Der alte Nasko
Der alte Nasko war Bosniake, ein Überbleibsel aus der Kaiserzeit. Jedenfalls sagten das die Erwachsenen zu uns Kindern. Herr Nasko kam also aus Bosnien, einem Land, das mir nichts sagte und für mich daher genauso weit weg war, wie Amerika, unser aller Wunschland. Wir Nachkriegskinder träumten damals alle vom reichen Onkel aus Amerika. Nur – m den gab es nicht. Ergo hielten wir uns an den alten Nasko, der mit seinem weißen Rauschebart und roten Fez mit goldener Quaste. Er wirkte auf uns wie ein weiser Gelehrter. Wir respektierten ihn nicht nur wegen seiner imposanten Erscheinung, oh nein, er hatte viel mehr zu bieten, als nur schlaue Reden mit erhobenen Zeigefinger - der alte Nasko war im Besitz des Paradieses, denn ihm gehörte die "Zuckerlzentrale” im ehrwürdigen Fabriziushaus am Hauptplatz.
Der Begriff „Zuckerlzentrale” war natürlich maßlos übertrieben, denn der kleine Laden mit den vielen Bonbongläsern war eigentlich winzig. Und genau diese bauchigen Gläser mit der großen Öffnung hatten es uns Kindern angetan, denn, vorausgesetzt wir hatten saubere Hände (was der alte Nasko penibel kontrollierte), dann durften wir uns die bunten Bonbons selber herausholen. Zur Osterzeit im Frühling waren sie traditionsgemäß eiförmig in allen Farben, sonst waren sie rund und so hart, dass man sie auch als Murmeln verwenden konnte. Meine absoluten Favoriten waren die gold- und silberfarbenen, allerdings kosteten die einen Groschen mehr. Die Verlockung, statt der bezahlten drei oder vier Stück, ein zusätzliches Kügelchen zwischen den Fingern zu verbergen, war groß. Der alte Nasko passte auf wie ein Haftelmacher. Wenn er einen von uns beim Schummeln ertappte, folgte die Strafe auf dem Fuß: Zwei Wochen keine Selbstbedienung. Und der Meister vergaß nichts. Trotzdem war es eine Herausforderung für uns, und wir dachten nach, wie wir zu diesem ganz besonderen Kick, den alten Nasko zu überlisten, kommen könnten.
Die Idee kam mir, als ich das fantastische Bild an der Wand hinter der Ladentheke bewunderte und höflich, fast untertänig fragte: „Herr Nasko, was ist das für ein Bild mit dieser hohen Burg da an der Wand hinter Ihnen?” Er war sichtlich überrascht, dass ich mich für seine Bilder interessiere. Während er sich umdrehte und mit einer Hand auf das Bild zeigte und nicht ohne Stolz erklärte, dass das ein Druck eines Gemäldes von Pieter Brueghel sei und den Turmbau zu Babel zeige, verschwand mein sauberes Händchen tief im Glas der goldenen Kügelchen.
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© Story by . Ferdinand
Kommentare (8)
@Roxanna
Ja, liebe Brigitte, wenn man früher mit heute vergleicht!
Das erste Bonbon, das ich als Kind bekam, war selbst hergestellt: Zucker warm gemacht und karamelisiert in ein kleines Zuckerhäufchen hinein getropft. Das war so unvergesslich gut, dass ich es noch heute vor mir sehe.
Damals war ich sieben Jahre alt, erinnert sich
Syrdal
Upps, spielt da etwa eine verborgene Anlage oder kindlich erworbene Fertigkeit zum Trickbetrüger eine Rolle?
...fragt mit einem Schmunzeln
Syrdal
Als Kind konnte ich immer wieder Bonbons bei einem ähnlichen Typ kaufen - und der war es, der die Kinder so oft wie möglich betrogen hatte. Ich war so klein, dass ich mein Kleingeld einfach auf die Theke aus dem Händchen schüttelte, und sagte: Ich möchte die "Iris" für das Ganze. Ich hatte nie viel Geld, wusste aber, dass ich dafür zum Beispiel 10 Stück bekommen müsste. Der Mann tat schnell, als ob er die Münzstücke zählen wurde, dann sofort in die Schublade rein, und er legte auf die Theke - 5 Bonbons... Selbst wenn ich den Mut gehabt hätte, zu protestieren, konnte ich ihm ja nicht beweisen, wie viel Geld es auch gewesen war.
Er lebt längst nicht mehr, ich habe seit der Zeit hunderte Kilos von guten Süßigkeiten genossen - vergessen also. :)
Mit Grüßen
Christine
@Christine62laechel
Das erinnert mich an Storck's 2-Pfennigriesen, die ich mir oft kaufte. Manchmal mit geklauten 10 Pfennig aus Mutters Portemonnaie.
Aber die Frau hinter der Theke war fair.
Heute sind es Werthers echte Sahnekaramellen, von denen ich eigentlich zu viel nasche.
😄
@Muscari
Die mag ich auch gerne, liebe Andrea! :) Und einmal habe ich auch Geld von meiner Mutter so gut wie geklaut (einen Teil vom Rest aus dem Laden behalten), so aber von Gewissensbissen gequält, dass ich es ein zweites Mal nicht mehr getan habe. :)
Nette Geschichte aus der Kinderzeit.
Da sieht man mal wieder, wie raffiniert so ein kleines Wesen bereits sein kann.
Danke, Ferdinand, für diesen Schmunzler.
Mit herzlichem Gruß
Andrea
Wenn man früher und heute vergleicht, dann hat sich doch bei den Naschereien Gravierendes verändert. Heute steht alles in Hülle und Fülle zur Verfügung, damals war es etwas besonderes, wenn man von der Mutter einen winzigen Geldbetrag bekam, um sich etwas zu naschen zu kaufen. Bei mir war es der Milchladen, damals wurde die Milch noch in der Kanne gekauft, wo es viele Gläser und andere Behältnisse mit Süßigkeiten gab. Frau Constanzer, die den Laden betrieb, war eine aufrechte Frau, für 10 Pfennig bekam man auch das entsprechende, einen Mohrenkopf oder Brause oder Lutschbonbon. Bei deiner Geschichte kann man erkennen, lieber Ferdinand, wie schlitzohrig schon Kinder sein können, wenn sie etwas erreichen wollen 😁. Ich hoffe, das hat sich ausgewachsen 😉. Schöne Geschichte, die Kindheitserinnerungen geweckt hat.
Herzlichen Gruß
Brigitte