Tod auf Schienen,. Kurzkrimi
Seit einiger Zeit, genau genommen, seit dem Moment, wo ich den Unfall in der U-Bahn miterleben mußte, habe ich das Gefühl, nicht mehr alleine zu sein. Ich habe dauernd das Gefühl, dass jemand hinter mir steht, mit mir im Lift fährt oder neben mir über die Straße geht.
Ich drehe mich nun öfter schnell um, oder bleibe bei einer Auslage stehen um mein Spiegelbild darin zu betrachten, auch um zu sehen ob jemand hinter mir oder auf der gegenüberliegenden Straßenseite steht und mich beobachtet.
Der Unfall vor 4 Wochen an einem Montag Morgen, geschah ohne Vorwarnung, ohne dass es irgendein Anzeichen dafür gab. Einige Augenblicke zuvor stand der Mann noch bewegungslos dicht neben mir und dann stürzte er plötzlich, die Arme wie zum Schutze vorgestreckt, nach vorne. Der Schrei, den er dabei ausstieß verfolgt mich nun in meinen Albträumen. Seine Aktenmappe flog in weitem Bogen auf die Schienen voraus und kurz, bevor der Zug ankam, lag sein Körper auf den Schienen und der Zug braust über ihn hinweg.
Das Kreischen der Bremsen, die nun einsetzenden Schreie der wartenden Menschen, höre ich noch immer bei Tag und besonders bei Nacht, in der Dunkelheit, wenn ich das Licht lösche.
Es spielt sich immer gleich ab. Zuerst höre ich den entsetzten Schrei des stürzenden Mannes und danach die Schreie der Menschen hinter mir.
Es ist immer der gleiche Ablauf. Ich stehe auf den Geleisen und starre in den dunklen Tunnel der U-Bahn. Ich höre den Zug aus der Dunkelheit kommen, er rast auf mich zu und überrollt mich. Er hat vorne eine große Uhr, die genau die Uhrzeit des Unfalles zeigt, 17.50h. Mein Schrei mischt sich mit den Schreien der Menge und dem Kreischen der Bremsen.
Ich wache Nacht für Nacht, schweißgebadet und nach Luft ringend, auf.
Zweimal wurde ich bereits zur Aussage auf das Polizeirevier vorgeladen. Jedesmal betrat ich es mit einem beklemmenden Gefühl.
Alle meine Eindrücke von diesem schrecklichen Erlebnis sind in meinem Unterbewußtsein vergraben, scheinbar will ich mich nicht mehr erinnern. Es genügen mir die Albträume, die ich jede Nacht habe.
Ob ich etwas bemerkt habe? Nein, ich habe nichts bemerkt, es geschah alles zu plötzlich.
Dann gehe ich wieder nach Hause.
Obwohl, da war eine Hand letzte Nacht in meinem Traum, die von rückwärts kommend in meinem Blickfeld auftauchte. Doch es war sicher nur eine Reflexion meiner Nerven, ich bildete mir das sicher nur ein. Aber die Uhr? Eine große goldene Uhr am Handgelenk einer gepflegten Hand mit einem Siegelring, sie zeigte 17,50h.
Je intensiver ich versuche mich daran zu erinnern, desto schneller verschwindet dieses Bild wieder im Nebel meiner Erinnerung. Es wird eiskalt im Raum, Luft streicht über mich hinweg, der Mann neben mir blickt, wie wir alle, in die Richtung des Zuges und fällt, und fällt und fällt und ich wache schreiend auf.
Was hatte es mit dieser Uhr auf sich?
Und war da nicht auch dieser herbe, holzige Geruch in der Luft? Ein sehr intensiver, männlicher Geruch, den ich sicher wieder erkennen würde. Die Erinnerung daran ließ mich aufwachen und ich mußte mich übergeben.
Ja, das war es! Dieser Geruch ist in der Erinnerung haften geblieben und nun an die Oberfläche meines Bewußtseins gekommen.
Ich werde morgen doch meine Aussage revidieren, diese langsam zurück kehrenden Bruchstücke aus meiner Erinnerung zu Protokoll geben. Dieser Mann mit der goldenen Uhr am Handgelenk und dem Siegelring nimmt im Laufe des Tages immer mehr Gestalt an. Er tritt aus der anonymen Masse der Fahrgäste deutlich heraus.
