Greta, Adieu!
Abendsonne über Chemnitz
Kurz bevor wir unsere Reise nach Fintel in der Heide antreten wollten, bist du, liebe Greta, entschlafen. Nun, zeitlich so ungünstig, dass ich an deiner Beerdigung nicht teilnehmen konnte. So war klar, dass ich gleich nach der Rückkehr die Siebensachen packen und die Reise zu dir schnellstmöglich nachholen kann.
Die Kinder hatten deine Heimreise ganz ohne mein Dazutun bewältigt. Und inzwischen ist auch vieles, was ein Heimgegangener so der Welt hinterlässt, verwaltet – nur die Sterbeurkunde fehlt – die Augsburger brauchen da reichlich lange, bis das für so viele Dinge doch so notwendige Papier ausgehändigt wird. Wer zahlt die Zinsen, die das verzögerte Bezahlen der kräftig einlaufenden Rechnungen aufträgt – weder Lebens- noch Sterbeversicherungen zahlen ohne dieses Papier aus. Und dabei hattest du für alles gesorgt.
Mein Spatz ließ mich nicht alleine nach Bayern fahren, sie begleitete mich. Das tat gut. Denn, wenn man so hinterm Steuer sitzt, lässt man die Gedanken parallel zum Lenken alles so bedenken, so was war und nun so ist.
Wir haben uns in der Jugendherberge in Augsburg eingemietet. Wir wollten nicht bei den Kindern einquartiert sein – nur ein Badezimmer, nur ein WC – und dann machen die Besuchten viel zu viel für die Besucher. Während wir ja mit unserer Zeit alles Mögliche anstellen können, sie die Kinder und Enkel doch eingespannt in den Alltag. Es war ihnen recht.
So fuhren wir in Berlin recht früh am Morgen gen Süden. Hinaus zum Berliner Außenring (A10), dann auf der A9 gen Süden. Uns wohlbekannte Straßen, Bilder und auch Zeitgefühle. Alle zwei Stunden gab es, wie es sich gehört, eine Pause auf einem Rastplatz an der Autobahn.
Der Verkehr rollte – und das an einem Montag, wo doch die Laster wieder rollen dürfen und damit auch dichter Verkehr zu erwarten war. Nun, es ging so. Auch die vielen Baustellen ließen immerhin mit dem Smart (max. 135 km/h) eine Durchschnittsgeschwindigkeit von einhundertzehn Stundenkilometer erreichen. Man musste schnellfahren, damit einen die Laster nicht überholten.
Was sollten wir schnurgerade nach Augsburg fahren – Spatz wünschte sich doch einen Halt in Ingolstadt. So ging es schließlich in Ingolstadt-Nord von der Autobahn. Nach den fast zwei Jahren seit meinem Umzug von Ingolstadt nach Berlin kam Wiedersehensfreude auf. Natürlich wurde unten am Neuen Schloss geparkt, die Treppe in die Stadt hinauf gestrampelt. Ingolstadt hatte uns wieder. Früher sind wir soo viel nicht gelaufen wie jetzt – wollten wir doch das Geliebte alles wiedersehen. Diese „verdammten“ Erinnerungen!
Weiter ging es gen Süden auf der B13, wo dann die B300 uns weiterbrachte – altbekannte Strecke durch Hallertau und Holledau und das Spargelland. Schrobenhausen, Aichach, Friedberg. Und schon zeigte uns „Werner“, der elektronische Reiseleiter, den Weg zur Jugendherberge in Augsburg. „Unterer Graben“ – so gut kannte ich Augsburg doch nicht, Neuland in der alten, ehrwürdigen Stadt.
Nach dem Einchecken und dem Abstellen unseres Smart trieb es uns hinauf in die Altstadt. Ach, was durften wir da „Neues“ erobern – so hatte ich Augsburg noch nie gesehen in den früheren dreiundzwanzig Jahren Bayern. Ein heißer Tag ging zu Ende, es war schon kräftig dunkel in den Gassen, als wir uns vom Moritzplatz entfernten und hinunter an einen der vielen Lech-Bäche zur Jugendherberge wanderten.
