Verwunschene Gedanken XIII.
Zeitlos
Bei diesen Worten schaute sie schon auf ihre Armbanduhr, hektische rote Flecken im Gesicht bewiesen, das sie tatsächlich keine Zeit hatte. Nach einigen kurzen Abschiedsworten eilte sie dann zu ihrem geparkten Wagen und ich verlor sie schnell aus meinem Blickfeld.
Schade, hatte ich sie doch seit dem letzten Klassentreffen vor einer Reihe von Jahren nicht mehr gesehen und war darum sehr erfreut, sie so zufällig wiederzufinden.
Sehr nachdenklich ging ich nach Hause, diese Begegnung mit dieser Frau, einer ehemaligen Freundin, die einst meine große »Flamme« war, ging mir nicht aus dem Kopf. Was muss geschehen sein, wenn die Uhr das Leben bestimmt, wenn die Hetze des Alltags alles so überlagert, dass für alles andere kein Blick mehr übrig ist? Wenn die Zeiger einer Uhr das Leben in viele winzige Segmente zerteilen und alles eingeplant ist bis auf die Minute?
Gewiss, wir Menschen der Gegenwart kommen ohne Zeiteinteilung nicht mehr aus. Es wäre töricht, dies anzuzweifeln. Fahrpläne, Terminkalender, Stundenpläne, Öffnungszeiten usw. – alles hätte keine Existenzberechtigung mehr, es gäbe nichts Verlässliches mehr auf unserer Welt. Wahrscheinlich würde alles in einem gewaltigen Chaos ersticken.
Das ist nun mal eine unumstössliche Wirklichkeit und niemand kann dies bezweifeln. Nein, darum geht es doch auch nicht! Es geht hier nur um die Tatsache, dass wir alle uns nur noch von der Uhr und dem Kalender bestimmen lassen, dass diese nicht mehr für uns da sind, sondern wir für sie!
Wir planen weit in die Zukunft hinein, kaufen unser Leben auf Raten und wissen gar nicht, ob wir für all das, was wir hiermit geschenkt bekommen haben, nicht auch eine Verpflichtung eingegangen sind. Irgendwann, zum Glück wissen wir nicht, wann, kommt dann die Zeitabrechnung, alle Uhren werden angehalten und unser Terminkalender einfach durchgestrichen.
der Donnerstag kommt,
der Freitag kommt,
kommt auch der Tag,
dessen Datum
du nicht liest in der Zeitung,
dessen Kalenderblatt
ein anderer abreisst.
(-Rudolf Otto Wiemer- )
Ich habe keine Zeit! Vielleicht, weil ich sie vertrieben habe? Nur so, zum “Zeitvertreib"? Ich habe mir die Zeit vertrieben, dann tat sie mir auch den Gefallen. Und nun? Wenn ich jetzt keine Zeit habe, mir keine Zeit nehme, wann dann?
Der Fahrer wechselt das Rad.
Ich bin nicht gern, wo ich herkomme.
Ich bin nicht gern, wo ich hinfahre.
Warum sehe ich den Radwechsel
mit Ungeduld? ( -Bertold Brecht-)
Kommentare (5)
Lieber Pan,
Deine Erzählung erinnert mich doch tatsächlich an den fantasiereichen Jugendroman „Momo“ von Michael Ende.
Diese Geschichte handelt von skrupellosen „Zeitdieben“ und von dem Kind, das den Menschen die gestohlene Zeit wieder zurückbrachte. Durch die ständige Zeitersparnis wurde nämlich vergessen das Schöne im Augenblick des Lebens zu genießen.
Herzliche Grüße
Rosi65
Lieber Pan, im Zusammenhang mit Deiner Betrachtung zum Diktat der Zeit fiel mir ein, dass ich erst gestern bei meiner Morgenlektüre auf einen Spruch von Jules Romains (bürgerlich Louis Henri Farigoule) gestoßen bin:
...meint Syrdal
@Syrdal
und gerade wollt ich, weiter oben, schreiben, jetzt tu ich es:
Ich teile meinen Mitmenschen sogar oft absichtlich, um sie nicht zu drängen, mit, dass ich Zeit habe, den Rentner Klischee Spruch -keine Zeit- kenne ich zwar.
Es gibt natürlich Situationen, wo die Zeit eine extreme Rolle spielen kann, in countdown-Situationen sozusagen, wo sonst ein negatives, manchmal nur vermutetes negatives Ereignis eintreten kann.
😏
Seitdem der Satz "denken Sie daran, dass Zeit Geld ist",
(von Benjamin Franklin) in der ganzen Welt die Hoheit
des Denkens erreicht hat, ist der Mensch gefangen im
Dasein des "schneller, höher, weiter" des täglichen Lebens.
Danke für Eure Kommentare,
Horst
⌚️