Wie war das vor einem Jahr
Vor einem Jahr kam in meinem Leben noch einmal ein Schnitt. Inzwischen konnte ich mich mit dem Cousinchen treffen.
Diesen Brief - es war eine Mail - verfaßte ich neun Tage vor Räumung meines bisherigen Platzes. Die Auflösung trug ich mit Fassung - eine Woche lang stierte ich die Schornsteine des Kraftwerkes Irsching(Donau) an, bis ich "in die Hände gespuckt" mich auf das Kommende einrichtete.
Ich schreibe an "unserem" Buch. Und da muß diese Mail auch hinein.
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Mittwoch, 20. Februar 2008=17:45
Liebe Ingrid,
da stieß ich an einer Stelle in Eurer Schrift (wie nennt man das Gebinde kurz?) auf einen sehr wesentlichen Satz:
„ein offenes Haus, jeder war willkommen, war zu Hause, auch war der Platz schon übervoll“ so oder so ähnlich klang das.
Das war bei den Müllers nicht so – ich denke heute darüber, dass zwei Gründe gegeben waren:
1. Unser Vater war bei Oma Tönse – und im Schlepptau auch der Opa – nicht anerkannt, hatte er doch keinen Titel und auch der „Ewige Student“ Max Müller, unser anderer Opa; das hatten die Eltern zu oft von den Tönses zu spüren gekriegt.
2. Nach dem Kriege litt unser Vater an der Zerstörung aller Planungen und Träume, die er für die Familie aufgebaut hatte (andere litten auch); wir waren in den zehn Jahren seiner Abwesenheit gewachsen, ihm persönlich wohl auch entglitten, saßen die Ersten auf dem Nestrand und wollten schon starten.
Eisern hat er dann in Bonn den Wiederaufbau vorangetrieben – aber keine Schulden! Und kein Auto (weil er bei einer Probefahrt mit dem Leukoplast-Bomber im Graben gelandet war, also viel zu viel Verantwortung bei sechs nein sieben Kindern). Und dann mit den Kindern in der Endenicher Allee die Wohnung über den Prokuristen (auf seine Beförderung musste er lange warten), wir durften uns nur schleichend durch die Wohnung bewegen. Das Geld war knapp, also mussten wir Großen unser Schärflein dazu beitragen, erst recht, wenn mal (ausnahmsweise) Freunde eingeladen werden sollten. Mutti ging arbeiten, sie musste manches Mal anschreiben lassen, bis irgendeiner von den Kleinen Mutti in Gegenwart von Vater fragte, ob … da war die Bombe geplatzt.
In so einer Stimmungslage gab es für mich stets die Parole „Auf’s Rad Kamerad, auf’s Rad, auf’s Rad“ und den Rhein aufwärts und durch den Odenwald zu Euch nach Erbach, Ostern, Pfingsten. Da war immer was los! Horst baute im Freien seine Funkstation auf, Edgar war da und noch ein Freund aus Berlin, die Motorräder halfen zu fröhlichen Fahrten. Das war Alles so entspannt, so beweglich – besonders wenn der Rottweiler mit uns besoffen aus dem Brauhaus kam, wenn der die Passanten anbellte und wir Mühe hatten, ihn festzuhalten.
Aber schon vor dem: Als wir 1944 – eben auf Raten Deiner Mutter – nach dem Angriff vom 16.Januar 1944 mit Sack und Pack bei Euch eintrafen, die beiden Schwestern und ich mit dem da noch fahrenden Bus zur Spreng rauffuhren, da dann durchs Kainsbach-Tal hinunter zu den Arras pilgerten – dieser Marsch ist mir so was in Erinnerung geblieben, weil Deine und meine Mutter so fröhlich und ungezwungen liefen.
Wie entspannt es sein kann, wie schön es ist, wenn man sich mit Freunden hier oder da trifft, wenn man doch plötzlich in einen Kreis gezogen wird, den ein lieber Mensch da bietet, das habe ich in den letzten neun Jahren erlebt, war glücklich darin, glaubte, nun auch ein offenes Zuhause für immer gefunden zu haben. Leider ist hier nun ein Cut eingetreten, morgen werde ich spüren, wie viel für mich noch übrig bleibt.
In jedem Fall ist es höchste Zeit für mich, die eigenen Familienverbindungen aufzufrischen, die ich durch mein Hin und Her ja hatte auch nicht recht gepflegt.
Der Kopf ist doch nun frei: das Programmieren habe ich aufgegeben, für die Modellbahn ist da kein Platz. Aber eine eMail-Adresse zu haben, ist doch was Feines. Man schreibt, schickt ab, stört niemanden damit und der Empfänger fühlt sich nicht gequält zum Sofortantworten. Das Telefon ist härter. Und das Briefschreiben von Hand: da haben wir uns doch früher schon gerne davor gedrückt.