Es ist jener Mann, der vor mir die Rolltreppe hinunter fuhr, fiel mir ein. Ja, ich sehe ihn nun ganz deutlich vor mir, zwar nur von rückwärts, aber doch deutlich. Er hat schütteres dunkles Haar, trägt einen leichten, beigefarbenen Mantel und hat es eilig zum Bahnsteig zu kommen. Das fiel mir damals nicht sonderlich auf, da es fast alle Menschen im Bereich der U-Bahn eilig haben. Aber nun, so im nachhinein gewinnt es an Bedeutung für mich.
Irgendwie erleichtert trat ich heute Morgen meinen Weg zur Polizeistation an. Ich ordnete unterwegs meine Gedanken und Erinnerungen, um dann bei dem Gespräch nicht unsicher zu erscheinen.
Seit diesem Unfall meide ich die U-Bahnstation in der Nähe meiner Wohnung, sondern gehe immer zu der weiter weg liegenden vorherigen Station.
Ist da nicht wieder jemand, der mich verfolgt? Die Angst ist zu meinem ständigen Begleiter geworden. Wie immer bleibe ich einige Mal bei Auslagen stehen, drehe mich plötzlich um oder blicke auf die gegenüber liegende Straßenseite.
Einige Male sehe ich Männer, auf die meine Beschreibung paßen, doch es ist unmöglich sie wirklich einzuordnen.
Ich bleibe vor der Auslage des Hutgeschäftes stehen und beobachte in der Glasscheibe die gegenüber liegende Straßenseite. Da ist er, ich bin mir ganz sicher. Er steht da und blickt geradewegs zu mir herüber. Er trägt wieder diesen leichten, beigefarbenen Mantel und streicht sich soeben das schüttere Haar aus dem Gesicht. Seine Augen sind auf mich gerichtet und es liegt ein kaltes Lächeln auf seinem Gesicht.
Er mußte mir gefolgt sein; sicher nicht das erste Mal. Nur heute fällt er mir zum ersten Mal auf, da ich mich an Einzelheiten zu seiner Person erinnere.
Die Angst kriecht langsam an mir hoch. Als ich mich jedoch umdrehe, ist er verschwunden. Die Menschen rund um mich beachten mich nicht und gehen, ohne mich zu bemerken an mir vorbei und auf der anderen Straßenseite ist niemand verdächtiger mehr zu sehen.
Wenn das nicht aufhört, werde ich noch vor Angst verrückt werden.
Ich bin entschlossen, nun auf dem direkten Wege zur Polizeistation zu gehen, meine Aussage zu machen und die ganze Sache dann zu vergessen.
Es ist der übliche Morgenverkehr, die Menschen eilen vorbei, stoßen einander an und überholen sich gegenseitig. Nun ist gerade ein Zug abgefahren und ich muss auf den nächsten warten. Der Bahnsteig füllt sich rasch und das übliche Gedränge und Geschiebe setzt wieder ein.
Der kommende Zug schickt wie immer diesen kalten Luftstrom voraus und alle blicken gespannt in die Dunkelheit des Tunnels.
Da! Da ist er wieder dieser herbe Geruch! Es würgt mich plötzlich in der Kehle, ich verspüre einen leichten Druck im Rücken, stolpere und werde nach vorne gestoßen.
Im Fallen drehe ich mich erschrocken um und sehe in die spöttischen Augen eines Mannes mit dunklem schütteren Haar, bekleidet mit einem leichten Mantel.
Ich falle und falle und da ist der Zug plötzlich da. Vor meinem Auge erscheint wieder diese große, imaginäre Uhr, sie zeigt 17,50h. Das Kreischen der Bremsen wird immer lauter und lauter.
Wieso zeigt diese riesige Uhr eigentlich 17,50h? Es ist früh am Morgen, Rush-Hour und ich wollte doch zur Polizeistation? Wieso schreien denn die Menschen schon wieder?
Doch dann wird es dunkel um mich und es ist für alle Zeiten vollkommen gleichgültig, wie spät es ist.
Kommentare (2)
rosel
Liebe Joana... .
Jetzt habe ich die letzten 8 Geschichten von dir gelesen,
sie sind alle wunderbar,
Nur die letzte....Tod auf Schienen ist so traurig.....
Aber ich möchte eigendlich nur sagen.....mach weiter,es ist ein Genuss deine Geschichten zu lesen....danke dir dafür)
Herzliche Grüße: Rosel
Jetzt habe ich die letzten 8 Geschichten von dir gelesen,
sie sind alle wunderbar,
Nur die letzte....Tod auf Schienen ist so traurig.....
Aber ich möchte eigendlich nur sagen.....mach weiter,es ist ein Genuss deine Geschichten zu lesen....danke dir dafür)
Herzliche Grüße: Rosel
Liebe Grüße aus Wie
Joana