Einmal Lausbub - Immer Lausbub
273 Seiten Preis 9,95 € ISBN: 9783752671346 erhältlich im Buchhandel
Da habe ich doch tatsächlich ein Buch fabriziert. Fast alle Geschichten sind selbst erlebt und selbst erlebt mussten auch die diversen Ahndungen der Taten werden.
Nun bin ich bei den Erzählungen oft ins "Bairische" abgeschweift und habe dem Buch im Anhang eine Übersetzung der Dialekt-Ausdrücke verpasst, damit es jeder mit Genuss lesen kann.
Nun ist es ja so, dass es bei den Verlagen (z.B. Hugendubel, Thalia und Amazon) im Internet ausführliche Leseproben gibt, die allerdings von Seite 1 her im Buch beginnen und mein Anhang Bairisch - Schriftdeutsch im Buch ganz am Schluss angehängt ist. Freilich hat mir eine Dame aus Magdeburg bestätigt, dass es auch ohne Übersetzung gut lesbar und recht lustig wäre.
Geplant habe ich, immer wieder eine dieser Kurzgeschichten im Blog zu veröffentlichen.
Die Gräfin
Doch erst einmal hatte ich ein tief schockierendes Erlebnis zu bestehen. Wie es für einen kleinen Buben zu bewältigen war, so ganz ohne Psychologen, Soziologen und sonstige -logen, scheint im Vergleich zu heutigen Kindern fast ein Ding der Unmöglichkeit. Ich hoffe immer noch, dass nicht doch was hängen geblieben ist, denn was G'wisses weiß man nicht.
Früher hatte man auch als Steppke im Vorschulalter fest umrissene Tätigkeiten zu erfüllen. So durfte ich mit dem Leiterwagen Äpfel zu den Kunden bringen und gleich das Trinkgeld kassieren. Oft eine durchaus lukrative Tätigkeit. Nur eine ehemalige Lehrerin, noch dazu gut einen Kilometer Weges entfernt, versprach gerne beim Kauf eine üppige Gratifikation, die sich dann aber bei der Lieferung auf ein "Fünferl" (fünf Pfennige) relativiert hat, während man sonst durch aus mit einem "Zwanzgerl oder gar mit einem Fuchzgerl rechnen konnte.
Eine weitere Tätigkeit war das Austragen der Milch. Die Nachbarn orderten bei uns am Hof täglich ein-, zwei Liter Milch, die ich zu liefern hatte.
Das ging immer im "Austauschverfahren". Volle Kanne hin, Trinkgeld kassieren, leere Kanne zurück. Weil die Wege kurz waren, gab es auch bloß ein "Fünferl" oder höchstens ein "Zehnerl". Nur einmal, da hab ich ein "Fuchzgerl" bekommen und das kam so.
In der Villa im Erdgeschoß wohnte die Frau von Salisch, bei uns nur als Gräfin bekannt. Sie war eine recht lebenslustige Dame, ganz rheinische Frohnatur, jedoch für mich als vielleicht fünfjährigen, hoffnungsvollen Knaben uralt.
Trotzdem sah sie immer adrett aus. So anders, wie die älteren Damen die ich kannte. Was ich damals nicht wusste, war der Umstand dass sich die besseren Damen geschminkt haben. Es fielen schon daheim manchmal die Ausdrücke, "ogstrichane Hena" oder Flitscherl, doch ich hätte diese Ausdrücke nie mit der Erscheinung der Gräfin in Bezug gesetzt.
Also erst einmal flott ums Hauseck der Villa gebogen und im Eingangserker die Milch für die Frau Geist im ersten Stock deponiert. Einmal geläutet, das hieß die Milch ist da. Leider kein Trinkgeld weil die Frau Geist auch eine "Bessere" war und man sie nicht erwarten konnte. Dann rum ums Eck und ans Fenster der Gräfin geklopft. Vermutlich hatte die Frau von Salisch eine lustige Nacht gehabt und sie öffnete ohne "Kriegsbemalung". Mein "Good Morng" blieb mir im Halse stecken. ich glaubte ein Gespenst zu sehen. Vor Schreck entglitt mir die Milchkanne, die bereits über dem "Blumenkastl" schwebte und die Milch ergoss sich in breitem Schwall herumspritzend übers Kastl hinweg, in den Garten hinein. Total perplex bin ich nach Hause gerannt und tat das Ereignis kund: "Die Gräfin is ganz kasig gwen, i glab de is tot und hod trotzdem s' Fenster aufgmacht!" So berichtete ich atemlos und völlig verstört. Die Erwachsenen beruhigten mich und versuchten mich in Sachen "ogstrichane Hena" und über die Schminkerei aufzuklären.
Zwei Stunden später trudelte dann die Frau von Salisch bei uns ein. Jetzt in vollem Ornat und aufgetakelt, so wie ich sie kannte. Ganz hatte ich dem Frieden zwar noch nicht getraut, aber das "Fuchzgerl" Schmerzensgeld rückte meine kleine Welt doch wieder ein wenig zurecht.
Nikolaus und Krampus
Es war einmal,- so fangen Märchen an, doch dies ist eine wahre Geschichte. Obwohl ich heute reihum in staunende, ungläubige Augen blicke, wenn ich sie erzähle. Die Zeiten waren eben noch anders damals, 1957 oder vielleicht auch 1958.
Mutter und ich bewohnten das unbeheizte Zimmer das früher einmal die Stube gewesen war. Im Winter zierten immer dicke Eisblumen das Fensterglas und in der Nacht schlug sich die Atemluft als Reif auf der Zudecke nieder. Oben im ersten Stock lebten, auch nur in einem Zimmer die Kallers. Zwei alte Leutchen, Flüchtlinge aus dem Altvatergebirge, die ich kurzerhand als Großeltern adoptiert hatte. Sie erfüllten ihre Aufgabe in hervorragender Weise. Schwebte einmal das Damoklesschwert der körperlichen Züchtigung über meinem Haupt, und ich schaffte die Flucht über die Treppe hinauf, so war ich in Sicherheit. Im Schoße von Frau Kaller, einer kleinen, sehr dicken Frau herrschte absolute Windstille. Rundherum prallten alle Unbilden, alle Erziehungsmaßnahmen, Gott sei Dank auch alle Berechtigten unweigerlich ab.
Unser Leben spielte sich hauptsächlich auf etwa 10 - 11 Quadratmetern, in der vom riesigen, eisernen Holzofen beheizten Küche ab. Mutter nähte oder strickte leidenschaftlich mit ihrer "Knittax" Strickmaschine. Ich machte Hausaufgaben, allerdings nur wenn sie sich gar nicht mehr vermeiden ließen und die Nachbarsbuben veranstalteten mit Hans, dem Bauern, der auch als mein Ziehvater fungierte, ganze Schafkopf-und Wattnachmittage. So konnte es schon passieren, dass sich 8 oder neun Leute in der kleinen Küche drängten. Der zweifelsohne begehrteste Sitzplatz war auf dem gut gewärmten "Grandl", dem Wasserbehältnis des Herdes und Spender warmen Wassers jederzeit - wenn eingeheizt war.
