Zu einem Werk von Herta Müller, der Nobelpreisträgerin des Jahres 2009
Ich habe mich im Jahre 1986 – nach der Veröffentlichung des Erzählbandes „Der Mensch ist ein großer Fasan auf der Welt“ - mit der Absicht befasst, diese Erzählungen ins Niederländische übersetzen.
Bei einem Besuch bei einem Buchhändler in den Niederlanden erfuhr ich, dass bereits in Breda, bei der Uitgeverij de Geus, diese Absicht verwirklicht wurde und die Übersetzung 1988 erscheinen sollte.
Da habe ich auf ein eigenes Übersetzungsvorhaben verzichtet.
Ich stelle hier zum Vergleich die Einleitung der ersten Erzählung dieses Titels vor:
Aus Herta Müllers Veröffentlichung:
Der Mensch ist ein großer Fasan auf der Welt.
Erzählungen. Erstausgabe im Rotbuch Verlag, Berlin 1986.
Zum Inhalt der Erzählung "Die tiefe Stelle":
Im "kommunistischen" Rumänien des Diktators Ceausescu, in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts, wartet die deutschstämmige Familie Windisch auf die Ausreisegenehmigung in den Westen.
Während immer mehr Menschen der rumänien-deutschen Nachbarn das Dorf verlassen, muss die Familie weiter warten - das Leben verödet, alles Menschliche scheint stillzustehen.
Erst als sich die Tochter Amalie für die Ausreisegenehmigung in ihrer und ihrer Familie Notverkauft, bekommt die Familie die ersehnten Papiere.
»Wer so zu formulieren versteht, versteht nicht nur viel von Literatur, der ist wohl, wie man einst sagte: ein Dichter.«
(Frankfurter Allgemeine Zeitung“ zur Taschenbuchausgabe )
Das Buch hat ein Motto von Ingeborg Bachmann:
„Die Lidspalte zwischen Ost und West zeigt das Augenweiß. Die Pupille ist nicht zu sehen.“
Meine Interpretation des Zitats:
Dieses Zitat weist in der Aussage darauf hin, dass die Menschen in Ost und/oder West sich zwar nahe sind, weil sie sich in die Augen sehen können, aber ohne wirkliche Nähe, ohne menschlichen Kontakt. Sie befinden sich in einer Art Nichterkennen als optischem Dämmerzustand, einer eigenartigen Blindheit, denn das eigentliche Sehorgan fehlt: die Pupille, die normalerweise die äußeren Eindrücke aufnimmt, damit sie innerlich, kognitiv verarbeitet werden können und dass man darauf reagieren kann.
Ich biete hier zum Vergleich die Einleitung der ersten Erzählung aus dem Band "Der Mensch ist ein großer Fasan":
DIE TIEFE STELLE
Um das Kriegerdenkmal stehn Rosen. Sie sind ein Gestrüpp. So verwachsen, daß sie das Gras ersticken. Sie blühn weiß, klein zusammengerollt wie Papier. Sie rascheln. Es dämmert. Bald ist es Tag.
Windisch zählt jeden Morgen, wenn er ganz allein über die Straße in die Mühle fährt, den Tag. Vor dem Kriegerdenkmal zählt er die Jahre. Am ersten Pappelbaum dahinter, wo das Fahrrad immer in dieselbe tiefe Stelle fährt, zählt er die Tage. Und abends, wenn Windisch die Mühle zusperrt, zählt er die Jahre und Tage noch einmal.
Von weitem sieht er die kleinen weißen Rosen, das Kriegerdenkmal und den Pappelbaum. Und wenn Nebel ist, ist das Weiße der Rosen und das Weiße des Steins beim Fahren dicht vor ihm. Windisch fährt hindurch. Windisch hat ein feuchtes Gesicht und fährt, bis er dort ist. Zweimal hat das Rosengestrüpp kahle Dornen gehabt und das Unkraut darunter war rostig. Zweimal war die Pappel so kahl, daß ihr Holz fast zerbrochen war. Zweimal war Schnee auf den Wegen.
Windisch zählt zwei Jahre vor dem Kriegerdenkmal und zweihunderteinundzwanzig Tage in der tiefen Stelle vor der Pappel.
