Biographische Zeit- und Personenbilder 1915 – 1981 Kapitel 6
Nazis
Andere Freunde und Bekannte meiner Schulzeit und nachher, die spät zur „Bewegung“ gestossen sind, wurden dank ihrer Führungsbegabungen von der Partei hochgetragen. Sie leben auch noch, und zwar sehr gut. Einige sind ungefähr oder gar über 90 Jahre alt, zweimal mir bekannte Dr. Phil. Und Super-Nazis noch heute, und einmal ein Ministerpräsident aus den 12 unrühmlichen Jahren. Relativ am besten davongekommen ist ein Lehrer und Kreisleiter der NSDAP. In einem großen Prozess war ihm die Brandstiftung an der Synagoge nicht nachzuweisen, weil er sich ja nur 200 Meter entfernt in einer Gaststätte aufgehalten habe. Sein Verteidiger, Dr. Fritz Koch, auch mal Bürgermeister nach dem Kriege, jonglierte den Prozess nach Münster hinüber, und dort wuchs umso schneller Gras darüber.
Dieser ehemalige Kreisleiter bekam eine lang zurückgehaltene Pension nachgezahlt, fährt für seinen Spirituosenhandel einen Mercedes 300 und hat ein Wochenendhaus in der Heide, besteht aber darauf, solange Willy Brandt und Wehner praktisch an der Macht wären, könne Deutschland nicht genesen.
Das Problem von Schuld und Sühne am Falle der Nazi-Missetat an der Oldenburger Synagoge, an der erwiesenermaßen auch der Schwiegersohn des Grossherzogs, Obersturmbannführer v. Hedemann beteiligt war, ist von dem niederdeutschen Schriftsteller Hein Bredendiek dichterisch angegangen worden, denn wie wir eben sahen, die Wirklichkeit liefert keine befriedigende Antworten. Das hat nun Bredendiek in subtiler Weise bedacht, indem er über einen nur am Rande etwas Beteiligten das Strafgericht ergehen lässt.
Ein Bauunternehmer also, so geht die Geschichte, reisst sich die Trümmersteine der Synagoge, auf die offiziell noch nicht die Hand gelegt worden war, unter den Nagel, d.h. er fährt die Steine ab und erweitert damit die Anbauten seines Baugeschäftes. Da fällt ihm ein Balken, der auf die soeben hochgezogene Mauer gelegt wurde, durch Unvorsichtigkeit der Bauhandwerker auf den Kopf, und er ist tot. Die Geschichte ist als Rahmenerzählung konzipiert, so auch noch gegenwartsbezogen und nochmals nicht ohne Drama. Da steht also der Sohn des tödlich getroffenen Unternehmers dreissig Jahre später aus Anlass der Stiftung eines Gedenksteines für die Synagoge im Selbstgespräch vor einer ihn würgenden Gewissensfrage, ob seine Spende für das Denkmal auch wohl hoch genug sei und ob er überhaupt zur Feier der Enthüllung des Gedenksteines gehen könne.
Der Dr. agr. Dietrich Ö., mein Waldnachbar im Ammerland, dessen Nazifreunde mich da hatten weg haben wollen, ist vor 10 Jahren überraschend verstorben. Er hatte lediglich einen Anfall von Übelkeit nach einer harmlosen Herrenpartie in seinem Hause. Ruhmlos war sein Ende, wie es üblicherweise den Gutsbesitzern einer Landschaft nicht zu widerfahren pflegt. Sein schönes Gut mit 200 ha Wald und vorzüglichen Eschböden ist fast gänzlich von ihm verwirtschaftet worden. Einen Teil, 50 ha, hat der heutige Landwirtschaftsminister den hoch verschuldeten Erben abgekauft und wieder in Ordnung bringen lassen. Andere Teile haben das Staatsforstamt und eine grosse Baumschule und 16 ha hat der tüchtigste Bauer in der ganzen Gegend gekauft. Die zwei Söhne, die gutartig, fleissig und reel Baumschule gelernt haben, konnten die Pleite nicht aufhalten.
Moralisch war doch etwas sehr Wesentliches faul gewesen und zog den wirtschaftlichen Zusammenbruch nach sich. Hier eine Frage: Ist es noch legitim, sich über Dr. Ö. so zu verbreiten? Jedenfalls habe ich ihn und sein Milieu immer als Kontrastphänomen zu meinen Polaks aus Westerstede gesehen. Und das Verständnis der Zeit ist von der Kenntnis der damaligen Macht- und Ohnmachtverhältnisse nicht zu trennen. Es ist ein Beispiel, über das ich nun mal gut unterrichtet bin. Zudem waren wir Altersgenossen, incl. den Polaks also.
Vor seinen Arbeitern und Pächtern spielte Dr. Ö. den Patriarchen und Wohltäter, was ihm treue Anhänger einbrachte, aber auch viel Geld kostete. Er setzte jährlich 70.000,-- DM zu. Dr. Ö. war NPD-Mann, mit welchen Spenden für diese Neo-Nazi-Partei, weiss man nicht.
Ö. und sein Bruder, ein komischer Jurist, heisst es, waren dem Bortfeld’schen Real-Gymnasium entsprungen. Seinem einst gerühmten, von Juden freien Nordeseebad Borkum ist er sein Leben lang treu geblieben.
Was Spitzfindigkeit anbetrifft, konnte Ö. sogar Juden übertreffen. Mit seinem akademischen Titel unter Verkaufsanzeigen für Steckrüben, Pflanzen, Weihnachtsbäume und Zuchtbullen erzielte er einen stolz geforderten Überpreis. Sein Briefkopf zog auch: so und so der Name, Gut H., Landwirtschaft seit 1495.
Einmal im Jahr auf dem dörflichen Schützenfest trug auch Ö. die Vereinsuniform. Im Grunde verfügte er über eine ganze Portion Volkstümlichkeit. Er duzte sich nach Ammerländer Art mit allen Dorfbewohnern. Abends beim Schützenball war er leicht angesäuselt und tanzte nur und immerfort mit dem schönsten jungen Mädchen. Es wurde direkt peinlich. Wenn er das endlich gemerkt hatte, liess er sich volllaufen, wurde dann als vollendete Bierleiche abgeschleppt und mit Hilfe der Nachbarn ins Bett gebracht. Die Ehefrau schaffte es alleine nicht, wenn es auch eine sehr bequeme Treppe zu den Schlafgemächern im oberen Trakt des Herrenhauses war. Das wiederholte sich Jahr für Jahr in gleicher Weise, so konservativ war man dort. Ö.’s Hauptleidenschaft war das Lotto-Spiel, angeblich hatte er sich wissenschaftlich Gewinnchancen ausgetüftelt. Ein zweites Interesse galt der Flur- und Ortsnamenforschung. Die hatte System und zeitigte gute Resultate, die er veröffentlichte. So kamen wir als Nachbarn mit gewisser Distanz doch irgendwie zusammen. Das ist ein Hobby, das verbindet.
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