Tagebuch eines Neu-Autors

Autor: ehemaliges Mitglied



WURZELHOF-TAGEBUCH

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Die Scheibenwischer meines funkelnagelneuen Autos spielen verrückt. Regnet es nur leicht, flitzen die Gummiblätter wie verrückt hin und her, wird der Regen heftiger, reduzieren sie wie von Zauberhand geführt ihre Geschwindigkeit und verfallen in den slow motion rhythmus. Diese geheimnisvolle Kraft wird von der Autoindustrie als Errungenschaft gepriesen und nennt sich Regensensor. Deutsche Wertarbeit und vollautomatisch - eh klar!

Weil ich ein Mann bin und seit einer halben Ewigkeit mit dem Autofahren vertraut, fällt es mir schwer, die Betriebsanleitung zu Rate zu ziehen. Ich entschließe mich weiterzufahren, wenn auch nur sehr langsam. Die Dame vom Navigationsgerät ist unbeeindruckt, sie sagt nur lapidar, dass ich bei gleichbleibender Reisegeschwindigkeit mein Ziel nicht pünktlich erreichen werde. Mein Reiseziel liegt im Waldviertel und es schüttet. Ich war noch nie in dieser Gegend. Würde mein Scheibenwischer funktionieren, könnte ich sehen, wie in der Talsenke die Spitze eines Kirchturms durch den Bodennebel sticht. So aber kämpfe ich mit einem Scheibenwischer, der seinen Sensor völlig missversteht.

Zu allem Überdruss erscheint am Display des Bordcomputers eine Warnung in rot:
"Achtung! - In Waschanlagen - Regensensor ausschalten!
Was denn, wo denn ...? Ich sehne mich nach meinem alten Auto und bin froh, dass hin und wieder ein Randstein-Reflektor am Straßenrand aufblitzt, wenn er von meinem ultramodernen Xenon-Licht erfasst wird. Sonst sehe ich nur schwarzgrünen Wald und diffuse Nebelschleier. Jetzt ahne ich, wie die vielen Sagen über das Waldviertel entstanden sind.

Die Navigationsfrau quäkt:
"Sie haben ihr Ziel erreicht. Ihr Ziel befindet sich rechts.

Langschlag bei Groß-Gerungs, Seminar-Gasthaus-Wurzelhof. Wie zum Hohn hört es zu regnen auf und ich kann einen ländlich rustikalen Gasthof mitten am Dorfplatz bewundern. Ich bin eine halbe Stunde zu spät, das passt nicht zu mir, denke ich. Ich drücke die Klinke der schweren Haustür und trete in eine Vorhalle mit uraltem Gewölbe ein. Vier ausgetretene Steinstufen führen in die Gaststube. Durch die Putzenscheiben der kleinen Fenster dringt nur schwach das Tageslicht. Eine von Tabakrauchern über die Jahrhunderte gebeizte Holztäfelung umgibt den ganzen Raum bis in die tiefen Fensternischen der meterdicken Mauern. Hellrote Pegonien wuchern aus kupfernen Gefäßen und filtern so das spärliche Licht, das durch die Fensterluken scheint. Aus geschmiedeten Lampenschirmen strahlen Glühbirnen ihr warmes Licht auf den Herrgottswinkel. Der Wirt passt zur guten Stube, er wirkt wie geschnitzt, ist aber aber freundlich. Er ist der Herbergsvater der Seminaristen, die mich jetzt alle begrüßen, als das, was ich bin: Einer von ihnen. Der neunte Teilnehmer des Seminars der Literatur-Werkstatt-Wurzelhof. Ich bin angekommen.

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Das bekannt raue Wetter des Waldviertels gibt sich die Ehre. Mein erster Blick aus dem Mansardenfenster zeigt zäh aufsteigende Nebelschleier. Der Blick ins Land endet am Kastanienbaum vor dem Haus. Es scheint so, als würde er sich ducken unter den Wolkenfetzen. Die Zeit scheint stehengeblieben zu sein, kein Mensch ist zu sehen. Es wirkt fast inszeniert, alles ist düster und mystisch.

Zum Frühstück gibt es selbstgemachte Marmeladen und Mohnflesserl, typisch für die Gegend, sagt Hans, der Wirt. Ich bin gestärkt und aufnahmebereit für geistige Nahrung.
In dieser Woche werde ich also erstmals an einem Seminar für autobiografisches Schreiben teilnehmen. Margit Schreiner, selbst erfolgreiche Autorin, leitet diesen Kurs.
Der Leitgedanke lautet: "Imaginieren statt erfinden."

