Würger
HEINZ WÜRGER
Noch nicht ganz acht sehr gemischterfreuliche Wochen seit seiner Pensionierung waren ins Land gegangen, als das Fischreihermännchen Heinz Würger – das „einäugige Arbeitstier“ nannten ihn seine Untergebenen (eigentlich ein Kosenamen für einen Leistungshysteriker) wenn er nicht zugegen war – in ein tiefes Loch fiel. Es bedarf keiner besonderen Erwähnung, dass dieser ebenso bedauerliche wie folgenreiche Unfall von Heinz Würger nicht geplant war. Es passierte ihm halt so, wie sich ihm auch in seinem Berufsleben mal das eine, mal das andere ereignete, was er nicht in seinem Terminkalender vorgemerkt hatte. Manchmal läuft im Leben eines Fischreihers etwas schief. Damit muss man umgehen können.
Infolge einer glücklichen Fügung des Schicksals – auch solche gibt es hin und wieder neben den unglücklichen - waren zur Unfallzeit in der Nähe des Lochs, das Heinz Würger zum für es ungewohnten Inhalt hatte, ein paar grüne Männchen von der genfreien Biologischen Forschungsstation damit beschäftigt, den Bestand an naturbelassenen Wasserflöhen am Bach in ein ökologisch unbedenkliches, aus biologisch-dynamischem Papier gefertigtes Biotopregister einzutragen, und einen Schutzzaun aus handgeflochtenen Weiden für die Wachtelkönige – schon seit geraumen Jahren wurde in den einschlägigen Kreisen gemunkelt, Wachtelkönige könnten in dem Feuchtbiotop siedeln, ohne dass sie bisher ein Mensch vor die Augen bekommen hätte – gegen die menschenunwürdiggefährlichen Strahlen der hochgepulsten Mobilfunkmasten zu errichten. Es wäre doch ein die erhabene Würde des Tieres schamlosabscheulich verletzendes Verbrechen, wenn den Wachtelkönigen – sie werden, auch wenn sie nur vermutlich dort nisten, dringend zur Verhinderung der naturzerstörenden Ansiedlung von Menschen gebraucht -, wenn sie denn wirklich in dem Feuchtbiotop siedeln sollten, die Zehennägel verdorrten, und sie mit Sicherheit vom Krebs dahingerafft würden.
Da die genfreien grünen Männchen von der ökologisch unbedenklichen Biologischen Forschungsstation das erbarmenheischende Wimmern und kreatürlichleidvolle Jammern des Fischreihermännchens Heinz Würger in dem Loch vernahmen, füllten sie sich mit enorm vielem Mitleiden mit der geschundenen Kreatur. Flugs eilten sie zum Loch herbei, und – als sie den unglücklichen Heinz Würger aus der Nähe mit offenen Augen wahrnahmen – zogen sie spontangutmenschlich ihre Flanellhemden aus, verknüpften diese zu einem genfreibergenden Tragetuch, und umwickelten sein rechtes Bein, das Heinz Würger entgegen den Gesetzen der heilen Natur in einem mehr als schrägen Winkel vom Leib hinwegstrebte, mit zwei biologisch-dynamisch selbstgebatikten Halstüchern, wodurch freilich das Wimmern und Jammern von Heinz Würger nicht beendet werden konnte. Gutmenschlichselbstgebatikte Halstücher können beschädigte Kreaturen nicht heilen.
Ohne ein schrilles, die einheimische Vogelwelt seelenverletzendes Blaulicht und lärmende Martinshörner, die naturbelassene Wasserflöhe bei ihrer Brunft enervierend stören, zu Hilfe zu nehmen, trugen die grünen Männchen Heinz Würger in ihren verknoteten Flanellhemden zum Notarzt Dr. Scheinhorter, einem Exemplar der rar gewordenen Spezi der Art von Albino-Abgreifvögeln. Sie betteten Heinz Würger von der genfreibergenden Flanellhemdliege auf eine banale, kunststoffbespannte Tragbahre mit sterilisierten Chrombeinen, welche untenherum mit kleinen Räder bestückt war, um.
