Goodbye means forever?


Goodbye means forever?

 
Dieses Goodbye dauert sicher keine Ewigkeit, die Endlosigkeit eines solchen Abschieds ist nicht messbar. Die niederdrückenden Glockentöne sind längst verklungen, irgendwo singt eine Amsel ihr Frühlingslied. Sie weiss nichts von Abschiedsmelodien, sie lebt nur. Ganz einfach. Sie feiert Tag für Tag die Reinkarnation ihres Lebens, ohne zu wissen, warum.
       Hier und da am Rande des Weges nur wenige Blumen auf den letzten Ruhestätten. Ein wenig verwaschene Farbe dringt durch sie in das trostlose Regengrau des morgendlichen Märztages. Die Birken am Wegesrand erweisen mit ersten Knöspchen dem kommenden Frühling Reverenz. Mag sein, er lässt sich erweichen, früher zu kommen als geplant?
       Unter trostlosen Regenschirmen eilt eine Anzahl schwarz gekleideter Gestalten den Weg entlang. Es scheint, dass man diesen Ort so schnell als möglich verlassen möchte. Hier und da blitzt noch ein verschämtes Taschentuch auf, halblaute Gespräche, von der nebligen Luft fast verschluckt, ein dezentes Hüsteln.
  Der letzte Mann schließt die gusseiserne Pforte dieses stillen Ortes hinter sich. Zurück bleibt das Erdenkind, das man zur letzten Ruhe trug. Die Vergänglichkeit nimmt Gestalt an. Alles nimmt seinen Gang wieder auf. Das Leben geht weiter. Welch ein allgemeines, radikales Wort. Das Leben geht weiter! Natürlich geht es weiter, die Zeit bleibt ja nicht stehen. Aber für die engsten Betroffenen scheint die Sonne still zu stehen. Bei ihnen ist eine Lücke entstanden, ein Zwischenraum, der einstmals gefüllt war mit Liebe und Vertrauen, mit Aufmerksamkeit und Freuden. Natürlich auch mit Verdruss und Ärger, die auch zum Leben gehören!
       Nun ist diese Kette durchbrochen, ein Glied daraus ist entfernt. Dieser Mangel wird sich noch lange bemerkbar machen. Wir stellen Fragen dazu, ständig stellen wir Fragen. Nach dem Warum. Dabei ist doch alles klar, niemand müsste fragen, die Antworten liegen seit der Geburt auf dem Tisch. Und dennoch, seit Äonen von Jahren werden immer die gleichen Fragen gestellt und auch immer die gleichen Antworten gegeben. Wozu also? Um das Leid besser zu ertragen?
       Im Laufe des Lebens haben wir alle gelernt, dass unsere Schritte mit zunehmendem Alter bedächtiger werden, leiser und leiser. Wir sind unschlüssig in den Gedanken an unser eigenes Dasein. Ist das Feuer der Jugend erloschen? Nein, beileibe nicht, doch es hat sich zu Glut verändert, Träumten wir früher von der Zukunft, so ist es heute die ferne Vergangenheit, die uns so manches Mal übermannt.
 
 
Durch diese Reminiszenz entsteht die Unsicherheit in unserer Gegenwart. Wir können sie nicht einfach weglegen wie ein Buch, in dem wir gelesen haben. Stets fügen sich immer wieder Gedanken und Worte in unser Gedächtnis ein, die wir längst verschwunden geglaubt hatten. Wie alte Lieder, die auftauchen und unser Gedächtnis ständig mit ihrer Klangfolge wieder und wieder erobern und oft stundenlang belagern.
       Wir sangen doch früher immer gern. Wir singen auch heute noch. Aber unser Gesang, mit dem wir das Leben umrahmen, wird immer leiser, weicher, melodiöser. Aus dem Lied, das einst unsere Freude am Dasein transportierte, treibt nun die Melancholie neue Triebe, die das Herz berühren. Diese Melodie des Lebens, immer wieder neu interpretiert, versucht aus dem Schatten der Vergangenheit Knospen hervorzubringen, Sprösslinge, die niemals zu Blüten werden, weil ihnen die Zeit fehlt.
       Wie sinnlos erscheint doch der Lebensbaum an der Friedhofspforte. Wozu steht er dort? Mit Liebe wurde er einst gepflanzt, zum Zeichen der Erinnerung an Menschen, die auf ihrem letzten Weg vorbeikamen. Sinnlosigkeit hat also ihren Sinn. In dieser Allee des Vorübergehens auf jeden Fall. Sie gehört dazu, zum Leben, zum Abschied nehmen.
       Hinter den stillen Kulissen des vergangenen Lebens aber beginnt die nächste Strophe des Liedes, das täglich neu gesungen wird.
Der Himmel wird nicht immer so grau bleiben, wie er heute den Menschen erscheint, die am Ort der Ruhe nun entfliehen. Am strahlend blauen Himmel werden dann wieder weiße Federwolken übermütig durch die Lüfte jagen. Bunte Falter gaukeln über geschmückten Gräbern von Blume zu Blume, freuen sich des Daseins, weil sie ihre Endlichkeit nicht ahnen können.
       Goodbye, niemand der gegangen ist, wird vergessen. Wichtig aber ist, dass nun keiner bei dem Gedächtnis stehen bleibt! Wie hieß doch die Allerweltsformel? Das Leben geht weiter? Es ist tatsächlich so. Und alle, die hinter dem dunklen Vorhang entschwunden sind, haben uns doch etwas voraus: Sie sind bereits dort, wohin wir alle noch gehen. Aber wir holen sie ein! Ganz gewiss.
       Goodbye means forever? Nein. Aber es sind nun mal Momente der nicht einsehbaren Ewigkeit, die jeden bedrücken. Wir Menschen wollen wissen, was hinter dem Vorhang ist! Deshalb diese ganzen esoterischen Versuche, ihn ein wenig zu heben. Unnötig weil unsinnig. Wer das erfasst hat, ist schon ein gutes Stück weiter auf seinem Weg der inneren Freiheit! Goodbye, irgendwann und irgendwo ...

©by H.C.G.Lux

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Kommentare (2)

LisaK


Wir alle wissen um die Endlichkeit unseres Seins.
Umso mehr erstaunt es mich immer wieder, wie wichtig wir uns nehmen, niemand will vergessen sein.
Wäre hinter dem „dunklen Vorhang“ (könnte er nicht auch hell sein) nur ein ewiges, befreiendes Nichts, in welchem wir uns auflösten ohne uns wiederzuerkennen und wo die Schrecken dieser Welt keinen Zutritt hätten,… eine Vision, die mich hoffen ließe.
Lg. Lisa 🌞
 

 

Syrdal

Du sagst es ja selbst: „...seit Äonen von Jahren werden immer die gleichen Fragen gestellt und auch immer die gleichen Antworten gegeben“. Und richtig, „...alle, die hinter dem dunklen Vorhang entschwunden sind, haben uns doch etwas voraus: Sie sind bereits dort, wohin wir alle noch gehen. Aber wir holen sie ein! Ganz gewiss.“
Bis dahin aber sei uns Segen und Kraft zur Geduld gegeben, Segen und Kraft im Wissen der irdischen Endlichkeit…


...erbittet auch für sich
Syrdal


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