Jeden Tag, wenn Windisch von der tiefen Stelle gerüttelt wird, denkt er: »Das Ende ist da.« Seit Windisch auswandern will, sieht er überall im Dorf das Ende. Und die stehende Zeit, für die, die bleiben wollen. Und daß der Nachtwächter dableibt, sieht Windisch, über das Ende hinaus. (…)
*
© für diese Ausgabe: Rotfuchs Verlag 1989
© 1986 Rotbuch Verlag. Berlin
**
Zur niederländischen Ausgabe:
Herta Müller:
„De mens is een grote fazant."
Een vertelling.
Vorbemerkung der niederländischen Ausgabe, die ins Niederländisch übersetzt wurde von José Bruurmijn:
Eine Vorbemerkung für niederländische Leser sollte die Metaphorik des Titels erklären:
„De titel ‚DE MEMS is EEN GROTE FAZANT’ is een Roe-meense uitdrukking en betekent dat de mens eigenlijk altijd en overal de grote verliezer is.
Das Motto von Ingeborg Bachmann wurde so übersetzt:
„De oogspleet tussen oost en west laat het oogwit zien. De pupil ist niet zichtbaar.“
Herta Müller:
De kuil
Rondom het oorlogsmonument staan rozen. Ze vor-men een struikgewas. Zo vergroeid dat ze het gras verstikken. Ze hebben witte bloemblaadjes, fijn opgerold als papier. Ze ritselen. Het schemert. De dag breekt aan.
Windisch telt elke ochtend, als hij helemaal alleen door de straat naar de molen fietst, de dagen. Voor het oorlogsmonument telt hij de jaren. Bij de eerste popu-lier daarachter, waar zijn fiets steeds door dezelfde kuil rijdt, telt hij de dagen. En 's avonds, als Windisch de molen afsluit, telt hij de jaren en dagen nog eens.
Van verre ziet hij de kleine witte rozen, het oorlogsmonument en de populier. En als er mist hangt, ziet hij het wit van de rozen eh het wit van de steen al fietsend vlak voor zieh. Windisch rijdt erdoorheen. Windisch heeft een vochtig gezicht en rijdt tot hij er is. Twee keer heeft het rozestruikgewas kale dorens gehad en het onkruid eronder was roestig. Twee keer was de populier zo kaal dat het hout bijna gebroken was. Twee keer lag er sneeuw op de wegen.
Windisch telt twee jaar voor het oorlogsmonument en tweehonderdeenentwintig dagen bij de kuil voor de populier.
Elke dag als Windisch door de kuil hotst, denkt hij: het einde is er. Sinds Windisch wil emigreren, ziet hij overal in het dorp het einde. En de stilstaande tijd voor hen die willen blijven. En dat de nachtwaker blijft, ziet Windisch tot na het einde.
En nadat Windisch tweehonderdeenentwintig dagen heeft geteld en door de kuil is gehotst, stapt hij voor het eerst af. Hij zet zijn fiets tegen de populier. Zijn stappen klinken luid. Uit de tuin van de kerk körnen wilde duiven gefladderd. Ze zijn even grauw als het licht. Alleen het lawaai maakt ze anders. (…)
Aus:
H.M.: De mens is een grote fazant. Een vertelling. Vertaald door José Bruurmijn.
© Verlag Breda: De Geus / EPO, Berchem. 1988.
Alle bisherigen niederländischen Übersetzungen des Werks von Herta Müller
(ihr neuer Roman "Atemschaukel" fehlt natürlich noch)
:
• Barrevoets in februari. De Geus, 1987
• De mens is een grote fazant. De Geus, 1988
• Reizigster op één been. De Geus, 1989
• De vos was de jager. De Geus, 1993
• Hartedier (Aristeionprijs voor Europese Literatuur en de Irish Book Award). De Geus, 1996.
• Vandaag was ik mezelf liever niet tegengekomen. De Geus, 1999
* *
Ich verweise noch auf diese Datei (mit einem interessanten Audio von Sigrid Löffler):
http://www.tagesschau.de/ausland/nobelpreis156.html
*
In der rumänischen Wikipedia sind diese Angaben zu finden:
http://ro.wikipedia.org/wiki/Herta_M%C3%BCller
In der niederländischen Wikipedia:
http://nl.wikipedia.org/wiki/Herta_M%C3%BCller
Neuester Nobel-Nachrichtenüberblick:
http://de.wikinews.org/wiki/Herta_M%C3%BCller_erh%C3%A4lt_den_Nobelpreis_f%C3%BCr_Literatur
Bei einem Besuch bei einem Buchhändler in den Niederlanden erfuhr ich, dass bereits in Breda, bei der Uitgeverij de Geus, diese Absicht verwirklicht wurde und die Übersetzung 1988 erscheinen sollte.
