuhe nicht wegrutschen konnten. Diese Art der Hilfsbereitschaft mutete mich nicht nur fremdartig, sondern auch fast beschämend an und ich war froh, als ich weitergehen konnte. Auch Karl hatte sein Problem mit diesem japanischen Brauch. Als wir nach unseren Schuhen schauten, waren sie schon verschwunden.
Eine junge Frau im Kimono erklärte uns, unser Zimmer würde noch vorbereitet und bat uns in einem kleinen Raum mit Sitzgelegenheiten kurz zu warten. Wir hatten gerade auf den Sitzkissen kniend Platz genommen, als uns in kleinen Schalen heiße Tücher zur Reinigung der Hände und kurz danach Schalen mit heißem grünem Tee gebracht wurden. Unser Blick fiel durch eine Öffnung in der Schiebewand zurück zu einem kleinen offenen Hof, an dem wir vorbeigekommen waren, und ruhte auf blühenden Iris, die in einem kleinen Beet wuchsen. An der Wand hinter uns war eine Nische mit einem Wandbild und einer kleinen Figur, nach der anderen Seite blickten wir in die Bibliothek, die auch Gästen zur Verfügung stand. Doch unsere Betrachtungen wurden jäh gestört durch unsere eingeschlafenen und schmerzenden Beine – korrektes Sitzen will geübt sein.
Wir gaben unserem Körper nach und verlegten unseren Sitzplatz auf die andere Seite des Raumes, wo sich niedrige Sessel befanden. Ich konnte gerade wieder meine Füße spüren, als unsere Betreuerin erschien, ohne sichtbare Verwunderung unsere neue Position zur Kenntnis nahm und unsere Teeschalen nachfüllte.
Nach einer ausführlichen Absprache über Zeit und Inhalt unseres geplanten Diners am Abend, bei dem wir einfach den Empfehlungen unserer Service-Dame Folge leisteten, geleitete sie uns zu unserer kleinen Wohnung. Nach Durchschreiten der Eingangstür und Ablegen unserer Jacken gab es wieder eine Stufe; beinahe hätten wir diese mit unseren Hausschuhen betreten, als uns gerade noch unser Reiseführer- Wissen daran erinnerte, dass jede Stufe Schuhe ausziehen bedeutete. Barfuß und strümpfig betraten wir nun einen kleinen Flur, der zu unserem Wohn- und Schlafzimmer führte.
Unser im Washitsu-Stil, das heißt traditionell, gestaltetes Zimmer war mit Matten aus Reisstroh (Tatami) ausgelegt. Mitten im Zimmer stand ein niedriger, alter Tisch mit edler Tischplatte, zu dem zwei Sitzkissen gehörten, die eine Rückenlehne besaßen. Auf der gegenüberliegenden Wand befand sich die traditionelle Nische mit dem Ikebana-Gesteck und dem Wandbild. Die rechte Wand nahm ein Einbauschrank ein, ansonsten war der Raum leer und wirkte dadurch ruhig und großzügig.
Die linke Wand bildeten Schiebetüren, die mit Reispapier bespannt waren und zu einem Wintergarten führten, der durch große Glasscheiben den Garten in den Wohnbereich mit einbezog. Im Wintergarten, der eine Stufe tiefer lag, stand ein antikes Schränkchen mit heißem Wasser zur Teezubereitung und kaltem Wasser, gegenüber befand sich ein gemütlicher Sitzplatz mit Blick in unseren Garten. Hier standen natürlich wieder Schuhe für uns bereit, dieses Mal aus Stroh und mit den Riemchen, die zwischen Großem Zeh und dem zweiten Zeh hindurchgingen. Für den Garten gab es nochmals andere Schuhe, dieses Mal aus Holz.
Lange Zeit zum Schauen blieb uns erstmals nicht, da sich unsere Betreuerin bemerkbar machte, um uns mit unserem Heim mit seinen Funktionen vertraut zu machen. In den Wandschränken befand sich unser Futon für die Nacht, Kleiderbügel und für jeden ein Morgenmantel und Nachtwäsche sowie Socken mit einem abgetrennten Fach für den großen Zeh, falls wir die Terrassen- oder Gartenschuhe benutzen wollten. Schamhaft hinter einem Schiebegitter versteckte sich die moderne Technik in Gestalt eines Fernsehers. Neben dem Wohn-Schlafraum gab es ein kleines Arbeitszimmer mit einem niedrigen Schreibtisch, vor und rechts neben dem bequeme Sitz- oder besser Kniekissen lagen. Allerdings konnt sich Karl über die Vertiefung unter dem Tisch freuen, da ihm dies normales Sitzen ermöglichte. Durch das Fenster hinter dem Schreibtisch fiel der Blick in den Garten. Unter einem Deckchen war das Telefon versteckt. Ein Mitarbeiter des Hauses richtete uns den Internetzugang für unseren Laptop ein (wir mussten ja einen Blick in den Seniorentreff werfen).