Der nächste Tag – da waren wir bei den Kindern zum Abend angemeldet – durchwanderten wir erneut Augsburg, schon ganz früh hat es uns hinaus getrieben. Noch einmal überquerten wir die reißend fließenden Kanäle, in denen der Lech einen Teil seines fast milchigen Wassers durch Augsburg spülen muss. Heute ist er nicht mehr damit beschäftigt, den Tuchmachern und Färbern bei der Arbeit zu helfen. Die Wasser des Lechs bringen immer eine gewisse Frische in die Stadt.
Wir kamen zum Dom. Wir konnten ihn nur umrunden, weil er wegen Gottesdienstes „geschlossen“ war. Wir trösteten uns mit den äußeren Ansichten. Noch einmal eine Stadtrundfahrt mit dem Auto: wenn du dich über Berlins Baustellen erregen magst – du wusstest es bestimmt, die Augsburger haben reichlichst und großflächig ihr Pflaster aufgerissen.
Also sind wir zum Wagen bei der Jugendherberge gegangen und sind in Richtung Königsbrunn aus der Stadt gefahren, vorbei am Roten Tor und durch Haunstetten.
Königsbrunn! 1953 bin ich mit dem Rad in aller Herrgottsfrühe von Lechhausen kommend durch das längste und schmalste Dorf Deutschlands gefahren, nichts ahnend, dass wir in den sechziger Jahren mit unseren beiden Töchtern da draußen gute elf Jahre wohnten, dass wir Beide im Lechfeld arbeiteten und dass wir, noch bevor mich der Dienstherr in das Rothaargebirge schubste, in Haunstetten unseren Sohn bekamen. So kam dann danach der Abschied vom Bayerischen Schwaben.
Jahre später trennten sich unsere Wege. Mich versetzte der Dienstherr ins Rheinland. Dich hielt es nicht im Sauerland, du nahmst die Kinder und gingst zurück nach Königsbrunn. Du bist nun für immer und unausweichlich auf dem Höhenzug zwischen Lech und Wertach gebettet worden – du sollst dir das gewünscht haben.
Wir standen an deinem Grab, das demnächst eine kleine Steinplatte bedeckt, konnten sehen, dass dein Blick immer hinunter ins breite Tal des Lechs geht, du Königsbrunn nicht aus den Augen verlierst.
Dann sind wir noch weiter das Lechfeld hinauf gefahren, wollten im Gasthaus Zollhaus am Lech die Wartezeit verbringen, bis es gut war, bei den Kindern anzukommen.
Es hat mich aufgewühlt, wenn ich an die gemeinsame Zeit denke, wo wir mit den Rädern durch die Lechauen entlang dem Lech zum Lochbach-Anstich geradelt sind, soweit wir eben konnten. Die Mädels auf ihren blauen 18er Rädern.
Und dann begrüßte uns unser Schwiegersohn Werner, er war noch zu Hause, musste aber bald zur Arbeit. Wir erfuhren, wie deine letzte Zeit war – ich hörte vieles, was du mir am Telefon nie gesagt hattest, wie schwer du es in den letzten Jahren hattest – ja und wie viel dir gerade er und unser Berle beigestanden hatten. Dass du große Dame nur noch eine Handvoll gewesen warst.
Die Enkelkinder trafen nach und nach ein – ein ganz herzliches Wiedersehen. Schließlich kam Berle– endlich – auch von ihrer Arbeit nach Hause.
»Schau dich nicht bei uns um – Mutters Wohnung ist leer und aufgegeben, ein Container hat die Sachen aufgenommen, die keiner haben wollte.«
Ich weiß, was es heißt, den Container groß genug stellen zu lassen und alles da hinein.
