Wo auch immer ...
Es ist völlig gleich: Irgendein Ortsname auf unserer (noch) schönen Erde. Es muss nicht Bethlehem sein, dem »Weihnachtsort« schlechthin. Nenne es Fukushima oder Homs in Syrien, gib ihm den Namen Buchenwald, New York oder Dresden, auch Guernica oder Oradour kämen dafür in Frage.
        Überall, wo Menschen wohnen, sind deren Wohnorte sehr oft mit Ereignissen belastet, auf die man nicht stolz sein kann. Das müssen nicht unbedingt Gräueltaten sein, die dann nach oben gespült werden. Wenn du jemanden erzählst, dass du eine Tante in Dachau hast, klicken aber gleich die Signale auf »KZ-Vergangenheit«. Gemeint ist natürlich der heutige Ort, sei er nun wunderschön oder gerade noch zu ertragen. Wenn der Name Hiroshima bei einem Erdbeben fällt, denkt jeder sofort und automatisch an die Atombombe, klar.
        Dann gibt es noch Orte, bei denen man gleich an zweifelhafte Aussagen denkt. Flensburg! Da stoße ich mich sofort an der Verkehrssünderkartei. Gut, mittlerweile hat sich das abgeschwächt, man denkt nun vielleicht mehr an das leckere Pils oder an den Handballverein.
      Jedes Dorf, jede Stadt bemüht sich, ihren Namen von misslichen Bedeutungen freizuhalten. Allerdings gibt es auch Städte, die Ereignisse oder Namen mit Gewalt in ihre Annalen einzupressen versuchen. Irgendein großer Sohn, irgend eine außergewöhnliche Dame wird doch wohl zu finden sein?
        Ich wüsste gern, wie viele Einwohner Weimars Werke von Goethe überhaupt gelesen haben? Ist es vermessen zu sagen, dass die meisten Menschen in Mainz mit dem Gutenberg nix am Hut haben? Unsere Gedanken transportieren Erinnerungen an »Traumorte«, die irgendwann mal in unserem Leben eine Rolle gespielt haben.
        Das war schon in der Bibel so. Auch da wurden und werden »Traumorte« als überragend angepriesen. Zum Beispiel Jerusalem! Dieser Ort wird so anormal überhöht, bis hin zum »himmlischen Königreich Jerusalem«, kein einziger Ort der Welt aus Beton und Glas kommt dann dagegen an. Welch ein Quatsch!
      Aber gleich danach kommt Bethlehem! Es ist heute eine Stadt etwa so groß wie Rottweil oder Salzwedel und liegt in den sogenannten palästinensischen Autonomiegebieten, in denen die Hamas regiert. Ein mehrere Meter hoher Zaun grenzt den Ort von Israel ab.
          Du kommst dort an einen Ort, an dem du nicht viel vom Frieden auf Erden antreffen wirst. Wenn der Name dieses Ortes nicht unter die negativen unserer Welt eingereiht wird wie Hiroshima oder Stalingrad (Wolgograd), dann hat das nur religiöse Gründe!
          Wie ist es möglich, dass wir besondere Orte mit einem solchen Glanz umgeben, der mit der Realität überhaupt nichts zu tun hat? Eine Möglichkeit ist, dass dieser Glanz den inneren Reichtum ausdrücken soll. Wie zum Beispiel bei den Ikonen der Ostkirche. Alles ist vergoldet, wie praktisch, da fragt dann niemand mehr nach dem wahren Wert.
        Geht es uns mit den eigenen Erinnerungen nicht ähnlich? Sie werden eingefärbt und manchmal vergoldet! Unser Kopf bastelt sich seine eigene Vergangenheit zurecht, so wie er sie haben will. Lässt dabei alles Unangenehme nach Möglichkeit weg.
        Deshalb wird die Vergangenheit meist besser angesehen als die Gegenwart es ist, obwohl sie es niemals war! Vielleicht aber stärkt das auch unsere Hoffnung? Diese Überhöhungen von Ort und Zeit wollen uns helfen, Hoffnung zu haben, wenn alles grau in grau aussieht.
      Auch wenn unsere großen Orte, die Plätze, die für uns bedeutsam sind, sicher nicht Jerusalem oder Bethlehem heißen, so sind sie doch Punkte, an denen wir unsere Richtung festlegen könnten!
         Das Kind in der Krippe benötigt keine goldene Erhöhungspunkte. Er kam zu denen, die ganz weit unten, im Niemandsland des Lebens waren.
Ein Theaterstück von Rudolf Otto Wiemer trägt einen bezeichnenden Titel: Jesus wohnt in unserer Straße!
Weißt du zufällig, in welchem Haus?


