Hämelschenburg
Da liegt ein Rittergut im Emmertal, zehn Kilometer westlich von Hameln und zehn Kilometer östlich von Bad Pyrmont, also am Rande des Calenberger Landes im Weserbergland. Ein Schloss im Stile der Weser-Renaissance erbaut, dazu ein schöner Teich mit reichlich Entengrütze, nur ánstelle der Enten wirbeln Schwärme von Karpfen das Wasser auf. Ein schönes Tor hält die Besucher zurück, man kann auf einem schotterigen Fahrweg, vorbei an Verwalterhaus und Schlossschmiede, in den offenen Schlosshof gelangen. Das Schloss wurde mit den im nahegelegenen Steinbruch, oberhalb des Tales gebrochenen Steinen gebaut. Lange Wasserspeier bringen das Regenwasser von den Dächern in den (nur teilweise noch vorhandenen) Schlossgraben. Zwei Türme stehen in den Ecken des U-förmigen Schlosses.
Über die Straße wechselnd schaut man in den Gutshof, der inzwischen nicht mehr ganz der Landwirtschaft dient. Am Rande und an der Straße steht die Schlosskirche, ebenso in Bruchsteinen gemauert. Eine Mauer umschließt den früheren Wirtschaftsgarten, der sich hinunter bis zur Mühle erstreckt.
Als wir 1945 im zum Schloss gehörenden Dorf bei der Schreinerswitwe Hilker einzogen, ganz ohne alles, nur mit dem, was wir tragen konnten, galt neben dem Beschaffen von Mobiliar unsere dringende Aufgabe der Versorgung. Also verdingten Mutter und ich uns als Tagelöhner auf dem Gut. Es war Herbst, die Zuckerrüben und Kartoffeln mussten gerodet werden. Und danach ging es in eine der zwei Feldscheunen´am Wege nach Emmern (eine existiert noch) zum Dreschen.
Wir waren die ersten Flüchtlinge im Dorf. Dann kamen Trecks aus Ostpreussen an - von Luckwald, von Meerkatz usw., die zogen mit ins Schloss. Dann wurden Vertriebene aus den Ostgebieten, insbesondere aus Schlesien (Riesengebirge und so) und Ostpreussen, im Dorf und auch im Schloss einquartiert.
1946 wagte Mutter noch einmal einen Besuch in Eichwalde (SBZ) und kam mit acht Zentnern Hausrat nach Hämelschenburg zurück. Ihre Singer-Nähmaschine musste sie dalassen, gab sie weiter an eine Familie, die in Eystrup (Weser) eine Nähmaschine zu stehen hatte. Die holten Mutter und ich dann mit der Bahn ab. Damit konnte Mutter mit der (selbsterlernten) Schneiderei uns Deputat eintauschen. Weil sie in Eichwalde (damals beim Roten Kreuz) die Flüchtlinge im letzten Kriegsjahr betreut hatte, trug man ihr auch in Eichwalde das Amt des Flüchtlingswartes an. Sie gab es an Frau von Meerkatz ab, weil Mutter sich nicht traute, irgendeinen übergebenen Bezugschein für Möbel usw. an sich zu nehmen. Bei den Frewert's (der größte Bauernhof neben dem Gutshof in Hämelschenburg) hatte Mutter viel geschneidert. Das Diputat, Eier und Fleisch usw., wurde nur zur Hälfte unserem Haushalt zugeführt, das Andere ging mit nach Köln und Bonn, wo Vater arbeitete. Kungelware! So kam vieles wieder nach Hämelschenburg zurück. Schwarzhandel.
Und ich? Die Schule abgebrochen. Es gab keinen Platz für mich im Gymnasium in Hameln. Also ging Mutter mit mir zum Arbeitsamt nach Hameln, eine Lehrstelle zu finden. "Maurer oder Schmied". Ich kam in den Nachbarort Kirchohsen zu einem Schmied. Ich lernte "Lehrjahre sind keine Herrenjahre!". Das Fahrgeld zur Berufsschule in Hameln musste ich mir von Zuhause mitbringen. Arbeiten, essen, schlafen. Sonntags die Rechnungen austragen. Wenn Berufsschule in Hameln, dann Hufeisen-Rohlinge mitbringen. Ich Stadtkind. Ich brach die Lehre nach einem Jahr ab: Asthma, Unterernährung.