„Ja, was haben wir denn?“ fragte Dr. Scheinhorter mit einer Stimmlage, die abgedrehte Psychos in Selbsterfindungsgruppen für aus den Fugen geratene Gegenseitigkeitsbegatter zur Anwendung bringen.
„Ich bin in ein tiefes Loch gefallen, das tut mir weh“, auskunftete Heinz Würger mit ermatteter Stimme und bleichen Wangen als körpersprachlichem Signal.
Dr. Scheinhorter entwickelte behutsam das rechte, unnatürlich vom Leib wegstrebende Bein von Heinz Würger, wobei er ihm zwischendurch eine seiner feuchten Hände auf die verzerrte Stirn legte, um den vertrauensaufbauenden Kontakt zu dem in ein tiefes Loch gefallenen Heinz Würger zu pflegen.
„Das sieht aber nicht gut aus bei uns“, sanftete Dr. Scheinhorter beruhigend zu Heinz Würger, „Du musst sofort in die Klinik.“
Da die Umstehenden dieses unheilvolle Urteil bangen Herzens vernahmen, füllten sich ihre sanften Augen und verletzlichen Seelen mit barmender Ratlosigkeit.
„Wir geheimnisvollen Heiler sind oft keine Hilfe“, auch die Stimme von Dr. Scheinhorter hatte eine leichte Überschattung von Ratlosigkeit angenommen, „wir können nicht alle tiefe Wunden, die das harte Leben den Kreaturen schlägt, heilen.“
Die genfreien grünen Männchen von der ökologisch korrekten Biologischen Forschungsstation entknoteten die Flanellhemden, bekleideten damit ihre Dürftigkeit, und eilten zurück zu ihrer sinnerfüllenden Arbeit, den Artenbestand an naturbelassenen Wasserflöhen am Bach zu registrieren, und mittels eines geflochtenen Weidenzauns die dort der Sage nach vielleicht vorhandenen Wachtelkönige gegen hochgepulste Frequenzen von Mobilfunkmasten zu schützen.
Das Fischreihermännchen Heinz Würger wurde in der Klinik, Abteilung Chirurgie, von seinem rechten Bein befreit, sodass es ihm nicht mehr in einem naturwidrig spitzen Winkel vom Leib wegstreben konnte. Jetzt hatte Heinz Würger nicht mehr nur ein auf die Arbeit verengtes Blickfeld, er besaß auch nur noch ein Bein, auf dem er fortan stehen musste.
Die unberührte Natur lag unter einer milden Sonne des Frühsommers, als das Fischreihermännchen Heinz Würger im Kreis seiner schadenfrohen Kollegen in den Ruhestand verabschiedet wurde. Obwohl die unberührte Natur vor Saft nur so strotzte, lag ein leiser Wehmutshauch des Abschiednehmens wie eine kleine Schicht von Schimmelpilz auf einem überlagerten Glas Erdbeermarmelade über der zusammengekommenen Feierlichkeit. „Partir, c’est mourir un peu.“ „Sag zum Abschied fröhlich Servus …“ sangen seine nun von ihm befreiten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Die Ober- und Unterbosse waren samt ihren Sekretärinnen als mehr oder weniger schmückender Entourage zusammenversammelt, da einer ihrer Besten ausgeschieden werden sollte: Heinz Würger, den seine Untergebenen das „einäugige Arbeitstier“ zu nennen pflegten, wenn er nicht zugegen war. Die Herzöge der 12 Reviere, in die die Großkolonie der Fischreiher in den Feuchtwiesen des Hochrheingebietes aufgeteilt ist, standen im Halbrund herum, ein Glas Sekt unter dem rechten Flügel, unter dem linken ein delikates Fingerfoodhäppchen von jungen Froschschenkeln bergend. Die Entourage der Sekretärinnen, die unter ihrem Federkleid nicht die glänzenden Schmuckstücke junger Froschschenkel verbargen, sondern sackweise Orangenhaut, hatte sich noch heftiger als an normalen Tagen mit aufwändigen Verputzarbeiten aufgebrezelt. In diesem Zusammenhang wäre die häufig verwendete Floskel ‚schön gemacht’ eine abstruse Schönfärberei. Unter den eimerweise verteilten Spachtelmassen und Puderbestäubungsmitteln waren sie ob ihres Einheitsdressings nicht mehr als Individuen dechiffrierbar.
