Ein richtiger Hund - Die Gefahren sind bezwungen


Der Rückschlag mitte April war schnell wieder aufgeholt und schrittweise konnten wir Rena an das Großstadtleben gewöhnen. Es galt, sie sowohl an das "komische" Verhalten der Menschen in verschiedenen Situationen als auch an den Straßenverkehr heranzuführen.
An Supermarktparkplätzen kann man wunderbar das Treiben der Menschen beobachten, ohne selbst beachtet zu werden, da ja alle in Eile sind. Anfangs ging das nur zwei- bis dreimal
pro Woche mit nur jeweils maximal 5 Minuten, danach waren Streßanzeichen erkennbar und wir mußten dann abbrechen, da unter Streß kein lernen mit positiven Verknüpfungen möglich ist.
Nach acht Wochen konnte Rena Menschenbegegnungen aller Art problemlos aushalten.
Auf die gleiche Art haben wir uns langsam an den Straßenverkehr herangearbeitet. Angefangen mit einem sicheren Abstand von ca. 70 Metern haben wir uns meterweise (mit Klappstuhl unterm Arm) der Hauptstraße genähert. Heute kann eine Straßenbahn in fünf Metern Abstand vorbeifahren, ohne das Panik ausbricht. Von einem sicheren, ruhigen Laufen auf der Hauptstraße sind wir allerdings noch gut zwei Monate entfernt.
Das waren Aufgaben , über deren Probleme und Schwierigkeiten ich mir im klaren war, die mit Geduld und Ausdauer zu bewältigen waren. Wesentlich mehr Kopfschmerzen machte mir das Problem Hundebegegnungen, da die Körpersprache der Hunde nicht instinktiv gesteuert wird, sondern auch im Welpenalter durch Muttertier und Begegnung mit anderen Hunden erlernt werden muß. Diverse Wissenschaftler gehen deshalb davon aus, daß Hunde mit Deprivationshaltung über längere Zeit die hündische Körpersprache nicht beherrschen.
Bis dato wußte ich nur, in ihrem Revier will sie nichts von anderen Hunden wissen. Was passiert aber, wenn wir auf der Straße einem großen, kräftigen, gar noch aufdringlichem Hund oder einem kleinen flinken hibbeligen Hund begegnen? Braucht Rena einen Maulkorb oder Doppelsicherung durch Geschirr und Halsband mit zwei Leinen? Für erste Begegnungen hatte ich schon Hundehalter angesprochen, deren Hunde mir geeignet erschienen, gut erzogen und nicht mit altdeutschen Methoden "dressiert".
Alle Gedanken waren umsonst, denn erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. Wir saßen gerade wieder beim Menschen gucken, als ein Dober- Mix auf uns zugesaust kam. Ich kenne die Hündin, zappelig, unerzogen, aufdringlich und zickig. OMG, jetzt nimmt das Unheil seinen Lauf, konnte ich nur denken, da war der Spuk auch schon vorbei. Die Hündin machte sich klein, zeigte Beschwichtigungsgesten und drehte ab. Rena lag zu meinen Füßen und war nicht einmal aufgestanden, nur eine Pfote angezogen, den Kopf steil aufgerichtet und das Gesicht war zur Faust geballt, würde man beim Menschen sagen.
Ganz allmählich wuchs das Interesse an anderen Hunden etwas und es kam der Tag, an dem sich Rena für einen Hund interessierte, der aber nichts von ihr wissen wollte. Auch hier verstand sie die Körperhaltung sofort, wendete sich ab und beide Hunde gingen ihres Weges.
Nun fehlte nur noch die Begegnung mit einem kleinen Hund. Da ich sehr viele Hunde in unserer Gegend kenne, kam uns auch hier der Zufall in Form der "wilden" Paula zu Hilfe, eine sehr lebhafte aber gutmütige Dackeline. Ausgerechnet an dieser zeigte Rena gesteigertes interesse und konnte es nicht bei einem kurzen Begrüßungsschnüffeln lassen.
Der anderen war das aber zuviel, ihr Körper wurde steif, ganz kurz zogen sich die Leftzen zurück und sofort drehte Rena ab. Damit war gewiss, Rena kann sich nicht nur durch Körpersprache ausdrücken, sie versteht auch die "Dialekte" der verschiedensten Hunderassen.
Damit ist aber auch sicher, dass es ihr in der Zeit bei dem "Sammler" bis auf die Vereinsamung gar nicht so schlecht gegangen ist. Sie muß von ihrer Mutter erzogen worden sein und auch sonst muß der wilde "Haufen" Hunde dort in einem geordnetem Rhythmus mit gesicherter Ernärungsgrundlage gelebt haben, nur Pflege und Zuwendung fehlten. Auf grund der Bedingungen in den darauffolgenden über fünf Jahren Tierheim hat sie dort auch nichts anderes erfahren.
Mit den Kenntnissen, die ich mir aneignen mußte, um mit einem derartig "besonderen" Hund erfolgreich arbeiten zu können, kann ich heute, nach 20 Monaten, eine durchweg positive Bilanz ziehen.