Berle kam mit einem Spazierstock, gespickt mit Nägeln. Es sollte meiner sein – ich hatte nie einen, eher hatte Großvater den seinen mit dem Nagel seiner Geburtsstadt Bernburg/Saale auf meinen Hintern tanzen lassen. Also muss der Stock von Siggi sein, mit dem du doch so viele Jahre nach mir wohl eine schöne Zeit gehabt hast. Er, der vor dir heimgegangen ist, hat dich vielleicht besser verstanden, als wir Beide uns.
Wir erlebten die alte B17, an der sich Königsbrunn nach und nach breit machte. Links die katholische Kirche, und da hinten rechts war der Turm der evangelischen Kirche zu sehen.
Es war spät und begann zu schütten, als wir mit dem Smart Königsbrunn verließen und versuchten, unsere Bleibe in Augsburg zu erreichen. Das Navi quäkte so und so, aber die Augsburger Baustellen kannte es nicht. Wir hielten vor der Jugendherberge, ich suchte noch einen Parkplatz – nass waren wir und irgendwie recht nachdenklich gingen wir in unsere Betten.
Spatzens Wunsch war mir Befehl: einmal nach Bamberg! Ich kann mich nicht erinnern, ob und wann ich mal in Bamberg war. Wir Beide sind doch immer mit dem ICE durchgefahren, aber sonst doch weiter nichts.
Wir tippelten über die Brücke hinein in die so lebhafte Stadt. Dass uns die Arme nicht müde wurden vom ständigen Hochhalten der Kameras?! Bamberg, die Regnitz, im Dom das Reiter-Standbild - wir erlebten alles.
Spatz hatte noch vor der ganzen Geschichte Kontakt zu Gertraud Groß in Chemnitz aufgenommen. Traute hat zwei Bücher verfasst, die man gelesen haben sollte.
»Wolfskinder«, darin beschreibt Traute ihre Zeit, eben als Wolfskind in Ostpreussen. Auch Presse und Fernsehen haben darüber berichtet, wie es den elternlosen Kindern nach dem Einmarsch der Russen ergangen ist.
»Honeckers kleine Straßenbahnführerin«, sie beschreibt so ehrlich und aufrichtig, wie sie in der DDR, so in Chemnitz, gelebt und „gewirkt“ hatte.
Also vereinbarten die beiden Frauen unseren Besuch in Chemnitz. Das Navi führte uns nach strammer Fahrt ohne Probleme zunächst zur Jugendherberge zum Einchecken und dann in die Nähe des aufgegebenen Chemnitzer Rangierbahnhofs. Ein Parkplatz war schnell gefunden. Wir wurden bereits erwartet – wir mussten doch auf der Autobahn zwei Staus überwinden.
Es wurde spät beim Plaudern. Das Navi führte uns leicht zurück zur Jugendherberge.
Eine echte Überraschung war das Dreibett-Zimmer in der Chemnitzer Jugendherberge. Waren wir durch unsere bisherigen Aufenthalte in den Jugendherbergen wirklich so verwöhnt???
Zwei Doppelstockbetten – also sollten da wirklich vier Leutchen drin schlafen??? In der Mitte des kleinen Raumes, dem man einen Raum mit Dusche und einen für das WC abgezwackt hatte, stand ein 1,0 m² großer Tisch und dazu noch vier Hocker – die musste man aber unter dem Tisch verstecken, damit man um den Tisch herum gehen konnte. Na, Mahlzeit!! Ein Gefangener, ein Soldat haben alleine so ein großes Zimmer. Hat die Herberbergsverwaltung sich bei dieser Möblierung wirklich etwas gedacht (außer das Geldverdienen)??
Der Raum war bullig warm. Also bediente ich die elektrische Fensteröffnung, die hoch unter den Decke – höchstens 1 m² Lüftungsfläche – sich bewegen ließ. Stelle dir vor, wie stickig da bei Vollbelegung die Atemluft ist.