Weiter ging die Führung in unseren Waschraum und das dahinter liegende Bad. Im letzten Raum, den wir vorgestellt bekamen, befand sich das WC, und natürlich gab es hier, wie im Reiseführer beschrieben, nochmals neue Pantoffeln, die schon zum Reinschlüpfen bereitstanden und von denen wir wussten, dass deren Reichweite sich nur und wirklich ausschließlich auf die Toilette beschränkt.
Es war inzwischen bereits mittags. Da wir noch viel von Kyoto sehen wollten, brachen wir bald auf. Am Ausgang erhielten wir unsere frisch geputzten Schuhe, einen vereinfachten Stadtplan, damit wir wieder zurückfinden, und zwei große blaue Regenschirme, da es inzwischen zu regnen begonnen hatte.
Wanderung durch Higashiyama
Um Zeit zu sparen winkten wir uns an der nächsten größeren Straße ein Taxi heran und ließen uns zum Yasaka Jinja Schrein mit seinem leuchtend roten Tor fahren. Von dort aus wollten wir die in unserem Reiseführer empfohlene Wanderung durch Higashiyama bis zum Kiyomizu-dera-Tempel unternehmen.
Die Beschreibung der Tour in unserem Reiseführer war ungenau, die japanische Beschriftung für uns unleserlich, englischsprachige Schilder zu gut versteckt, als dass wir sie gefunden hätten, und wir ließen uns undiszipliniert einfach von zu vielem ablenken. Außerdem fanden wir viele Erklärungen in unserem Reiseführer nicht besonders informativ, so dass wir ihn dann einfach im Rucksack verschwinden ließen und unsere eigenen Wege gingen. Wir verbrachten einen faszinierenden Tag, aber wenn ich jetzt die einzelnen Schreine und Tempel namentlich einordnen soll, komme ich nicht voran. Deshalb beschreibe ich hier nun nicht einzelne Bauwerke mit ihrer Geschichte, sondern versuche, meine Eindrücke wieder zu geben.
Kyoto ist von bewaldeten Bergen, die sich bis über 1000 Meter erheben, umgeben. Östlich des Kamo-Flusses am Hang der Higashiyama-Bergkette befinden sich viele der bedeutenden Tempel und Schreine der Stadt. Nachdem wir das Große Tor des Yasaka Jinja Schreins durchschritten hatten, befanden wir uns in einer großen Tempelanlage mit vielen Schreinen. Zwischen alten Bäumen führte uns der Weg bergan, vorbei an wachsamen Tempelhunden aus Stein, kleineren Schreinen mit den beiden Füchsen und Blumenschmuck, vorbei an Läden, in denen wie bei unseren Wallfahrtskirchen fromme Gegenstände und Souvenirs gekauft werden können, und immer wieder über Treppen und durch Toranlagen.
Es waren nicht viele Leute unterwegs, auch europäische Touristen fielen uns nicht auf. Der leichte Regen machte die schwül-warme Luft angenehmer und sorgte beim Bergaufgehen für eine angenehme Erfrischung.
Wir betraten nur zwei Tempel, deren Türen offen standen, zuerst einen kleineren und gegen Ende unserer Wanderung den Chion-in-Tempel.
Vielleicht gerade weil wir fast nichts oder nur wenig aus unserem Reiseführer über die Bedeutungen der verschiedenen Tempel und religiösen Bräuche wussten, kam uns vieles fremd und doch auch irgendwie vertraut vor: die Brunnen, deren Wasser zur Reinigung vor dem Gebet dient, das gedämpfte Licht und die Ruhe im Inneren sowie die altarähnlichen Aufbauten im Zentrum der Tempel und Schreine. Wir ließen unsere Schuhe vor den Stufen stehen und betraten den kleinen Tempel barfuß. Der Boden war mit Tatami-Matten ausgelegt, gedämpftes Licht fiel durch die mit Reispapier bespannten Fenster und vor uns befand sich der geschmückte Altar mit einer goldenen Statue. Rechter Hand gab es zwei kleine Räume, die den Mönchen als Bibliothek und Schreibstube dienten. Wieder einmal bedauerte ich sehr, weder lesen noch sprechen zu können. So mussten sich die Laien im Mittelalter vorgekommen sein, wenn sie im Kloster auf schrift- und lateinkundige Mönche trafen.
