Der Erzaehler
Der Erzaehler
Lange Zeit bevor ich mein erstes Buch zur Welt brachte, hatte ich schon Drehbuecher fuer Fernsehserien geschrieben. Mein wichtigster Beitrag war meine Adaptierung des Marathi Romans ‘Padghavli’ von dem bekannten Romanautor G.N. Dandekar fuer eine Hindi Fernsehserie fuer Doordarshan in 1988-89, die ein grosser Erfolg war.
Daher ist es nicht ueberraschend, dass meine erste Sammlung von Erzaehlungen einige Elemente eines Fernsehdrehbuches besitzt. Die grobe Uebersetzung der Sammlung lautet : ‘Die Geschichte des haesslichen Maedchens’. Der Titel erfasst generell den Sinn der Sammlung, denn bei fast allen Erzaehlungen handelt es sich um Maedchen, die den einen oder anderen Defekt haben. Also sehr grob gesagt sind sie alle ‘haesslich’.
Die erste Erzaehlung kommt aus der Kindheit des Autors und erzaehlt die Leiden der einen von zwei Frauen des Goldschmidts in der Nachbarschaft, wie dies von dem kleinen Jungen erfahren wird. Die andere Erzaehlung mit einem indischen Hintergrund mit der Bezeichnung ‘Get Shorty’ spricht ueber die Leiden eines sehr grossen Maedchens bei ihrer Suche nach einem passenden Braeutigam. Die Story mit dem Namen ‘Bathing Beauties’ (also die badenden Schoenheiten) beginnt mit dem gleichnamigen Esther Williams Film, den der kleine Junge aus der indischen Kleinstadt sich ansieht, und endet mit den revolutionaeren nackten Schoenheiten, die zwangsweise in das Kommunalbad eines Studentenwohnheims in der Universitaet Heidelberg am Ende der sechziger Jahre eindringen. In der Titelgeschichte geht es um ein haessliches grieschiches Maedchen mit dem Namen Helena, die in einer deutschen Fabrik arbeitet und ueber ein anderes gutaussehendes Maedchen neidig ist, das von vielen maennlichen Kollegen dadurch bewundert wird, dass sie des oefteren ein paar auf den Hosenboden bekommt.
Die Erzaehlungen ‘Hanna’ und ‘Monica Mueller’ sind echte Vertreter von deutschem Kleinstadtleben, obwohl mit ganz anderen Schwerpunkten. Hanna ist ein geistig herausgefordertes Maedchen, dem der Autor an dem leeren Bahnhof der ostfriesischen Stadt Leer begegnet. Monica Mueller ist Mitte vierzig und alte Jungfer, Bankangestellte in einer kleinen deutschen Stadt, mit dem individuellen Lebensstil, der so typisch fuer die achtziger Jahre war. Einigermassen aehnlich ist Rita Lobel aus Belgien, die sich ein kurzes Liebesabenteur bei einem Urlaub in Spanien leistet. In ‘Casa de Locos’, was soviel wie Narrenhaus bedeutet, die ueber fuenfzigjaehrige Carmen beeindruckt uns mit ihrer tollen Lebensphilosophie.
Dieser Erstversuch von einem unbekannten Autor erlebte grosses Glueck dadurch, dass bedeutende literarische Persoenlichkeiten wie Professor Gangadhar Gadgil, Girija Keer, Vidya Sapre Chaudhari und sogar Pralhad Vader sehr gutes ueber die Sammlung zu sagen hatten.
----------------
1987 begann ein sehr interessantes Kapitel meines Lebens, als ich die Translokation eines Riesenwerkes von Emden an der Nordsee nach Hazira an der indischen Westkueste fuer ESSAR STEEL koordinierte.
‘THE WORKS’ (ENGLISCH) UND ‘STHALANTAR EKA KARKHANYACHE’ (MARATHI)
Ein Roman von ueber sieben hundert Seiten, der auch von verschiedenen Management Instituten als Lektuere fuer ihre MBA –Studenten benutzt wird, ist bestimmt eine Seltenheit. Nachdem er diesen monumentalen Roman in der Marathi Version gelesen hatte, schrieb der verstorbene Professor Gangadhar Gadgil, selbst ein bekannter Marathi Schriftsteller und Erzaehler , in einem Privatschreiben an den Autor , “Ich habe Ihren 708-seiten grossen Roman ‘Sthalantar Eka Karkhanyache’ von Ihrem Verlag dankend erhalten. Ich habe nie geglaubt, dass jemand einen Roman ueber dieses Thema schreiben werde. Fast alles in diesem Roman findet im Ausland statt. Die meisten Charaktere des Romans sind auch Auslaender. Trotz dieser Tatsache haben Sie einen Roman ueber dieses Thema geschrieben. Diese Tatsache hat mich beinah gezwungen, diesen Roman mit Interesse zu lesen. Ein grossartiges technisches Geschehen, das hauptsaechlich im Ausland stattfindet, ist von Ihnen in einfacher Marathi erfasst worden, also etwas, was mein Lob verdient. Ich gratuliere Ihnen ganz herzlich dafuer, dass Sie diesen Roman geschrieben haben, der den Horzont des Marathi-Romans auf mehrfache Art und Weise ausweitet.
