Das Gebet einer Äbtissin

Autor: ehemaliges Mitglied

Gebet einer Äbtissin
Herr Du weißt, daß ich bald alt sein werde.
Bewahre mich davor, schwatzhaft zu werden
und vor der fatalen Gewohnheit
über jedes Thema mitreden zu wollen.
Befreie mich von der Einbildung,
ich müsse anderer Leute Angelegenheiten
in Ordnung bringen.
Bei meinem ungeheuren Schatz an Erfahrung
Und Weisheit ist es ein Jammer, nicht Jedermann
Daran teilnehmen zu lassen.
Aber Du weißt, Herr,
daß ich am Ende ein paar Freunde brauche !
Ich wage nicht, Dich um die Fähigkeit zu bitten,
die Klagen meiner Mitmenschen über ihre Leiden
mit nie versagender Teilnahme anzuhören.
Hilf mir nur, sie mit Geduld zu ertragen,
und versiegle meinen Mund, wenn es sich um
meine eigenen Gebrechen handelt.
Meine Neigung sie aufzuzählen wächst von Tag zu Tag.
Ich will Dich auch nicht um ein besseres Gedächtnis bitten,
nur um etwas mehr Demut, wenn meine Erinnerung nicht
mit der anderer übereinstimmt.
Schenke mir die Einsicht, daß ich mich gelegentlich
irren kann.
Mach mich hilfsbereit aber nicht aufdringlich.
Gewähre mir, daß ich Gutes finde, wo ich es
nicht vermutet habe, und Talente bei Leuten,
denen ich sie nicht zugetraut hätte.
Und schenke mir, Herr, die Liebenswürdigkeit
es ihnen zu sagen.
Radicitus Gesehen in einem Wirtshaus

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Kommentare (6)

Juxman ich kenne das Gedicht unter anderem Titel,Gebet einer Alten. Man kann es auf viele Menschen anwenden und es passt auch hiwer hinein. Juxman
ehemaliges Mitglied Dieses Gebet ist zeitlos. mit einer heutigen Spottdichtung hat es nichts zu tun
Ein modernes Lexikon definiert Satire so:•Satire (lat. satira; von satura lanx: „mit Früchten gefüllte Schale“, im übertragenen Sinne: „bunt gemischtes Allerlei“; früher fälschlich auf Satyr zurückgeführt, daher die ältere Schreibweise Satyra) ist eine Spottdichtung, die mangelhafte Tugend oder gesellschaftliche Missstände anklagt. ...
Das Gebet einer Mystikerin ist zum Mythos von heute geworden; man kann es sich beim Wein-oder Biertrinken zu Gemüte führen !
steve Radicitus: Der von Dir zitierte Text ist das Gebet „O Herr“ der
Teresia von Avila (1515 - 1582), wie es Alwite schon schreibt; es ist heute fast schon Allgemeingut und wird gerne auch auf Geburtstagen vorgetragen. Nur wer das Leben der Theresa von Avila kennt, muss es für befremdlich empfinden, diesen Text unter Satire im Sinne einer Spottdichtung zu bringen.

Steve
ehemaliges Mitglied wird zusammenhängend im Forum ab und zu hingewiesen.
Sie unter Satire als Wirtshausspruch zu bringen, hat was.
Bin erstaunt, daß sie unbekannt sind.

L.G. Alwite
Argapantus
finde ich großartig,wenn man um die alltäglichen Dinge und Gaben im Leben
eines jenen,und um seiner selbst willen,bitten kann.
Obwohl es selbstverständlich sein sollte,diese Talente und Charaktereigenschaften,
auch zu zeigen und zu leben,wenn man sie schon hat.

Ich habe es vorher noch nie gelesen,ich finde es rührend.

Liebe Grüsse
Argapantus
ehemaliges Mitglied ist zum Xten mal eine Widerholung.
Trotzdem DANKE
wir lesen es immer wieder gerne.
Fazit:
Bevor man ins Wirtshaus geht
TS lesen.

Herzlichst
Alwite


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