Blaue Augen
Bodensee DGB-Camp 1967

Sie steht in der Schlange etwas weiter vor mir. Ihre abgeschnittenen Jeans sind an den Beinen ausgefranst. Das kurze Top zeigt die Bräune ihrer Haut. 
Ich war gestern mit der Bahn angekommen, Allensbach am Bodensee, Jugendcamp des DGB.
Schon den letzten Sommer hatte ich hier meine Sommerferien verbracht. Schlafen in Zelten, eigener Badestrand und ein grosses parkähnliches Gelände. 
Sie kam im selben Zug. Ich sah sie am Bahnsteig stehen, Rucksack und ein suchender Blick. Einen Moment zögerte ich, dann ging ich auf sie zu und fragt: „DGB Jugendcamp?“
Überrascht schaute sie mich an. Blaue Augen, Sommersprossen, die Haare zu einem Zopf gebunden. „Jaa?“, zögerlich. 
„Wir müssen ein Stück zu Fuss gehen, es ist nicht weit“ 
„Hey Pit“, eine laute Stimme in meinem Rücken. Ich drehte mich um, ein Schrank von einem Kerl kam auf mich zu, Georg. Wir kannten uns vom vergangenen Jahr. Schulterklopfen und das übliche: „Alter, wie gehts“. Georg schaute zu meiner Begleiterin, deutete die Situation falsch. „Deine Freundin?“ Ich war kurz sprachlos.
 „Never…wo gehts lang?“, kurz und humorlos, fragender Blick aus den blauen Augen. Georg grinste, drehte sich mit einem lauten: „Folgt mir“ um. Das war meine erste Begegnung mit Bea.

Georg und ich konnten ein Doppelzelt belegen, ich mochte die grossen Katen nicht. Wir hatten die halbe Nacht gequatscht, Bier aus Dosen getrunken und beinahe das Frühstück verschlafen. 
Die Schlange vor der Essensausgabe bewegte sich weiter und endlich konnten wir unser Frühstück entgegennehmen. Die Seitenwände des grossen Zeltes waren nach oben geschlagen, es war fast so, als ob man im Freien saß.
Mein Blick suchte Bea. Auf dem Weg vom Bahnhof zum Camp hatte Georg sie nach ihrem Namen gefragt, während ich stumm neben den Beiden herging.
An einem Tisch im Schatten des Zeltes sah ich sie sitzen. Alleine. 
Georg schaute ebenfalls nach einem Platz, ein kurzer Stoß mit dem Ellenbogen und ein Kopfnicken in die Richtung von Bea, schon war er unterwegs. Ich folgte mit kleinem Abstand.
Bea schaute auf, lächelte Georg an. ihr Blick streifte mich kurz um sich dann in das Frühstück zu vertiefen. Kurze Zeit später nahm sie ihr Tablet ging zur Geschirrrückgabe und war weg.