Da habe ich auf ein eigenes Übersetzungsvorhaben verzichtet.
Ich stelle hier zum Vergleich die Einleitung der ersten Erzählung dieses Titels vor:
Aus Herta Müllers Veröffentlichung:
Der Mensch ist ein großer Fasan auf der Welt.
Erzählungen. Erstausgabe im Rotbuch Verlag, Berlin 1986.
Zum Inhalt der Erzählung "Die tiefe Stelle":
Im "kommunistischen" Rumänien des Diktators Ceausescu, in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts, wartet die deutschstämmige Familie Windisch auf die Ausreisegenehmigung in den Westen.
Während immer mehr Menschen der rumänien-deutschen Nachbarn das Dorf verlassen, muss die Familie weiter warten - das Leben verödet, alles Menschliche scheint stillzustehen.
Erst als sich die Tochter Amalie für die Ausreisegenehmigung in ihrer und ihrer Familie Notverkauft, bekommt die Familie die ersehnten Papiere.
»Wer so zu formulieren versteht, versteht nicht nur viel von Literatur, der ist wohl, wie man einst sagte: ein Dichter.«
(Frankfurter Allgemeine Zeitung“ zur Taschenbuchausgabe )
Das Buch hat ein Motto von Ingeborg Bachmann:
„Die Lidspalte zwischen Ost und West zeigt das Augenweiß. Die Pupille ist nicht zu sehen.“
Meine Interpretation des Zitats:
Dieses Zitat weist in der Aussage darauf hin, dass die Menschen in Ost und/oder West sich zwar nahe sind, weil sie sich in die Augen sehen können, aber ohne wirkliche Nähe, ohne menschlichen Kontakt. Sie befinden sich in einer Art Nichterkennen als optischem Dämmerzustand, einer eigenartigen Blindheit, denn das eigentliche Sehorgan fehlt: die Pupille, die normalerweise die äußeren Eindrücke aufnimmt, damit sie innerlich, kognitiv verarbeitet werden können und dass man darauf reagieren kann.
Ich biete hier zum Vergleich die Einleitung der ersten Erzählung aus dem Band "Der Mensch ist ein großer Fasan":
DIE TIEFE STELLE
Um das Kriegerdenkmal stehn Rosen. Sie sind ein Gestrüpp. So verwachsen, daß sie das Gras ersticken. Sie blühn weiß, klein zusammengerollt wie Papier. Sie rascheln. Es dämmert. Bald ist es Tag.
Windisch zählt jeden Morgen, wenn er ganz allein über die Straße in die Mühle fährt, den Tag. Vor dem Kriegerdenkmal zählt er die Jahre. Am ersten Pappelbaum dahinter, wo das Fahrrad immer in dieselbe tiefe Stelle fährt, zählt er die Tage. Und abends, wenn Windisch die Mühle zusperrt, zählt er die Jahre und Tage noch einmal.
Von weitem sieht er die kleinen weißen Rosen, das Kriegerdenkmal und den Pappelbaum. Und wenn Nebel ist, ist das Weiße der Rosen und das Weiße des Steins beim Fahren dicht vor ihm. Windisch fährt hindurch. Windisch hat ein feuchtes Gesicht und fährt, bis er dort ist. Zweimal hat das Rosengestrüpp kahle Dornen gehabt und das Unkraut darunter war rostig. Zweimal war die Pappel so kahl, daß ihr Holz fast zerbrochen war. Zweimal war Schnee auf den Wegen.
Windisch zählt zwei Jahre vor dem Kriegerdenkmal und zweihunderteinundzwanzig Tage in der tiefen Stelle vor der Pappel.
