Biographische Zeit- und Personenbilder 1915 – 1981 Kapitel 8


Karl Jaspers und andere Oldenburger


Wenn ich mich auf Oldenburg und seine Juden beschränken will, schliesst das nicht aus, dass ich auf Paris zu sprechen kommen muss. Dort besuchte ich mal eine gebürtige Oldenburgerin, Frau Elise Pundt-Christians, die den Frankfurter Max Bamberger geheiratet hatte, der im Kriege in einem Nazi-Arbeitslager in Frankreich verstorben war.

Dieses war eine Tragödie besonderen Ausmaßes und danach wie ein Roman, in dem ich auch eine Rolle zu spielen hatte, wie nämlich der kostbare Max-Bamberger-Nachlass trotz alledem nach Oldenburg gelangte und hier in zwei Museen untergebracht wurde, anstatt in die Pariser Rothschildt-Stiftung einzugehen, mit denen die Bambergers verwandt waren. Auch Karl Jaspers war anfangs mit im Spiel gewesen, indem er für die Veröffentlichung des „Tagebuches einer deutschen Frau in Paris 1940 – 44“ Sorge getragen hatte. Karl Jaspers, der etliche Jahrzehnte in Heidelberg und Basel lehrte, wurde nicht zuletzt ein grosser ‚Oldenburger“ Philosoph, weil er mit der „Flamme“ verheiratet war, wie seine jüdische Frau Gertrud geb. Meyer aus Berlin in der Oldenburger Jaspers/Dugend und Tantzen-Verwandtschaft gemannt wurde. Dafür geben die Nekrologe auf Karl und Gertrud Jaspers eine Bestätigung.

Erster Mann hier am Ort, den Antisemitismus wissenschaftlich zu untersuchen, ihn anzuklagen und völlig für absurd zu erklären, war nach dem Krieg ein Professor an der Pädagogischen Hochschule, Hans Jochen Gamm, der eigentlich von der Theologie und von den Studien über die Bibel herkam. Sein frühes Werk heisst: „Pädagogische Studien zum Problem der Judenfeindschaft. Ein Beitrag zur Vorurteilsforschung 1966.“

Heute „Carl-von-Ossietzky-Universität“, ist die pädagogische Hochschule, dessen Dozent fürs Niederdeutsche über lange Jahre Heinrich Diers war, aus dem Oldenburger Seminar1 hervorgegangen.
( 1) Die Geschichte des Lehrerseminars hat wiederum unser schon ein paar Mal genannter Dr. jur. Steinhoff geschrieben. Was der alles macht, kann und weiss!)

Das ist hier erwähnenswert, weil diesem Institut der Volksschullehrerbildung der Verleger Peter Suhrkamp entsprungen ist. Dies Oldenburger Landkind hat es dann aus eigener Kraft weiter gschafft, bis der Verleger Samül Fischer ihn zum Nachfolger erkor. Die KZ-Haft hat Suhrkamp mit knapper Not überstanden und brachte es als Verleger zu Weltruhm, ganz in der Tradition Samuel Fischers verbleibend. Tradition für Oldenburg scheint auch geworden zu sein, was oben genannter und nach Darmstadt versetzter Prof. Gamm begann. In einer Kontinuität der Forschung kam jetzt das Heft „Vorurteil“ von dem Bibliotheks- und Informationssystem der Universität Oldenburg heraus, eine Auswahlbibliographie von selbstständig erschienen Schriften und Beiträgen in Zeitschriften und Sammelwerken aus dem Zeitraum 1963 – 1980 (in 458 Nummern, davon 222 allgemein psychologisch und 48 den Antisemitismus betreffend).

In einer Aufzählung so etlicher positiver Dinge im Nachkriegs-Oldenburg muss auch die grosse Aktivität der „Gesellschaft für Christlich-jüdische Zusammenarbeit“ genannt werden. Seit nunmehr 25 Jahren hat sie Hunderte von Vorträgen veranstaltet. Die Geschäftsführung lag immer in den Händen von Carl Gustav Friedrichsen, und der heutige Vorsitzende, Dr. Enno Meyer, hat ganz selbstständig neben seiner beruflichen Tätigkeit als Oberstudienrat alle Oldenburger Judenschicksale erforscht. Ausserdem ist er seit vielen Jahren Mitglied der deutsch-polnischen Schulbuchkommission.

Dr. Enno Meyer, der sich seit 3 Jahren im Ruhestand befindet, bekam kürzlich das Niedersächsische Verdienstkreuz verliehen. Wenn auch auf Antrag rechtsorientierter Leute, unterstütze ich das mit Angaben zur Sache, politisch steht Dr. Meyer wohl in der Mitte und ist alter Burschenschaftler. Diese Kollegen haben jetzt ganz schön was an seinen Fremd-Freunschaften zu schlucken, aber er ist ein Mann ohne Furcht und Tadel. Was er in Polen erlebt habe, sei der Antrieb gewesen, seinen ihm möglichen Teil an der Wiedergutmachung für die am meisten geschlagenen Völker der Juden und der Polen beizutragen, soll er bei der Verleihung des Verdienstkreuzes gesagt haben. Wenn ich gefragt würde, was mich bewogen hätte, die Juden und die Polen in Schutz zu nehmen, so müsste ich zusätzlich auf meine höchst positiven Erlebnisse mit Juden auch ausserhalb Oldenburgs zurückgreifen, was ich hier aber ja ausschliessen wollte. Wenigstens solange es geht, denn wenn es weiter greift, so ist es immer noch die Geschichte von meinen Polaks und die Folgen. Ein kleines versuchtes und ganz offenes Engagement in dieser Sache, als die Polaks noch lebten, wenn auch vertrieben, ist vielleicht doch darin zu sehen, dass ich eine sehr frühe kleine und erarbeitete wissenschaftliche Aufstellung über den „Beitrag der Juden an der Deutschen Kultur“ einer Nordenhamer Zeitung anbot. Der Redakteur Wilken gab mir das mit einer ernsten Verwarnung zurück. Mein Vater hatte für meine Illusion, „dass es doch die reine Wahrheit sei, die gesagt werden könne“, ein resignierendes wehmütiges Lächeln, obgleich es ihn mitunter hinriss, zu sagen, er würde auch nochmal gegen diese Nazi-Pest auf die Barrikaden gehen. So denke ich, zumindest will mir scheinen, dass alles Millieu und Erziehung ist. Wer im Elternhaus nur Abfälliges über Juden zu hören bekam, ist meist für sein Leben geschädigt und mit stetem Misstraun behaftet. Eine gewisse Pietät zum Vater, er möge so primitiv nicht gewesen sein und möge doch so unrecht nicht gehabt haben, lässt ihn das Böse im Juden suchen und zu leicht alles Glauben, was eine gewisse Literatur den Juden unterstellt.

Heute sehe ich in solchen Unterstellungen ein gutes Teil Projektion von sich auf andere, während ich bei meinem aus der Jugendzeit nicht weiter gekommen war, als dass es unrecht und unlogisch sei, Missetaten Einzelner, die es in allen Gruppen gebe, im Falle der Juden auf die Gesamtheit zu verallgemeinern.

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