Biographische Zeit- und Personenbilder 1915 – 1981 Kapitel 9


Die Geschichte von Robert Loewy


Zu unserem Bekanntenkreis (meines Elternhauses) hatten Leute gezählt, die voll Hochachtung von solchen Juden wie dem Fabrikanten Schwabe in unseren kleinen Landstädtchen Varel sprachen. Dieser war Kameradschaftsfüher der ehemaligen Dragoner und in seiner Stadt caritativ sehr rührig. Seine Tochter war befreundet mit Töchtern des alt-eingesessenen Bauernadels und machte die Reitschule in Jaderberg mit.

Selbst ganz großer Hofbesitzer und bewundert wurde Samuel de Taube von Horster Grashaus, der nebenbei ein Zuchtviehgeschäft auf internationaler Basis betrieb. Diese „Großen“, angefangen mit Herrn Körbchen aus Köln, und dann auch noch Erich Koch-Weser, der mal bei uns kam, haben meinen Vater immer sehr beeindruckt, weil sie einen hohen Grad von geistiger und körperlicher Gesundheit besassen, worin so manche alte Familie des Landes ins Defizit geraten war, sich aber um so mehr „deutsch“ gebärdete. Mein Vater hatte so eine Art, uns Kinder den Unterschied merken zu lassen und sah darin gewiss eine Erziehungsaufgabe. Aber auch an den „Kleinen“, wo es neben Edmund Rosenberg noch den Robert Loewy gab, fand mein Vater viel Gefallen. Loewy hatte einen Laden, einen besseren sozusagen, mit Herrenausstattung. Vaters Weg in das Geschäft ging um mehr als um einen Hut oder eine Krawatte. Sie waren beide Demokraten der Theodor Tantzen – Erich Koch (Weser) -Partei.

In diesem Laden von Robert Loewy in der Stadt Nordenham, wo ich die letzten Schuljahre absolvierte, kauften wir unsere bunten Schülermützen. Jeden Ostern eine Neue mit den für jede Klasse eigenen Farben. Sehr schön war das und ein Zeichen des Versetzt-worden-seins! Meine schon oben erwähnten vertrottelten Mitschüler der oberen Klassen, genannt Hinnerk und der liebe Walter (1927 / 28 kann es nur gewesen sein), waren bei aller Schulintelligenz gegen den Mützen-Einkauf bei dem Juden Loewy. Und da es keine anderen Läden für Schülermützen gab, besorgten sich die beiden getragenen Mützen und liessen sie beim Schneider reinigen und aufarbeiten. Heute sehe ich sie, den einen in Oldenburg und den anderen in Nordenham, mit einer Baskenmütze, weshalb ich an die alte Geschichte dann immer denken muss. Ihr hehres Haupt unter dem schwarzen Tuch steckt voller tiefer Gedanken, daran zweifle ich nicht. Wenn man aber unseren ollen Hinnerk und dem lieben Walter ( „lieb“, weil er mal so verzogen wurde und den höchsten Monatswechsel unter uns Studenten hatte), die aber beide sich auf Schul- oder Abiturjubiläen nicht sehen lassen (mögen?), etwas Positives nachsagen kann, soll man das bei so armen Teufeln gerne tun. Sie waren als Referendare i.R. gute Baby – Sitter, d.h. gerade nicht für die Kleinsten, sondern für die schon etwas Vernünftigeren. Und auch bei guten Familien, der eine in Oldenburg in einem Pastorenhaus, der andere in Nordenham im Hause eines Musikdirektors.

Um auf Robert Loewy zurückzukommen, so ging er früh genug nach Amerika und konnte sein Geschäft noch gut und normal verkaufen. Was ist das schon Besonderes, so ein bischen Voraussicht und Glück, kurz vor 1932, dem Jahr des Kapitalfluchtgesetzes, demzufolge die meisten Emigranten ihren Verkaufserlös nicht mit hinausnehmen konnten, wenn die allgemeine Meinung auch anders ist und man von einem „Zweimal-verkauft“-haben spricht. Hier nun, was an Robert Loewy besonders erzählenswert ist: Der Käufer des Geschäftes war Heinerle Schmidt gewesen, Klassenkamerad von dem lieben Walter. Er ging früher von der Schule ab, zur Textilbranche in die Lehre. Sein gutbetuchter Vater, der Hauptmann Schmidt, tätigte den Kauf des Löwy’schen Geschäftes für seinen Heinerle. Seinen zweiten Sohn ließ er Medizin studieren. Sie waren zwei gutmütige und allgemein beliebte Jungens, von denen Heinerle wegen seines Aussehens (nordischer Typ) in die Fänge der SS geriet. Heinerle zeigte aber wenig Eifer und wurde einfacher Soldat. In Afrika kam er in die amerikanische Gefangenschaft, 1943 schon. Dort wurde man natürlich von deutsch-sprachigen Juden, die in der US-Army Dienst taten, gehörig ins Verhör genommen. Heinerle hatte man bald als ehemaligen Angehörigen einer SS-Formation festgenagelt. Dabei hatte er mehr treudoof als ängstlich, glaube ich, erzählt, dass er sein Geschäft daheim von einem Robert Loewy erworben habe. Jetzt sei ihnen ein dicker Fisch ins Netz gegangen, meinten die Herren Sergeanten und Offiziere. Die teils frohlockende, teils drohende Haltung seiner Aufseher bewog Heinerle Schmidt, zu beteuern, er habe das Geschäft von Robert Loewy gut und rechtmässig bezahlt. Von der Seite gesehen, habe Loewy befriedigt auswandern können, in die USA. Sie könnten ja anfragen, Robert Loewy sei in St. Louise, wo er Verwandte gehabt habe und von wo er auch geschrieben habe. Die genaue Adresse habe er nicht mehr im Kopf.

Die Sonderkommission beim Provost Marshall in Washington für Aufdeckung von Nazi-Verbrechen unter Kriegsgefangenen hat tatsächlich nachgeforscht. Sie fand Robert Loewy in St. Louise, der alles, was Heinerle Schmidt gesagt hatte, bestätigte und ihm zudem menschlich ein hervorragendes Zeugnis ausstellte. So brachte Heinerle Schmidt im Gefangenenlager eine viel angenehmere Zeit hinter sich, trotz SS-Mann, als ich Anti-Nazi im POW-Lager, dem man nicht so ohne weiteres, aus Sicherheitsgrundsätzen wohl, Glauben schenkte. Hauptsache: Heinerle, wieder daheim und 1945 allen vorweg schon, konnte erzählen und sich als kuriert erweisen. Da muss ich zwei Leute und gute Bekannte nennen, die auch dies Lob, geheilt zu sein, verdienen, umsomehr, als sie auf Adolf-Hitler-Schulen gewesen waren.

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