Der gesamte Bezirk, in dem sich die vielen Tempel befinden, ist eine große Parkanlage.
Wir gingen am Ufer eines großen Teichs entlang, aus dem uns Karpfen ohne Scheu aus dem Wasser heraus anschauten, Schildkröten unbeeindruckt ihr Sonnenbad nahmen oder sogar näher schwammen in der Hoffnung auf Futter.
Gespeist wurde der See aus einem kleinen Bach, der sich zwischen blühende Azaleenbüschen und alten Bäumen durchschlängelte. Wir folgten dem Bach und bogen wieder von unserem Weg ab, um über eine sanft geschwungene Brücke das andere Ufer zu erreichen und erblickten einen Reiher, der unter einem überhängenden Baum auf den richtigen Fisch wartete. Uns stufte er mit einem kurzen Blick als harmlos ein und ging seiner Beschäftigung weiter nach. Ein kleiner Weg zog uns an, der nach oben an immer wieder neuen, kleinen Tempelbauten vorbeiführte. Wir mussten vorsichtig gehen, um auf den regennassen Stufen und Wurzeln nicht auszugleiten. Als wir das bebaute Terrain hinter uns gelassen hatten, wurde der Regen stärker und wir waren über unsere Schirme sehr froh.
Plötzlich hörten wir über uns Kinderstimmen und sahen eine Gruppe leuchtend blauer Kinder, die einen Kindergartenausflug machte. Natürlich waren nicht die Kinder blau, sondern ihre Uniformen, und beim Näherkommen sahen wir, dass es doppelt so viele Kinder waren, als wir zuerst gesehen hatten. Die Hälfte hatte bereits einen dunklen Regenschutz an und fiel dadurch im Regen überhaupt nicht auf. Die Kinder betrachteten uns wesentlich argwöhnischer als der Reiher, wir sahen für sie wohl sehr fremdartig aus.
Beim weiteren Aufstieg fanden wir immer wieder kleine Altäre mit mehreren Steinen, die teilweise mit Stoffstreifen oder Schürzen behangen und mehr oder weniger bearbeitet waren. Frische oder bereits vertrocknete Blumen standen an vielen dieser Gedenkstätten. Wir sahen sehr alte bereits verwitterte Steingruppen, aber auch immer wieder welche, die aus jüngerer Zeit stammten. Als ich mich später bei unserem Gastgeber nach der Bedeutung erkundigte, erhielt ich die etwas ausweichende Antwort, die Steine würden für das Wohl der Kinder aufgebaut. Da ich das Gefühl hatte, eine unpassende Frage gestellt zu haben, gab ich mich mit der Auskunft zufrieden und drängte auf keine ausführlichere Antwort. Wieder zu Hause, suchte ich im Internet nach diesen Steinen, die ich sowohl in der Stadt in kleinen Häuschen wie auch überall im Wald und in den Parks gesehen habe. Die Steine standen für das Wohl der Kinder, allerdings für das Wohl verstorbener und nicht geborener Kinder. Abtreibung war bis vor kurzem die häufigste Art der Geburtenregelung in Japan.
Oben am Bergggipfel kamen wir zu einem von einem gepflegten Garten umgebenen Haus, in dem sich ein Tempel befand, der von zwei Hauskatzen bewacht wurde. In der Nähe gab es einen großen Parkplatz und eine ebene Fläche mit sanitären Einrichtungen, einem Grillplatz, einer Schutzhütte und einem Getränkeautomaten mit gekühlten Getränken, über den wir sehr froh waren. In Japan fanden wir überall solche Automaten, die auch für uns einfach zu bedienen waren und ein großes Angebot an verschiedenen Säften, Wasser und diversen Teesorten enthielten. Der Platz schien demnach ein beliebtes Ausflugsziel zu sein, wir trafen aber nur auf einen schlafenden Taxifahrer und einige Katzen und Krähen. Katzen (neko) gelten in Japan als Glücksbringer und es gibt überall runde kleine Katzenstatuen zu kaufen, die ihre Pfote grüßend heben. Nach einer Ruhepause machten wir uns auf den Rückweg ins Tal und wollten über den Philosophenweg entlang des Kanals zum Einkaufen in die Innenstadt.
