Wissen ist Macht - oder doch nicht?
Es ist sicher ein Klischee, dass jedes Ende immer einen neuen Anfang im Gefolge hat. Ein väterlicher Freund aus meiner Jugendzeit, sagte mir einst: »Leben bedeutet, alte Wege hinter sich lassen, Leben bedeutet Fortschreiten in die eigene Zukunft!«
Solche Binsenweisheiten musste man mir nicht aufoktroyieren, ich kannte sie aus Erfahrung. Und doch saugte ich seinerzeit alle Weisheiten, die mir die erfahrenen Männer, gerade aus der Kriegsgefangenschaft heimgekehrt, zu vermitteln suchten, wie ein Schwamm auf!
Diese Zeit - vor etwa 70 Jahren - erscheint mir heute wie ein Kaleidoskop mit vielen Farben und Formen, bunt und strahlend, im nächsten Moment wieder im geisterhaften Dunkel verwischt. Dann steigen ständig neue Bilder aus meinem Gedächtnis an die Oberfläche, von der Zeit nicht ausgelöscht, nur durch den Nebel der Jahre verdeckt.
Zu viel Neues stürmte auf einen jungen Menschen ein, der bisher nur sein Dasein in einem engen Bereich leben konnte. Jeder weiß, dass solch eine Existenz stets und ohne Ausnahme von Vorkommnissen begrenzt sein wird, auf die man keinen Einfluss hat. Was aber habe ich davon, wenn ich alles weiß? So frage ich mich heute - im Gegensatz zu meiner Jugendzeit: Muss ich so bewandert in allen Dingen sein, dass ich überall mitreden kann - oder sollte? Bin ich nicht viel glücklicher, wenn ich unbedarfter an eine Sache herangehe?
Was zwingt mich denn zu solch einem »All-Wissen«?
Wir von der Informationstechnik überzeugten Menschen leben in einer Welt, in der alle glauben, dass die Wichtigkeit der Information das »Non-plus-Ultra« der Welt ist.
Ist es das wirklich? Bedeutet Wissen wirklich Macht? Sind die ›News‹, die ich täglich konsumiere, es wert, dass ich mir ständig den Kopf darüber zerbreche? Jedem von uns ist doch klar, dass der Wahrheitsgehalt aller Nachrichten im Moment der Verbreitung schon nicht mehr richtig ist!
Ich glaube, dass Ahnungslosigkeit auch ein Segen sein kann! Nein - nicht völlige Ahnungslosigkeit; aber die Kraft, darüber entscheiden zu können, was man erfahren will und was man auf sich beruhen lassen kann!
Ein Beispiel: Wenn mir jemand die genauen Umstände mitteilen könnte, wann und wie ich einst diese Welt verlassen werde, ohne dass ich die Möglichkeit habe, diesen Ablauf zu ändern, würde ich das wissen wollen?
Ehrlich gesagt: Nichtwissen ist mir doch sehr oft angenehmer!
©by2020 by H.C.G.Lux
Kommentare (4)
So und nicht anders sehe ich es ebenfalls, lieber Syrdal, aber das, was wir früher »Allgemeinwissen« nannten, ist heute lediglich zu einer Tabellierung von Suchstellen geworden, die überall nachgeblättert werden können.
Diese Sophisterei ist das, wogegen ich mich wende! Ist es Wissen, wenn ich sagen kann, wo ich etwas finde, bzw.nachschlagen kann? Vielleicht, wenn ich wenigstens etwas daraus lerne?
Einmal eine falsche Aussage, eventuell auch irrtümlich, gemacht zu haben, ein Fremdwort falsch ausgesprochen, eine Jahreszahl vertauscht - und schon wird faktisch ein Abstempelmechanismus in Gang gesetzt, der (fast) an Mobbing heranreicht.
(Haben wir das nicht schon manches Mal erlebt? )
Nein, ich will nicht alles wissen, das ist unabhängig von meinem Wissensstand. Alles, was wichtig für mich ist - das muss dann wohl sein. Und wenn Du den »Nachbarn« erwähnst, so ist das vollkommen richtig; das aber ist auch auch eine andere Sparte, denke ich, oder?