Wie Babs den Besuch im Zikadenweg 71 (die Nummer ist eingebrannt!) nach der Zerstörung schilderte, frage ich mich, ob es noch einen zweiten Besuch gab, weil ich mit Mutter auch da war, aber von Babs nichts in Erinnerung habe. Vielmehr zerfiel Opas Archiv „Das Schwarze Korps“ in dem noch heißen Keller beim Blasen oder Anfassen.
Du solltest Heike nach der Radfahrt mit Eurem Vater von Eichkamp nach Eichwalde fragen, ob sie dazu etwas ausgeben kann. Und vielleicht weiß sie etwas über Mittelwalde im Glatzer Bergland, wo der Vater mit seinen Studenten war. Dort war ich mit meiner Mutter in den Sommerferien 1942 zur Kur, Uschi war unterwegs. Und diese Adresse bekam Mutter durch die Fleischmanns.
Irgendwie höre ich noch die Stimme Eures Vaters, so wie Heike spricht.
Da schrieb jemand in das Heft von der Puppenherstellung, dazu kam ja auch noch das Bemalen von Holzschalen und Brieföffnern. Und in Hämelschenburg rollte die Produktion von Teddybären – ich musste aus Pappe und Draht die Gelenkscheiben basteln. „Näh Frau Milla, da satz ech mech uff de Arsch! Wie se das so machen.“ Und Dein Onkel Hans-Ortwin lernte in Köln, die Bären an den Mann zu bringen (natürlich mit Mutters Schubs), denn Fahrgeld und das Bezahlen von Kungelware mussten erwirtschaftet werden.
Kannst Du Dich an unsere gemeinsame Fahrt mit dem Odenwald-Express erinnern, Deine Mutter spendierte mir aus Opas Sammlung eine Münze von einem Hunderennen. Ich habe dieses Geschenk angenommen. Im Zug fragten wir uns Beide, wie man das gute Stück wieder los werden kann, bis wir das Abteilfenster herunterließen und der Münze Lebewohl sagten, Du hast ganz verschmitzt gelacht.
Oder: ich war zu Arrassens gefahren, habe dort im Feld gearbeitet, und bin dann mit dem Moped zum Eulbacher Markt gefahren, wo wir zusammen gefeiert haben, Du gabst mir immer Deinen dreiviertel vollen Krug gegen meinen dreiviertel leeren. Mit dem Hacken in der Krone bin ich dann (sicher sternhagelvoll) die Nibelungenstraße hoch und ins Kainsbach-Tal runter gefahren. Ich muß Schwierigkeiten mit dem Abstellen des Mopeds gehabt haben, man erzählte mir das am nächsten Morgen.
Ach ja, man könnte weiter labern.
Euch Beiden liebe Grüße
Und freudiges Schaffen
Herzlich
ortwin
Diesen Brief - es war eine Mail - verfaßte ich neun Tage vor Räumung meines bisherigen Platzes. Die Auflösung trug ich mit Fassung - eine Woche lang stierte ich die Schornsteine des Kraftwerkes Irsching(Donau) an, bis ich "in die Hände gespuckt" mich auf das Kommende einrichtete.
Ich schreibe an "unserem" Buch. Und da muß diese Mail auch hinein.
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Mittwoch, 20. Februar 2008=17:45
Liebe Ingrid,
da stieß ich an einer Stelle in Eurer Schrift (wie nennt man das Gebinde kurz?) auf einen sehr wesentlichen Satz:
„ein offenes Haus, jeder war willkommen, war zu Hause, auch war der Platz schon übervoll“ so oder so ähnlich klang das.
Das war bei den Müllers nicht so – ich denke heute darüber, dass zwei Gründe gegeben waren:
1. Unser Vater war bei Oma Tönse – und im Schlepptau auch der Opa – nicht anerkannt, hatte er doch keinen Titel und auch der „Ewige Student“ Max Müller, unser anderer Opa; das hatten die Eltern zu oft von den Tönses zu spüren gekriegt.
2. Nach dem Kriege litt unser Vater an der Zerstörung aller Planungen und Träume, die er für die Familie aufgebaut hatte (andere litten auch); wir waren in den zehn Jahren seiner Abwesenheit gewachsen, ihm persönlich wohl auch entglitten, saßen die Ersten auf dem Nestrand und wollten schon starten.
Eisern hat er dann in Bonn den Wiederaufbau vorangetrieben – aber keine Schulden! Und kein Auto (weil er bei einer Probefahrt mit dem Leukoplast-Bomber im Graben gelandet war, also viel zu viel Verantwortung bei sechs nein sieben Kindern). Und dann mit den Kindern in der Endenicher Allee die Wohnung über den Prokuristen (auf seine Beförderung musste er lange warten), wir durften uns nur schleichend durch die Wohnung bewegen. Das Geld war knapp, also mussten wir Großen unser Schärflein dazu beitragen, erst recht, wenn mal (ausnahmsweise) Freunde eingeladen werden sollten. Mutti ging arbeiten, sie musste manches Mal anschreiben lassen, bis irgendeiner von den Kleinen Mutti in Gegenwart von Vater fragte, ob … da war die Bombe geplatzt.