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©by H.C.G.Lux

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Kommentare (4)

Rosi65


Lieber Pan, danke für eine Erinnerung...


Vor einigen Jahren befand ich mich auf dem Nachhauseweg. Mein Arbeitstag war sehr stressig gewesen, und meine Müdigkeit wurde nur von wütenden Gedanken aufgepeitscht.

Warum nur, lief zur Zeit in meinem Leben nicht alles nach Plan? Dabei hatte ich mir so viel vorgenommen. Doch ständig wurden mir vom Schicksal  neue Steine in den Weg gerollt.
OK, natürlich keine Felsbrocken...aber viele lästige Hürden behinderten meinen Weg.
Ich grollte mit allem und war so richtig unzufrieden.

Meine Strecke führte mich weiter an einem Seniorenheim vorbei. Bei dem warmen Wetter hielten sich einige der Bewohner draußen auf, direkt an der belebten Durchfahrtsstraße.
Nicht gerade die schönste Ecke, dazu noch ziemlich laut. Vielleicht wollten sie in ihrem,
sicher eintönigem Tagesablauf, nur wieder ein kleines bischen Leben und ein paar Autos sehen.

Dann sah ich ihn! Er befand sich mitten in einer Seniorengruppe und saß im Rollstuhl. Der Mann war noch relativ jung, aber ihm fehlten beide Beine.
Mein Herz schnürte sich vor Mitleid zusammen und eine große Scham überfiel mich.
Wie konnte ich nur so unzufrieden mit meinem Leben sein!!!
Ganz sicher hätte dieser Mensch sofort mit mir getauscht. Diesen Moment werde ich niemals vergessen.
Und eine unglaublich große Dankbarkeit erfüllte mich plötzlich. Alles, wirklich alles erschien mir auf einmal ganz leicht. 
Ob es vielleicht Jesus war, der jetzt im Seniorenheim lebt?

fragt sich
Rosi65

Pan

Ja Rosi - ich denke, das genau die Stelle, die wir selten sofort erkennen. Natürlich sehen wir zuerst nur uns selbst - wer ist uns schon näher? Dann aber, wie Du es auch schildertest, geht urplötzlich ein Licht auf!
Das aber, und das glaube ich fest, macht uns Menschen doch eigentlich zu "Menschen", dass wir uns nicht mehr als Mittelpunkt der Welt erkennen müssen!

... die meisten
kennen einander nicht mehr.
Gehn wie in fremdem Land
langsam am Häuserrand,
lauschen in jeden Garten, -
wissen kaum, daß sie warten,
bis das Eine geschieht:
Unsichtbare Hände heben
aus einem fremden Leben
leise das eigene Lied.


(R.M.Rilke)

Mit einem Lächeln von
Horst

Syrdal


Lieber Pan, deine recht tiefgreifende Betrachtung zu den sinnhaft mit einschneidenden Menschheitsereignissen verbundenen Orten und Plätzen und Städten reißt eine Vielzahl von Gedanken, Assoziationen, Erinnerungen, Ansichten und auch Gefühlen an, die sich hier in der gebotenen Kommentarkürze bei weitem nicht aufgreifen lassen. All das, was du nur stellvertretend benannt und geschildert hast, gehört unumwunden zu unserer Geschichte, gleich ob es erhebend oder abstoßend zu werten ist. – Buchenwald, Weimar… ich habe dort gelebt – ist sehr wohl (zumindest zu meiner damaligen Zeit) mit aller Schrecklichkeit im Gedächtnis der Menschen gegenwärtig. Und so wird es wohl auch mit vielen anderen Ereignissen und Gedenkorten sein, zumindest mit diesen, die zur jüngsten Vergangenheit gehören.

