Der Engel Gabriele
Meine Freundin und ich wohnten seit Anfang Juli 2012 - aufgrund eines herausragenden Beschäftigungsangebotes – in einer großen, wunderschönen Mitarbeiterwohnung in den Parkanlagen des Nord-West-Krankenhauses, in der 4. Etage, mit Rundblick über Frankfurt.
Da ich bereits im Ruhestand war, versorgte ich u.a. den Haushalt, während Elisa als Stationsleitung im Krankenhaus beschäftigt war.
Irgendwann im Januar 2013, brachte ich wieder einmal den Hausmüll zu den Müllcontainern, als ich – trotz spielender Kinder – meinte, wie unterbewusst, leises Lautenspiel und traurige Seufzer unter mir zu vernehmen. Das war eigentlich unvorstellbar, doch ich schaute trotzdem nach unten und es entfuhr mir ein „Mein Gott, das gibt es doch gar nicht!“ - „Das kannst Du ruhig laut sagen“, hörte ich ein leises Wispern.
Und so hörte ich mich ganz laut sagen, „mein Gott, das gibt es doch gar nicht!“ So laut, dass die spielenden Kinder es auch vernommen hatten und neugierig, zaghaft näherkamen. Ich bückte mich und hielt eine kleine Engelsfigur in der Hand, dem der Kopf und ein Flügelein fehlte. Neugierig fragte ein Mädchen, vielleicht sechs Jahre alt, was ich da habe. Ich sagte: „Da hat jemand einen Engel weggeworfen. Das macht man doch nicht, das bringt Unglück“! Kess sagte die Kleine: „Dem Engel fehlt ja der Kopf!“ „Ja, Vorsicht! Schaut wo ihr hintretet! Nicht, dass ihr den Kopf oder den einen Flügel der auch fehlt zertretet“! Spontan meinte das Mädchen, „wir helfen dir suchen!“ „Das ist aber schön“, erwiderte ich, „wie heißt Du eigentlich?“ „Ich heiße Gaby, aber meine Mama sagt, ich heiße richtig Gabriele, gerufen werde ich aber Gaby, weil das schneller geht.“
Die Kinder waren sowieso immer freundlich und mir zugetan, seit ich sie im Herbst gegenüber anderen älteren Leuten verteidigte, die über das Geschrei der spielenden Kinder lautstark schimpften und sie sollten gefälligst woanders spielen. Ich sagte nur: „Wo sollen sie den spielen? Hier gibt es keinen Spielplatz! Sollen sie vielleicht auf die Straße zum Spielen? Seid ihr den nie Kinder gewesen oder habt ihr das schonvergessen?“
Vorsichtig begannen wir alsdann nach dem fehlenden Kopf und dem Flügel zu suchen. Es war schon einige Zeitlang vergangen, als Gaby plötzlich ganz aufgeregt rief: „Ich habe ihn, ich habe ihn gefunden!“ Sie brachte den Engelskopf samt Flügel zu mir und alle Kinder scharten sich um mich, um zu sehen, ob die Teile auch wirklich zusammenpassen. Sie passten ganz genau!
Ich sagte den Kindern, ich nehme den Engel mit zu mir und klebe ihn wieder zusammen und fragte, wie wir ihn nennen wollen. Es kamen einige Vorschläge, bis ein Junge sagte: „Das ist doch ein Engelmädchen, vielleicht sollten wir ihn, da Gaby den Kopf gefunden hat, auch Gaby nennen. Das gefiel uns allen, doch ich meinte, wir nennen ihn Gabriele, dass hört sich vornehmer an. Die Kinder freuten sich und Gaby war richtig stolz auf ihren vollständigen Namen. Oftmals klingelten die Kinder bei uns und wollte den Engel besuchen, vermutlich auch deshalb, weil sie dann jedes Mal Süßigkeiten bekamen.
Mein Engel Gabriele ist zwischenzeitlich schon zweimal mit mir umgezogen und hat ihren Lieblingsplatz, bei mir auf dem Schreibtisch. Wenn es ganz ruhig ist und ich in eine Sache vertieft bin meine ich immer ganz zarte Lautenklänge zu hören. Wenn ich irgendwelche Schwierigkeiten hin und her wälze und zu keiner Lösung finde, so klappt es dann, wenn ich am Schreibtisch sitze - und ich meine dann, dass mein Engelchen Gabriele „ihre Hände da im Spiel hat“.
So haben Gabriele und ich zusammen schon einige Herausforderungen gemeistert und einiges erlebt und werden wohl den Rest meiner Zeit hier auf Erden noch gemeinsam verbringen. Gabriele scheint alles verstanden zu haben und damit zufrieden zu sein, denn wenn ich, mit geschlossenen Augen so vor mich hin sinne, höre ich im Unterbewusstsein ganz leise Lautenklänge.
Ferdinand T., 18.01.2013
Kommentare (6)
@ladybird,
einherzliches Dankeschön für Deinen Kommentar!
Eigentlich müsstes Du Dich ja an Gabriele erinnern, als wir gemeinsam an meinem Schreibtisch gesessen sind und Romans Liblingslied "Eleni" gelauscht haben.
Liebe Grüße von Deinem besten Freund aus Burghaun,
Ferdinand
Ach, welch eine schöne Erzählung. Ich danke Dir.
Da warst Du ja sogar von zwei Engeln umgeben:
Elisa und Gabriele.
meint mit Schmunzeln und einem herzlichem Gruß
Andrea
@Muscari
Danke Andrea für Deine zutreffende, sympatische Vorstellung der beiden Engel. Leider ist der eine davongeflogen, aber Gabriele heitert mich weiterhin auf!
Danke für Deinen netten Kommentar, über den ich auch schmunzeln musste,
meint mit herzlichen Grüßen
Ferdinand
Guten Morgen, lieber Ferdinand!
Eine wunderschöne Fund-Erinnerung märchenhaft erzählt. Habe ich gern gelesen und grüße dich mit Dank
Ingrid
@indeed
Danke, liebe Ingrid, für Deinen netten Kommentar, mit dem Du mir bestätigst, dass Du diese kleine, wahre Geschichte gerne gelesen hast.
Ich hoffe, Ihr seid gesund ins "Neue Jahr" gekommen - und es möge noch lange so bleiben!
Herzliche Grüße
Ferdinand
Lieber Ferdinand,
mit ein bißchen Gänsehaut habe ich Deine wunderschöne Begebenheit gelesen....
solche Geschehnisse bereichern nicht nur den Alltag, sondern, wie bei Dir , das ganze Leben?Und nicht nur Deines, sondern auch das, der Namensgeberin....
mit Freude gelesen,
dankt mit Gruss
ladybird