Wissen ist bekanntlich ein Zusatand, während Denken ein Prozess ist. Deshalb ist auch Descartes Ausspruch, den Manfred zitierte, nicht passend. Man kann denken ohne zu wissen - aber wissen ohne denken?
Okay, lassen wir das. Ich wünsche Dir noch viel Denken(!), Wissen vermehrt sich doch von selbst ...
meint mit einem Lächeln
Horst
Lieber Pan, meine spontan notierten (ganz bestimmt nicht allseitig geprüften) Gedanken zu deiner Darlegung über die Macht des Wissens lauten:
Es mag schon sein, dass manch einer zufrieden ist, im Prinzip nach dem Motto „Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß“ zu leben. Bedenkt man dies aber ein klein wenig, wird sehr schnell auch die Negativseite dieser Lebensweise deutlich. – Weiß ich nicht, dass es dem Menschen nebenan lebensbedrohend schlecht geht, kümmert es mich eben auch nicht... Oder: Wenn ich nicht weiß, dass der Trinkwasserverbrauch der Großstadt Frankfurt derart hoch ist, dass im Bezugsgebiet (Vogelsberg) das Grundwasser rapide abgesunken ist, die Quellen dort bereits versiegen und ganze Berggemeinden tagtäglich mit Wasserwagen notversorgt werden müssen, dann ist es mir in Frankfurt egal, wie oft ich duschen gehe und die Toilette spüle… Damit will ich sagen, dass man nicht völlig unbedarft und somit absolut egozentrisch durchs Leben gehen kann und darf.
Freilich muss man nicht auf jedem Wissensgebiet umfassende Kenntnisse besitzen, aber das, was wir früher „Allgemeinwissen“ nannten, sollte schon in einem durchaus beachtenswerten Maß vorhanden sein. – Das im Bedarfsfall erforderliche Fachwissen ist heute für nahezu jeden relativ leicht erreichbar, die modernen Medien, insbesondere das Internet, bieten dazu jegliche Möglichkeit.
Mein Fazit: Ich muss nicht alles wissen, aber unbedingt aufmerksam sein und bei aktuellem Bedarf wissen, wo ich mich sachgerecht informieren kann….
Nun noch zu deinem letztgenannten Gedanke: Niemand kann voraus sagen, wann und wie er einst die Welt verlassen wird. Und nein, ich will das auch nicht wissen. Aber ich kann alles tun, mich auf dieses unumgängliche Ereignis mental und auch bestmöglich organisatorisch (geordnete Privatverhältnisse) vorzubereiten.
In solcher Weise sich sehr beruhigt wissend grüßt
Syrdal
Ich glaube, wir spüren in den meisten Fällen, ob wir was wissen wollen oder nicht. Zm Denken gehört ja auch ein Wissen, und Descartes' Postulat "Cogito - ergo sum" birgt ja auch was von "Scio - ergo sum" in sich.
Ist Wissen schon Macht?
Wissen ist sicher eine gute Grundlage, also eine Schlüsselqualifikation, das mir hilft meine persönlichen Ziele gegenüber anderen durchzusetzen. Allerdings nur, wenn ich dabei auch meinen Standpunkt mit fester Überzeugung, Leidenschaft und guter Argumentation vertreten kann.
Selbst wenn ich dieses Match verlieren sollte, weil der Kontrahent für mich zu stark ist, habe ich mit dieser Übung ein gutes Selbstbewusstseins-Training absolviert, und wahrscheinlich noch eine Menge von meinem "Gegner" dazugelernt.
Das größte Wissen nützt mir aber absolut gar nichts, wenn meine Persönlichkeit es nicht zulässt, und ich es stattdessen vorziehe lieber zu schweigen.
Das Wissen kann also ein hilfreicher Baustein von vielen sein, der es dem Menschen erleichtert, sein Lebenswerk zu bauen und zu gestalten.
meint mit den besten Grüßen
Rosi65