In so einer Stimmungslage gab es für mich stets die Parole „Auf’s Rad Kamerad, auf’s Rad, auf’s Rad“ und den Rhein aufwärts und durch den Odenwald zu Euch nach Erbach, Ostern, Pfingsten. Da war immer was los! Horst baute im Freien seine Funkstation auf, Edgar war da und noch ein Freund aus Berlin, die Motorräder halfen zu fröhlichen Fahrten. Das war Alles so entspannt, so beweglich – besonders wenn der Rottweiler mit uns besoffen aus dem Brauhaus kam, wenn der die Passanten anbellte und wir Mühe hatten, ihn festzuhalten.
Aber schon vor dem: Als wir 1944 – eben auf Raten Deiner Mutter – nach dem Angriff vom 16.Januar 1944 mit Sack und Pack bei Euch eintrafen, die beiden Schwestern und ich mit dem da noch fahrenden Bus zur Spreng rauffuhren, da dann durchs Kainsbach-Tal hinunter zu den Arras pilgerten – dieser Marsch ist mir so was in Erinnerung geblieben, weil Deine und meine Mutter so fröhlich und ungezwungen liefen.
Wie entspannt es sein kann, wie schön es ist, wenn man sich mit Freunden hier oder da trifft, wenn man doch plötzlich in einen Kreis gezogen wird, den ein lieber Mensch da bietet, das habe ich in den letzten neun Jahren erlebt, war glücklich darin, glaubte, nun auch ein offenes Zuhause für immer gefunden zu haben. Leider ist hier nun ein Cut eingetreten, morgen werde ich spüren, wie viel für mich noch übrig bleibt.
In jedem Fall ist es höchste Zeit für mich, die eigenen Familienverbindungen aufzufrischen, die ich durch mein Hin und Her ja hatte auch nicht recht gepflegt.
Der Kopf ist doch nun frei: das Programmieren habe ich aufgegeben, für die Modellbahn ist da kein Platz. Aber eine eMail-Adresse zu haben, ist doch was Feines. Man schreibt, schickt ab, stört niemanden damit und der Empfänger fühlt sich nicht gequält zum Sofortantworten. Das Telefon ist härter. Und das Briefschreiben von Hand: da haben wir uns doch früher schon gerne davor gedrückt.
Wie Babs den Besuch im Zikadenweg 71 (die Nummer ist eingebrannt!) nach der Zerstörung schilderte, frage ich mich, ob es noch einen zweiten Besuch gab, weil ich mit Mutter auch da war, aber von Babs nichts in Erinnerung habe. Vielmehr zerfiel Opas Archiv „Das Schwarze Korps“ in dem noch heißen Keller beim Blasen oder Anfassen.
Du solltest Heike nach der Radfahrt mit Eurem Vater von Eichkamp nach Eichwalde fragen, ob sie dazu etwas ausgeben kann. Und vielleicht weiß sie etwas über Mittelwalde im Glatzer Bergland, wo der Vater mit seinen Studenten war. Dort war ich mit meiner Mutter in den Sommerferien 1942 zur Kur, Uschi war unterwegs. Und diese Adresse bekam Mutter durch die Fleischmanns.
Irgendwie höre ich noch die Stimme Eures Vaters, so wie Heike spricht.
Da schrieb jemand in das Heft von der Puppenherstellung, dazu kam ja auch noch das Bemalen von Holzschalen und Brieföffnern. Und in Hämelschenburg rollte die Produktion von Teddybären – ich musste aus Pappe und Draht die Gelenkscheiben basteln. „Näh Frau Milla, da satz ech mech uff de Arsch! Wie se das so machen.“ Und Dein Onkel Hans-Ortwin lernte in Köln, die Bären an den Mann zu bringen (natürlich mit Mutters Schubs), denn Fahrgeld und das Bezahlen von Kungelware mussten erwirtschaftet werden.
Kannst Du Dich an unsere gemeinsame Fahrt mit dem Odenwald-Express erinnern, Deine Mutter spendierte mir aus Opas Sammlung eine Münze von einem Hunderennen. Ich habe dieses Geschenk angenommen. Im Zug fragten wir uns Beide, wie man das gute Stück wieder los werden kann, bis wir das Abteilfenster herunterließen und der Münze Lebewohl sagten, Du hast ganz verschmitzt gelacht.
Oder: ich war zu Arrassens gefahren, habe dort im Feld gearbeitet, und bin dann mit dem Moped zum Eulbacher Markt gefahren, wo wir zusammen gefeiert haben, Du gabst mir immer Deinen dreiviertel vollen Krug gegen meinen dreiviertel leeren. Mit dem Hacken in der Krone bin ich dann (sicher sternhagelvoll) die Nibelungenstraße hoch und ins Kainsbach-Tal runter gefahren. Ich muß Schwierigkeiten mit dem Abstellen des Mopeds gehabt haben, man erzählte mir das am nächsten Morgen.
Ach ja, man könnte weiter labern.
Euch Beiden liebe Grüße
Und freudiges Schaffen
Herzlich
ortwin
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