„Unser lieber Heinz Würger“, hubte Herr Direktor Oberraffer, der unumschränktbeschränkte Alleinherrscher über die Großkolonie, der gnadenlose Befehler über alle Reusen an, „mein lieber Heinz Würger, es gilt, endgültig von Dir Abschied zu nehmen, da Du Deine Lebensaufgabe abgeschlossen hast, und aus unserem Team in den Ruhestand ohne Aufgabe und Arbeit entrissen wirst.“ Beifallsgebendheftiges Flügelschlagen der Revierherzöge mischte sich in den Halbkreis vor Herrn Direktor Oberraffer. Einige verstohlene Tränen sowohl der einen als auch der anderen Sekretärin mischten sich unter die von ihnen aufgetragene Spachtel- und Verputzmasse.
„Mein lieber, von uns allen hochgeschätzter Heinz Würger“, Herr Direktor Oberraffer hubte feierlicherhaben fort, „Du hast im kleinsten meiner 12 Reviere angefangen. Schon bald haben wir Deine unbändigbare Energie abschöpfen können. Eine selten anzutreffende Vielfalt von Potentialen hat Dich stets ausgezeichnet, mein lieber Heinz Würger, sie ließen Dich bis in den vierten Rang meiner Großkolonie von Fischreihern in den Feuchtwiesen am Hochrhein aufsteigen. Eine überreiche Fülle von Talenten hast Du entwickelt und an das Tageslicht gebracht. Unschlagbar durch künftige Generationen bleibt Deine gerissene Verschlagenheit der fachlichen Expertise. Unübertrefflich wir mir im dankbaren Gedächtnis Deine ergreifende Raffinesse bleiben, mit der Du mögliche Konkurrenten aus deren Revier vertrieben, und dort gewildert hast. Als echtem Manager von deutschem Schrot und Korn war Dir jederzeit jedes Mittel recht, um Minderbegabte aus der Kampfbahn zu schlagen, und so den Profit meiner Großkolonie zu mehren. Heute, am Tag da wir Dich, lieber Heinz Würger, ausscheiden, hast Du nur noch drei Befehlsgeber über Dir, aber sieben Befehlsempfänger samt deren Gesinde unter Dir. Die erstaunenswerte Lebensleistung eines vorbildlichen deutschen Fischreihers. In diesem Augenblick, da Du nun sinnlos und ohne Aufgabe und Arbeit sein wirst, darf ich Dir freudigen Herzens zurufen: Mein lieber Heinz Würger, Du bist Deutschland!“
Die ganze zusammengetroffene Revierherzögemannschaft brach in ausgelassenfreudiges Flügelschlagen ob der feierlichen Ausscheidung von Heinz Würger aus. Bei sowohl der einen als auch den anderen Sekretärinnen gruben den verströmenden Beifall begleitend salzige Tränenbäche der Erinnerung tiefe Furchen in die aufdonnernden Spachtel- und Verputzmassen.
„Mein lieber Heinz Würger“, Herr Direktor Oberraffer kam zum Abschlusshub, „was Dich in meinen erinnerungsfreudigen Augen als zu allen Zeiten immer als vorbildlichen Mitarbeiter ganz besonders auszeichnete, ist die wunderbare Tatsache, dass Du stets mit einem bescheidenen Anteil Deines von Dir für mich erarbeiteten Profits, der Dir als Gehalt ausgezahlt wurde, hochzufrieden warst, und so war es mir Monat für Monat eine besondere Ehre, Dir ein bescheidenes Scherflein auf Dein Gehaltskonto überweisen zu dürfen. Mein lieber Heinz Würger, in diesem Sinne verabschiede ich Dein Ausscheiden aus unserer Mitte, die Dich so viele Jahre willen- und klaglos ertragen hat. Nimm diese Ehrenmedaille für Dich und diesen Blumenstrauß für Deine Dich stets duldig ertragen habende Gattin aus meinen freundschaftlichen Händen in Deinen Horst mit, sie mögen Dich in Deinem sinnfreien Ruhestand begleiten.“
Es war an einem weinseligen Abend, da das Fischreihermännchen Heinz Würger und seine Gattin Ute an einem erlebnisgetränkten „Urlaubstag“ nach der Pensionierung von Heinz – in den saftigen Feuchtwiesen des Donaudeltas hatten sie eine Unmenge von jungen Fröschen beiderlei Geschlechts, Forellen, auch diese beiderlei Geschlechts, und köstlichen Nacktschnecken, deren geschlechtliche Zugehörigkeit im Zeitpunkt des Indenschlundwürgens nicht feststellbar war, aufgeschnabelt – schnäbelten was ihre Pensionärslenden noch hergaben, und in ein seniorentypisches Paargespräch von rüstigen Rentnerhortteilern verfielen.