Stattdessen erweckte ein riesiges Tempeleingangstor aus dunklem Holz unsere Neugier und schon stiegen wir wieder nach oben, dieses Mal auf extrem steilen, sehr breiten Treppen. Ich musste den beschwerlichen Weg gleich zweimal machen, da mir mein Regenschirm, den ich als Wanderstock benutzte, aus den Händen glitt und in gerader Linie treppab rutschte. Endlich oben angekommen standen wir vor einer gewaltigen Glocke und dem beeindruckenden Chion-in-Tempel, der geöffnet war und in dem viele Besucher aus- und eingingen. Radio und Fernsehen waren da und wie wir hörten, würde eine berühmte Musikgruppe ein Interview geben.
Hier die Beschreibung unseres Japanführers (National Geographic Traveller): “In der nordöstlichen Ecke des Parks steht der Chion-in. Er ist einer der größten Tempel des Landes und Hauptsitz der Jodo-Schule. Sie wurde 1170 von dem Priester Honen gegründet und ist bis heute eine der wichtigsten buddhistischen Schulen Japans. Die ursprünglichen Tempelbauten von 1234 wurden durch Brände zerstört. Die heutigen Gebäude stammen aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts und sind an Größe und Ausstattung kaum zu übertreffen. Zudem steht hier das 24 Meter hohe, zweigeschossige Sanmon, das größte Tempeltor des Landes, und auch die größte Tempelglocke Japans gehört zum Tempel. Solche Glocken haben keinen Klöppel, sondern werden mit einem hängend befestigten Baumstamm angeschlagen. Bei den Gedenkfeierlichkeiten für Honen (17. April) und zum Neujahrsfest schlagen traditionell 17 Mönche die 1633 gegossene Glocke.“
Vor Ort hatten wir unseren Reiseführer nicht zu Rate gezogen, sondern schauten uns um und staunten über all das, was wir sahen. Um den Tempel zu betreten, stellten wir unsere Schuhe in die Reihe der anderen. Hinter der weiten Eingangshalle öffnete sich die Haupthalle des Tempels, die prächtig geschmückt war. Vor dem goldenen Altar war hoch oben ein goldener Baldachin befestigt und an dessen Ecken hingen breite goldene Bahnen, die etwa bis in Kopfhöhe reichten. Mönche in einfachem Ornat durchschritten schweigend den Raum, auch ein prächtig gekleideter Priester war zu sehen.
Im Vorraum warteten viele Menschen, weil ein Radio- und Fernsehinterview bekannter Sänger stattfinden sollte. Ein Blick auf die Uhr überzeugte uns, den Beginn der Sendung nicht abzuwarten, sondern unseren Weg fortzusetzen. Viel hätte uns das Warten bei unseren fehlenden Sprachkenntnissen sicher nicht gebracht. Wir wählten für den Abstieg einen anderen Weg und kamen zum Eingang eines Gartens, der uns magisch anzog. Nach Lösen der Eintrittskarte stand uns der Weg offen.
Inzwischen habe ich einiges über japanische Gärten und deren Gestaltung und ihre Bedeutung gelesen. Es gibt den Zen-Garten Karesansui („Berg ohne Wasser“), der zur Meditation dient, und in dem Wasserflächen durch Sand und Kies, aus denen einzelne Steine herausragen, dargestellt sind. Anstelle von Rasen ist der Boden oft dicht mit Moos bewachsen. Gärten im Tsukiyama-Stil bilden die Landschaft im Miniatur-Format ab. Den Garten im Chani-wa-Stil erkennt man an Steinlaternen, steinernen Wasserbecken mit Schöpfkelle zur Reinigung von Händen und Mund. Der Weg durch den Teehausgarten gilt als innere Vorbereitung für die Tee-Zeremonie.
Wir kannten diese Unterschiede nicht und waren trotzdem von der Harmonie und Schönheit gerade dieses Gartens beeindruckt. Verschlungene Wege führten uns zu einem Teich, in dem sich Koi-Karpfen tummelten und vertrauensvoll ans Ufer schwammen, um uns genauer in Augenschein zu nehmen. Wahrscheinlich kamen sie aber eher, um nach zu schauen, ob es etwas zu fressen gab. Immer wieder genossen wir Ausblicke auf alte, seltsame, uns unbekannte Bäume, die besonders schön gewachsen oder zurechtgeschnitten waren. Unser Blick ruhte auf rot und rosa blühenden Azaleenbüschen, die eine eigene Landschaft bildeten.
