Biographische Zeit- und Personenbilder 1915 – 1981 Kapitel 11
Peter de Mendelssohn zu Besuch in Oldenburg
Ganz ähnlich zu Oldenburgs Lob und Preis kann man die Geschichte von dem Besuch Peter de Mendelssohn’s erzählen. Bei Gelegenheit seiner Teilnahme an einer Pen-Tagung in Bremen stattete Peter de Mendelssohn den Oldenburgern einen Besuch ab. Äußerlich gesehen sollte es ein literarisches Unternehmen sein, eine Lesung im „Kunstverein“ über Thomas Mann’s Tagebücher, an deren Herausgabe Mendelssohn ja arbeitet, wie jeder weiss. Hinter die Kulissen geschaut, waren für sein Erscheinen in Oldenburg andere Motive im Spiel. Drei Kontakte hatte es per Korrespondenz zwischen Oldenburg und München gegeben. Erstens hatte sich ein Kunstvereinsmitglied bemüht, eine in den Tagebüchern nicht namentlich genannte Oldenburgerin auszumachen. Zweitens hatte der Oldenburger Bankdirektor Georg Potempa, als Thomas-Mann-Sammler großer Klasse, per Korrespondenz eine Verbindung zu Peter de Mendelssohn, und drittens hatte der Oldenburger Oberarchivrat Dr. Harald Schieckel von sich aus Nachforschungen über die Mendelssohn-Vorfahren in Jever und Oldenburg angestellt.
Aus all diesen Gründen bekam de Mendelssohn, wie man so sagt, einen „großen Bahnhof“, Sonntag früh abgeholt von Dr. Ahlhorn vom „Kunstverein“. Sonntagnachmittag Besuch bei Georg Potempa, was den Gast in höchstes Erstaunen ob der reichen Sammlung von Erstausgaben, Briefen usw. versetzte. Auch waren sich beide Herren in ihrer Interpretation schwieriger Passagen in den Tagebüchern einig gewesen, wie ich später erfuhr.
Abends: Fidelio-Aufführung im Staatstheater, wo der Generalintendant Harry Niemann dem hohen Gast zu Ehren in kleinem Kreise einen Empfang gab. Montagfrüh: mit dem Wagen des Kunstvereinsvorsitzenden Dr. Dr. Ummo Francksen, über Neustadt-Gödens, einer ehemaligen Judensiedlung in der Nähe des imposanten Friesischen Wasserschlosses weiter nach Jever, wo der Bürgermeister Ommo Ommen bereit stand, den Gast zu zwei einst Mendelssohnschen Wohnhäusern, dem Jaspers-Haus und zu dem jüdischen Friedhof zu führen. Dann Besuch des Schlossmuseums und anschliessend grosses Essen im Hof von Oldenburg zu Jever.
Nachmittags um drei Uhr: Empfang im Oldenburger Rathaus mit Oberbürgermeister Fleischer, Oberstadtdirektor Wandscher und Kulturreferent Dr. Ekkart Seeber. Dabei kleiner Vortrag von Dr. Schieckel über die Reihe der Vorfahren Mendelssohn’s in Jever und Oldenburg. Um 18 Uhr kurze Entgegennahme von Kopien, die ich schnell von einigen Seiten der Gymnasium-Jahresberichte von 1850 – 1880 gemacht hatte. Neben der alljährlichen Nennung von Salomon Mendelssohn als Turnlehrer im Kollegium fand sich 1870 das Abitur des Ludwig Mendelssohn erwähnt und dass „er nach Göttingen gehe“. Dieser wurde später Professor für Römische Geschichte an der Universität Dorpat und geadelt. Vor allem gefiel offensichtlich dem Enkel und für den Augenblick mein Gegenüber, dass sein Grossvater die Abiturrede, in Latein natürlich, über den Peleponesischen Krieg gehalten hatte. Er sagte es nicht, aber er wird dabei an Arkadien gedacht haben, das er vom Peleponnes nach seinem Internatsplatz bei Dresden übertragen hatte, in einer Erzählung „Schmerzliches Arkadien“, die er als 26jähriger schrieb. Das war im Hotel gewesen, wo ich ihn aufgesucht hatte und er mich ohne Umstände, also trotz meines Unbekanntseins und meiner Nichtanmeldung, empfing.
Um 20 Uhr dann im gut besuchten Ausstellungsraum des kleinen Augusteums der Vortrag über „Dichtung und Wahrheit in Thomas Mann’s Tagebüchern“ hinsichtlich der Verwertung der erhaltenen Tagebücher 1917 – 21 für seinen Doktor Faustus.