Ich liebte die Winternachmittage in denen der Herr Schörner, seines Zeichens Postbote aus der Nachbarschaft und der "Kaller" das Kanapee besetzt hielten. Kaller, immer mit Hut, Zigarette und mächtigem, aufgezwirbelten Schnauzbart saß auf der rechten Seite des Sofas. Schörner hingegen lehnte, genüsslich seine Zigarre paffend, auf der anderen Seite. Der Obermoar Hans saß ihnen gegenüber, mit seinem Zigarettl auf der Bank am Küchentisch. Ich hingegen machte mich möglichst klein, geradezu unsichtbar, um nicht des Feldes verwiesen zu werden. Lustvoll zog ich den aromatischen Duft der Zigarre auf.
Rauchschwaden vernebelten binnen kurzer Zeit die Luft und die Erzählungen der Alten nahmen mich mit nach Galizien, nach Polen und nach Russland. Nein, Urlaubserzählungen waren es keine, die da vorgetragen wurden. Es waren Kriegserlebnisse. Daneben kamen auch noch Geschichten aus dem Altvatergebirge oder aus dem Fränkischen, der Heimat vom "alten" Schörner vor, die mich fesselten.
Nur in der Adventszeit drehten sich die Geschichten bei meiner Anwesenheit um den Nikolaus, aber viel öfter in allen grausigen Varianten um den Krampus. Bleich, unfähig mich zu bewegen, mich der Faszination zu entziehen hockte ich da, voller Sorge irgendeine Wichtigkeit der haarsträubenden Schilderungen zu verpassen.
Draussen brach inzwischen schon die Dämmerung herein, wie der Hans erzählte: "Und dann packt mich der Kramperl und steckt mich kopfüber in den Sack! Ganz dunkel wars da drin und auf einmal gspann ich, dass da schon zwei Burschen drin waren. Mensch, hab ich Angst g'habt". "Aber", und mit diesen Worten zog er zum Beweis sein Taschenmesser hervor, "aber ich hab ja immer meinen Puffer dabei und damit hab ich dann im Wald draußen den Sack aufgschnittn und wir sind alle wie der Wind heimg'saust." Nun scheint es aber, dass die Angst den Harndrang nährt. Das wäre für die heutigen Kids überhaupt kein Problem, doch damals gabs bei uns noch kein WC. Das "Häusl" war draußen im Freien. Nachdem ich nun schon eine Zeit lang "zsammzwickt" hatte, musste es jetzt sein. Schnell wie ein Wiesel ins Häusl und zugesperrt. Jedes Ächzen eines Astes im Wind löste bei mir einen Kälteschauer den Rücken hinunter aus. Dann musste der Weg zurück auch noch bewältigt werden. Vorsichtig aus der Tür spähend, irgendwann die tausend Kramperl hinter jedem Baum ignorierend, gewann ich mit atemberaubenden Sprüngen den heimeligen Hort der Küche wieder.
"So, Bua, warst drausd?", wurde ich gefragt. "Hast Angst ghabt?" Meine etwas dasig vorgetragen Antwort darauf: "Vor was soll ich den Angst haben", löste reihum wissendes Schmunzeln auf.
Ja, und auch Moosach, mein Heimatort war noch anders, damals. Die Siedlungen "Am Hang" und am "Dachsberg" hinten konnte sich noch niemand vorstellen. Nur Wiesen und Gebüsch, aufgelockert von einem einsamen Heustadel, zogen sich die Hügel bis zum Wald hinauf.
In der Schule gab es auch nachmittags Unterricht. Also hauptsächlich wenn man nachsitzen musste - und ich musste oft. Wenn dann gegen Vier oder halb fünf die Schule aus war, zogen schon Nebelschleier auf. Keine Straßenbeleuchtung erhellte den Heimweg. Finster war es auch schon fast, wie die letzten Häuser hinter mir zurückblieben.
Die Taubenstraße stellte sich mir, quasi als erste Mutprobe in den Weg. Straße war sie noch nicht, nur als kleiner Fahr - nein eher als Fußweg führte sie einen Graben entlang hinauf zur Villa. Die dürren, bei jedem Luftzug schwankenden Brennnesselstängel im Graben mutierten in meiner Phantasie zu Gnomen und Gespenstern. Das Schlimmste, die Kastanienallee am Gässchen entlang! Hinter jedem Stamm konnte er lauern, der Krampus.
Weil Angst bekanntlich Flügel verleiht, ging's dann mit Riesenschritten den Berg hinauf unter scharfer Beobachtung aller Büsche und Sträucher, die mit gehörigem Abstand in weitem Bogen zu umrunden waren. Jetzt die letzte Hürde, der große Obstgarten.
Apfelbäume, mit ihren verdrehten Stämmen und beschnittenen Ästen, die schon bei Tageslicht wie Moriskentänzer ausschauten, versuchten mich jetzt zu packen, festzuhalten. Da, hinter dem Geäst des Zwetschgenbaumes, hatte sich da nicht gerade etwas bewegt? Die Phantasie, mit der ich reich gesegnet war ging mit mir durch. Bestimmt lauerte mir dort der Kramperl auf. Also noch einmal die Beine in die Hand genommen um nach der großen "Reim" um den Zwetschgenbaum herum mit letzter Kraft, schweißgebadet zur Küchentüre hineinzuspringen. Der furchtlose Ritter war heimgekehrt von seinem Schulweg. In vielleicht drei Minuten, wobei der gleiche Weg im Sommer schon einmal eine Stunde dauern konnte. "o mei, Bua", sagte meine Mutter, "Weilst nur grad da bist. Werd ja scho glei finster". "Draust is so greislich, dass ma sich schier fürchten könnt". "Mama, aber i doch ned". Von wegen!
Und dann war er da, der Tag der Tage. Der 5. Dezember, denn bei uns kam der Nikolaus seit jeher am Vorabend des Nikolaustages. Richtigerweise muss ich sagen, er kam eigentlich gar nicht. In Ermangelung des himmlischen Personals legte der "Kaller" den Sack mit Nüssen, einigen "Guatln", aufpolierten Äpfeln aus unserem Keller und einer Tafel Schokolade vor der Küchentüre ab. Dann rasselte er mit einer Kette herum und wenn endlich Stille eingekehrt war, griff ich mir schnell das Säckchen.
Doch diesmal war alles anders. Es stürmte. Der Wind trieb heulend und pfeifend Schneeschauer vor sich her. Auf einmal Kettenrasseln, dann Stille. "Jetzt schau doch einmal nach!", meinte der Hans. Doch bekanntlich ist Vorsicht die Mutter der Porzellan Kiste. Noch ein- zwei Minuten als Sicherheitspolster verstreichen lassen schien ratsam zu sein. Doch irgendwann siegte die Neugier. Ich riss die Türe auf und da war - nichts! Ungläubig sprang ich ein paar Schritte hinaus ins Schneegestöber. Nichts, kein Sack, - rein gar nichts.
Enttäuschung und Wut stiegen in mir auf. "Geiziger Nikolaus!", schrie ich hinaus in die Nacht. Postwendend klirrte das Rasseln der schweren Kette vom Hauseck her. Ein Riesensatz zur Türe hinein und Schlüssel umgedreht, waren eins.