Eine moderne Eisenschwammanlage mit einem Wert von fuenf hundert Millionen Mark, gebaut im Jahre 1978, um das Erdgas und Eisenerz aus Norway auszunutzen, in dem industriell rueckstaendigsten Gebiet Norddeutschlands, mit norwegischer Initiative und norwegischem Besitz und mit einem deutschen Verfahrenspatent, was spaeter im Besitz einer amerikanischen Korporation war. Mit finanzieller Buergschaft der Provinzialregierung von Niedersachsen und der Bundesregierung und der Finanzierung durch eine deutsche Bank. Nach nur 9 Monaten war das werk bankrott, weil sich die Erdgaspreise verdoppelten und es einen Jahresueberschuss von dreissig Millionen Tonnen Stahl in Europa gab. Dies geschah trotz vielseitiger Muehe, um das Werk zu retten, somit gab es 200 Arbeitslose mehr in Ostfriesland , das schon mehr als zwanzig Prozent Arbeitslosigkeit hatte.
Sieben Jahre spaeter kaufte eine heraufkommende indische Reederei, die auf der Suche nach Projekten in Kernsektoren war, und den Ueberschuss am Erdgas von Bombay High ausnutzen wollte, dieses nagelneue, jedoch second-hand Werk fuer einen sehr kleinen Betrag. Jetzt wollten die Inder ihren grossen Fang mit nach Hause nehmen … etwa 7.000 Kilometer weit entfernt
In Deutschland wurden die neuen Besitzer durch ihren Projektkoordinator vertreten, der ein Neusprachler und Sprachlehrer mit gewisser Erfahrung in der indischen Industrie war. Die Faszination dieses Mannes fuer ‘die groesste’ Translokation einer Industrieanlage ueber Kontinente hinweg fuehrte zu einem Roman in zwei Sprachen , also im Englischen und in seiner Muttersprache Marathi.
“Ein Muss-Lesen fuer jeden jetzigen und zukuenftigen Projektmanager”, sagt Dr Sandeep Bhattacharya, Director Operations von Aventis Pharma, “besonders weil hier einer schreibt, der das selber gemacht hat”.Eine andere wichtige Fazette dieses Romans wurde von Professor Stefan Hajduk erfasst, als er schrieb: “Die Spannung zwischen den Sphären des Beruflichen und des Privaten wird immer wieder aufgehoben zu einer Verbindung im Menschlichen, aufblitzend im Esprit des prosaischen Managers und poetischen Liebhabers in Personalunion”.
Der Marathi Roman : MULKHAVEGLA
Heute moechte ich ein wenig ueber meinen letzten Roman Mulkhavegla erzaehlen. Dieses Marathi Wort besteht aus zwei Teilen. Mulukh bedeutet Region, oder Bezirk, oder Heimat oder die eigene Gegend. Und das Teil Vegla bedeutet weg von. Das ist also die Geschichte eines Menschen , der weg von seiner Heimat ist, also ein Fremder ist.
Vor vielen Jahren schickte mir ein Bankier-Freund von mir , der die Abteilung fuer Stiftungen einer indischen Bank betreute, eine Anzahl von Dokumenten, die aus einem Schriftverkehr ueber ein Schweizer Bankkonto bestanden. Natuerlich weiss man, wofuer Schweizer Bankkonten bekannt sind. Ein in Deutschland lebender Inder verfuegte ueber ein Schweizer Bankkonto und jetzt wollte diese indische Bank dieses Geld aus der Schweiz fuer eine indische Stiftung zurueckgewinnen. Ich uebersetzte die Dokumente und habe die Einzelheiten schnellstens vergessen. Ein paar Jahre spaeter kam ein anderer Herr zu mir und wollte ein kleines deutsches Dokument ins Englische uebersetzen lassen. Es was das letzte Testament eines in Berlin ansaessigen Inders, der 1982 verstorben war. Das Testament war ein faszinierendes Dokument. Es war das Testament desselben Mannes mit dem Schweizer Bankkonto.
