Die 68er

Autor: ehemaliges Mitglied



Wer schreibt den heute noch über die 68er Szene? - Mausetot und Geschichte. Wirklich? Hätte mir doch ein wenig mehr nach fast 45 Jahre nach 1968 gewünscht. - 1968 war weit mehr als angenommen. - Die 68er Bewegung war der Aufstand der Studenten. "Was an so was denkst du und damit beschäftigst du dich heute noch", sagte mir unlängst ein Kollege in der Hochschule, die ich jetzt hin und wieder als Rentner besuche. "Das war doch nur so ein verwirrter abgedrehter Haufen Politchaoten, die das bestehende System verändern wollte. - Der überwiegende Teil der Bevölkerung nahm die doch gar nicht richtig wahr und schaute eher verständnislos zu". - Der Rest der Gesellschaft schaute nur zu? - So ist das nicht ganz richtig. Die Umbrüche jener Zeit waren wesentlich facettenreicher.

68 das war auch eine Grundstimmung für die so genannten jugendlichen Normalos in meiner damaligen "Heidelberger Studentenszene" als ich mich als "Arbeiterkind" und "Vorzeigeprolet" begeistert unter den SDS mischte. Zu Demos mitging. Die APO besang. Denn das war schick diese Legenden der Bewegung alle sehen und hören zu können. Den Dutschke, den Kunzelmann, den Teufel. Oder in den Räumen des Heidelberger SDS Patientenkollektiv in der Hauptstraße den Kommilitonen-Sprechern zuhören. - Um nicht zu vergessen: Als Vertriebenenkind aus den ehemaligen Ostgebieten hatte ich in den 50ern und 60ern einiges wegstecken müssen. Schon deshalb war ich ein begeisterter Mitläufer, nicht Mittäter und habe diese Zeit auch als eine Art Kulturrevolution eigener Art erleben und genießen können. - Immerhin wir konnten damals als Jugendliche noch aufmucken. Unsere Meinung rausschreien. Das war alles etwas anders geschaltet als heute wo alles gleichgeschaltet ist. Der Mainstream, die Politik, die Lohnschreiber eines sogenannten investigativen Journalismus. - Auch damals gab es die BILD. Dort flogen allerdings "Molotowcocktails" - Genützt hat es im Nachhinein auch nichts. Die Bild gibt es nach wie vor und 11 Millionen tägliche Bildzeitungsleser irren sich nun mal nicht.

Der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS) - gegründet 1946, aufgelöst 1970 - war damals ein politischer Studentenverband in der früheren Bundesrepublik und West-Berlin. Aber hatte auch einen Stützpunkt in Heidelberg. Anfangs der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) nahe stehend, wurde er nach der erzwungenen Trennung von der Mutterpartei zum Sammelbecken der Neuen Linken und spielte eine bedeutende Rolle in der Studentenbewegung der 1960er Jahre.
Der militanteste Teil der Bewegung entschloss sich dazu, den Kampf gegen den verhassten Staat nun bewaffnet als Rote Armee Fraktion fortzuführen. Dem nun beginnenden Terror fielen insgesamt über 30 Menschen zum Opfer.

Die 68er Bewegung kam mit etwas Verzögerung nach Heidelberg. Zwar hatte es im "Heidelberger Winter" 68/69 schon spektakuläre Aktionen des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) und des von ihm gestellten AStA gegeben, doch empfanden viele erst das Sommersemester 1969 als Höhepunkt. Damals wollte die Heidelberger Straßenbahn AG ihre Fahrpreise erhöhen. Der SDS forderte: Senkung der Fahrpreise auf den alten Stand, und vor allem: freie Fahrt zum Arbeitsplatz, denn "die Arbeiterschaft" sollte auch etwas davon haben. Nach mehreren "Rote-Punkt-Aktionen" und Schienenblockaden erhöhte die HSB ihre Fahrpreise nicht, aber der SDS wurde seines Erfolgs nicht recht froh: "Die kapitalistische Wirtschaft" sei "nicht gestört" worden, stellte der Rote Kommentar des SDS resigniert fest. - An der Uni wurde damals gestreikt. Es entstand eine neue Grundordnung für die Hochschulen, die jedoch nach Ansicht des AStA nur "den Interessen der Herrschenden an der Rationalisierung ihrer Herrschaft" diente. "Den Kampf gegen die Grundordnung mit dem Angriff auf die bürgerliche Wissenschaft verbinden", hieß die Parole. Die Juristische Fakultät musste im Juli für zwei Wochen ihre Vorlesungen einstellen, und das Schwarze Brett in der Neuen Uni wurde für die Informationsmengen zu klein.