Das Gebäude war einmal ein modernes Umspannwerk. Tolle Innenarchitektur – aber das Zimmer 204 (mit dem Aufzug leicht zu erreichen) hatte dann über der Zimmertür noch ein Fenster zum Flur. Und da leuchtete die grüne Not-Leuchte zum Ausgang die ganze Nacht hindurch. Wenn jemand die Flurbeleuchtung brauchte, war unser Zimmer hell beleuchtet.
Ich habe noch nie solch ein Verlies erlebt. Wir haben es überstanden. Aber es war nicht die sechzig Euro wert. Wir waren ganz früh aus den Zudecken geschlüpft und sind in die Stadt zum Knipsen ausgezogen – noch vor dem Frühstück. Das Knipsen des Verhaus haben wir verschwitzt.
Jetzt hatte ich noch einen Wunsch: »Fahren wir nach Meißen!« Und Smarty rollte bergauf-bergab. Immer, wenn er die 130 überschritt, bimmelte das Navi – wir fragten nicht nach dem Spritverbrauch.
Neben uns begleitete uns gen Norden die Elbe. Nun, Dresden hatten wir schon mehrmals besucht – das war so eine Tagesreise von Niesky aus – so sollte es eben Meißen sein.
Unsere Straße folgte nicht immer der Elbe, nein, es ging rauf und runter, so herrliche Fernblicke, einmalig. Und dann ging’s runter …
Meißen: Eine liebliche Stadt. Nicht nur das Porzellan ist schön, auch der zarte Klang der Glocken aus Porzelan.
Und noch ein Wunsch auf unserer Rückreise stand an: Riesa! Das liegt an der Elbe und war auf dem Heimweg leicht zu erreichen. Spatz hatte da ihren Mann gefunden und Ingo, ihren Ältesten zur Welt gebracht.
Wir kamen danach heil zu Hause in Berlin an.
Sei gegrüßt Greta, Ruhe Dich aus.
ortwin
Du hast ja eine Halbe Deutschlandreise damit verbunden und Landschftsschönheiten und Architekturwunder unterwegs besichtigt.
Wie sagte der alte Geheimrat:trinkt oh Augen was die Wimper hält, von dem goldnen Überfluss der Welt.
Nach dem ihr im schönen Süden Deutschlands wart kamt ihr in das alte Manchester Sachsens, so nannte man die Industriestadt Chemnitz, auch in Karl-Marx-Stadts Zeiten. Hier wurden Maschinen aller Art und Größe hergestellt.Die Germania stellte für die Welt riesige Kessel für die Chemiewerke her, es mussten eine Kolonne von Sicherungsfahrzeugen voraus fahren um Freiheit zu schaffen.Es wurden sogar Ampeln entfernt u.s.w.Ganze Straßenzüge und Stadteile waren voll Maschinenfabriken. Es hieß Chemnitz arbeitet, Leipzig stellt aus und Dresden verprasst esZu unseren, damals 360 000 Einwohner kamen noch zehntausende Einpendler aus der umliegenden Gegend.
Nun sind wir noch 240 000 Einwohner und davon viele Rentner. Die Stadt hat nun viel Grün bekommen von den abgerissenen Straßenzügen und sieht ein bisschen gerupft aus.
Ein paar alte Ehrwürdigkeiten versuchen wir zu erhalten, oft vergeblich.
Euch hat es trotzdem in meinem bescheidenen, aber gastfreundlichem Stübchen gefallen. Und ich habe mich gefreut, so herzliche, unverklemmte, natürlichen Menschen kennenlernen zu dürfen.
Ich bedanke mich noch einmal für den Besuch und hoffe auf ein Wiedersehen mit guter Terminabsprache, das ist ja nun kein Problem mehr mit der Telefonnummer, die die Telekom nach zwei Jahren Umzug und Ummeldung nicht an den Mann bringen konnte, zu kompliziert für diese Firma?
Alles Gute für Dich, lieber Dieter und für Deinen kleinen Spatz,bleibt so herzerfrischend natürlich und gesund, das wünscht ganz lieb Traute
Traute2012(Traute)
Das war zum Aushalten auf der Dach- Terasse, stimmts?