Aber auch die uns aus historischen Zeiten überkommenen, aus dem allgemeinen Geschehen herausragenden Ereignisse sind m.E. wichtige Sinnpunkte, die letztlich unsere Entwicklungsgeschichte maßgeblich geprägt haben. Ich denke z.B. an die Schlosskirche zu Wittenberg, die ich als 14-jähriger besuchen durfte und damals überwältigt war von dem ungeheuren Ereignis des Thesenanschlages aus dem Jahr 1517, der gleichsam weltweit eine „festgefrorene“ Denk- und Handlungsweise der christlichen Religion aufgebrochen und revolutionär verändert hat.

Oder auch die großartige Geschichte der Wartburg, in deren Schatten ich im Kreisstädtchen Eisenach das Licht meines Erdenlebens geschenkt bekommen habe. Was alles ist von dort ausgegangen… Sängerwettstreit… die Heilige Elisabeth… und auch Luthers Bibelübersetzung, die erstmals den Menschen das „Wort“ verständlich und begreifbar gemacht hat. – Es gibt da so sehr viele wichtige Beispielorte in aller Welt.

Freilich ist uns in der nahenden Advents- und Weihnachtszeit Bethlehem besonders nahe und niemand denkt auch nur im Geringsten dabei an die heutige politische Lage des Ortes, so kompliziert sie auch sein mag. In der Geschichte spielt das im Zusammenhang mit der Geburt des Heilands keine, absolut keine Rolle… bisher nicht, heute nicht und auch nicht in Zukunft, denn das ist eine ganz andere Ebene der Betrachtung. – Und richtig: „Das Kind in der Krippe benötigt keine goldene Erhöhungspunkte. Es kam zu denen, die ganz weit unten, im Niemandsland des Lebens waren.Und diesen dort ganz unten ist sein Strahlen bis heute besonders nah...

Wenn du nun unter Hinweis auf das Theaterstück von Rudolf Otto Wiemer und dessen bezeichnenden Titel: „Jesus wohnt in unserer Straße!“ fragst: “Weißt du zufällig, in welchem Haus?“, versuche ich eine Antwort nach meinem Verständnis zu geben. Ich denke, Jesus wohnt in dieser (und jeder) Straße überall dort, wo ihm die Tür zu den Herzen der Menschen geöffnet wird.

Mit innerlich bereits hell strahlender Freude auf die kommende Advents- und Weihnachtszeit grüßt
Syrdal
 

Pan

» ... in dieser (und jeder) Straße überall dort, wo ihm die Tür zu den Herzen der Menschen geöffnet wird.«

Deine Betrachtung der Ereignisorte zielt genau auf den Punkt, den ich damit ansprechen wollte: Das Herz!  Und wer das einmal - ein einziges Mal nur - erlebt hat, kann gar nicht mehr ohne Bezug auf diese zeitlichen Ereignisse sein Leben weiterleben. 
Im Schlafzimmer meiner Großmutter (die 1945 ihr Leben lassen musste) las ich als Junge einen Wandspruch, den ich damals als "vollkommen blöd" empfand.

"Wer nie sein Brot mit Tränen aß, 
wer nie in kummervollen Nächten
in seinem Bette weinend saß -
der kennt euch nicht,
ihr himmlischen Mächte!"


Oma sagte damals: "Lach du nur, du wirst es irgendwann verstehen!"

Nun- ich verstehe es heute ganz gewiss, wenn auch nicht unbedingt in dieser schwülstigen Form. Aber ich habe verstanden!
Wozu also weiter darüber sinnieren? Entweder wir kennen die Straße, das Haus, die Person - oder wir gehen achtlos vorüber!
Ich jedenfalls wünschte mir, dass es nicht viele Mitmenschen gibt, die einfach sagen: "Was geht mich diese Straße an?"

Dir wünsche ich mit leisem Lächeln
einen guten Abend.
Horst


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