Alle neun Teilnehmer sind da, bunt gemischt, sechs Frauen und drei Männer, vom Studenten bis zum Pensionisten. Ich bin der Älteste in der Runde und wie vermutet, der einzige Nichtakademiker. Meinen Bildungsrückstand in dieser Runde kann ich aber mit reicher Lebenserfahrung kompensieren. Bei der obligaten Vorstellungsrunde gebe ich den Leuten einen kurzen Einblick in meine Vita, so nennt man in Autorenkreisen eine Kurzbiografie, sagt man mir. Es ist fast ein Schock für die Leutchen, als sie von mir erfahren, dass ein echter Alkoholiker vor ihnen steht. Zwar trocken und nüchtern, aber trotzdem ein Mann, der so gar nicht dem Klischee eines Säufers entspricht, dass sie offensichtlich im Kopf haben. Aber als Thema ist das natürlich sehr interessant, meinen sie unisono.

Die erste Kurzübung hat den Titel: "Ich war ..."
Die Aufgabe lautet: Zehn Minuten nachdenken - dann zehn Minuten schreiben. Danach wird der Text ausgedruckt, verteilt und die Runde beginnt mit Feedback. Das Wort ist auch neu für mich, aber ich reime mir die Bedeutung zusammen: sie meinen damit eine Rückmeldung auf den Text. Alles klar, ich habe verstanden. Dann die Analyse von unserer Kursleiterin Margit. Auch neu für mich: Alle duzen sich! Das ist angenehm. Genau wie die folgende Mittagspause.
Das Essen schmeckt hervorragend, Veronika, unsere Wirtin stellt grosse Backbleche mit dampfenden Köstlichkeiten auf einem langen Tisch zu einem Buffet zusammen. Jeder holt sich was er mag, Getränke gibt es beim Wirt an der Schank. Die Preise stehen, von Hand geschrieben, auf einer Tafel, ich bin sicher, die hat schon der Kaiser gesehen. Überhaupt ist alles in einem frohen bäuerlichen Ambiente, Bierkrüge aus Zinn stehen auf Borden mit gehäkelten Bordüren. Wie einst bei meiner Oma, einfach zum Gernhaben.
Nach einer schöpferischen Pause und einem kleinen Rundgang durch den Ort Langschlag, geht es weiter im Programm.

Ich bin sehr engagiert, will auf keinen Fall etwas versäumen und bin pünktlich zurück. Und ich habe Kopfweh, wahrscheinlich vom vielen Nachdenken. Die Grammatik macht mir zu schaffen, meine Zeitstränge in den Texten stimmen nicht überein. Anna sitzt neben mir und bemerkt, dass es mir nicht gut geht. Ich weiß aus der Vorstellrunde, dass sie im Berufsleben für das Internationale Rote Kreuz arbeitet. Sie ist in allen Flüchtlingslagern dieser Welt unterwegs, sie kann auch mir helfen, sagt sie. Ich winke ab und bagatellisiere, doch Anna lässt nicht locker, sie will mein Kopfweh in den Griff zu bekommen.
"Und mit was?", frage ich.
"Red´ nicht lang herum", sagt sie, "nimm diese Tabletten."
In der nächsten Pause fragt sie nach:
"Na, Franz, hat´s geholfen?"
"Ja, erstaunlich schnell. Was sind das für Tabletten?"
"Ach Franz, nichts Besonderes, die habe ich immer dabei. Es sind Tabletten gegen Menstruationsbeschwerden."
Allgemeines Gelächter, die Stimmung ist bestens.

Die nächste Übung steht an. Wieder zehn Minuten nachdenken - dann zehn Minuten schreiben. Das Thema jetzt: "Ich bin..." und dasselbe Prozedere.
Meine Texte sind noch etwas holprig, die Gruppe hilft mir und langsam ändert sich mein Denken. Ich bin nicht der Außenseiter, ich gehöre dazu. Das ist schön. Ich lerne was ein Feedback ist und dass der Text im Vordergrund steht, nicht der Autor.
"Schluss für heute", sagt Margit Schreiner, "aber es gibt eine neue Aufgabe. Überschrift für das Thema von morgen ist:
"Ich stehe zwei Stunden an einer Haltestelle..."
Erst einmal Verwirrung, was um Gottes Willen soll ich da schreiben?

©FranzFink

Anm.: Wenn´s euch interessiert, wie es weiter geht, dann lasst es mich wissen. Es geht noch ein bisserl weiter …

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