Ich habe wohl auf Grund der Vergangenheit einen „besonderen“ Hund, aber habe oder hatte ich je einen echten „Problemhund“? Rückblickend muß ich eigentlich nein sagen. Wir hatten nur ein einziges Problem und das bestand darin, daß Rena außer dem, was zur absoluten Überlebenssicherung nötig war, nichts, aber auch gar nichts kannte und wußte.
Wenn ich die erste Woche ihrer Verwirrung über das für sie neue Geschehen vergesse, hat sich Rena entsprechend ihrem Wissen und den damit verbundenen Fähigkeiten von Anfang an absolut korrekt verhalten. Sie hat entsprechend ihrem hohen Alter schnell gelernt und versucht, das Beste für sich aus der Situation zu machen.
Sie hat mich hervorragend konditioniert, bis ich endlich verstanden habe, ihre Bedürfnisse und Fähigkeiten richtig einzuschätzen und erkannt habe, daß sie kein Angsthase sondern unverschuldet eben nur ein kleines Dummerchen mit entsprechenden Unsicherheiten war.Sie hat es ebenfalls hervorragend fertig gebracht, mich nur durch ihr Dasein emotional völlig aus der Bahn zu werfen. Dies hat sicher dazu beigetragen, unseren Werdegang beachtlich zu verzögern, aber was soll`s, ist eben unser „besonderes Verhältnis“ und mit Geduld ist so etwas allemal zu schaffen.

So, ich habe fertig. Was jetzt noch kommt, ist der routinemäßige Feinschliff, der sicher auch noch genügend Problemchen bringen wird, aber das wird mehr Vergnügen als Arbeit sein und das für beide Seiten.


PanTau

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Kommentare (8)

ehemaliges Mitglied Chapeau !! Ich kann nur sagen, Hut ab, das hast Du toll gemacht mit deiner Rena.

Jetzt wünsche ich Euch gutes Gelingen und viel Spaß beim Feinschliff.

LG Ilsebilse
PanTau Medea, ich habe nicht eine Sekunde daran gezweifelt, dass Rena es schaffen wird. Ein Hund in vernünftiger menschlicher Gesellschaft wird IMMER sein bestes geben. Wenn wir gescheitert wären, wäre das allein meine Schuld gewesen und ich wäre wahrscheinlich zum psychischen Wrack geworden, es durfte also einfach nicht anders ausgehen.
Ein vollwertiges Mitglied war Rena für uns vom ersten Tag an, auch als sie noch ins Haus gemacht hat. Sie wußte und konnte es noch nicht besser. Es ist wie bei einem behinderten Kind, ist es da, hat es volle Achtung verdient. Eines macht mich auch ein wenig stolz - wir werden selbst im Hundeforum als besonderes Paar gewürdigt.