„Nun, mein Alterchen“, schnäbelsäuselt Ute, „da Du jetzt von Deiner Lebensaufgabe und jeder Arbeit befreit bist, kannst Du mir ein wenig darüber schnattern, wie Dein Unglück anfing. Los Heinzi, bring mal Butter bei die Fische.“ Ute schaut tief, aber zu diesem Zeitpunkt des frühen Abends noch nicht zu tief in das Glas, und öffnet zum gleichen Zeitpunkt ihre erst in kleinen Anfängen leicht umflorten Augen, um eine Antwort von Heinz wahrzunehmen.
„Mein Utelein“, plappertklappert Heinz schnabel- und emotionalbewegend los, „ich fing ganz klein auf der untersten Ebene der Hierarchie in dem kleinsten Revier der Großkolonie der Fischreiher in den Feuchtwiesen am Hochrhein, die das Arschloch Großraffer bis heute gnadenlos domestiziert und schrankenlos beherrscht, an.“
„Ach mein liebes Heinzele“, seufzt Ute barmend, und schaut ins Glas, jedoch immer noch nicht zu tief, „wie konntest Du dem gegen die unverletzbare Fischreiherwürde verstoßenden Mobbingdruck eines Scheißdrecks von Vorgesetztem standhalten?“
„Ganz einfach, mein Utelein“, Heinz sträubt gewaltig die Federn seiner männlichen Fischreiherbrust, spreizt seine Schwanzfedern wie ein imponiergehabender Pfau, soweit es ihm seine Seniorenkräfte noch erlauben, „durch den eindruckschindenden Gegendruck meines chromosomenbedingten Rollenspiels eines hartgesottenen, von der Natur reichlich gesegneten Fischreiherreviermanagers.“ Jetzt wendet auch Heinz sein Glas seinem besinnlich hineinschauenden Blick zu, ohne zu diesem Zeitpunkt – diesbezüglich Ute gleichend - zu tief hineinzuschauen.
„In diesem chromosomenstarken Zustand hätte ich Dich gerne öfter erlebt.“ Ute kann sich im Moment, da die Stunde noch nicht weit vorgerückt ist, noch soweit beherrschen, diesen ihren schmerzlicherinnernden Gemütszustand nicht sprachlich herauszulassen.