So kauerte ich im Eck hinter dem alten Kanapee. Kaller hatte inzwischen wieder in der Küche Platz genommen. "Na, Jingla", fragte er in seinem jägerndorfer Dialekt, "war der Nikolaus schon da?" Am ganzen Körper bibbernd konnte ich nur mit dem Kopf nicken. Eine ganze halbe Stunde redeten sie auf mich ein bis ich mich, freilich nur im Schutze der Erwachsenen, zur Haustüre traute. Was soll ich sagen, da lag er, der Gabensack. Wegen des schlechten Wetters hatte der Nikolaus umdisponiert und die Köstlichkeiten nicht vor der Küchentüre, sondern vor der Haustüre an der geschützten Ostseite des Hofes deponiert.
Meines Wissens gab es später keine Nikolausabende mehr, die mich so leise, still und in mich gekehrt gesehen haben wie diesen.
Überhaupt trugen die zwei Wochen vor Nikolaus dazu entscheidend bei, aus den allgegenwärtigen "Hundsgrippeln" lammfromme Buben zu machen. Zum Leidwesen der Eltern hielt diese Verwandlung nicht lange an. Nach ein-, zwei Tagen war alles vergessen, der Schock auch ohne Therapeuten verarbeitet und alles war wieder beim alten. Wenigstens fast, denn das Christkind wollte ja auch noch durch besonderen Fleiß, besonderes brav sein und besondere Frömmigkeit wohlgesonnen - und vor allem spendabel gestimmt werde.
Nur den erzieherischen Wert eines Krampus hat es nie erreicht.
Der Flug des Ikarus
Orthographisch ist der Name freilich komplett falsch geschrieben, denn es müsste eigentlich "Bäck" heißen. Denn der Name des Knaben ist abgeleitet von der Bäckerei, die die Eltern des Buben betrieben. Aber bei uns war der hoffnungsvolle Sprössling der Bäckersleute eben nur "der Beck".
Das Anwesen der Familie konnte es mit jedem Abenteuerspielplatz aufnehmen, Da gab neben Bäckerei und Lebensmittelgeschäft noch die Kohlenhandlung und einige Gebäude der bereits aufgelassenen Landwirtschaft. Das Beste daran war aber, dass wir das Areal tatsächlich bespielen durften. Freilich mit gewissen einschränkenden Ermahnungen der Erwachsenen, die aber wenn überhaupt, nur so lange Bestand hatten, bis wir außer Sichtweite waren.
Auf diesem Abenteuerspielplatz mussten wir nur vor der Frau Weidlich auf der Hut sein. Sie war "Becks" Mama und fackelte als gestählte Mutter von fünf Kindern nicht lange mit durchgreifenden disziplinarischen Maßnahmen. Herrn Weidlich konnte schon auch einmal die Hand ausrutschen, aber eigentlich verspürte er eher eine klammheimliche Freude über unsere Streiche. So auch wie wir den Sturz des Ikarus beichteten, was sich nicht umgehen ließ weil sich der mutige Flieger nur noch humpelnd vorwärts bewegen konnte.
Irgendwie war es uns gelungen in den Besitz eines Sonnenschirmes zu gelangen. Wir erlösten ihn vom tristen Leben als Werbeträger über den ausgestellten Obstkisten am Ladeneingang und führten ihn höheren Aufgaben zu. Nur die uns eigene Pfiffigkeit und die vielfältigen Aufgaben der "Saller Anni", wie die älteren Leute die Frau Weidlich nach ihrem Mädchennamen nannten, ermöglichten den Raub des Fluggerätes. Aber was heißt hier Raub? Nur der Unverstand der Erwachsenen, die dieses Unterfangen bestimmt nicht genehmigt hätten, zwang zur leihweisen Beschlagnahme des Schirmes.
Hurtig verschwanden zwei hoffnungsvolle Knaben daraufhin mit ihrer Beute in der Tenne um kurz darauf hinter dem Tor der Laderampe hervor zu lugen. Kurz nach allen Seiten gesichert und den Probesprung mit geöffnetem Schirm in den einen Meter tiefen Abgrund gewagt.
der Beck als Testpilot schwärmt vom langen, herrlichen Flug, wie wir es in den Groschenromanen, den "Spannenden Geschichten" oder den "Landser" Heftchen gelesen hatten. Also, da muss doch auch bei uns noch eine Steigerung drin sein.
Über die Schuppen des Kohlenlagers klettern wir eilends auf das Dach des Stadels. Ein bisschen neidisch bin ich schon, wie der Beck den Schirm aufspannt, denn eigentlich wäre ja jetzt ich dran. Aber schließlich ist es ja "sein" Schirm und er bringt auch nur die Hälfte meines Körpergewichtes auf die Waage. Mit den Worten: "Hernach derfst du!", springt er hinaus in die Lüfte.
Keine 50 Zentimeter,- der Schirm klappt nach oben und der Beck saust nach unten. Nur ein verhaltener Aufschrei hallt unter dem deformierten Stangenwerk und den zerrissenen Stoffbahnen hervor. Dann bin ich auch schon in Windeseile bei ihm.
Die erste Sorge gilt dem Schirm. Der ist hin! Da ist nichts mehr zu retten!
Herbert, wie der Beck eigentlich heißt, kann trotz zusammen gebissener Zähne nur unter Ächzen und Stöhnen auftreten. Zwei Komponenten, die jegliche Vertuschungsaktion ad absurdum führen. Kaum ist der Havarist bei der Mama abgeliefert, gebe ich Fersengeld.
Jetzt bin ich nicht mehr neidisch und nur noch froh wie ich frühzeitig, also noch vor den zu erwartenden schlagenden Argumenten das Bäckeranwesen verlassen kann.
Der längste Ausflug meines Lebens
Im Gedenken an den inzwischen verstorbenen Max möchte ich eine ganz persönliche Geschichte seinem Andenken widmen. Bekannt war er ja in den letzten Jahren, in denen er sehr zurückgezogen gelebt hat mehr unter seinem Schreibnamen Eichinger. Doch damals in meinen Kindertagen war er für alle nur der "Mareis Max", weil er ins Mareis-Anwesen eingeheiratet hatte.
Für uns und im speziellen für den Obermoar Hans war er, in Verbindung mit seinem blauen Eicher Schlepper auch die Stelle der letzten Hilfsinstanz.
so wie es einmal vorgekommen ist, dass der Hans auf der Weiherwiese hinterm Haus durch die monotone im Kreis Fahrerei auf seinem Porsche Traktor eingeschlafen und erst im Graben wieder aufgewacht ist. Zuerst freilich, schließlich wollte man sich ja nicht blamieren, wurde mit Stangen und untergelegten Holzscheiten versucht, die Zugmaschine selbst wieder flott zu machen. Doch wie sich trotz der ganzen Schinderei die Räder des Traktors immer tiefer in den Morast wühlten, half nur noch der Gang zum Mareis Max. Kaum hatte er seinen Schweren Eicher Traktor angespannt, einmal kurz Gas gegeben und schwups war die Havarie behoben.