Heute flätzt dieser Hund übrigens so auf dem Sofa



Seija, ich hatte zwar schon knapp 30 Jahre Hundeerfahrung, aber das hat mir in diesem Fall vlt. sogar geschadet. Mit den bisherigen Kenntnissen wär ich an diesem Hund jämmerlich gescheitert. Ich mußte völlig umdenken und viel neues lernen, mir Methoden und Kenntnisse aneignen, die es vor 20 Jahren noch gar nicht gab. So haben wir am Ende alle voneinander profitiert und gelernt.
ehemaliges Mitglied Was unseren Wuschel anging, er war noch ein Welpe und wir haben ihn von der Dackelmama aus dem Wurf mitgenommen. Die Geschwister waren glatthaarig, er war der einzige, der seinem Königspudelpapa haarig nachkam. Das Schöne war, er verlor nie Haare aus dem Fell, er brachte nur gelegentlich ein paar Wollmäuse in die Wohnung.

Eure Lisa hähnelt etwas dem Bernhardiner-Schäferhund-Mischling unseres Sohnes, mit dem Wuschel sich sehr gut vertrug.

Ein richtiger Problemhund war Schäferhund Utz, den der "Züchter" ein Soldat, "angeblich" mit guten Kenntnissen am liebsten "an die Wand geworfen hätte, denn Utz vom Ritterhof hatte nicht nur einen Gangfehler, der ihm dauerhaft seine Krallen zerstörte, sondern auch einen Hirnschaden, der sich immer wieder, vor allem als er erwachsen war, erneut zeigte, so dass er immer wieder mit viel Liebe in die richtige Richtung erzogen werden musste. Das war auch schon bei dem Welpen zu erkennen. Aber auch er konnte mit viel Liebe hundegerecht leben, akzeptierte sogar, wenn unser kleiner Max ihm in die Ohren, die Nase fasste oder seinen Schwanz als Pumpenschwengel nutzen wollte, was er natürlich nicht sollte!! An ihm habe sogar ich noch die "Hundesprache" lernen können, denn er las uns alle ja so viel besser als wir ihn ...

LG nnamttor44
PanTau Es stimmt, woelfin, viele sind zwar schon ungewollt an solch einen Hund geraten, ich habe ganz bewußt diesen Hund gewählt. Das hat aber auch eine besondere Ursache und ich mußte das ganz einfach durchhalten. Ich habe ja kurz unser "besonderes Verhältnis" erwähnt und das war schuld.
Als ich vor sechs Jahren die Lisa aus dem Tierheim geholt habe, saß dort erwartungsvoll dieser zweijährige Hund



und ich habe ihn sitzen lassen, er war ja noch so jung und sicher gut zu vermitteln.
Als ich dann fast auf den Tag genau 5 Jahre später diesen Hund gebrochen und teilnahmslos durch das Tierheim latschen sah, waren sie Würfel gefallen. Ich habe mich einfach verantwortlich für das erbärmliche Schicksal gefühlt und mußte alles wieder gut machen, was ich nicht verschuldet hatte. Das hat mir die Kraft gegeben , durchzuhalten.

lg PanTau
Seija ...das hast Du prima hinbekommen. Mit Geduld und Liebe ist doch alles möglich - und natürlich "Hunderverstand".
Liebe Grüße und weiter viel Freude mit Rena wünscht Dir Seija
Medea Ich habe während der ganzen Zeit stets gehofft, daß Rena es
schaffen wird, zum vollwertigen Familienmitglied zu werden.
Ich gratuliere und danke Dir für Deine Sorgfalt, Verständnis,
Mühe und Liebe, die Du ihr geschenkt hast. Ihr seid bestimmt
ein hübsches Paar -
ich habe häufig an Euch gedacht.

Grüßle von mir.

Medea.
Drachenmutter Du hast etwas geschafft, das sich viele Menschen, vermutlich die meisten, nicht aufgehalst hätten. Dafür hast Du meine volle Hochachtung. Ich hätte das nicht gekonnt, das gebe ich unumwunden zu.

Dir und Deiner Rana weiterhin alles Gute.

LG,
woelfin
ehemaliges Mitglied kann ich Dir nur noch gratulieren!! Großartig und weiterhin viel Erfolg für Rena und Dich!!
nnamttor44

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