Kleine Steinlaternen standen immer wieder am Wegrand oder waren ein Blickpunkt tiefer in der Anlage. Oft waren sie kombiniert mit großen, kugelförmigen Steinblöcken, in die oben eine halbkugelige Vertiefung eingemeißelt war. Diese Vertiefung war mit Wasser gefüllt, daneben lagen zwei miteinander verbundene Bambusrohre. Auch in Wasserläufen gab es Bambusrohre, die so aufgestellt waren, dass sie sich langsam mit Wasser füllten und dann kippten, um sich mit einem leisen „plop“ zu entleeren und von der Wasserlast befreit wieder in ihre Ausgangsposition zurück zu kehren. In YouTube habe ich dazu einen kleinen netten Film gefunden.
Verschiedene Farne und andere Grünpflanzen wuchsen üppig. Unter den Bäumen war der Boden mit grünem Moos bedeckt. Unser weiterer Weg führte uns an einem Steingarten vorbei, der für uns, die wir kein Vorwissen hatten, den Eindruck einer ruhigen Wasserfläche vermittelte. Mitten aus der Fläche tauchte wie eine Insel ein einzelner markanter dunkler Stein auf, dessen Oberfläche leicht geriffelt war. Dort sahen wir auch Gärtner, die kniend Unkraut zupften, eine echte Sisyphus-Arbeit, wie mir schien.
Zu Teil I | Teil II | Teil III | Teil IV | Teil V | Teil VI | Teil VII | Teil VIII | Teil IX
Kommentare (10)
tilli †
Liebe Margit !
Wenn ich deine Berichte über Japan lese wird mir bewusst, wie wenig wir doch wissen.Es tut so gut alles mit dir erleben zu dürfen.Du hast solche schöne Fotos in den Text gegeben. Danke für deine Berichte und wie alle die dich bewundern, warte auch ich auf deinen 6 Teil.
Viele Grüsse Tilli
Wenn ich deine Berichte über Japan lese wird mir bewusst, wie wenig wir doch wissen.Es tut so gut alles mit dir erleben zu dürfen.Du hast solche schöne Fotos in den Text gegeben. Danke für deine Berichte und wie alle die dich bewundern, warte auch ich auf deinen 6 Teil.
Viele Grüsse Tilli
margit
Ich entschuldige mich zur Zeit nicht am Japanbericht arbeiten zu können. Das Schuljahresende ist immer sehr arbeitsintensiv.
margit
Heute schaffe ich es nicht mehr Teil V abzuschließen. Ich habe aber daran gearbeitet. Da ich morgen einen freien Tag habe, hoffe ich unseren Abstecher nach Kyoto morgen abschließen zu können.
KarinIlona
... Auch ICH erlebe mit dir eine interessante Japanreise.
Dafür will ich DANKE sagen!
Karilona
Dafür will ich DANKE sagen!
Karilona
jacare4
Ich habe mit Vergnügen alle bisherigen Abschnitte von Deinen Reisebericht gelesen. Bin ich froh, dass ich auf meinen Reisen durch Japan diesem Puschenterror nur in abgemildeter Form begegnet bin. Du hast noch vergessen zu erwähnen, dass die zur Verfügung gestellten Puschen meist zu klein sind für europäische Füße.
Ich warte schon ungeduldig auf das nächste Kapitel.
Jacaré/Udo
Ich warte schon ungeduldig auf das nächste Kapitel.
Jacaré/Udo
marlenchen
ich bedanke mich für die wundervolle reisebeschreibungen anläßlich euren urlaubs,habe alles mehrmals in mich aufgenommen, habe ein faible für china und auch für japan.doch da meine flugangst groß ist,bleibt mir nur -augen zu- träumen- und schon bin ich gedanken auch dort!mein mann war vor vielen jahren in osaka zur weltausstellung,auch in kyoto,haben noch ein paar dias davon,doch die qualität der selbigen hat stark gelitten nach so vielen jahren.ein liebes salüchen von marlenchen
Danke Margit für diese interessanten Einblicke in den japanischen Alltag und die schönen Fotos. Werde über die weitern Tage noch lesen. Liebe Grüße Anne