Ploetzlich hatte ich einen fantastischen ‘Rahmen’ fuer eine Geschichte. Der Mann kam naemlich aus einem kleinen Dorf aus meinem Distrikt. Er war ein Uhrmacher in Bombay, der 1932 von einem Deutschen fuer Ausbildung nach Deutschland mitgenommen wurde. Er lebte in Deutschland seit Ende 1932, erlebte den Aufstieg und den Niedergang des Dritten Reiches, nach dem Weltkrieg heiratete er eine Deutsche im Jahre 1948, lebte durch die Nachkriegszeit mit Muehe und Not, und nahm auch an dem Deutschen Wirtschaftswunder teil, und in der Zeit verdiente er selber ein Haufen Geld. Er war ein erfolgreicher Uhrmacher und Juwelier in Berlin. Von diesen Geldern kam ein gutes Anteil auf das Schweizer Bankkonto. Nach einigen Jahren ist seine Frau verstorben. Nach ihrem Tod hat er das grosse Geschaeft in Berlin zusammen mit seiner deutschen Assistentin erfolgreich gefuehrt. Das Ende kam dann 1982.
Das waren ungefaehr die Tatsachen, die man aus dem Testament herausnehmen konnte und dann das wichtigste, letzte Teil des Testaments. Mein erstes Problem war der Standort der Geschichte. Er hatte ja in Berlin gelebt, die ganzen Jahre hindurch. Aber ich kenne Berlin nur aus den Paar Besuchen. Das war nicht gut. Dann habe ich mich fuer Emden entschieden. Ich kenne Emden viel besser als manche Emder, wie man aus ‘The Works’ feststellen kann. Seine Laufbahn beginnt in Bremen. Bremen kenne ich ein wenig mit den vier Stadtmusikanten und mit dem Roland. Ausserdem landete man immer in Bremen, als man etliche Mal aus Indien kam.
Dann began die eigentliche Arbeit. Ich sollte das Leben in Indien um 1908-10 in seinem Dorf und in der Stadt Bombay in den dreissiger Jahren richtig darstellen. Dann Bremen und Deutschland ab 1932, durch den Krieg in Emden, die am meisten bombardierte Stadt Deutschlands. Dann die Uhrindustrie und den Alltag eines Uhrmachers und dann Emden selbst in den schicksalschweren Jahren, mit dem Bunkerbau. Emden hat ja ein Dutzend ueberirdische Bunker. Das schwierigste war der Alltag einer mit Krieg belasteten Kleinstadt. Zum Glueck fand ich etwas. Wissen Sie, was das war? Das Bunkermuseum in Emden hat drei Tagebuecher von Emderinnen aus jener Zeit gefunden. Also es wurde authentisch. Total authentisch. Ich habe drei mir unbekannten Emderinnen dies zu verdanken.
Und mein Held hatte zwei Frauen im Unterschied zu dem Gentleman. Eine erste, bei der er als Landarbeiter taetig sein musste. Und die andere kommt aus Dresden. Wieder mehrere Websites. Das wurde alles so genau dargestllt und geschildert, wie nur moeglich. Insgesamt 150 Websites habe ich besucht. Das Buch hat 276 Seiten. Es dauerte aber zwei-drei Jahre bis ich fertig war. Und dann kam es nicht schlecht an.
Und wissen Sie, was er in seinem Testament gesagt hat? Dieser Mann, der vor 50 Jahren die Heimat verlassen hatte.
Er teilt sein Vermoegen in zwei Teilen. Die Haelfte bekommt seine Assistentin im Geschaeft, und zwar mit der Bedingung, dass die andere Haelfte an die Stiftung geht, die er fuer sein Dorf in Indien schon gegruendet hatte. Ausserdem muss die Dame seinen Hund Maxi bis zu seinem Tode betreuen.
In meiner Gegend in Indien sagten die Leute, dass Du immer zu jener Stelle zurueckkommst, wo Dein Nabelschnur begraben worden ist. Und der letzte Satz meines Romans lautet:
Sein Nabelschnur wurde dort begraben.
Es gibt viele Verehrer fuer diesen Roman. Aber ein Verehrer uebertrifft alle. Fuenfundsiebzig mal. Genau! Er hat 75 Exemplare des Romans gekauft und bei der Hochzeit seines Sohnes als Geschenk an die Hochzeitsgaeste verteilt. Na ja!
*******
Kommentare (0)