Es war früher Vormittag, Georg hatte sich für einen Ausflug nach Konstanz angemeldet und schon unterwegs. Ich ging zum Strand hinunter, blickte auf den See. Blau, das Wasser glatt, Sonnenstrahlen glitzerten auf der Oberfläche wie auf einem Spiegel. Der Geruch nach Wasser, nur nach Wasser, ohne den Geruch von Chlor wie in dem Freibad meines Heimatdorfes. Draussen die große verankerte Plattform aus Holz und ein Stück weiter die Schwimmballons, die das Ende der Schwimmzone anzeigten. 
Der Strand war menschenleer, offensichtlich nutzten viele Teilnehmer die Fahrt nach Konstanz.
Langsam ging ich ins Wasser, ein paar Schritte, dann, als mir das Wasser bis zu den Hüften ging, hechtete ich nach vorne und schwamm Richtung Ponton.
Davon hatte ich in meinen Erinnerungen an den See geträumt, durch das kühle Nass zu gleiten. Den blauen Himmel über mir und das weit entfernte Ufer der Gegenseite vor mir.
An der Insel angekommen, stellte ich fest, dass die kleine Leiter zum Deck der Plattform fehlte. Nach 2 Versuchen gelang es mir, mich soweit aus dem Wasser zu strecken, dass ich die Holzplanken auf dem Deck erreichen konnte. Ich zog mich nach oben, lies mich auf das Deck fallen und atmete tief durch.
Auf dem Rücken liegend mit geschlossenen Augen genoß ich die wärmenden Strahlen der Sonne, döste vor mich hin
„Hallo?“….eine Stimme vom Wasser. Ich öffnete die Augen und schaute nach der Stimme. „Wie kommt man da hoch?“…Ich stand auf und sah über den Rand der Insel. Zuerst erkannte ich sie nicht, dann sah ich den Zopf und wusste wer da im Wasser war, Bea. „Wie bist du da hochgekommen?“. 
„Normalerweise gibt es eine Leiter“, erwiderte ich „keine Ahnung wo die abgeblieben ist….warte, ich helfe dir“. Ich legte mich auf den Bauch, Bea ergriff meine Hand, ich zog, den Rest erledigt sie selber. Keuchend lag sie neben mir auf dem Planken. 
Wir schwiegen, unauffällig sah ich zu ihr. Sie hatte einen hellblauen Einteiler an, kleine Brüste und einen flachen Bauch. „Was klotzt du?“, ihre Augen offen, sah sie mich an. Mein Gesicht wurde rot, ich konnte die Wärme spüren und schaute weg.
Wieder Stille, draussen im See fuhr eine der großen Fähren lautlos durch das Wasser. Die Stille wurde peinlich und gerade wollte ich aufstehen und zurückschwimmen als sie fragte: „Du warst schon mal hier im Camp?“ Ich zögerte, blieb liegen und schaute sie an. 
Ihr Blick war plötzlich nicht mehr abweisend, nein eher neugierig. „Ja“ sagte ich „vergangenes Jahr“. „Es scheint dir zu gefallen“ war ihre Antwort. „Ja, klar. Da wo ich herkomme, gibt es nur ein Freibad. Der See ist da schon was anderes“.
„In meiner Stadt gibt es auch ein Schwimmbad, ich war aber schon einmal mit meinen Eltern am Meer in Italien. Dies ist mein erster Urlaub alleine. Mein Papa ist in der Gewerkschaft, er hat mir die Anzeige für Allensbach mitgebracht“.
Plötzlich wurde mir bewusst wie nahe wir beieinander lagen. Mit ausgestreckter Hand hätte ich sie berühren können. Meine Arme hinter dem Kopf schaute ich in den blauen Himmel, kein Gedanke mehr an Aufbruch. 
„Woher kommst du?“. „Aus einem kleinen Ort in der Nähe von Karlsruhe“ war meine Antwort. „Und du?“
„Saarbrücken“ 
Wir schwiegen, offensichtlich hatten wir genügend Informationen ausgetauscht und mussten nachdenken. Ich drehte den Kopf und schaute Bea an. Sie lag auf der Seite, unsere Blicke trafen sich. Ich sah in ihre blauen Augen, versuchte den Blick zu halten und verlor. Ich richtete mich auf, schaute Richtung Strand. 
„Willst du zurück“ Stimme von unten. Ich zuckte mit den Schultern und schaute herunter auf Bea. Diese Mal war sie es die verlor. „Schwimmst du mit mir zurück?“ fragte sie. „Klar, gerne“ war meine Antwort. „Lass uns noch etwas bleiben, ab wann gibt es das Mittagessen?“
Ich schaute auf meine Armbanduhr, es war kurz nach 11. „Ab 12 Uhr offiziell, die Ausgabe beginnt aber meist früher. Halbe Stunde können wir noch bleiben“. Ich legte mich wieder hin, dieses Mal etwas näher an Bea die es ohne Kommentar hinnahm. Stille…nach einer Weile:
„Tanzt du gerne?“…. „Ja, klar“ war meine Antwort. „Heute Abend ist Disco im großen Zelt“. Ich brauchte einen Moment um die Einladung zu verstehen. Ich sah sie an: „Wollen wir gemeinsam hingehen?“ Bea drehte den Kopf in meine Richtung, blaue Augen wie ich sie noch nie gesehen hatte: „Ja, sehr gerne“.
Das war der Anfang meiner ersten großen Liebe. 3 Wochen in Allensbach am See die ich nie vergessen habe. 
Wir haben uns danach Briefe geschrieben aber nie wieder gesehen.