Ein weiteres Mal entwickelte unser drei rädiger Schwadenrechen soviel Eigendynamik, dass er den Porsche vor sich her in den Graben manövrierte. Ausgewogen und für den Traktorbetrieb abgestimmt waren die Gespanne am Hof nicht direkt, denn sie zog allesamt früher unser Ochse, der Maxl. Wobei mir jetzt erst die Namensgleichheit auffällt, - die aber rein zufällig ist. Aber zurück zum Mareis Max. Der arbeitete auf der Wiese gegenüber dem Feldstadel, der in den 50 er Jahren da stand, wo heute die Straße zur Siedlung am Daxberg hinaufführt. Nachdem sich das Malheur direkt vor seinen Augen abgespielt hatte, war von unserer Seite, weder Verschleierungstaktik noch Arbeitseinsatz erforderlich. Blitzschnell hat der Max den roten Porsche-Bulldog freigeschleppt und er hat auch nie ein Aufheben um die Sache oder gar um seine Hilfsbereitschaft gemacht.
Aber dann, an einem Freitag Anfang September passierte es. Just jener Feldstadel lag im Zentrum schwerer Kämpfe zwischen den Untermoosachern und der Totenkopfbrigade vom Juche der Bäckergarage. Dabei wollten sich die Gegner unter heftigem Gejohle Zutritt zum Stadel verschaffen, in den sich die Verteidiger zurückgezogen hatten. Wie mit häßlichem Krachen die ersten Schalbretter an der Außenwand barsten, zogen sich der Beck und ich, unter waghalsiger Kletterei über die Heuma, auf den Zwischenboden zurück.
Auf einmal tiefe Ruhe. Nicht einmal die Mitstreiter waren noch da. Wir, der Beck und ich hatten gesiegt und irgendwie ganz alleine. " Mensch, san mir Hund!" Mit stolz geschwellter Brust treten wir vor den Stadel und da stand - der Mareis Max. Natürlich hatte er Freund und Feind durch sein Erscheinen in die Flucht vertrieben.
Wir, käsebleich, nun keine Hundlinge mehr, nahmen die Schimpfkanonade immer kleiner werdend entgegen. Die befürchtete körperliche Züchtigung wurde zur Bewährung ausgesetzt unter dem Hinweis, dass die Bretter wieder zu reparieren seien, oder... Und bei dem "oder" holte er vielsagend mit der Hand weit aus.
Da war guter Rat teuer. Wo sollten wir Bretter auftreiben ohne dass jemand den Verlust bemerkt hätte und dann noch dazu passgenau zuschneiden? Für uns Buben schlichtweg ein Ding der Unmöglichkeit.
Bei der Inspektionstour durch die Werkstatt vom Obermoar Hans fanden sich schnell eine Hand voll 80 er Nägel, ein Hammer, ein "Goashax" heute als Nageleisen bekannt und auch die Denaloada. also die Leiter zum Heuboden hinauf. Die schien genau passend zu sein. Aber die Hauptsache, die Bretter, die waren nicht aufzutreiben. Da reifte der Entschluss, die Schalung von der Nordseite ab zu lösen und auf der Südseite wieder anzunageln.
Mit affenartiger Geschwindigkeit transportierten wir unter Ausschluss der Öffentlichkeit die Denaloada in mehreren Etappen den Hügel hinter unserem Haus hinunter. Und was soll ich sagen - es gelang. Die Reparatur gelang sogar so gut, dass fast nichts zu sehen war. Was eigentlich an sich schon verdächtig gewesen ist. Denn neue Bretter hätten ja bis ins Dorf hinein leuchten müssen und hätten sich nicht in verwittertem Grau der alten Fassade anpassen dürfen. Aber wir waren zufrieden und hofften nur, dass der Max bei seiner Kontrolle nicht um den Stadel herum gehen würde. Sogar der Heimweg mit Leiter und schwerem Gerät gelang ohne irgendwem über den Weg zu laufen.
Eigentlich hätte alles in schönster Ordnung sein können. Die letzten Ferientage bewahrten mich vor dem Weg ins Dorf, also auch vor der Nähe des Mareis- Anwesens. Und als tolles Ferienerlebnis nahm mich meine Mutter mit zum Bus-Ausflug des Schützenvereines in die Berge. Die Berge waren auch sehr beruhigend, denn die Berge sind schließlich auch weit weg vom Dorf.
Doch dann der Schock! Auch der Mareis Max und seine Frau die Vroni standen am Bus. Die ersten Schweißtropfen suchten sich ihren Weg, den Rücken hinunter. Aber es kam noch schlimmer. Ich durfte am Fenster Platz nehmen, - "damit er was sieht, der Bub!" Natürlich neben mir meine Mutter. Auf der anderen Seite der Max und die Vroni.
Kalter Schweiß auf der Stirn in Erwartung des Unvermeidlichen. "Irgendwann muss er doch was sagen", zu meiner Mutter, "denk ich mir." Nichts! Mich interessiert weder die Fahrt, noch das Essen oder eine Führung. Ich war nur brav. So brav, dass sich meine Mutter wunderte. "Wird er doch nicht krank werden, der Bub?" Unendlich dehnten sich die Minuten, die Stunden zu einer kleinen Ewigkeit. jetzt wäre es mir fast lieber gewesen, der Max hätte mich wenigstens geschimpft, aber er war freundlich zu mir und hat die Sache nicht angesprochen. Am liebsten hätte ich gebeichtet oder es hinaus geschrien: "Ich hab die Bretter auf der einen Seite herunter gerissen und auf der Anderen hin genagelt!" Dass es nur endlich vorbei wäre.
Doch das habe ich mich natürlich auch nicht getraut. Und so habe ich Blut und Wasser geschwitzt, bis wir daheim waren. Und der Max hat nie etwas gesagt, auch später nicht. Wahrscheinlich hat ihm unsere Spitzbübigkeit insgeheim gefallen und meine Strafe habe ich eh bekommen, sogar einen ganzen Tag
ang.
Wie der Bulldog zum Obermoar gekommen ist.
Brav zog der Maxl, unser Ochs den landwirtschaftlichen Maschinenpark über Wiesen und Felder. Ob Mähmaschine oder Heuwagen, ob Walze oder Pflug, auf das gutmütige Tier war eben immer Verlass. Nur einmal, da gingen mit dem Ochsen sozusagen die Pferde durch.
Zuerst steht er geduldig vor dem Scheunentor, der Maxl, noch eingespannt vor dem hoch beladenen Heuwagen und wartet auf den Hans, der soeben von innen das Tor der Tenne aufmachen will. Ob den Ochsen nun eine Bremse gestochen, oder ihn sonst etwas erschreckt hat, weiß ich nicht. Auf alle Fälle hat er den Wagen einfach vergessen, hat umgedreht und ist mit Riesensätzen über die Wiesen den Berg hinauf und auf und davon. Ein Großteil des Heus und die meisten Bruchstücke des Wagens liegen noch in Hof Nähe. Die 200 Meter bis zum Wald hinauf sind noch ein paar Radspeichen, Schwingen und die Zugscheite zu finden. Der Maxl dreht eine circa 800 Meter lange Runde, bis er schließlich vor seiner Stalltüre zur Ruhe und zum Stehen kommt.
