Die süße Versuchung
Wir wohnten auf dem flachen Lande. Vielleicht alle hundert Meter ein Bauernhof oder das Haus eines Arbeiters. Einen Kaufmann gab es nicht, nur die Gastwirtschaft und die Schule waren in der Nähe. Für alle anderen Dinge des täglichen Lebens fuhr man ins nächste Dorf, ca. 4 bis 5 km entfernt. Dort gab es gleich zwei Einkaufsmöglichkeiten, eine beim Bäcker und eine weitere in einem sogenannten Stubenladen, der von einer älteren Dame als Nebenerwerb betrieben wurde.
Beide Läden hatten neben den üblichen Lebensmitteln alles an Ge- und Verbrauchsartikeln in ihrem Sortiment, was man sich denken konnte. Die Geschäfte gingen jedoch mehr schlecht als recht, denn die überwiegende Landbevölkerung kaufte damals im Krieg grundsätzlich nur das zu, was der eigene Garten oder Tierbestand nicht her gab. Und das, was auf den Tisch kam, war sowieso fast alles selbstgemacht bzw. aus eigener Ernte. Dabei kam es natürlich auch mal vor, daß ein Produkt vorzeitig zur Neige ging, wenn die Bevorratung zu knapp berechnet worden war oder nicht genügend Früchte geerntet wurden.
So wie bei uns seinerzeit die Marmelade, die besonders wir Kinder so gern mochten. Plötzlich stand im späten Frühjahr das letzte Glas auf dem Tisch, und die Kirschen- und Pflaumenernte war noch weit.
Unsere Mutter hatte in den Tagen wohl wenig Zeit, sie bat jedenfalls meine sechsjährige Schwester, sie möge doch mal zum Bäcker gehen und neue Marmelade holen. „Kannst diene Fründin jo man mitnehmen, denn is dat nich so langwielig! Nehmt man `n Weckglas mit, dor kann de Bäcker dat jo rindohn!“
Und so marschierten die beiden Mädchen nachmittags auch los, bei herrlichem Sonnenschein und mit der schönen Aussicht, daß es nun bald wieder Marmelade auf Brot geben würde. Nach einer guten Stunde war man schon wieder auf dem Heimweg, die süße Ware im Glas und dieses wiederum in einem Beutel verstaut.
Was nun genau geschah, ist nie richtig laut geworden. Jedenfalls tauchte irgendwann die Frage auf, ob diese Marmelade auch wohl so süß schmecken würde wie die Selbstgemachte von der Mutter. Man könnte ja mal –. aber nur ganz, ganz wenig, – so mit einem Finger! Würde bei dem großen Glas ja garnicht auffallen, „ Jaaa, ganz söööt! ---- Hier, du uk mol?“ „ Ojaaa, ganz sööt!“ Aber, weil die eine nun doch etwas mehr genommen hatte als die andere, mußte die andere ja auch noch mal .... und die schmeckte ja wirklich sooo süß, die Marmelade. Also, noch mal, aber nur gaaanz wenig! Das Ende vom Lied: der Pegel im Glas war mit der Zeit doch deutlicher gesunken, als man es vorgehabt hatte.
Was nun tun? Mit dem halbvollen Glas nach Hause? Nein, keinesfalls! Also, wieder zurück zum Kaufmann. Aber diesmal nicht zum Bäcker, das wäre ja zu peinlich. Der andere Laden hatte sicher auch Marmelade.
Hatte er tatsächlich. „Habt ihr was mit, wo wir die rein tun können?“ Meine Schwester stellte das halb leere und bis oben verschmierte Glas auf den Ladentisch. „Hier paßt noch wat rin!“ – Wahrscheinlich hat die Kaufmannsfrau sehr schnell durchschaut, welcher Umstand ihr zu dem Verkauf von einem halben Pfund Marmelade verholfen hatte.
Das somit wieder aufgefüllte Weckglas hat dann auch, ohne weiteren Schaden zu nehmen, die heimische Küche erreicht. Und die etwas verworrene Geschichte wäre wahrscheinlich nie an die Öffentlichkeit gelangt, wenn die Marmelade nicht unterschiedliche Farben gehabt hätten: unten zeigte sie ein freundliches helles Rot und die obere Hälfte neigte mehr zur dunklen Brombeerfarbe.
Wie ich unsere Mutter einschätze, hat sie, als sie die Geschichte allmählich erzählt bekam, bestimmt vor Lachen sogar den strafenden Blick für die beiden Mädchen vergessen.