 

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Kommentare (7)

Syrdal



Hübsche Geschichte, hübsch erzählt… Die „erste Liebe“ ist zumeist die schönste, auch wenn sie oft „nur“ in der Erinnerung (über)lebt. - Meine hat sich Jahre später dann doch erfüllt und wurde „die schönste“...

...unvergesslich für
Syrdal

Rosi65

Hallo Peter,

Ist es nicht seltsam, dass sich unser Gedächtnis bei schönen Erinnerungen sogar die genauen Wortlaute noch merken kann?
Danke, für Deine nette Erzählung.

Viele Grüße
 Rosi65

JuergenS

Da du ja "BLAUE AUGEN" schreibst, erlaube ich mir ein "Erlebnis" ganz anderer Art hier zu, ja zu verstecken. Es hat sich bei mir, ich habe graublaue Augen, war damals etwa 16, eingebrannt.

In der Klenze-Oberrealschule in München hatten wir einen völlig unsportlich wirkenden Turnlehrer, der uns immer vor dem Turnen in der Halle in einer Reihe aufstellen hiess.

Er hielt da immer eine Vorrede, was mir sehr recht war, ich war, wie in allen Fächern, so auch hier, nur mittelmäßig, das Turnen konnte warten. Einmal in so einer Vorrede, es war ja 1956, kommentierte er die schulischen Leistungen von Schülern. Plötzlich nannte er meinen Namen, was mir eher peinlich war, war alles andere als ein Primus. Aber es kam ihm, der ja in der Kriegszeit bereits lange Jahre Turnunterricht gab, auf ganz was anderes als das übliche an.
Mir stockte zwar nicht der Atem, aber es ist halt eingebrannt:

J, also ich, sei mit meinen blauen Augen und strohblondem Haar genau das was gebraucht würde. Ich sei zwar in einigen Schulfächern noch zu steigern, aber das wäre ja kein Problem.

Gott sei Dank war meinen Schulkameraden diese Lobhudelei gleichgültig. Später war mir bewusst geworden, er mußte ein strammer Nazi gewesen sein. Meine Eltern hatten wegen meines Aussehens keinerlei Getue. Aber ein bisschen schmerzte es mich damals, dass das "Lob" mir nicht nicht die Bohne behilflich war, meine Noten verbessert zu bekommen.

JuergenS

@JuergenS  
ok. deplatziert hier, aber wenigstens ein einziges mal geschrieben hab ich es wenigstens.

ladybird

....wie herrlich...ich hätte mich gerne zu Euch gelegt, aber ich hätte Euch nur gestört..
jedoch gefiel mir die Atmosphäre und das Idyll....meine Jugendliebe hat ein bißchen
"happy end" wir treffen uns nach 62 Jahren regelmäßig am "Kennenlerntag" zum Essen....das wäre wohl nicht so harmonisch heute, wenn wir zusammen geblieben wären....hat auf jeden Fall auch etwas,
lacht mit Gruß und Dank für Deine nette "Erinnerung"
ladybird

Christine62laechel


Wer hat schon so etwas nicht erlebt... Und dann, nach Jahren, ab und zu gedacht: was wäre, wenn man anders gehandelt hätte? Jetzt glaube ich ziemlich fest, dass man in Wirklichkeit keine andere Wahl hatte, als das, was so zwei Leuten auch zukam. Eine schöne Geschichte von dir.
Ich finde es auch beneidenswert, dass es hier in Deutschland für alle Kinder eine Möglichkeit gibt, schon früh Schwimmen zu lernen, und es auch immer wieder aufzubessern.

Mit Grüßen
Christine

Boeuf

@Christine62laechel  
Hallo Christina
Ich gebe dir recht, wir treffen im Laufe unseres Lebens immer wieder Entscheidungen die in der Summe unsere persönliche Geschichte schreiben. So gesehen, ist unser Leben vorbestimmt durch unser eigenes Handeln.
Liebe Grüße
Peter


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