"Du blöder Ochs, du Mistvieh varreckts, himelherrgottsakrament", bricht es in ellenlangen Flüchen aus dem Bauern heraus. Wutentbrannt schlägt der Hans dem Ochsen eine Runge zwischen die Hörner. Der Ochse verliert die Besinnung, knickt über die Vorderbeine ein, bis er, über 20 Zentner schwer, zusammenbricht.
"Um Gotteswillen", entfährt es dem Hans, "Jetzt hab ich den Ochsen erschlagen"! Ein bisserl hat es ausgeschaut, wie beim David und beim Goliath. Hier der Hans, recht hager und nur 1,64 groß, dort der Fleischberg des Rindviehs.
Also erschlagen hat er den Ochsen dann doch nicht. Der war nur kurz benommen, hat sich abgeschüttelt und ist wieder aufgestanden. Mit der Aktion hat sich der Maxl aber doch geschadet. Damit forcierte er nämlich den Sinneswandel des Bauern zur Moderne hin.
Im nächsten Winter dann, im Januar und Februar, wie man am Hof etwas mehr Zeit hat, geht die Meinungsfindung in die entscheidende Phase. Die Landmaschinenhändler geben sich die Klinke in die Hand. Im frischen Schnee vor dem Haus ziehen das "Fendt Dieselross", der "15 er Deutz" und ein "Eicher" ihre Spuren. Das Rennen macht dann der "Radl Pauli" aus Glonn mit dem Porsche Traktor.
Da bin ich richtig froh. Nicht nur der Name macht was her, sondern auch die schnittige Form hat ihn zu meinem Favoriten gemacht. Für den Hans waren natürlich andere Kriterien ausschlaggebend. Erst einmal ist der Porsche die preisgünstigste Zugmaschine. Zudem sind seine Spezln, der Anzenberger Sepp und der Schartl Barthl mit ihren Porsches sehr zufrieden.
Fast ein Feiertag, wie der rote Renner ausgeliefert wird, - wenigstens für mich. Während der Einweisung weiche ich dem Händler nicht von der Seite. "Pass nur gut auf, Bub", sagt der Pauli, "du wirst ja im nächsten Jahr schon 12 Jahre alt und dann darfst du am Hof fahren!" Nein hab ich mir gedacht, da täuschst du die gewaltig, nicht nächstes Jahr, da fahr ich schon gleich. Außerdem kann ich von der Körpergröße und der Intelligenz bestimmt mit einem Dreizehnjährigen mithalten, hab ich mir wenigstens gedacht, so dass die Polizei bestimmt nichts merkt. Noch dazu liegen bei uns die Felder und Wiesen rund ums Haus herum. Da lässt sich der Aktionsradius gut ausdehnen ohne eine öffentliche Straße befahren zu müssen.
leider war es erst einmal nichts mit der selbstständigen Chauffiererei, denn erst einmal wollte der Hans die Maschine beherrschen. Getraut hat er der Technik sowieso nicht ganz. Erst einmal durfte der Maxl noch sein Rentnerdasein genießen. Wenigstens so lange, bis die Erika, die auserwählte Kuh das Ziehen erlernt hat. Dem Maxl ist dann eine besondere Ehre zu Teil geworden. Vielleicht hätte er gerne darauf verzichtet - aber man hat ihn nicht gefragt. Der Neuwirts Schorsch hat bekundet, dass dem Obermoar sein Ochs mit 26 Zentnern das schwerste Vieh war, das er jemals geschlachtet hat.
Schnell steht dann am verwaisten Platz im Stall eine weitere Milchkuh. So ist der treue Vasall bald vergessen und sollte der Porsche mal nicht funktionieren übernimmt die Erika seinen Part, quasi als Trumpf in der Hinterhand.
Wenn ich schon nicht selber am Steuer, so durfte ich freilich oft aufsitzen und stolz das Mitfahren genießen.
Aus welchem Anlass wir bis ins 7 Kilometer entfernte Grafing gereist sind, weiß ich nicht mehr, aber gut erinnere ich mich daran, wie der Hans eingeparkt hat, am Parkplatz neben der Mariensäule. Vorteilhaft war es, dass der Platz damals in der Mitte noch nicht als Fußgängerinsel hergerichtet war. Ganz vorschriftsmäßig sind wir von der Einbahnstraße her beim Knödlwirt in den Parkplatz eingefahren. Obwohl der Hans mehrmals laut "Ou! Ou! geschrien und heftig am Lenkrad gezerrt hat, ist der Porsche nicht stehen geblieben. Also mit vollem Karacho auf der anderen Seite hinaus und nochmals eine Runde um die Mariensäule gedreht. Durch die Aufregung haben wir dann noch eine weitere Ehrenrund gebraucht bis der Blechochse endlich seinen Stellplatz gefunden hat.
Einmal, wie ich von der Schule heimgekommen bin, hat mich meine Mutter gleich auf die Weiherwiese geschickt. "Der Hans ist stocknarrisch und möcht den Bulldog zsammhaun oder wenigstens wieder verkaufen!" "der zieht nicht mehr, des Glump", sagt er. Ich natürlich sofort hinters Haus zu meinem geliebten Porsche. Rauch steigt aus den Lüftungsschlitzen der Hinterachse Und siehe da, wie die Handbremse gelöst ist, macht die Zugmaschine ihrem Namen wieder alle Ehre.
Unmittelbar nach diesem Vorfall bin ich obenauf. Der künftigen Karriere als Porschepilot steht nun nichts mehr im Wege.
Starten, schalten, kuppeln, das lernt sich wie im Fluge. Es bleibt schnell nicht mehr nur beim "Virefahrn", also das Gespann bei den Arbeiten nur ein paar Meter im Schritttempo nach vorne setzen, sondern ich bin der Herr über die Maschine! - Wenigstens fühle ich mich so.
Da bekommt der Porsche schon mal die Sporen, so dass man bei wahnwitzigen 18 kmh Höchstgeschwindigkeit den Fahrtwind in den Haaren fühlen kann. Freilich geht das nur ohne Wagen oder sonstigem Gerät am Bulldog.
So rausche ich von der Wiese nach Hause. Natürlich im 3. Schnellgang, was Spitzengeschwindigkeit bedeutet. Da ich ja als Porschepilot über ein Superreaktionsvermögen verfüge, kann ich das Tempo bis fast in die Garage hinein beibehalten, - hab ich mir gedacht. Leider hat's dann doch nicht gelangt, mit dem Bremsweg.
Es hat so wenig gelangt, dass sich sogar ein Mauerstein der rückwärtigen Wand ein wenig nach außen verschoben hat. Und erst der Porsche. Der schnittige Spoiler auf der Motorhaube hässlich eingedrückt, am unteren Teil der Motorhaube hat sich der am Boden stehende Reservekanister ins rote Blech gefressen. Da ist guter Rat teuer. Wenn ich beichte, ist meine Reputation zum Teufel. Tu ich's nicht, kommt es sicher auch bald auf. Natürlich hab ich erst einmal abgewartet.
