"Das Schwarzwaldmädel"


Sonja Ziemann, * 08. 02. 1926 - Eichwalde bei Berlin
Sonja Alice Selma Toni Ziemann
ist eine deutsche Schauspielerin, Tänzerin und Sängerin.
(In meinem Aufsatz sind hier einige Bilder von Sonja Ziemann)

Am 20.Februar kam das bestellte Buch an:
Sonja Ziemann „Ein Morgen gibt es immer – Erinnerungen“.
Am 17. hatte ich es gebraucht bei Amazon.de bestellt, jetzt war es da, aber weil die Batterie der Türglocke just zu diesem Zeitpunkt den Geist aufgegeben hatte und „unser“ Postbote nicht seinen Dienst verrichtete, nahm die DHL-Ersatzkraft das schon sehnlichst erwartete Päckchen wieder mit. Erst am 21. durfte ich es bei Schneiders in Empfang nehmen – ich musste ja noch die bestellten Semmeln vor dem Eintreffen der Geburtstagsgäste abholen; weiß ich, wen und was Lisa da alles zu meinem Fünfundsiebzigsten eingeladen hatte.

Zu gerne hätte ich gleich mit dem Lesen begonnen. Ich musste es verschieben. Aber das Buch drapierte ich stolz im Regal, wo sich die Gaben sammeln durften. Warum stolz ?
Das Bayerische Fernsehen strahlte zu Sonja’s Achtzigsten das Glückwunsch-Portrait aus – mein Bettnachbar im Köschinger Krankenhaus gestattete mir den Streifen zu so später Stunde anzusehen, nachdem ich ihm erklärt hatte, dass Sonja – fünf Jahre älter als ich – eben in Eichwalde 1937 in der Schule auf uns aufgepasst hatte, wenn kein Lehrer da war.

Und dann kam der Eichwalder Bahnhof ins Bild, den ich – nun mit der S-Bahn - 2001 geknipst hatte. Wäre ich zu Hause gewesen, hätte ich vor der Sendung einen Mitschnitt auf CD gebrannt.

In mir stieg der Drang auf, schnellstens mit dem Lesen zu beginnen. Endlich um halbzwölf in der Nacht verabschiedeten sich meine (2.) Schwester Eleonore und Schwager Klaus zur Nachtruhe.
Als ich dann das Buch so in der Hand hielt, umgezogen für die Heia, begann ich zu lesen – wie früher, wenn ein spannendes Buch die Pflicht verdrängt, genügend Schlaf für den nächsten Tag zu tanken. Es ist so ungemütlich im Bett zu lesen – ich hielt durch bis halbdrei, fraß mich durch ... eben gerade durch die Eichwalde-Story. Bilder von damals kamen ins Gedächtnis zurück. Ich träumte dann manches.
Ich verfolgte Sonja’s so detailierte Geschichte. Da war doch nicht nur das Aufpassen, als Rektor Froboese, die Lehrer Staerke, Zinngraf, die Fräulein Winzer, Tengler und Radtke noch am Ruder waren – Schwester Barbara hat ein Buch über Eichwalde von 1938, in dem diese Lehrerschaft verzeichnet waren.

Wenn es machbar war, begleiteten wir Sonja „diskret“ von der Schmöckwitzer Straße hinüber zur Schulzendorfer Seite, wenn Sonja zum Ballettunterricht marschierte. Und als wir hörten, dass es die ersten Filme mit Sonja gäbe, pressten wir unsere Nasen an den Bilderkästen beim Kino Fröse in der Kaiser-Wilhelm-Straße (jetzt August-Bebel-Allee) platt. Ins Kino durften wir Knirpse nicht, dafür sahen wir, wie Soldaten von der PK-Kompanie da einfach hineingelassen wurden.

So wie Sonja von ihrem Vater vom Bahnhof abgeholt wurde, haben wir unseren Vater bis zu seiner Einberufung 1940 an der Treppe am Bahnhofseingang mit dem Handwagen abgeholt. Er brachte doch Essenreste von der Küche der „Friedrich Wilhelm“ (Versicherung) in der Behrenstrasse in einem Koffer mit, der zwei Kanister enthielt. Da schwammen oft noch ganze Würste drin, worüber sich unser Hund Pucki immer freute. Auch hier gab es bei Einlauf des Vorortzuges vom Görlitzer Bahnhof unseren Familienpfiff zu hören „Zieht euch warm an!“. Den Pfiff hatten die Eltern sich aus dem Stummfilm-Kino mitgebracht, als sie noch verlobt waren, wir Kinder haben diesen Pfiff übernommen.

Wieder am Eichwalder Bahnhof, an Ultimo wurde ein Abstecher in den rechts befindlichen Kiosk gemacht: Lakritz, Zuckerstangen, Waffeln und Brausepulver. Eben nur an Ultimo.
Und Großvater Max Müller marschierte mit seiner, mit der neuen Pensionszahlung gefüllten Geldbörse zu Bolle-Bimbim in der Bahnhofstraße: Mutter bekam die Rosinen-Schokolade, wir die Sahnebonbons. Und noch etwas brachte der „Chef“ der Markthallen (so nannte man Opa, weil er so ’n Sachverständiger für Pilze, Beeren, Gemüse und Blumen war, im Botanischen Garten war er der „Direktor“): es gab Bückling und Sprotten, ganz frisch von der Küste mit Kühlzügen angebracht. Und wenn ’s gerade Wochenende war, gab es ein ganz tolles Abendessen.

Und noch etwas war so spannend am Bahnhofsausgang: ein kleiner, rollender Zeitungskiosk stand da, Familie Hille hier Zeitungen feil, der junge Hille fuhr in Herrgottsfrühe die Zeitungen aus, pfiff dabei fröhliche Lieder.

A propos Vorortbahn: da hat Sonja schon früh die Umsteigerei kennen gelernt. Alle zwanzig Minuten fuhr der von Königs Wusterhausen kommende Zug, bestehend aus einer Tenderlokomotive T12, einem preussischen Packwagen, einigen 2./3.Klasse–Abteilwagen, paarweise kurzgekuppelt, dazwischen noch ein ehemaliger 4.Klasse-Wagen als Traglasten-Abteil.
In Grünau hieß es sich zu sputen, wollte man die startbereite Stadtbahn noch erreichen, die alle zehn Minuten abfuhr. Nun weiß ich nicht, wie Sonja nach Babelsberg fuhr – umsteigen in Friedrichstraße und runter zur Wannseebahn oder umsteigen zwischen Warschauer Straße und Charlottenburg zur S-Bahn von Erkner nach Potsdam. Jedenfalls war Sonja schon sehr früh und lange mit der S-Bahn unterwegs zu ihrer Arbeit, wo wir noch die Schulbank drückten.

Unsere Mutter hatte nach Einmarsch der Russen oft Gelegenheit (als Flüchtlingsbetreuerin bis zu unserer Flucht), mit Sonja’s Vater zusammen zu treffen. Als wir 1945 schon im Lager waren oder Mutter 1946 ihn noch einmal traf, fragte er Mutter, wie man „rauskäme“.

Die Spuren verwischten sich. Nur einmal hatte ich an Sonja einen Gruß geschrieben, der mit einer Karte beantwortet wurde. Das jetzige „Wiedersehen“ war wunderschön.

Geschrieben: 27.August 2007,
(21.Februar 2007 – mein Geburtstag),
übertragen und erweitert: 21.01.2009 10:00


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