„Zuerst im kleinsten Revier“, Heinz bewirkt seinem altersgrauen Gefieder an Brust und Schwanz nochmals eine Entfaltung, „habe ich das armselige Leben in den Niederungen des Beginns meiner Lebensaufgabe mit der Bravour allererster Sahne bewältigt.“ Heinz kippt einen kräftigen Schnabelvoll, lässt sich dadurch aber nicht am Plustern hindern. „Leistung erbringen, rackern und ackern wie eine protestantischschwäbische Feldmaus, Urkunden und Prämien für den erfolgreichsten Fischreiher pflasterten meinen unaufhaltsamen Weg nach oben wie schwere Sünden den Weg in die Hölle ebnen. Nach oben habe ich mit zusammengebissenen Zähnen servil gekatzbuckelt, und mit gehaltenem Schnabel, ohne das geringste Widerwort zu geben, alles ausgeführt, was mir aufgetragen wurde, nach unten getreten was die Pedale hergaben; bis ich eine so starke Truppe hinter mich geschart hatte, dass ich einen Einbruch in ein oberes Revier riskieren konnte. Der Pokal für den brutalsten Aufsteiger des Jahres, der mir nach dem Weghacken eines Revierherzogs der höheren Hierarchieebene, auf dessen Stelle ich befördert wurde, schmückt noch heute das Regal in meinem Büro im Untergeschoss unseres Horstes. Was habe ich für das Geld, meinen einzigen Lebensinhalt, malocht, tage- und nächtelang bin ich ausgeflogen, um in fremden Revieren zu wildern und fette Beute zu schlagen ...“
„... und hast mich mit unserer gemeinsamen Brut einsam in unserem Horst vernachlässigendschmachten lassen ...“
„... Ute, wärme doch nicht kalten Kaffee auf, oft habe ich Dir für Deine naturgegebene Rolle gedankt, mir den Rücken frei zu halten. So war ich schon nach wenigen Jahren soweit, dass ich in meinem nun recht großen Revierherzogtum mein Geld nicht mehr selbst durch harte Arbeit verdienen musste ...“
„... sondern? ...“
„... sondern, indem ich meine nunmehr verantwortungsvollere Aufgabe 150%-ig ausfüllte, und die unteren Chargen bis zu deren Verzweiflungsrand zu meiner Geldvermehrung antrieb. Weißt Du Utelein, das ist das Erfolgsgeheimnis des modernen Fischreihermanagementes: nicht mit dem eigenen Schnabel und scharfen Krallen selbst beuten, sondern das niedere Gesinde ohne Rücksicht auf Verluste ausbeuten. Je höher du in der Hierarchie der Großkolonie aufsteigst, desto größer die willenlose Entourage, die du zu deinen Diensten zwingen, desto größer die fette Beute, die du in deinem Horst horten kannst.“ Ute schaut tiefbedenklich nun schon etwas tiefer ins Glas, als ob dort eine Neuigkeit zu entdecken wäre.
„Mein erfolgreißendes Heinzele“, flüstert sie unsicherängstlichbange, „wovon sollen wir in den nächsten Jahren uns und unsere Brut ernähren, nachdem Du nach Deiner Pensionierung Deine Lebensaufgabe, das Gesinde auszubeuten, verloren hast, ohne Arbeit und Lebenssinn bist?“ Ute zeigt in dieser Phase des Seniorenpartnergesprächs deutliche Anzeichen von rentnereigenartiger Vordemalterangsthabenderdepression.
„Mein liebes Utelein, lass Dir darüber keine grauen Federn wachsen. In den letzten Jahren konnte ich soviel zusammenraffen, dass ich zum höchsten Lebensinhalt aufgestiegen bin. Nein, ich will und muss nicht mehr die geringste Anstrengung auf mich nehmen, nein, ich muss mich nicht mehr mit Gesindesklaven herumärgern, in Zukunft lasse ich nur noch mein Geld für mich arbeiten. Gänzlich sinnfrei können wir unsere Beine unter dem Sonnenschirm ausstrecken, und dem Personal zuschauen, wenn es unseren Rasen mäht, während sich unser Bankkonto lautlos weiter und weiter füllt.“
Eine beklemmende Ruhepause tritt ein, während der Ute und Heinz damit beginnen, tiefer ins Glas zu schauen, was für Pensionäre ohne Lebensaufgabe nicht ungewöhnlich ist.
Bereits zwei Tage nach seinem „Urlaub“ als Pensionär in den saftigen Feuchtwiesen des Donaudeltas, den Heinz Würger um Abstand von seiner Lebensaufgabe zu gewinnen gebucht hatte, juckt es ihn gewaltigaufreizend in seinen Pensionärsgliedern. Die alte Rampensau kann es nicht lassen, in seinem früheren Revier nach dem Rechten zu sehen.
„Ach der Herr Würger“, flötet scheinheilig seine ehem. Sekretärin, „gibt es Sie auch noch? Was suchen Sie hier?“ und wendet sich einem Stapel Unterlagen zu.
„Ich will Sie nochmals in Ihrem Heim besuchen“, klappert Heinz Würger zurück, und legt ihr eine kleine Schachtel ‚Mon Chérie’ neben den PC, „wie geht’s und steht’s?“
„Oooch, eigentlich wie früher, nur dass mich jetzt ein anderer Chef heimsucht.“ Heinz Würger stößt ein wenig bittersauer auf.