Tägliche Höllenqualen sind die Folge. Hat der Hans die Havarie schon entdeckt? Wie wird er reagieren? Fahren werde ich mein Lebtag nicht mehr dürfen!
Von Vorteil ist natürlich, dass der Traktor immer vorwärts bis an die Garagenwand zum Abstellen gefahren wird. So steigt man immer von hinten auf und bekommt die Front nicht zu Gesicht.
Und dann passiert es! Der Hans kommt zum Mittagessen herein und schimpft vor sich hin: "Jetzt hab ich in der Garage ein bisserl zu spät gebremst und bin nur ein bisserl an die Wand hingekommen, aber nur ganz leicht und das Blech ist verbogen, wie nach einer schweren Karambolage. Da ham's mir ein schönes Glump verkauft. Kaum zu glauben, dass man so etwas überhaupt verkaufen darf!"
Mensch, bin ich froh! Mir fällt eine Zentnerlast vom Herzen und weiterfahren darf ich auch. Da denk ich mir, dass das mit den alten Sprichwörtern doch seine Richtigkeit hat. Zumindest, "Reden ist Silber und Schweigen ist Gold", scheint zu stimmen.
Gebeichtet hab ich nie und irgendwann ist die Beule zur Normalität geworden. Übrigens habe später noch viele Porsche Traktoren gesehen, bei denen dieser neuralgische Punkt auch verbeult oder restauriert gewesen ist.
"Schneeguadl"
Ein Jahr vergeht ziemlich schnell, obwohl sich das darin eingebettete Schuljahr gewaltig in die Länge ziehen kann. Damit möchte ich nun nicht die uns Lausbuben eigene Relativitätstheorie erklären, sondern nur auf die vorüber fliegenden Jahreszeiten verweisen. Eben noch Sommer, mit satten langsam reifenden Getreidefeldern, der Heuernte und nicht zu vergessen der Sommerferien und schon lässt der Spätherbst die letzten Blätter von den Bäumen fallen, um schnurstracks in den Winter überzugehen. Aber der Winter hat für hoffnungsvolle Knaben ja auch vieles zu bieten. Nicht nur Wintersport, der sich freilich nur vor der Haustüre und nicht wie heute in den Alpen abspielte. Nein, da war auch noch Weihnachten, das Fest der Liebe. Ehrlicher Weise muss ich zugeben, dass uns der Sinn weniger nach Liebe stand, sondern sich die Liebe schon nach Möglichkeit auch in Geschenken ausdrücken sollte. Weil das Christkind nun aber oft in seiner Liebe an wärmende Kleidungsstücke dachte und nur sehr spärlich die Positionen des Wunschzettels mit Süßigkeiten und Spielzeug abarbeitete, war die Vorweihnachtszeit der schönste Zeitabschnitt. Da durfte man hoffen. Nicht auf die Designermode der begabten Mütter, die aus drei alten Pullovern schon mal eine neue bunte Strickjacke zauberten oder mit der Kreation von modisch "angestrickten" Strümpfen aufwarteten, die bei den Mädchen wahre Begeisterungsstürme entfachten. Nicht selten gipfelte die gelungene Überraschung in dem Ausruf: "Is des greislich, - des ziag i ned o! Do lachan mi ja alle aus!"
Nein, in der Vorweihnachtszeit lagen in der Phantasie noch Schiffe, Flugzeuge und Metallbaukästen auf dem Gabentisch. Daneben Süßigkeiten, Schokolade und kandierte Früchte in rauen Mengen. Leider jedoch nur in der vom Advent beseelten Gedankenwelt von uns Kindern. Aber halt! Meine Mutter verstand sich auf die Zubereitung eines kulinarischen Glanzlichtes, auf die Schneeguatl.
immer wenn Weihnachten vor der Tür stand, dann gab es diese unvergleichliche Köstlichkeit. Ja und noch ein Kriterium musste erfüllt sein, Schnee musste liegen. wenn auch die Winter in unserer Erinnerung viel härter und viel schneereicher waren wie heute, so ist bei mir nur hängen geblieben, dass es die Schneeguatl nicht jedes Jahr gegeben hat. Warum das so war, kann ich nicht genau sagen. Passierte diese Katastrophe wegen Zeitmangel? Wegen Schneemangel oder wegen Geldmangel, keine Ahnung - eine Katastrophe war es allemal. Aber nicht nur für mich, auch für die Spezln war es ein schlimmer Einschnit in die Entwicklungsphase ihrer Bubenwelt. Für einen von ihnen besonders, für den Beck. Wenn auch in dessen heimischen Ladenregalen alle schokoladenen Köstlichkeiten lagerten, mit den Schneeguatln konnte keine Tafel Schokolade der Welt konkurrieren.
Standen nun die äußeren Zeichen für die Herstellung günstig und es tat sich bezüglich Fabrikation nichts, so trieb uns die Untätigkeit der Erwachsenen förmlich zur Selbsthilfe. Mit Akribie schmiedeten wir den Plan. Der Beck zweigte sn den Argusaugen seiner Mutter vorbei, wie, weiß nur er selbst, die Zutaten ab. Ganz wichtig war Palmin, das Kokosfett und Kakao. Zucker, Butter und solch profane Sachen bot unsere Speisekammer daheim. Damit stand der Aktion eigentlich nichts mehr im Wege, außer dem zeitlichen Rahmen für unser Unterfangen. Aber schwierig war das damals auch nicht. Im Winter mußte nämlich der Mist auf die Felder. Mangels Traktor und Maschinen eine schweißtreibende und vor allem langwierige Tätigkeit. Weil ich nun immer hautnah in die landwirtschaftlichen Abläufe eingebunden war, wusste ich sehr genau wann der Maxl, unser Ochs, den Schlitten voller Mist auf die tief verschneiten Felder zu ziehen hatte.
Mit glühenden Ohren steckten der Beck und ich die Köpfe in der Schule zusammen um den Termin zu vereinbaren. Den anderen sagten wir nichts. Denn wir sind ja nicht blöd und teilen unsere Schneeguatln mit der übrigen Horde. "So weit kommts noch!"
Dann war es endlich so weit. Meine Leute auf dem feld, der Beck mit den Zutaten da und ich hatte auch schon den riesigen Küchenherd eingeheizt, dass die Ofenplatte glühte. damit war alles gerichtet um die leckere Masse anrühren und aufkochen zu können. Was, Hausaufgaben? Die haben wir, frei nach Karl Valentin, "nicht einmal ignoriert".
Also - so steh' n jetzt der Beck und der Fuchse am herd, rühren was das Zeug hält und das Werk gelingt. Schon beim Probieren läuft uns das Wasser im Mund zusammen. Behände springt der Beck noch schnell vor die Türe um die große Schüssel mit Schnee zu füllen. Dann noch die Blechformen reihum verteilt und gerade recht in den Schnee gedrückt.
