Vergessen?

Es wird gesagt, dass die Zeit alle Wunden heilt und Erinnerungen mit dem Alter verblassen. Diejenigen, die dies behaupten, haben möglicherweise nichts zu vergessen.
Oder sie reden ihre Erinnerungen weg, weil die Stimme, die in uns spricht, leise und leicht zu übertönen ist.
Auch ich habe versucht zu vergessen. Aber jetzt, wo ich auf all die letzten Jahre zurückblicke, weiß ich, wie vergeblich diese Bemühungen waren.


[Alexander Marcus Aurelius, 121-180 n.Ch.]

~Pan~


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Kommentare (6)

Syrdal


Je älter ich werde, um so wichtiger sind mir meine vielen Erinnerungen. Doch kommt es darauf an, ihnen auf dem Boden der umfassenden Lebenserfahrung die jeweils richtige Gewichtung zukommen und sich im Hier und Heute nicht überrollen zu lassen. Es gibt bei allem ja doch so vieles, für das ich sehr dankbar bin… und auch dankbar sein will, wenn weniger Erhebendes mit Güte abgeschlossen wurde.

Sich gerne erinnern heißt bewusst leben, meint
Syrdal

Distel1fink7

Hallo Pan

ich finde aus manchen Erinnerungen werden Einbrennungen,, die bleiben.
Ich habe viele gute und brennende. So menschlich.

Gruß Distel1fink7

 

margit

Lieber Pan,

schon Marc Aurel hat klar erkannt, wie das mit dem Erinnern funktioniert. Gerade mit dem Älterwerden drängen sich längst vergessen geglaubte Erlebnisse wieder in den Vordergrund.

Es liegt nun an uns, ob wir dies zulassen oder nicht und ob wir einen Filter ansetzen wollen und können.

Die einzige Zeit, die wir wirklich gestalten können, ist die Gegenwart. Ich habe für mich beschlossen, üblen Schemen der Vergangenheit keine Macht mehr über meine Gegenwart zu geben und wehre mich auch dagegen, von den Erinnerungen anderer in meinem  familiären Umfeld immer wieder in quälende persönliche Erlebnisse verwickelt zu werden. Es gibt - zum Glück - auch positive Erinnerungen, die meine Gegenwart erfreuen können.

Damit will ich keinesfalls einem generellen Vergessen das Wort reden. In historischen Zusammenhängen ist Erinnerungskultur absolut wichtig und darf nicht vernachlässigt werden.

Margit

Pan

Mit dem Vergessen entsteht bei mir so ein kleines Dilemma: Wenn ich heute all die Ereignisse vergessen könnte, die ich als 11-jähriger in den letzten Kriegsjahren erlebt hätte, könnte ich unwahrscheinlich stolz auf mich sein.
Es gelingt mir aber nicht. Schaue ich dann auf die Zeitläufe heute, kommt all das wieder ans Tageslicht, das einstmals so tief begraben lag.
Dabei kommt dann die Diskrepanz zwischen »persönlichem Erleben« und dem »allgemeinen Geschehen« so recht ans Tageslicht!

Es ist schon richtig, dass man nicht ständig Verhaltensmuster der Vergangenheit als Maßstab für die Gegenwart anlegen sollte - und darf.
Genauso wenig aber darf alles Frühere unterdrückt werden - denn nur Erinnern schützt vor dem Wiederholen bzw. dem Nachahmen! Und das, eben dieses »Vergessen«, erleben wir doch heute, in welcher Form auch immer.

Ich stelle mir vor, ich würde meinem israelischen Freund in Haifa schreiben, er solle nicht immer die Vergangenheit seiner Familie in den Vordergrund stellen, sondern sich nur auf Gegenwart und Zukunft konzentrieren - welch ein »Schlamassel« das ergeben würde.

Ich weiß, das Eine hat mit dem Anderen wenig zu tun, und dennoch spielt es eine Rolle in der persönlichen Welt. Ich kann natürlich die SHOA nicht mit dem eigenen Leben oder dem Geschehen der übrigen Familien vergleichen, es ist eine andere Liga und soll keinesfalls mit anderem verglichen werden. Ich möchte meine Familiengeschichte auch nicht ständig aufgewärmt bekommen!
Irgendwo aber hat alles Geschehen eine Verbindung zueinander.
Es liegt immer an uns, die richtigen Fäden in der eigenen Hand zu organisieren!

Ich danke Dir für Deinen Kommentar,
Grüße von
Pan

Manfred36

Vergessen tut man eigentlich so gut wie gar nichts. Es kommt darauf an, wie tief man den Schöpflöffel heute noch ansetzten kann oder will. 

Pan

Mit dem Schöpflöffel ist das so eine Sache:
Mancher kratzt auf dem Boden herum und findet
nichts weiter als trübes Wasser.
Ein Anderer taucht bis auf den Boden und holt im
Übermaß alles hervor, das er gar nicht wollte!

Wir sind schon komisch, wir Menschen ...
grüßt Horst


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