„Ist der neue Revierchef da? Ich will ein wenig nach dem Rechten sehen.“ Die ehem. Sekretärin weist wortlos mit ihrem Schnabel zur Tür des Chefbüros, die Heinz Würger gewohntkundigen Schrittes durchschreitet.
„Guten Tag Herr Kollege, ich wollte eben mal kurz nach dem Rechten sehen. Wie sieht’s denn so aus in meinem Revier?“
„Du alte Arschgeige“, giftet der Neue los, „verdufte sofort, sonst hast Du Deine stinkenden Eier die längste Zeit zwischen den Beinen gehabt!“
In diesem Moment versteinert Heinz Würger zu einer Salzsäule, wie Lots Weib, als es nochmals zurückschaute. Flugs macht er sich flügelnd auf den Heimweg zu seinem Horst.
Das ereignet sich an jenem Tag des Lebens von Heinz Würger, da er, noch ehe er bei sich zuhause ankommt, in ein tiefes Loch fällt, nach seiner Lebensaufgabe erleidet er als Folge dieses Fehltritts auch noch den Verlust seines rechten Beins.
Damit ist die Tragödie von Heinz Würger noch nicht beim Schlussvorhang angekommen. Als er dreizehn Tage später von heftigen Magenkrämpfen geschüttelt wird, tippt der herbeigeeilte Notarzt Dr. Scheinhorter zwar aus seiner Sicht auf ein banalüblichhäufiges Rentnermagengeschür, überweist aber Heinz Würger zur Absicherung seines vorläufigen Befundes in die Klinik.
„Mein lieber Heinz Würger“, coolt der Chefarzt, „ja was haben wir denn da, wir haben da einen kleinen Magenkrebs; noch vier bis fünf Wochen.“
„Scheiße“, Heinz zittert ein wenig, wie es ihm im Berufsleben nie passierte, als ihm der kalte Schweiß ausbricht, „wie zieht sich ein erfolgreichhartgesottener Mensch wie ich ein solch unnatürliches Leiden zu?“ Heinz Würger gerät in einem ziemlich fassungslosen Zustand.
„Indem der Mensch“, ultracoolt der Chefarzt, der seine Fassung bewahrt, antwortend zurück, „wenn ein Mensch den einzigen Sinn seines Lebens darin sieht, möglichst viel Geld zu raffen, zu viele Kröten schlucken muss. Das hält auch die stärkste Sau nicht aus.“
Während Heinz Würger für die letzten Stunden seines Lebens an die Apparaturen der Intensivstation angeschlossen wird, arbeitet sein Geld davon unbeeindruckt auf der Bank für seine Erben weiter.
Kommentare (3)
Lieber Arni,
hyyperbeloid sind Deine exorpatenten Worte.
Deine kundigen Ratgeber sind einfach, was sage ich, zweifach weiterempfehlenswert.
Herzliche Grüße
Sam
Deine "Biographie" aus der Wirtschaft ist mit den vielen symbolischen Wortverballhornungen nicht leicht und flüssig zu lesen, aber nicht "unspannend".
Gruß
Manfred.
Lieber Sam,
jetzt hab ich doch beim lesen Deiner exorpatenten Abhandlung über einen Fischreiher, eine derartige Gehirnverknotung (neurologikus celeknotis) erlitten, das ich mich außerstande sehe, mein kleines, erotisches Ratgeberbüchlein "Lust und Freud in der Ökogesellschaft, zu vollenden. Auch habe ich keine Lust mehr, meine Büchlein bei Herrn Doktor Abgreiffel zu verlegen. Abgreiffel ist der Inhaber des "Lies"-Verlags. Übrigens ist die digitale Ausgabe des Büchleins in glutenfreiem HTML geplant. Das wollte ich nur einmal gesagt haben! Das mit dem Magenkrebs tut mir leid. Hier hätte mein kleiner Ratgeber " Magenkrebs - selbst operiert" bestimmt weiterhelfen können.
Mit schwindligen Grüßen
Arni