Klostermeier
Beide Läden hatten neben den üblichen Lebensmitteln alles an Ge- und Verbrauchsartikeln in ihrem Sortiment, was man sich denken konnte. Die Geschäfte gingen jedoch mehr schlecht als recht, denn die überwiegende Landbevölkerung kaufte damals im Krieg grundsätzlich nur das zu, was der eigene Garten oder Tierbestand nicht her gab. Und das, was auf den Tisch kam, war sowieso fast alles selbstgemacht bzw. aus eigener Ernte. Dabei kam es natürlich auch mal vor, daß ein Produkt vorzeitig zur Neige ging, wenn die Bevorratung zu knapp berechnet worden war oder nicht genügend Früchte geerntet wurden.
So wie bei uns seinerzeit die Marmelade, die besonders wir Kinder so gern mochten. Plötzlich stand im späten Frühjahr das letzte Glas auf dem Tisch, und die Kirschen- und Pflaumenernte war noch weit.
Unsere Mutter hatte in den Tagen wohl wenig Zeit, sie bat jedenfalls meine sechsjährige Schwester, sie möge doch mal zum Bäcker gehen und neue Marmelade holen. „Kannst diene Fründin jo man mitnehmen, denn is dat nich so langwielig! Nehmt man `n Weckglas mit, dor kann de Bäcker dat jo rindohn!“
Und so marschierten die beiden Mädchen nachmittags auch los, bei herrlichem Sonnenschein und mit der schönen Aussicht, daß es nun bald wieder Marmelade auf Brot geben würde. Nach einer guten Stunde war man schon wieder auf dem Heimweg, die süße Ware im Glas und dieses wiederum in einem Beutel verstaut.
Was nun genau geschah, ist nie richtig laut geworden. Jedenfalls tauchte irgendwann die Frage auf, ob diese Marmelade auch wohl so süß schmecken würde wie die Selbstgemachte von der Mutter. Man könnte ja mal –. aber nur ganz, ganz wenig, – so mit einem Finger! Würde bei dem großen Glas ja garnicht auffallen, „ Jaaa, ganz söööt! ---- Hier, du uk mol?“ „ Ojaaa, ganz sööt!“ Aber, weil die eine nun doch etwas mehr genommen hatte als die andere, mußte die andere ja auch noch mal .... und die schmeckte ja wirklich sooo süß, die Marmelade. Also, noch mal, aber nur gaaanz wenig! Das Ende vom Lied: der Pegel im Glas war mit der Zeit doch deutlicher gesunken, als man es vorgehabt hatte.
Was nun tun? Mit dem halbvollen Glas nach Hause? Nein, keinesfalls! Also, wieder zurück zum Kaufmann. Aber diesmal nicht zum Bäcker, das wäre ja zu peinlich. Der andere Laden hatte sicher auch Marmelade.
Hatte er tatsächlich. „Habt ihr was mit, wo wir die rein tun können?“ Meine Schwester stellte das halb leere und bis oben verschmierte Glas auf den Ladentisch. „Hier paßt noch wat rin!“ – Wahrscheinlich hat die Kaufmannsfrau sehr schnell durchschaut, welcher Umstand ihr zu dem Verkauf von einem halben Pfund Marmelade verholfen hatte.
Das somit wieder aufgefüllte Weckglas hat dann auch, ohne weiteren Schaden zu nehmen, die heimische Küche erreicht. Und die etwas verworrene Geschichte wäre wahrscheinlich nie an die Öffentlichkeit gelangt, wenn die Marmelade nicht unterschiedliche Farben gehabt hätten: unten zeigte sie ein freundliches helles Rot und die obere Hälfte neigte mehr zur dunklen Brombeerfarbe.
Wie ich unsere Mutter einschätze, hat sie, als sie die Geschichte allmählich erzählt bekam, bestimmt vor Lachen sogar den strafenden Blick für die beiden Mädchen vergessen.
Klostermeier
ich auch meine Erinnerungen habe. Sie wurde aus einem blechernen
Eimer in die mitgebrachten Gefäße in dem kleinen Dorfläden gefüllt, bei
unserem stand sogar noch "Kolonialwarenladen" über der Tür.
Meine Mutter schickte mich einstmals los, bei einer bestimmten Bäuerin
geschlagene Sahne zu kaufen, die war für die gerade geernteten
Erdbeeren zum Nachtisch gedacht - es gab vorher nie diese Köstlichkeit,
denn die Kuchen wurden mit "Buttercreme", einer Pampe aus Margarine,
Pudding und Aroma bestrichen, dazu geröstete Haferflocken an den Rand
und das ganze hieß "Frankfurter Kranz".
So probierte ich auf dem Heimweg dieses süße weiße geschlagene
Zeugs, es schmeckte wunderbar, ich probierte und probierte - und als
ich zu Hause ankam, war nur noch die Hälfte in der Schüssel und mir
sauschlecht.
Und von den Erdbeeren bekam ich auch nichts ab, denn "Strafe mußte sein"
fand meine Mutter.
Danke lieber Freund Klostermeier, Deine Geschichte hat meine Erinnerung
wieder angestoßen. Mir macht viel Freude, was Du so schreibst.