Die Schule abgebrochen, die Lehre abgebrochen. Nach kurzer Erholung im Odenwald konnte ich in das neu eröffnete Gymnasium in Bad Pyrmont gehen. Zehn Kilometer zu Fuß, mit Holzkaloschen und Hoover-Speisung. Nachmittags Nachhilfe oben im Schloss. Aber wo konnte ich in Ruhe Schularbeiten machen? Wir hatten für uns sieben/acht Personen so wenig Platz. Aus mit dem Schulbesuch.
Die Schule abgebrochen, die Lehre abgebrochen, die Schule abgebrochen. Mutter erkämpfte mir bei der AEG in Hameln eine Lehrstelle. Ich war mit sechzehn Jahren schon "zu alt". Trotzdem, Mutter überzeugte. Nun ging es von Hämelschenburg täglich nach Hameln. Entweder zu Fuß die vier Kilometer bis zum Bahnhof Emmertal und weiter mit dem Zug aus Altenbeken. Oder - inzwischen hatte ich mir ein Fahrrad zusammengebaut - ich radelte bei Wind und Wetter von Hämelschenburg über Emmern und Ohr nach Hameln. Bis dann endlich eine Buslinie zwischen Bad Pyrmont und Hameln über Hämelschenburg aufgemacht wurde.
Mit Dr. von Meerkatz lief ich viele Morgen von Hämelschenburg zum Bahnhof Emmertal, er fuhr zum Landtag nach Hannover, ich nur bis Hameln zur AEG. Die von Luckwald's pachteten sich hinter dem Schloss etwas Land und bauten eine Gärtnerei auf. Alles an Produkten kam dann nach Hameln auf den Markt. "In die Hände gespuckt!".
1949 stand die Übersiedlung nach Bonn bevor. Für uns großen Geschwister, die schon eine Lehrstelle hatten, hieß es, die Lehrverhältnisse zu kündigen und bei Bonn fortzusetzen. Dazu fuhr ich in den Ferien mit dem Rad nach Bonn zu unserem Vater, meine erste, selbst angelegte Radtour. Ich stellte mich bei der neuen Lehrstelle, die Mutter für mich ausgekundschaftet hatte, in Königswinter am Rhein vor.
In dieser Zeit des Neuanfangs, in diesen vir Jahren, ist uns Allen Hämelschenburg ans Herz gewachsen. So ist es nicht verwunderlich, dass wir immer wieder in dem Dorf auftauchen. So also galt heuer unser Besuch während der Fahrt Berlin-Brühl auch Hämelschenburg. Ein Wiedersehen.
Über die Straße wechselnd schaut man in den Gutshof, der inzwischen nicht mehr ganz der Landwirtschaft dient. Am Rande und an der Straße steht die Schlosskirche, ebenso in Bruchsteinen gemauert. Eine Mauer umschließt den früheren Wirtschaftsgarten, der sich hinunter bis zur Mühle erstreckt.
Als wir 1945 im zum Schloss gehörenden Dorf bei der Schreinerswitwe Hilker einzogen, ganz ohne alles, nur mit dem, was wir tragen konnten, galt neben dem Beschaffen von Mobiliar unsere dringende Aufgabe der Versorgung. Also verdingten Mutter und ich uns als Tagelöhner auf dem Gut. Es war Herbst, die Zuckerrüben und Kartoffeln mussten gerodet werden. Und danach ging es in eine der zwei Feldscheunen´am Wege nach Emmern (eine existiert noch) zum Dreschen.
Wir waren die ersten Flüchtlinge im Dorf. Dann kamen Trecks aus Ostpreussen an - von Luckwald, von Meerkatz usw., die zogen mit ins Schloss. Dann wurden Vertriebene aus den Ostgebieten, insbesondere aus Schlesien (Riesengebirge und so) und Ostpreussen, im Dorf und auch im Schloss einquartiert.
1946 wagte Mutter noch einmal einen Besuch in Eichwalde (SBZ) und kam mit acht Zentnern Hausrat nach Hämelschenburg zurück. Ihre Singer-Nähmaschine musste sie dalassen, gab sie weiter an eine Familie, die in Eystrup (Weser) eine Nähmaschine zu stehen hatte. Die holten Mutter und ich dann mit der Bahn ab. Damit konnte Mutter mit der (selbsterlernten) Schneiderei uns Deputat eintauschen. Weil sie in Eichwalde (damals beim Roten Kreuz) die Flüchtlinge im letzten Kriegsjahr betreut hatte, trug man ihr auch in Eichwalde das Amt des Flüchtlingswartes an. Sie gab es an Frau von Meerkatz ab, weil Mutter sich nicht traute, irgendeinen übergebenen Bezugschein für Möbel usw. an sich zu nehmen. Bei den Frewert's (der größte Bauernhof neben dem Gutshof in Hämelschenburg) hatte Mutter viel geschneidert. Das Diputat, Eier und Fleisch usw., wurde nur zur Hälfte unserem Haushalt zugeführt, das Andere ging mit nach Köln und Bonn, wo Vater arbeitete. Kungelware! So kam vieles wieder nach Hämelschenburg zurück. Schwarzhandel.