Peter de Mendelssohn schloss mit einer extra von ihm erbetenen kleinen Lesung eines Aufsatzes über seine Freundschaft mit Klaus Mann, die 20 Minuten dauerte. Das hätte aber fehlen können, meinten nachher einige Hörer, denen die Rolle Klaus Mann’s vor dem Kriege bekannt war. Sie hätten lieber etwas über Golo Mann gehört, von dem als noch Überlebender der Familie Mann der Auftrag an Peter de Mendelssohn im Grunde ja gekommen ist. Den könne man leider schwer bekommen, erklärte mir der Vorsitzende Dr. Francksen. Was die Qualität angeht, die zwei Brüder einmal miteinander verglichen, so muss man sagen: in Wahrheit wusste allein Klaus, lange vor seinem Vater sogar, „wieviel es in Deutschland geschlagen hatte und dass mit den Mächten, die da heraufkamen, nicht zu paktieren war“ (Hilde Spiel). Klaus Mann hatte den „anti-deutschen“ Querido-Verlag in Amsterdam gegründet, von dem sogar Vater Thomas sich zurückhielt.
Peter de Mendelssohn lieferte den Oldenburgern also eine harte Nuss mit seinem Bekenntnis zu Klaus Mann, seiner Loyalität zu dem Freunde. Das Knacken der Nuss oder zumindest eine Orientierung besorgte ungerufen zu ungefähr den gleichen Tagen Hilde Spiel in der FAZ. Sie stellte etwas klar, und zwar mit Hilfe von Worten Klaus Mann’s im Kommentar zu den „Buddenbrocks“ für den amerikanischen Leser. „Aus der decadence des Patriziergeschlechtes wird der Künstler geboren. Freilich: ihm bleibt ein Heimweh nach allen Wonnen der Gewöhnlichkeit, nach der beruhigenden Solidität des Bürgertums zurück.“ Hilde Spiel, übrigens mit Mendelssohn verheiratet, fährt in diesem Aufsatz „Der tragische Europäer“ am 7. Oktober fort und wird für die Mitglieder des Kunstvereins noch zu einem Lehrstück geworden sein, hoffe ich: „Die Antithese Bürger – Künstler polarisiert sich in den beiden älteren Söhnen von Thomas Mann am deutlichsten, indem nämlich der eine, haltlos, ratlos, fiebrig, morbid, in die Seelenhaltung und Lebensform des Künstlers a l’outrance getrieben worden war, während die Seelenhaltung des anderen (des Golo also) ein Heimweh nach den Wonnen der Gewöhnlichkeit bis in den Dunstkreis des Bürgers Strauss hatte geraten lassen.“
Es waren zufällig die Tage der Wahl am 5. Oktober gewesen, und dem Kunstverein hätte es nach seiner Begegnung mit Peter de Mendelssohn (man bedenke, wie man ihn feierte) zur Zufriedenheit gereichen müssen, dass Strauss von vielen CDU-Leuten, die den grössten Teil des Oldenburger Bildungsbürgertums ausmachen, die Stimme nicht bekommen hatte.
Allein, so gut das alles war, musste ich nachher doch die kleine Enttäuschung einstecken, dass ich auf eine Zuschrift an Peter de Mendelssohn keine Antwort erhielt. Zu gerne hätte ich meiner Geschichte, so gewissermassen von den Polaks bis zu Peter de Mendelssohn, angefügt, was er von seinem Besuch in Oldenburg selber sagen würde, und zu gerne gesehen, dass für ihn noch mehr an Eindrucksvollem gewesen wäre. Vielleicht! Sollte er selbst nicht auch ein Tagebuch führen und mir schon was über die 3 Tage in Oldenburg verraten können?
Eine Nicht-Beantwortung seitens Peter de Mendelssohns hatte aber letzthin wiederum ihr Gutes, dass ich die Geschichte meiner „Oldenburger Begegnungen von den Polaks bis zu Peter de Mendelssohn“, wie ich das nennen wollte, nicht nur mit einem Nachtrag abrunde, sondern auch neu schreibe, mit dem Ziel, den Stil zu verbessern. Wer täglich, wie Peter de Mendelssohn, mit Thomas Mann zu tun hat, wird nur noch lesen können, an dem wenigstens die Bemühung erkennbar ist, es besser zu machen als beim ersten und sehr impulsiven Anlauf zu geschehen pflegt. Thomas Mann soll meistens nur eine Seite am Tag vollbracht haben. Bisher lag mir alles Gewicht bei dem „Was“ und jetzt also ein wenig mehr bei dem „Wie“, genau wie in der Malkunst zum Beispiel, nicht was dargestellt, sondern wie es gemalt ist, entscheidend ist. So ist das Hauptstück der Geschichte meiner Polaks aus Westerstede und was alles aus dieser beinahe zufälligen Begegnung in früheren Schülertagen entsprang, in Wahrheit eine Neuschrift, eine leicht verbesserte.
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