Staunend, tief ergriffen, voller Hochachtung vor unserem Können, genießen wir die Zeremonie. Langsam tropft die Konfekt-Masse in die Formen, um einen Gockel, eine Henne, einen Halbmond und einen Stern zu bilden. Da passiert es. Da war doch was, draußen, vor der Tür! Dann wieder. Diesmal näher, lauter! Mit einem kräftigen "Wia!", treibt der Obermoar Hans seinen Ochsen den Berg zum Haus herauf. Der Blick durch die beschlagenen Fenster hinaus, lässt uns das Blut in den Adern gefrieren. Schwer schnaufend biegt der Maxl ums Hauseck, aber was noch schlimmer ist, meine Mutter nimmt geradewegs Kurs auf die Küchentüre. Beide Fluchtwege sind versperrt. Zwei Bubenherzen schlagen bis zum Hals hinauf.
Dann reagieren wir blitzschnell. Die Holzkiste unterm Ofen herausgezogen und Schüsseln, Fett und Werkzeug in das gähnende Loch hinein gepfeffert. Schnell die Holzkiste mit Gewalt an ihren Platz geschoben. Noch einen satten Tritt dagegen weil die blöde Schüssel einfach zu groß ist. Wie sich der Schlüssel im Schloß der Küchentüre dreht, flüchten zwei verhinderte Zuckerbäcker durch die Fenster der immer verschlossenen Haustüre hinaus. Zur Tarnung noch die Schlitten gegriffen, um die Lagebesprechung am Hang vor der Fleig Villa fort zu setzen.
Der Beck meint: "Da feit nix. De gschpannan des nia und morgen, wenns aufm Feld san, dann raman mia auf un putz ma zsamm!" Er hat es gut. Er geht jetzt heim und hat seine Ruhe. In mir dagegen nagen Zweifel. Doch irgendwann überwiegt die Enttäuschung über die entgangenen Sinnesfreuden, für die wir so vieles in Kauf genommen haben und der Beck saust mit einem "do feit si gwis nix", den Berg hinunter. Ich hocke noch eine geraume Zeit auf meinem Schlitten, wäge alle Gefahren sorgfältig ab, um dann in der einbrechenden Dämmerung, immer langsamer werdend, heimwärts zu trödeln. Das Beste wird wohl sein, erst einmal vorsichtig die Lage zu sondieren.
Wahrscheinlich war ich nicht vorsichtig genug. Die Schwelle der Küchentüre noch nicht überschritten, wie ich schon die erste "Watschn" einfange. Die Holzkiste steht auch nicht mehr an ihrem Platz. Dafür breitet sich vor dem Ofen eine wässrige, klebrig, braune Masse in die Küche hinein aus. Vielleicht wäre das alles noch nicht so schlimm gewesen, aber da waren ja noch die Papierl vom Palmin und von der Kakao Schachtel. Damit stand ungesagt im Raum: "Da Bua hod gstoin!" Während der fogenden hochnotpeinlichen Befragung, aufgelockert durch ein paar zusätzliche Ohrfeigen, breche ich irgendwann zusammen und beichte die ganze Geschichte. Tränenüberströmt, aus Enttäuschung über den missratenen Sprössling, verabreicht mir meine Mutter gleich noch die zusätzliche Ration an körperlicher Zurechtweisung für den Beck.
Normalerweise verdrücke ich mich nach Strafaktionen sofort ins Bett. Damit war immer allen am besten geholfen. Meine Leute brauchten mich nicht mehr anzuschauen und ich war auch aus der Schusslinie, - was auch nicht schlecht war. Diesmal kam alles anders. Ich musste noch alles putzen und aufräumen unter den strengen, missbilligend auf mich blickenden Augen der Erwachsenen, bevor ich mich verkrümeln durfte.
nur die demolierte Schüssel konnte man mir nicht vom Taschengeld abziehen, den ich bekam ja keines, genauso wie alle meine Altersgenossen auch. Und der Beck ging diesmal "leer" aus. Er mied ein- zwei Wochen unser trautes Heim um dem Bannstrahl meiner Mutter zu entgehen. Damals nämlich, in der Zeit ohne Jugendtreff, Rechtsschutzversicherung und Rechtsanwälte wanderte die Erziehungsgewalt, wie schon erwähnt, mit den Kindern mit. Sie ging nahtlos von Familie zu Familie über, so dass es durchaus seine Berechtigung hatte, solch gefährliche Orte zu meiden.
Doch was wirklich schlimm war, war der Umstand, dass die Schneeguadl- Aktion so knapp vor Weihnachten stattfand. So konnte ich mir lebhaft vorstellen wie reich mich das Christkind in diesem Jahr bescheren würde. Und Schneeguadl hat es zur Strafe auch keine mehr gegeben.
Christbaumdiebe
In diese geheimnisvolle Vorweihnachtszeit fiel auch das Mysterium um den Christbaum. Wobei das Mysterium eigentlich nicht der Christbaum war, sondern dessen Erwerb.
Durfte man übers Jahr nicht lügen oder gar stehlen, so schien, wenn es um den Christbaum ging, alles erlaubt zu sein. Und das noch dazu in der geheiligten Adventszeit. Das hätte manch braven Buben schon ins Grübeln bringen können. Jedoch ein aufgewecktes Bürschchen, das schon von klein auf mit dem Brauchtum verwachsen war hat das nicht im geringsten gestört, dass wir in den Wald gingen um einen schönen Baum zu holen. Das wäre eigentlich nichts Besonderes gewesen, hätte ich nicht gewusst, dass sich unser Holz auf das riesige Areal von circa 8 bis 10 qm erstreckt hat und dort außer ein paar "Buachane Staudn" im Brombeerverhau nichts gewachsen ist.
Wenn es nun "streng" auf Heilig Abend zugegangen ist, so ungefähr eine Woche vorher, hat meine Mutter den Hans immer gemahnt: "Jetzt derfst dazua doa, dass ma an Baam kriang!" der Obermoar Hans ist dann in die Werkstatt hinaus und hat ein frisch geschärftes Sägeblatt in die kleine Säge eingespannt die sich gut unter der Joppe verstecken ließ.
"Gehst mit?", hat er mich gefragt, obwohl ich schon fertig angezogen, quasi abmarschbereit bereit gestanden bin. Im letzten Dämmerlicht sind wir schweigend nebeneinander her, hinauf zum "Benifiziatenholz" und dann hinunter zum "Kramer Feld". Ausgeschaut hat sich der Hans seinen Baum schon lange gehabt und ich habe vom Hans auch gelernt, auf was man bei der Auswahl aufpassen muss. "Da suchst du dir immer einen aus, wo zwei dicht beieinander steh' n, denn dann gehört ein Baum eh heraus damit der andere schön wachsen kann. Dass der dann eine schiache Seite hat macht nichts, weil der Baum sowieso ins Zimmereck kommt und er oft sogar noch besser passt." Schwach ist mir noch der entsetzte Gesichtsausdruck meiner Mutter in Erinnerung, wenn es ihr im ersten Moment der Entrüstung entfuhr: "Wos habts denn do wieder fia an Hanache daher bracht!" "Wenn's Lametta dro hängt und s' Englhaar, dann siegt ma des eh nimma!", antwortete der Hans.