Und ich? Die Schule abgebrochen. Es gab keinen Platz für mich im Gymnasium in Hameln. Also ging Mutter mit mir zum Arbeitsamt nach Hameln, eine Lehrstelle zu finden. "Maurer oder Schmied". Ich kam in den Nachbarort Kirchohsen zu einem Schmied. Ich lernte "Lehrjahre sind keine Herrenjahre!". Das Fahrgeld zur Berufsschule in Hameln musste ich mir von Zuhause mitbringen. Arbeiten, essen, schlafen. Sonntags die Rechnungen austragen. Wenn Berufsschule in Hameln, dann Hufeisen-Rohlinge mitbringen. Ich Stadtkind. Ich brach die Lehre nach einem Jahr ab: Asthma, Unterernährung.
Die Schule abgebrochen, die Lehre abgebrochen. Nach kurzer Erholung im Odenwald konnte ich in das neu eröffnete Gymnasium in Bad Pyrmont gehen. Zehn Kilometer zu Fuß, mit Holzkaloschen und Hoover-Speisung. Nachmittags Nachhilfe oben im Schloss. Aber wo konnte ich in Ruhe Schularbeiten machen? Wir hatten für uns sieben/acht Personen so wenig Platz. Aus mit dem Schulbesuch.
Die Schule abgebrochen, die Lehre abgebrochen, die Schule abgebrochen. Mutter erkämpfte mir bei der AEG in Hameln eine Lehrstelle. Ich war mit sechzehn Jahren schon "zu alt". Trotzdem, Mutter überzeugte. Nun ging es von Hämelschenburg täglich nach Hameln. Entweder zu Fuß die vier Kilometer bis zum Bahnhof Emmertal und weiter mit dem Zug aus Altenbeken. Oder - inzwischen hatte ich mir ein Fahrrad zusammengebaut - ich radelte bei Wind und Wetter von Hämelschenburg über Emmern und Ohr nach Hameln. Bis dann endlich eine Buslinie zwischen Bad Pyrmont und Hameln über Hämelschenburg aufgemacht wurde.
Mit Dr. von Meerkatz lief ich viele Morgen von Hämelschenburg zum Bahnhof Emmertal, er fuhr zum Landtag nach Hannover, ich nur bis Hameln zur AEG. Die von Luckwald's pachteten sich hinter dem Schloss etwas Land und bauten eine Gärtnerei auf. Alles an Produkten kam dann nach Hameln auf den Markt. "In die Hände gespuckt!".
1949 stand die Übersiedlung nach Bonn bevor. Für uns großen Geschwister, die schon eine Lehrstelle hatten, hieß es, die Lehrverhältnisse zu kündigen und bei Bonn fortzusetzen. Dazu fuhr ich in den Ferien mit dem Rad nach Bonn zu unserem Vater, meine erste, selbst angelegte Radtour. Ich stellte mich bei der neuen Lehrstelle, die Mutter für mich ausgekundschaftet hatte, in Königswinter am Rhein vor.
In dieser Zeit des Neuanfangs, in diesen vir Jahren, ist uns Allen Hämelschenburg ans Herz gewachsen. So ist es nicht verwunderlich, dass wir immer wieder in dem Dorf auftauchen. So also galt heuer unser Besuch während der Fahrt Berlin-Brühl auch Hämelschenburg. Ein Wiedersehen.
ortwin
Das Bild, mit Dich als Großem und den Schwestern hat mich angerührt. Wenn ich die Beinchen der Mädchen sehe, kann ich das Jahr der Fotografie ohne zaudern nenen.
Das waren die Hungerjahre, wo nur die die es so wie so hatten, oder die, die nicht totzukriegen waren vor Lebenskraft, die da durch gekommen sind.
Es schreibt sich so leicht hin, die Tauscheware, aber der Aufwand zum Tausch brauchte oft mehr Kalorieen, als man nach Hause brachte.
Mit ganz freundlichen Grüßen, auch an spätzchen,
Traute, die weiß wovon Du schreibst...