Jeden Tag, wenn Windisch von der tiefen Stelle gerüttelt wird, denkt er: »Das Ende ist da.« Seit Windisch auswandern will, sieht er überall im Dorf das Ende. Und die stehende Zeit, für die, die bleiben wollen. Und daß der Nachtwächter dableibt, sieht Windisch, über das Ende hinaus. (…)
*
© für diese Ausgabe: Rotfuchs Verlag 1989
© 1986 Rotbuch Verlag. Berlin
**
Zur niederländischen Ausgabe:
Herta Müller:
„De mens is een grote fazant."
Een vertelling.
Vorbemerkung der niederländischen Ausgabe, die ins Niederländisch übersetzt wurde von José Bruurmijn:
Eine Vorbemerkung für niederländische Leser sollte die Metaphorik des Titels erklären:
„De titel ‚DE MEMS is EEN GROTE FAZANT’ is een Roe-meense uitdrukking en betekent dat de mens eigenlijk altijd en overal de grote verliezer is.
Das Motto von Ingeborg Bachmann wurde so übersetzt:
„De oogspleet tussen oost en west laat het oogwit zien. De pupil ist niet zichtbaar.“
Herta Müller:
De kuil
Rondom het oorlogsmonument staan rozen. Ze vor-men een struikgewas. Zo vergroeid dat ze het gras verstikken. Ze hebben witte bloemblaadjes, fijn opgerold als papier. Ze ritselen. Het schemert. De dag breekt aan.
Windisch telt elke ochtend, als hij helemaal alleen door de straat naar de molen fietst, de dagen. Voor het oorlogsmonument telt hij de jaren. Bij de eerste popu-lier daarachter, waar zijn fiets steeds door dezelfde kuil rijdt, telt hij de dagen. En 's avonds, als Windisch de molen afsluit, telt hij de jaren en dagen nog eens.
Van verre ziet hij de kleine witte rozen, het oorlogsmonument en de populier. En als er mist hangt, ziet hij het wit van de rozen eh het wit van de steen al fietsend vlak voor zieh. Windisch rijdt erdoorheen. Windisch heeft een vochtig gezicht en rijdt tot hij er is. Twee keer heeft het rozestruikgewas kale dorens gehad en het onkruid eronder was roestig. Twee keer was de populier zo kaal dat het hout bijna gebroken was. Twee keer lag er sneeuw op de wegen.
Windisch telt twee jaar voor het oorlogsmonument en tweehonderdeenentwintig dagen bij de kuil voor de populier.
Elke dag als Windisch door de kuil hotst, denkt hij: het einde is er. Sinds Windisch wil emigreren, ziet hij overal in het dorp het einde. En de stilstaande tijd voor hen die willen blijven. En dat de nachtwaker blijft, ziet Windisch tot na het einde.
En nadat Windisch tweehonderdeenentwintig dagen heeft geteld en door de kuil is gehotst, stapt hij voor het eerst af. Hij zet zijn fiets tegen de populier. Zijn stappen klinken luid. Uit de tuin van de kerk körnen wilde duiven gefladderd. Ze zijn even grauw als het licht. Alleen het lawaai maakt ze anders. (…)
Aus:
H.M.: De mens is een grote fazant. Een vertelling. Vertaald door José Bruurmijn.
© Verlag Breda: De Geus / EPO, Berchem. 1988.
Alle bisherigen niederländischen Übersetzungen des Werks von Herta Müller
(ihr neuer Roman "Atemschaukel" fehlt natürlich noch)
:
• Barrevoets in februari. De Geus, 1987
• De mens is een grote fazant. De Geus, 1988
• Reizigster op één been. De Geus, 1989
• De vos was de jager. De Geus, 1993
• Hartedier (Aristeionprijs voor Europese Literatuur en de Irish Book Award). De Geus, 1996.
• Vandaag was ik mezelf liever niet tegengekomen. De Geus, 1999
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Ich verweise noch auf diese Datei (mit einem interessanten Audio von Sigrid Löffler):
http://www.tagesschau.de/ausland/nobelpreis156.html
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In der rumänischen Wikipedia sind diese Angaben zu finden:
http://ro.wikipedia.org/wiki/Herta_M%C3%BCller
In der niederländischen Wikipedia:
http://nl.wikipedia.org/wiki/Herta_M%C3%BCller
Neuester Nobel-Nachrichtenüberblick:
http://de.wikinews.org/wiki/Herta_M%C3%BCller_erh%C3%A4lt_den_Nobelpreis_f%C3%BCr_Literatur
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