Aber so weit ist es noch nicht gewesen. Wir stapfen also einträchtig den Waldweg entlang und den Buckl hinauf. Plötzlich das Aufblinken des Lichtkegels einer Taschenlampe vor uns. Wie der Wind sausen wir nach links hinüber um im Unterholz zu verschwinden.
"Kruzifix!", hört man es von der anderen Seite des Weges herüber. Still und leise wechseln der Hans und ich hinüber zur Straße und machen uns, Abendspaziergänger mimend auf den Heimweg.
Am nächsten Tag hockt der Herr Schörner, genüsslich seine Zigarre paffend, auf unserem Kanapee. Schließlich erzählt er: "Gestern hab ich um einen Christbaum geschaut, da droben, hinterm "Kramer Feldl". Da hätten' s mich fast erwischt." "Da sind ein paar dahergekommen, ganz still und ohne Licht". "Da bin ich aber gleich davon!" "Schau her! An einem Ast hab ich mich auch noch im Gesicht gerissen". "Und gfluacht host a", wirft der Hans ein. Schließlich ist es raus, dass da zwei Christbaumdiebe voreinander geflüchtet sind.
So steht dem neuerlichen, ziemlich gefahrlosen Raubzug am Abend nichts mehr im Wege. Die Sterne stehen am Himmel wie wir ausrücken. Unter den Sohlen knirscht leise der Schnee und wir hängen unseren Gedanken nach. nun ist es so, dass der Hans immer ganz tief in seine Gedankenwelt eintaucht und alles um sich herum zu vergessen scheint. Nur mit sich selber lautstark politisiert hat er diesmal nicht.
Dann gab es im Dorf noch so einen in sich gekehrten Denker. Ob es am Namen gelegen hat, weiß ich nicht, aber Hans hat er auch geheißen. Genau auf jenem Waldweg, auf dem wir schon einmal die Flucht ergreifen mussten, sind sie sich entgegengetappt. Grad erwische ich noch den Obermoar Hans am Ärmel. "Obacht!" zische ich, "da kommt oana!" und schwupps, sind wir wieder im Gebüsch. Der Kramer Hans geht ohne Reaktion seines Weges. "Der is guat" meint der Obermoar, "der siegt und hört nichts!" Ich denk mir, "da seid ihr schon zu zweit", gesagt habe ich aber nichts.
weil uns das Glück nicht hold zu sein scheint, vertagen wir unseren Raubzug wieder einmal auf den nächsten Abend. Natürlich muss sich der Hans von meiner Mutter einiges anhören. Bloß noch einige Tage zum Fest und immer noch kein Baum daheim.
Also wieder hinaus in den Wald. Über uns die glitzernd gleißende Kuppel des wunderbaren winterlichen Sternenhimmels. Um unsere Spuren im Schnee nicht zur Straße breit zu treten tauchen wir diesmal schon bald ins schützende Dunkel der Fichten vom "Vize Holz" ein, ziehen, nachdem wir den Huigraben beim großen Fuchsbau überquert haben eine weite "Reim" hinauf zum Staatsforst und plötzlich steht da eine wunderschöne Fichte am Wegrand. "Ja wos is jetzt des?", sagt der Hans zu mir und deutet auf das "rupferne Bandl" hin, das wie zufällig, verloren zwischen den den Zweigen hängt. Mit den Worten: "Des Bäumerl schau'n wir uns genauer an", packt der Hans den Stamm und schüttelt mit kräftigem Schwung den Schnee herunter. Aber was ist denn das? Auf einmal hat er den Baum in der Hand, - ohne Säge, ohne Werkzeug! Jetzt hat der den Baum ausgerissen, denk ich mir. Da bin ich baff und kriege den Mund nicht mehr zu. "Schau her", klärt mich der Hans auf, "den Baam hod sich oaner rausgschnitten und dann daher gsteckt, damit er ihn beim Spazierengehen bequem mit heim nehmen kann". "Ja so a schener Baam, - den nehman jetzt mir mit!" "Der wird schaun, wenn er sei Fichtn nimma findt!" Mir gefällt das recht gut. "Den sei blöds Gschau möcht i seng, wenn er an de Bäum von dera Jugat (Schonung) umananda zupft!"
Tief zufrieden machen wir uns auf den Heimweg. Sogar meine Mutter wundert sich: "So an schöna, gleichmäßigen Baam glaub i, ham ma no nia ghabt."
Zu Christbaumdiebe
Holz hier Wald
Buachane Staudn Buchen in Staudenform
derfst darfst
dazua doa umtun
ma wir
Baam Baum
kriang bekommen
Benifiziatenholz (Vize Holz) Wald im Kirchenbesitz
schiach hässlich
wos habts was habt (ihr)
fia für
Hanache unterständiger, hässlicher Baum
dro dran
siegt sieht
ma man
nimma nicht mehr
Buckl kleine Anhöhe
gfluacht geflucht
oana einer
Huigraben Hohlgraben
Reim Bogen (hier großer)
wos was
rupferne Bandl Sisal Band
Gschau Gesichtsausdruck
Zu Schneeguatl
Schneeguat(d)l Eiskonfekt
Is ist
greislich häßlich
ziag ziehen, hier anziehen
ned nicht
do da
lachan lachen
mi mich
Spezl Freund
feit fehlt
nix nichts
de die
gschpannan bemerken
nia nie
san sind
raman Aufräumen
zsamm zusammen (putzen)
gwis gewiss
Watschn Maulschelle / Ohrfeige
Bua Bub
hod hat
gstoin gestohlen
Glump Gelumpe / hier auch Schrott
Zu: Die Gräfin
Good Morng Guten Morgen
Was G'wisses etwas Sicheres
Fünferl fünf Pfennige
Zwanzgerl zwanzig Pfennige
Fuchzgerl fünfzig Pfennige
ogstrichane Hena - (bemaltes Huhn) - geschminkte Frau
Flitscherl Halbweltdame
is ist
kasig bleich
gwen gewesen
i ich
glab glaube
hod hat
Zu: Nikolaus und Krampus
Schafkopf und watten Kartenspiele
Obermoar Hofname des Bauernhofes und
früher anstatt des Schreibnamens
des Bauern verwendet
Krampus / Kramperl Knecht Ruprecht
gspann i bemerke ich
Puffer Taschenmesser
aufgschnittn aufgeschnitten
heimgsaust heim gelaufen
Häusl Toilette
zsammzwickt zusammen gekniffen
Bua Bub
drausd draußen
dasig verängstigt
drausd draußen
greislich grässlich
weilst weil du
ned nicht
werd wird
Guatl Bonbons / Konfekt
Hundsgrppeln Lausejungen
Zu Ikarus
Hernach Nachher
derfst du darfst du
Zu Der längste Ausflug meines Lebens
Juche Dachboden der Garage
oder Empore oder ä.
Heuma Maschine zum Heu zusammenrechen
mit mannshohen, mit Stahlspitzen
bewehrten Zinken an den Rechenrädern
Das ist wirklich eine Geschichte aus dem Landleben. Herrlich, hab sie mit Begeisterung gelesen.
VG a-k-J