So erinnere mich noch sehr genau daran, wie die "Rote-Punkt-Aktion" des Heidelberger SDS ablief. Damals fuhr die Straßenbahn auch noch in der Hauptstraße. Nur durch Zufall geriet ich meinen Eltern in einen Handel, indem sich die Bewegung in zwei Richtungen formierte. - Eine Gruppe hatte am Oberen Rathausplatz aufgestellt, während die andere Gruppe in der Nähe des Kaufhof mit Pfiffen und Gejohle den Polizeieinheiten entgegentrat. Nach dem bekanntem Igel/Hase-Prinzip "Ich bin schon da!" stürmte der SDS mal oben, wie auch unten den Sicherheitskräften entgegen.

Die Polizei griff sich wahllos vermeintliche Demonstranten heraus. Meine Mutter vor dem Kaufhof reagierte hysterisch, während mein Vater relativ ruhig blieb. Wir drückten uns mit dem Rücken fest an die Wand, um nach rechts den rettenden Eingang des Kaufhauses zu erreichen. So schafften wir es schließlich uns gemeinsam mit den Studenten in Sicherheit zu bringen. Die Polizisten schwangen dabei provozierend ihre Polizeiknüppel. Die Sache schien zu eskalieren, durften jedoch das Gebäude nach dem Hausrecht nicht betreten. Der damalige SPD-Oberbürgermeister Zundel das zum zum Anlass, ein generelles Demonstrationsverbot für die Hauptstraße zu erlassen. Aus verkehrstechnischen Gründen sollten in Zukunft nur noch abgelegene Straßen für "studentische Demonstrationszüge" erlaubt sein. Eine Vietnam-Demonstration des SDS durch die Hauptstraße Anfang November wurde verboten. Der Schuss ging freilich arg nach hinten los. Die ca. 200 Demonstranten beschlossen nach Diskussion und Abstimmung die Demonstration wie geplant durchzuführen und zogen durch die Hauptstraße zum Amerikahaus. Eine mäßig vorbereitete Polizei, die sich zur Kette formiert hatte, wurde umgangen, danach der Balkon des Amerikahauses besetzt, ohne dass die Polizei eingriff. - Ich hatte mir diese Demo im Wintersemester 67/68 angeschaut.

Als damaliger "Bürger in Uniform" forderten mich einige Polizisten auf mich "Soldatisch" zu entfernen. - Ich hatte im Winter 67/68 als Soldat noch öfters mit Studentenunruhen zu tun. Die kamen bis vor das Kasernentor und forderten uns Eingezogenen auf die "Fronten" zu wechseln.

Erstaunlich ist wie wenig Spuren davon geblieben sind. Und das heute Journalisten eines Jahrganges über eine Studentenbewegung schreiben, als sie noch faktisch in die Windeln... Jeder rühmte sich danach ein 68er zu sein.

Aber immerhin die Emanzipation der Frauen ohne die 68er wäre so wie es damals war kaum möglich gewesen. - So war das damals. Und was sind wir Heute. Meine eigene Generation will davon nichts mehr wissen. Die wollen nur noch ihre "Friedhofsruhe".

Und die Töchter und Söhne der um 1988 Geborenen - ein Haufen Opportunisten, die sich ins gemachte Nest setzen und davon profitieren, dass die 68er die "unbewohnbare Bundesrepublik erst bewohnbar" gemacht haben, wie es der Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger einst zugespitzt formulierte. Eine Bande Karrieristen, denen das eigene Fortkommen wichtiger war als das Gemeinwohl? - Nun jedenfalls hat diese Tatsache und das Anpassen müssen, an eine globalisierte Welt dazu beigetragen in welchem Dilemma wir heute stecken.

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